Forderungen: Justiz

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Ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz für die Bundesrepublik

hrsg. von der Humanistischen Union e.V., München 1978Verantwortlich: Heide Hering in Zusammenarbeit mit Gerd Hirschauer und Helga Killinger

1. Justiz

Im Bereich Justiz findet vor allem eine indirekte Diskriminierung statt. Im Wesentlichen im sogenannten „Richterrecht”; was damit zusammenhängt, daß das Gesetz – ausgehend von einer formalen Gleichstellung – ein geschlechtsneutrales Menschenbild postuliert.

In der Realität verschiebt sich das Bild. Das zeigt sich bereits in der Ausbildung der Juristen; denn selbst in den progressiven Ausbildungsgängen mit integrierten Sozialwissenschaften wird die juristische Falllösung an Beispielen geübt, die Frauen lächerlich erscheinen lassen (etwa: Kündigungsrecht am Beispiel der Sekretärin Alma Müde u. a.). Hier wird nichts gegen das patriarchalische Vorverständnis der Juristen getan, das heute weiter vorherrscht.

Indirekte Diskriminierung wird im Justizbereich weiterhin sichtbar z.B. im Strafprozeß: bei der Behandlung der Opfer von Vergewaltigungen, bei Mord- oder Totschlagsprozessen gegen Frauen, bei der Psychiatrierung weiblicher Angeklagter und bei moralisierenden Bestrafungsbegründungen gegenüber weiblichen Tätern aus der Rollenerwartung des Richters heraus (etwa: „Sie als Frau und Mutter ……………… ).

Generell ist also zu prüfen, ob in Zukunft gegen ein Gericht auch der Einwand sexistischer Befangenheit als verbindlicher Ablehnungsgrund eingebracht werden kann.

Zum Problem des Mord-Tatbestandes ( § 211 StGB): Elisabeth Trube-Becker („Frauen als Mörder”) hat – vgl. auch den Artikel von Alice Schwarzer in Emma, Februar 1977 – nachgewiesen, daß Frauen, die aufgrund schwächerer Konstitution ihre Ehemänner nicht offen angreifen, sondern z. B. im Schlaf umbringen oder vergiften, als „heimtückische“Mörderinnen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden, während Männer, die ihre Frauen eher ungefährdet angreifen können, öfter nur alsTotschläger ( § 212 StGB) zu höchstens 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden. Hierbei handelt es sich gewiß „nur” um eine Frage des Richterrechts; aber die Richter bestimmen Tatbestand und Strafmaß.

In diesen Zusammenhang gehört, daß Frauen, die ihre Männer verletzen bzw. töten, sich nur in Ausnahmefällen auf Notwehr ( § 32 StGB) berufen können. Wenn man – sehr wahrscheinlich – davon ausgehen kann, daß es zumeist die Frauen sind, die von (ihren) Männern angegriffen bzw. belästigt werden, ist es verständlich, daß Frauen auch in erster Linie von der richterlichen Auslegung des Notwehr-Paragraphen betroffen sind, die ihnen eine erhöhte „Toleranz” z. B. gegenüber Angriffen im Eheleben abverlangt.

Ebenfalls aus der Untersuchung von Trube-Becker geht hervor, daß Frauen, die einmal zu „lebenslänglich” verurteilt wurden, im Schnitt 4 bis 6 Jahre länger als Männer ihre Strafe verbüßen müssen; d, h. es gibt eine diskriminierende Gnadenpraxis, deren Charakter vor allem deshalb verborgen bleibt, weil Gnadenentscheidungen in aller Regel ohne Begründung gefällt werden.

Zum Tatbestand der Vergewaltigung ( § 177 StGB): Es ist nur die gewaltsame Nötigung zum außerehelichen Beischlaf strafbar. Dabei hat der Täter immer noch eine gewisse Chance, freigesprochen zu werden, wenn er behauptet, er sei davon ausgegangen, die Frau willige ein, weil sie sich nicht gewehrt habe. Tatsächlich aber riskiert die Frau möglicherweise ihr Leben, wenn sie sich wehrt. Hier werden Frauen nicht allein durch die Tatbestandsformulierung, aller Regel noch mehr durch seine richterrechtliche Auslegung benachteiligt. Als zusätzliche „flankierende Maßnahme” scheint zu diesem Tatbestand auch noch folgende Regelung notwendig: Auch die Vergewaltigung in der Ehe muß unter Strafe gestellt werden. (Das ist einfach zu er-reichen durch Streichung des Attributs „außerehelich” im § 177 StGB sowie durch Änderungen in der zivilrechtlichen Grundlage für Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach § 847 Abs. 2 BGB.) Nach dem Vorbild des britischen Domestic Violence and Matrimonial Proceedings Act von 1976 ist auch in der Bundesrepublik bei Gewalt gegen Frauen ein Verfahren zu schaffen, in dem die verheiratete oder zusammenlebende Frau den Mann, der sie angreift, schlägt, belästigt, durch richterliche Anordnung zur Räumung der gemeinsamen Wohnung zwingen lassen kann, und zwar unabhängig davon, wer den Mietvertrag unterschrieben hat und vor allem unabhängig davon, ob die Frau sich entschließt, am Ende Scheidungsklage einzureichen. Ein solches Eilverfahren vor dem Familiengericht muß schnellen, unbürokratischen und effektiven Rechtsschutz gewährleisten. Alle diese genannten Maßnahmen sind wahrscheinlich nicht in einem Anti-Diskriminierungs-Gesetz abschließend zu regeln, sondern bedürfen Änderungen des Strafgesetzbuches; ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz sollte sie aber wenigstens aufführen, damit das StGB nicht ins Allgemeine ausweichen kann. Als weitere flankierende Maßnahmen im Bereich „Justiz” müßten auch hier Quotenregelungen eingeführt werden: Erstens sollten bei gleicher Qualifikation weibliche Richter bei der Einstellung und der Beförderung bevorzugt werden. Zweitens sollten Schöffen paritätisch bestellt werden.

2. Strafvollzug

Die allgemeine Benachteiligung der Frauen auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens findet ihren Niederschlag auch in der Behandlung der Frauen im Strafvollzug. Sexistische Züge weist bereits die Organisationsstruktur der Anstalten auf. Sie sind zumeist Anhängsel eines Männergefängnisses und folgen diesem eng im Verwaltungsaufbau und Sicherungssystem, obgleich weibliche und männliche Insassen ja sehr verschiedene Haftprobleme aufwerfen. Selbst die sechs speziellen Frauenhaftanstalten werden zumeist von Männern geleitet. Die Justizverwaltung verzichtet auf eigenständige Konzepte für die Haftgestaltung bei Frauen, ja hält überhaupt Resozialisierungsprogramme in den Frauengefängnissen für nicht notwendig. So gibt es nur einen einzigen Reformversuch (in der Frauenanstalt Frankfurt-Preungesheim). Für den Strafvollzug bei Frauen muß gefordert werden, daß Anstalten, in denen nur Frauen leben, selbständige Anstalten sind und auch nicht im Ausnahmefall zu Abteilungen einer Männeranstalt gemacht werden können. So sieht es nämlich § 140 Abs. 2 StVollzG als Möglichkeit vor („Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Frauenanstalten unter-zubringen. Aus besonderen Gründen können für Frauen getrennte Abteilungen in Anstalten für Männer vorgesehen werden“). Der zweite Satz muß gestrichen werden; nur dann kann sich ein eigenständiger, auf die Bedürfnisse von Frauen bezogener Vollzug entwickeln. Denn die kleineren Abteilungen (für Frauen) werden in diesen Anstalten immer an den Männern ausgerichtet werden. Daß es sich um Anstalten nur für Frauen handelt, muß deshalb wohl betont werden, weil ja hier und da (nicht zu unrecht) durchaus gemischte Anstalten diskutiert werden und man deren Entwicklung im Ganzen nicht abschneiden sollte. Hier geht es um die normalen, die geschlossenen Frauenanstalten. Diese müssen unabhängig vom Männervollzug sein, sonst kommen die Frauen nicht zu ihrem Recht. Die geschlechtsspezifischen Diskriminierungen im Strafvollzug – dessen generell kaum erträgliche Zustände ja intensiv diskutiert werden – blieben lange Zeit unbeachtet, weil sie qualitativ als vernachlässigenswert erschienen: Weniger als 1000 Frauen verbüßen zu einem gegebenen Zeitpunkt eine Strafhaft, und einige 100 befinden sich in Untersuchungshaft. Jedoch gehen jährlich über 10000 Frauen durch die Haftanstalten; auch allgemein ist die Bedeutung des Strafvollzugs nicht so sehr an den Zahlen der aktuell Betroffenen zu messen als vielmehr an seiner „Qualität” als Bedrohung gegenüber allen Menschen, die sich bestehenden Normen nicht anpassen (oder anpassen können). Für den Strafvollzug gegenüber Frauen muß man darum fordern: nicht gleiches Recht, sondern gleiche Chancen!

Diese aber können nur dann verwirklicht werden, wenn die staatlichen Stellen bereit sind, für die wenigen Frauen, die sich strafbar machen, pro Person mehr zu investieren (an finanziellen, d. h. sachlichen und personellen Mitteln). Nur so kann man der einzelnen Frauen gerecht werden. Nur so kann die gleiche Chance im Ausbildungs- und Bildungssektor geschaffen werden, die bei der besonders schweren psychischen Gestörtheit straffällig gewordener Frauen und ihrer besonderen sozialen Vernachlässigung vor allem nötig wäre. Das heißt dann auch: obwohl die einzelnen Justizvollzugsanstalten für Frauen klein sind, müssen verschiedene den Bedürfnissen angepaßte Bildungs- und Ausbildungsprogramme angeboten werden, selbst wenn das jeweils nur kleine Gruppen erreicht und deshalb „unrentabel” erscheint. Das gleiche gilt für Therapieangebote, auch in noch einzurichtenden Häusern oder Abteilungen für Sozialtherapie. Notfalls müssen Vollzugsgemeinschaften (die Länder übergreifend) geschaffen werden.

Im Bereich der Arbeit ist die Entlohnung (oder „Belohnung”) für Frauen geringer angesetzt als für Männer. Es gibt nach wie vor Zellenarbeit wie Tütenkleben, und es werden Nachthäubchen, Haarschleifen und Kopfkissen im Akkord genäht. Daneben werden die Frauen in den Küchen, Bäckereien, Wäschereien, Schneidereien oder Büglereien der Anstalten beschäftigt – eine Art von Haushaltsführung für die benachbarten Männergefängnisse. All dies summiert sich zu einem lange überholten Frauenbild, das nur bestimmte Arbeiten als angeblich „weibliche” Tätigkeiten anerkennen will. Vor einer Zulassung an die (noch sehr seltenen) fabrik- oder büroähnlichen Arbeitsplätze müssen weibliche Strafgefangene teilweise Eignung und Interesse an der Ausübung eines Berufs nachweisen. Insgesamt wird nicht, wie es notwendig wäre und bei Männern tendenziell geschieht, auf einen geregelten Arbeitsalltag vorbereitet, vielmehr wird eine hausfrauliche Perspektive vermittelt. Deshalb sind Frauen nach ihrer Entlassung aufgrund der in den Gefängnissen praktizierten Arbeitsteilung weniger auf eine eigenständige Existenzsicherung vorbereitet als Männer.

Die Arbeitsangebote in den Anstalten für Frauen müssen, da nur sehr wenige Frauen eine Berufsausbildung gehabt haben, erheblich hinter den Ausbildungsangeboten zurücktreten. Für die Arbeit der Frauen muß eine den Arbeiten in Männeranstalten gleichgestellte Entlohnung gezahlt werden.

Zur Ausbildung der inhaftierten Frauen – sei es die Nachholung des Hauptschulabschlusses, sei es eine berufliche Fortbildung – sind nur in wenigen Anstalten Ansätze vorhanden; anders als bei den inhaftierten Männern. Wo überhaupt etwas unternommen wird, entspricht das Berufsbild mit Näherin, Wäscherin, Büglerin u. ä. einem allzu traditionellen Rollenverständnis.

Schließlich sind auch die Angebote für eine Gestaltung der Freizeit nicht nur rar, sondern auch rollenspezifisch, nämlich auf vermeintliche weibliche Bedürfnisse zugeschnitten. Die Veranstaltungen kreisen zumeist um Kindererziehung, Haushalt und Kosmetik. Hier wie sonst wird die gefangene Frau auf eine Hausfrauenehe alten Stils vorbereitet, obgleich dieses Ziel ihr schon nach ihrer sozialen und ökonomischen Lage illusorisch bleiben wird.

Die nämlich setzte in erster Linie eine Abkehr von den traditionellen Vorstellungen über Frauen voraus, die vorgeben, sie könnten weiter vor allem in familiärer Abhängigkeit leben ohne jede ökonomische und ohne bewußtseinsmäßige Emanzipation.

Frauen werden außerdem bei der Vorbereitung der Entlassung aus dem Gefängnis benachteiligt; sie kriegen z.B. keinen Urlaub aus Angst vor Schwangerschaft. Homosexuelle Kontakte unter Männern werden sowohl von den Anstaltsleitungen wie von der Gefangenen-Gemeinschaft eher toleriert als lesbische Beziehungen.

Für jugendliche Frauen werden nach wie vor keine spezifischen Resozialisations- und Ausbildungsmaßnahmen vorgesehen, während für jugendliche Männer seit bereits zwei Jahrzehnten vielfältige Reformbemühungen laufen.

Alle weiblichen Jugendlichen sind in Anstalten für erwachsene Frauen untergebracht, während es für männliche Jugendliche eigene Anstalten gibt. Es muß gefordert werden, daß regionale Spezialanstalten für weibliche jugendliche Straftäter geschaffen werden. Nur durch solche spezifizierten Anstalten kann auch den Mädchen – wie den jungen männlichen Bestraften – ein jugendgemäßer Sozialisationsvollzug angeboten werden.

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