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Europol - So nicht!

30. August 2020
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Gegen die Krimi­nal­po­litik mit der Angst

Verlagsbeilage der Humanistischen Union in der tageszeitung (taz) vom September 1998 (Redaktion: Roland Otte)

 

von Reinhard Mokros

Die Bürger haben Angst vor offenen Grenzen. In Deutschland und seinen Nachbarstaaten überwiegt die Furcht vor steigender Kriminalität sogar die Freude über das leichtere Reisen. Kein Wunder, daß in einer Umfrage über 90% der Befragten den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Polizei befürworten. Im Prinzip ist eine internationale Polizeikooperation auch sicher notwendig. Der Start von Europol ist jedoch durch schwere Geburtsfehler belastet.

Bereits seit dem 3.1.1994 arbeitet die „Europol-Drogeneinheit“, die Vorgänger-Organisation von Europol, in Den Haag. Das Aufgabengebiet war zunächst auf Delikte der Drogenkriminalität beschränkt, wurde aber schon bald auf den illegalen Handel mit radioaktiven und nuklearen Materialien, die Schleuserkriminalität, die Verschiebung von Kraftfahrzeugen, Menschenhandel sowie Ausbeutung und sexuelle Gewalt gegen Minderjährige ausgedehnt. An alledem waren weder das Europäische Parlament noch die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten beteiligt. Erst zum offiziellen Start von Europol haben die EU-Staaten eine Konvention abgeschlossen, der der Deutsche Bundestag im Dezember 1997 zugestimmt hat.

Viele Abgeordnete, bis in die Regierungsparteien hinein, hatten dabei allerdings verfassungsrechtliche Bedenken. So sind die Datensammlungen von Europol nicht mit den Anforderungen zu vereinbaren, die das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungs-Urteil an eine rechtsstaatlich einwandfreie Datenverarbeitung stellte. Vorgesehen ist für die Analysedateien nämlich auch die Erfassung von völlig unbescholtenen Bürgern (Opfern, Zeugen). Die entsprechenden Bestimmungen sind zu unbestimmt und die datenschutzrechtliche Kontrolle unzureichend.

Außerdem ist Europol im Bereich der internationalen Rechtshilfe tätig, ohne in das Justizsystem der jeweiligen Staaten eingebunden zu sein. Die Polizei ist hier nicht mehr nur Gehilfin der Staatsanwaltschaften, sondern faktisch die dominierende „Sicherheitsbehörde“. Dabei bestehen begründete Zweifel daran, daß die Kontrolle der bei Europol tätigen Polizisten dem entspricht, was Bürger – auch Unbeteiligte, die aus Versehen in Verdacht geraten – im Rechtsstaat erwarten können. Denn die Europol-Beamten genießen „Immunität von jeglicher Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen in Ausübung ihres Amtes vorgenommenen mündlichen und schriftlichen Äußerungen sowie Handlungen“. Damit werden erstmals in der europäischen Rechtsgeschichte Polizeibeamten von strafrechtlicher Verantwortung freigestellt.

Professor Simitis, der viele Jahre hessischer Datenschutzbeauftragter war, hat dazu unzweideutig gesagt: „Das ist unhaltbar. Dieses Europa ist, spätestens nach dem Maastricht-Vertrag, eindeutig den Grundrechten seiner Bürgerinnen und Bürger verpflichtet. Deswegen machen wir doch dieses Europa! Also muß man sich fragen: Wie verträgt sich denn eine Immunität mit den Grundrechten der Bürger? Gar nicht!“

Geregelt ist die Immunität in einem Protokoll, das ursprünglich ohne Zustimmung des Bundestages als sogenanntes Verwaltungsabkommen rechtswirksam werden sollte. Die massive Kritik bewirkte allerdings, daß dem Bundestag dann doch noch der Entwurf eines Zustimmungsgesetzes vorgelegt wurde. Allerdings konnten sich die Kritiker im Parlament am Ende nicht durchsetzen. Ebenso wie die Europol-Konvention wurde auch das Gesetz zum Immunitätenprotokoll mit großer Mehrheit verabschiedet.

Reinhard Mokros ist Polizeioberrat und Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Fachbereich Polizei. Er ist Verfasser des Kapitels „Polizeiliche Zusammenarbeit in Europa“ im Handbuch des Polizeirechts. Ein Artikel zu diesem Thema erscheint auch in Mitteilungen Nr.164 der Humanistischen Union.

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