Zivilrecht

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Selbstbestimmung durch Sterbehilfe und Patientenverfügungen

Gemeinsame Fachtagung der Humanistischen Union und der Heinrich-Böll-Stiftung am 27. Februar 2007 in Berlin

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Für die Darstellung der zivilrechtlichen Fragen skizzierte Volker Lipp zunächst die rechtliche Struktur des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Ob, wann und wie lange bestimmte Behandlungen angewandt werden dürfen, unterliege neben der ärztlichen Indikation dem aktuellen Wunsch bzw. früheren Willenserklärungen des Patienten. Lipp betonte, dass die Anwendung einer Patientenverfügung im konkreten Fall meist mehrerer Interpretationen bedürfe: einerseits müsse erschlossen werden, welche Konsequenzen sich aus der (u.U. narrativ verfassten) Vorausverfügung konkret für die vorliegende Situation ergeben. Außerdem sei zu prüfen, ob nach der Abfassung der Patientenverfügung Indizien für eine Änderung des festgehaltenen Wunsches auszumachen sind. Schließlich ist zu entscheiden, ob die in der Patientenverfügung beschriebenen Umstände für einen Behandlungsabbruch vorliegen. Für eine umfassende Vorsorge empfiehlt es sich deshalb, eine Patientenverfügung mit einer Betreuungsverfügung bzw. einer Vorsorgevollmacht zu kombinieren, um Problemen bei der Umsetzung der verfügten Nicht-Behandlungswünsche vorzubeugen. Für den rechtlichen Umgang mit Patientenverfügungen beschrieb Lipp folgende Streitfragen:

Reichweitenfrage: In welchen Situationen wird ein in der Patientenverfügung festgehaltener (Nicht-)Behandlungswunsch wirksam?
Beratungspflicht: Soll eine Patientenverfügung nur wirksam werden, wenn ihr eine (ärztliche) Beratung vorausgegangen ist?
Formerfordernis: Ist die Wirksamkeit der Patientenverfügung an bestimmte Dokumentationsformen (schriftlich, notarielle Beglaubigung…) gebunden?
Position der Betreuer/Bevollmächtigten: Welche Bindung an den Patientenwillen legt die Patientenverfügung dem Betreuer bzw. Bevollmächtigten auf und wann ist eine Abweichung vom vorverfügten Patientenwillen möglich?

Grundsätzlich werde zwar von einer Wunschbefolgungspflicht des Betreuer ausgegangen, allerdings finde diese in der sogenannten Wohlgrenze ihre Schranke. Kommt ein Betreuer zu dem Schluss, dass eine (Nicht-)Behandlung des Patienten dessen Wohl zuwiderlaufe, kann er von dem erkennbaren Wunsch des Patienten abweichen. Die Frage, wann die Wohlgrenze des Patienten überschritten wird, ist stark umstritten, für das Verhältnis des Patienten und seines Betreuers aber von entscheidender Bedeutung. Die Patientenautonomie sei nur dann gewährleistet, so Lipp, wenn die Wohlgrenze möglichst weit nach hinten verlagert werde: „Meiner Auffassung nach ist die Grenze des Wohls [des Patienten] hier wie folgt zu verstehen, dass dort die Wunschbefolgungspflicht endet, wo dieser Wunsch des Patienten krankheitsbedingt ist, das heißt, gerade auf die Krankheit oder den Zustand zurückzuführen ist, wegen dessen die Betreuung eingerichtet, der Betreuer bestellt worden ist.“

In ihrem Kommentar zum Vortrag betonte die Vertreterin des Bundesjustizministeriums, Andrea Mittelstädt, welcher Umbruch im Arzt-Patienten-Verhältnis sich aus einer Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen ergebe. Wäre die Ablehnung einer (lebenserhaltenden) medizinischen Maßnahme nur bei einer infausten Prognose verbindlich, würde dies die Patientenautonomie entscheidend einschränken. Dem Arzt würde dadurch ein eigenständiges Behandlungsrecht eingeräumt, das dem (Nicht-)Behandlungswillen des Patienten übergeordnet wäre. Für die ärztlich indizierten Maßnahmen bestünde damit eine Behandlungspflicht. „Bejaht man eine Behandlungspflicht … zwingt man den Patienten nicht nur, sich einem medizinischen Eingriff zu unterziehen, dem er sich nicht unterziehen will, sondern man zwingt ihn natürlich auch, die Risiken dieses Eingriffs zu tragen …“

Über diese grundsätzlichen Einwände hinaus zeigen sich zahlreiche Schwierigkeiten für die praktische Umsetzung einer Reichweitenbegrenzung. Anhand eines konkreten Fallbeispieles demonstrierte Frau Mittelstädt, wie kompliziert sich beispielsweise die Anwendung des Reichweitenvorschlags der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutschen  Bundestages gestalten kann. Der Vorschlag der Enquete-Kommission lautete: „Eine medizinisch indizierte oder ärztlicherseits vorgeschlagene lebenserhaltende Maßnahme darf nur abgelehnt werden, wenn das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird.“ Wie wäre dann bei einem Schlaganfall-Patienten zu verfahren, der vor seinem Schlaganfall operativen Eingriffen widersprochen hat, bei dem die Ärzte aber nach erneuten Verengungen der Gefäße eine vorbeugende Operation für notwendig erachten. Die Beachtung des Patientenwunsches hinge dann u.a. von der Beantwortung folgender Fragen ab: Handelt es sich bei den Folgen des Schlaganfalls um ein irreversibles Grundleiden? Kann die erneute Behandlung die Gefäßverengung wirklich aufhalten? Die Schwierigkeiten in der Anwendung solch objektiver Kriterien für die Beachtung des Patientenwillens zeigen, dass kein Weg darum herum führe, den (mutmaßlichen) Willen des Betroffenen zu ermitteln, auch wenn dies in manchen Fällen schwierig oder im Einzelfall gar unmöglich sei.

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