Strafrecht

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Selbstbestimmung durch Sterbehilfe und Patientenverfügungen

Gemeinsame Fachtagung der Humanistischen Union und der Heinrich-Böll-Stiftung am 27. Februar 2007 in Berlin

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Das eine strafrechtliche Klärung der Sterbehilfe und der Patientenverfügung nicht nur den Wünschen von Juristen entspreche, sondern vor allem für die betroffenen Patienten wichtig sei, unterstrich Torsten Verrel im ersten Referat der Tagung. Der Berichterstatter zum Thema Sterbehilfe für den 66. Deutschen Juristentag im vergangenen Jahr machte die fehlende gesetzliche Regelungen dafür verantwortlich, dass ein selbstbestimmtes Sterben in Deutschland schwierig durchzusetzen sei. „Die Entscheidung über die Vornahme oder Begrenzung lebenserhaltender Maßnahmen wird ebenso wie die Effizienz der Schmerzbehandlung in ganz erheblicher Weise von der Furcht vor vermeintlichen strafrechtlichen Konsequenzen bestimmt.“ Das die Furcht vor einer strafrechtlichen Verfolgung nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, konnte Verell anhand der rechtspolitischen Diskussion und der Rechtssprechung der vergangenen 20 Jahre zeigen. Hierbei traten zahlreiche Widersprüche in der straf- und zivilrechtlichen Bewertung sterbebegleitender Maßnahmen hervor: Während der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner Kemptener Entscheidung 1994 die Beendigung der künstlichen Ernährung auch außerhalb der Sterbephase als zulässige Form der passiven Sterbehilfe einordnete, sprachen Zivilrichter von einem unmenschlichen Verhungern-Lassen, das einer aktiven Sterbehilfe gefährlich nahe komme und deshalb nicht statthaft sei. Während die Verbindlichkeit einer Patientenverfügungen strafrechtlich immer wieder bestätigt und auch außerhalb der unmittelbaren Sterbephase für bindend angesehen wurde, billigte das Oberlandesgericht München sowohl den Ärzten als auch den Pflegern eine eigene Gewissensentscheidung gegenüber dem erklärten Willen der Patienten und den Betreuern beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu, schließlich sei der Arzt kein „willenloser Spielball einer Patientenverfügung“. Die Entscheidungen des 12. Zivilsenats des BGH in den Jahren 2003 und 2005 haben die Rechtsunsicherheit zum Thema Sterbehilfe schließlich komplettiert, indem sie die Verbindlichkeit der Patientenverfügungen entgegen der bisherigen Spruchpraxis nur noch auf die Phase der infausten Prognose beschränkten und zugleich eine fehlende strafrechtliche Klärung der Sterbehilfe im weiteren Sinne konstatierten. Mit der letzten Entscheidung lieferte der BGH ein pauschales Rückzugsargument für jede Verweigerung, dem Wunsch nach Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen vor der unmittelbaren Sterbephase zu folgen. „Wenn sich schon das höchste deutsche Zivilgericht nicht dazu in der Lage sieht, die strafrechtliche Zulässigkeit der Einstellung einer künstlichen Ernährung bei einem Wachkomapatienten zu beurteilen, wie können wir dann von Ärzten, Pflegern, Betreuern und Bevollmächtigten erwarten, dass sie sich in der Kasuistik der Strafrechtssprechung zurechtfinden…“ warnte Verrel.Wie groß die Rechtsunsicherheit sowohl unter Ärzten als auch unter Juristen über zulässige und gebotene Formen des Behandlungsabbruchs bei einem entsprechenden Patientenwunsch ist, verdeutlichte Verrel anhand verschiedener Befragungen. Dabei ordneten zahlreiche Juristen, aber selbst palliativmedizinisch geschulte Ärzte den Abbruch einer Flüssigkeitszufuhr, die Beendigung einer künstlichen Beatmung oder einer künstlichen Ernährung falsch der aktiven Sterbehilfe zu. Die Unsicherheiten über die Grenzen von passiver und aktiver Sterbehilfe, von Behandlungswunsch und Behandlungszwang sind nach Einschätzung Verrels Ausdruck einer „Rechtfertigungsmedizin“, die dem Patientenwillen keinen Raum lässt und sich in der Behandlung am technisch Machbaren orientiere. Eine gesetzliche Regelung müsse deshalb unbedingt zu einer Klärung der strafrechtlichen Bedingungen von Sterbehilfe beitragen. Andernfalls sei sie nur „Stückwerk“, das die Angst von Medizinern wie Angehörigen vor einer strafrechtlichen Verfolgung im Falle einer Behandlungseinstellung nicht abbauen werde.Sein Plädoyer für ein strafrechtliche Klärung der Grenzen von Sterbehilfe wollte Verell jedoch nicht als Beitrag zu einer Legalisierung aktiver Sterbehilfe verstanden wissen. „Durch die Klarstellung der nach der Rechtssprechung bereits jetzt zugelassenen Fälle von Sterbehilfe soll deutlich gemacht werden, dass in Deutschland gerade kein Bedarf für eine Lockerung des Verbots der Tötung auf Verlangen besteht.“ Zugleich sprach sich Verell für eine Versachlichung der Diskussion um (aktive) Sterbehilfe aus: „Es muss endlich Schluss damit sein, dass diejenigen, die sich für eine eng begrenzte Straffreistellung aktiver Sterbehilfe aussprechen, mit dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werden.“

Einen Schritt weiter ging Till Müller-Heidelberg in seinem Kommentar des Referats. Er appelliert zunächst daran, angesichts der elaborierten, aber auch widersprüchlichen juristischen Differenzierungen des Themas Sterbehilfe nicht den gesunden Menschenverstand aus dem Blick zu verlieren. Für Nicht-Juristen sei kaum nachvollziehbar, warum die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei, die anschließend unterlassene Hilfe jedoch strafbewehrt sei oder worin der Unterschied zwischen einer Beihilfe zur Selbsttötung und zur Tötung auf Verlangen liege. Jede Lösung dieser Fragen müsse sich letztlich am Grad an Selbstbestimmung messen lassen, den sie den Betroffenen zugesteht. Warum sollte die Selbstbestimmung über das eigene Leben und den Tod erst ab dem Zeitpunkt einer infausten Prognose oder während einer schweren Erkrankung gelten? Diese Forderung ist nicht neu: Bereits 1983 hat der damalige HU-Vorsitzende Ulrich Klug in seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages die Auffassung vertreten, dass die Regelung des §216 Strafgesetzbuch („Tötung auf Verlangen“) gegen die Achtung der menschlichen Würde und der Selbstbestimmung verstoße und deshalb verfassungswidrig sei.

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