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Rechts­aus­schuss

15. Februar 2006

Beschluss­emp­feh­lung und Bericht des Rechts­aus­schusses zu den Anträgen der Großen Koalition, FDP und von Bündnis 90/Die Grünen

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu den Anträgen der Großen Koalition, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen

BT-Drs. 16/690 v. 15.2.2006

Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen Drs. 16/545 (Antrag der CDU/CSU und SPD), 16/128 (FDP), 16/237 (Grüne)

Antrag 16/545 mit Stimmen der CDU/CSU und SPD angenommen. Andere Anträge mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD abgelehnt.

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – Drucksache 16/690

Stellungnahmen:

CDU/CSU: „Mit diesem Text liege nun eine abgewogene Regelung zur Datenspeicherung vor, die sowohl die Grundrechte der Straftäter als auch die Grundrechte der Opfer von Straftaten berücksichtige.“

SPD: „bekräftigte, dass die Bundesregierung erfolgreich verhandelt habe, um in Übereinstimmung mit dem Europäischen Parlament möglichst eine Minimallösung für die Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat zu finden. Diese Lösung begegne keinen verfassungsrechtlichen oder rechtspolitischen Bedenken mehr. Sie sei sinnvoll und notwendig, was die nationale und die internationale Strafverfolgungspraxis zeige. Aufgabe des Deutschen Bundestages sei es nun aber, darauf zu achten, dass diese Regelung nicht zum Einfallstor für weitergehende Maßnahmen werde. Es wäre nun wünschenswert, dass das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie alsbald nach endgültigem Abschluss des Normsetzungsverfahrens auf europäischer Ebene vorgelegt werde, um es ausführlich beraten zu können.“

fileadmin/hu_upload/doku/vorratsdaten/de-politik/1600690.pdf

Antrag der Großen Koalition – Drucksache 16/545

FDP: „hält jedoch die nun gefundene Regelung weiterhin für eine grundlegend falsche Weichenstellung. Auch der minimalistische Ansatz, der sich voraussichtlich auf EU-Ebene durchsetzen werde, stelle einen Paradigmenwechsel in der Verpflichtung Privater zur Speicherung von Daten dar und stoße insoweit weiterhin auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken der Fraktion der FDP.“

Antrag der FDP – Drucksache 16/128

Bündnis 90/Die Grünen: „Der Deutsche Bundestag habe in der 15. Wahlperiode einstimmig eine Entschließung zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet, der zufolge diese Frage auf europäischer Ebene nicht geregelt werden solle. Von dieser Haltung hätten sich die Koalitionsfraktionen offensichtlich abgewandt. (…) Anstelle der Regelung von Löschungsfristen für die von Privaten gesammelten Daten würden nunmehr Speicherungspflichten für Private festgeschrieben. Diese Regelung werde sowohl mit deutschem Datenschutzrecht kollidieren als auch den hierzu vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Entscheidungen zuwiderlaufen.“

Antrag von Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 16/237

Bundesregierung: Die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angesprochene Entschließung habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die damals vorgelegten Regelungen nicht die Zustimmung des Deutschen Bundestages finden konnten. Inzwischen lägen andere rechtliche Regelungen vor, die auch anders bewertet werden könnten. So sei beispielsweise aufgrund deutscher Intervention das Bewegungsbild aufgrund der mobilen Telefonie nicht in die Richtlinie aufgenommen worden und auch die Länge der Speicherfrist sei den Mitgliedsstaaten – oberhalb der Mindestspeicherfrist – zur eigenen Entscheidung überlassen worden.

Antrag der CDU/CSU und SPD: Speicherung mit Augenmaß – Effektive Strafverfolgung und Grundrechtswahrung (BT-Drs. 16/545 vom 7.2.2006)

„7. Derzeit dürfen Unternehmen nach den Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes die Verkehrsdaten nur für geschäftliche Zwecke, wie etwa zur Abrechnung, längstens aber 6 Monate, speichern. Dabei hat das Unter- nehmen sicherzustellen, dass im Falle einer Anfechtung der Rechnungslegung eine Verifikation der angefochtenen Verbindungen noch möglich ist. In der Praxis bewegt sich diese zu Abrechnungszwecken erforderliche Speicherzeit sehr nahe an der im Richtlinienentwurf vorgesehenen Mindestspeicherzeit. Die Löschpflicht würde nun bei annähernd gleicher Dauer in eine Speicherpflicht umgewandelt. Dieser Paradigmenwechsel erfordert eine Anpassung des Telekommunikationsgesetzes.“

„9. Diese Defizite lassen sich nur durch die Einführung gesetzlicher Speicherungspflichten beheben, da nur auf diese Weise die Verfügbarkeit derjenigen Datenarten, deren Kenntnis durch die Strafverfolgungsbehörden in Ermittlungsverfahren typischerweise von großer Bedeutung ist, für einen bestimmten Zeitraum sichergestellt werden kann. Im Rahmen der vorgesehenen Evaluation durch die Europäische Kommission sollte auch geprüft werden, ob es nicht Alternativen zur Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat für die Zwecke der Strafverfolgung gibt, zumal die Abgrenzung zwischen Verkehrs- und Inhaltsdaten immer schwieriger wird.

10. Die Einführung gesetzlicher Speicherungspflichten für Telekommunikationsverkehrsdaten greift allerdings in die Grundrechte sowohl der Nutzer als auch der Anbieter von Telekommunikationsdiensten ein; konkret betroffen hiervon sind das Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und die Freiheit der Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1 GG. Die Abfrage der gespeicherten Daten kann zudem weitere Grundrechte, wie etwa die Presse- und Rundfunkfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG berühren. Diese Grundrechte sind in einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen von besonders großer Bedeutung. Eingriffe in diese Grundrechte, von denen zahlreiche Personen betroffen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, sind besonders schwerwiegend und bedürfen deshalb einer besonderen Rechtfertigung.

11. Die genannten Grundrechte sind jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet. Ihre gesetzliche Einschränkung ist zur Verfolgung vernünftiger Gemeinwohlbelange, wie etwa der Gewährleistung einer wirksamen Strafverfolgung in bestimmten Kriminalitätsbereichen, zulässig, wenn hierbei insbesondere die Grenzen der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, also die einschränkende gesetzliche Regelung zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.“

„13. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Stellungnahme vom Januar 2005 deutlich gemacht, dass er die Rechtsgrundlage für eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in einem Rahmenbeschluss und damit in der „Dritten Säule“ (EUV) sieht. Dass sich die nun geplante Maßnahme auf Artikel 95 EGV, d. h. auf die „Erste Säule“ stützt, begegnet Bedenken, weil Artikel 95 EGV an sich der Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarktes dient, während die Richtlinie primär Strafverfolgungsinteressen verfolgt.

14. Der Bundesregierung ist es – gestärkt durch die bisherige restriktive Beschlusslage des Deutschen Bundestages – in intensiven Verhandlungen auf europäischer Ebene gegen teils erhebliche Widerstände seitens einer Vielzahl anderer Mitgliedstaaten gelungen, sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat die nötigen Mehrheiten für eine Regelung mit Augenmaß zu gewinnen, so dass die in Kürze zur Annahme stehende Richtlinie nunmehr eine Umsetzung unter Wahrung verfassungsrechtlicher Vorgaben erlaubt.

15. Der Deutsche Bundestag anerkennt, dass die Verfassungsgrundsätze und insbesondere das Berufsgeheimnis bei der Anwendung dieser Richtlinie gewahrt bleiben.“

(…)

„II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem in der Sitzung der EU-Justizminister am 2. Dezember 2005 gefundenen Kompromisstext für eine Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, welcher dem vom Europäischen Parlament in dessen Plenarsitzung am 14. Dezember 2005 angenommenen Beschluss entspricht, bei der abschließenden Befassung des Rates der Europäischen Union zuzustimmen;

2. alsbald den Entwurf eines Gesetzes zur gebotenen Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht vorzulegen, dessen Regelungen sich in das nunmehr für Mitte 2007 angekündigte „harmonische Gesamtsystem“ der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse einfügen und der insbesondere die folgenden Punkte berücksichtigt:

a) es werden hinsichtlich der Speicherungsdauer und der erfassten Datenarten keine über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinausgehenden Pflichten geregelt; dies gilt insbesondere für die Speicherungsfrist von 6 Monaten und die Beschränkung der Datenabfrage zu Zwecken der Strafverfolgung auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten;

b) mit dem Gesetz ist zugleich sicherzustellen, dass Daten, die über den Inhalt einer Kommunikation Aufschluss geben, wie bisher nicht gespeichert werden dürfen;

3. zeitnah einen Gesetzentwurf für eine angemessene Entschädigung der Telekommunikationsunternehmen für die Inanspruchnahme im Rahmen der Erfüllung hoheitlicher Ermittlungsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation vorzulegen.“

Antrag der Großen Koalition – Drucksache 16/545

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