Beitragsbild Ausländerkriminalisierung als politisches Instrument
Themen

Auslän­der­kri­mi­na­li­sie­rung als politisches Instrument

30. August 2020
Logo der taz-Beilage

Gegen die Krimi­nal­po­litik mit der Angst

Verlagsbeilage der Humanistischen Union in der tageszeitung (taz) vom September 1998 (Redaktion: Roland Otte)

 

von Jürgen Mansel

Alljährlich erscheinen nach Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) alarmierende Presseberichte über die wachsende „Ausländerkriminalität“. Herausgegriffen werden dabei vor allem Zahlen, nach denen die Kriminalität junger männlicher Ausländer an ihrem Bevölkerungsanteil gemessen etwa dreimal so hoch erscheint wie die der altersgleichen Deutschen. Ein einfacher Vergleich der Zahlen der PKS und das Schließen auf eine besondere Straffälligkeit von in Deutschland lebenden Ausländern verbietet sich jedoch aus einer ganzen Reihe von Verzerrungsfaktoren. Je mehr solche Verzerrungsfaktoren herausgenommen werden, desto stärker gleichen sich die Zahlen von Deutschen und Ausländern an. (1)

Der erste grundlegende Denkfehler besteht darin, daß Straftaten von aus dem Ausland operierenden Organisationen bei der Berechnung der Kriminalitätsbelastungsziffern den hier lebenden Ausländern angelastet werden. Hinzu kommt, daß sich der überwiegende Teil der ausländischen Wohnbevölkerung aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit, ihrer beruflichen Position, ihrer Einkommens- und Wohnverhältnisse etc. in einer „unteren Soziallage“ befindet. Personen aus dieser Soziallage werden sehr viel häufiger angezeigt und von der Polizei als Tatverdächtige registriert. Die ermittelten Unterschiede in der Kriminalitätsbelastung können statt nationalitäts- also auch soziallagenbedingt sein.

Repräsentativ angelegte Dunkelfeldforschungen aus dem Jahr 1996, bei denen Personen nach potentiell kriminalisierbaren Handlungen befragt wurden, ergaben nur marginale Unterschiede zwischen ausländischen und deutschen Jugendlichen. (2) Dies weist darauf hin, daß die Überrepräsentanz von Ausländern in der PKS vor allem Folge der ihnen gegenüber stärkeren Kontrolle ist. (3) Schließlich registriert die PKS jeden, der hinreichend verdächtigt wird, eine unter Strafe gestellte Handlung ausgeführt zu haben. Hier gilt das Prinzip: Im Zweifelsfall gegen den Beschuldigten. Ob der Tatverdächtige aber tatsächlich der Täter ist und ob es sich bei der ihm zur Last gelegten Handlung tatsächlich um eine Straftat handelt, entscheiden erst die Gerichte.

Bereits Mitte der 80er Jahre konnte in einem Forschungsprojekt der Universität des Saarlandes gezeigt werden, daß in bezug auf den jeweiligen Bevölkerungsanteil zum Beispiel junge männliche Türken nicht häufiger gerichtlich verurteilt wurden als junge Deutsche. (4) Zwischen den Bundesländern gab es dabei jedoch bemerkenswerte Unterschiede: In CDU-regierten Ländern lag der Anteil der verurteilten jungen Türken und Italiener fast doppelt so hoch wie in den SPD-regierten; der Anteil der Verurteilten aufgrund von Verstößen gegen das Ausländergesetz liegt sogar bei dem Siebenfachen.

Obwohl sich aus der PKS keine Aussagen über die Häufigkeit spezifischer Verhaltensweisen innerhalb unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ableiten lassen, wird sie in politischen Diskussionen immer wieder zu diesem Zweck herangezogen. Auf politischer Ebene erfüllt der scheinbare Nachweis einer überhöhten „Ausländerkriminalität“ mehrere Funktionen:
Zum einen wird eine ganze Personengruppe diskreditiert und sozial ins Abseits gedrängt. Den Angehörigen der Bevölkerungsgruppe wird deutlich gemacht, daß sie am Arbeitsmarkt primär für schlecht bezahlte, schmutzige, schwere und gegebenenfalls gesundheitsschädliche Arbeiten zuständig sind.
Zum anderen lassen sich mit der scheinbar von dieser Bevölkerungsgruppe ausgehenden Gefahr restriktive Gesetze und Maßnahmen legitimieren wie Ausländergesetz, Änderung des Asylrechts, Arbeits- und Aufenthaltsbeschränkungen und Abschiebungen. Mit der Ausweitung ausländerspezifischer Gesetze und Kontrollinstanzen steigt wiederum der Anteil ausländischer Tatverdächtiger in der Polizeilichen Kriminalstatistik.

HD Dr. Jürgen Mansel ist Dozent an der Fakultät für Pädagogik und Sprecher des Zentrums für Kindheits- und Jugendforschung, Universität Bielefeld.

(1) Karger, Peter / Sutterer, Thomas: Polizeilich registrierte Gewaltdelinquenz bei jungen Ausländern. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 73 (6), S. 369 – 383

(2) Mansel, Jürgen / Hurrelmann, Klaus (1998): Aggressives und delinquentes Verhalten Jugendlicher im Zeitvergleich. Befunde aus ‚Dunkelfeldforschungen‘ aus den Jahren 1988, 1990 und 1996. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 50 (1), S. 78-109

(3) Mansel, Jürgen (1988): Die Disziplinierung der Gastarbeiternachkommen durch Organe der Strafrechtspflege. In: Zeitschrift für Soziologie 17 (5), S. 349 – 364

(4) Mansel, Jürgen (1985): Gefahr oder Bedrohung? Die Quantität des „kriminellen“ Verhaltens der Gastarbeiternachkommen. In: Kriminologisches Journal, 17 (3), S. 169-185

nach oben