Warum?

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Ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz für die Bundesrepublik

hrsg. von der Humanistischen Union e.V., München 1978Verantwortlich: Heide Hering in Zusammenarbeit mit Gerd Hirschauer und Helga Killinger

Die Bundesrepublik braucht ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz

Genauer: die Frauen in der Bundesrepublik brauchen ein Gesetz, das sie vor Benachteiligung schützt. Wie eh und je werden in Deutschland Frauen schlechter bezahlt als Männer, weniger befördert, in höheren Positionen kaum angestellt, und in Krisen werden sie eher entlassen. Nur Mädchen werden in Hauswirtschaft und Säuglingspflege unterrichtet, und haben dafür, je nach Bundesland weniger Deutsch oder Physik. Frauen bekommen, weil sie Frauen sind, häufig keinen Kredit oder, weil sie alleinstehende Mütter sind, keine Wohnung. Der tägliche Sexismus begegnet ihnen in Politik und Werbung, vor Gericht und im Gefängnis, wenn sie ein Auto mieten wollen oder wenn sie jeder Schaffner und Kellner mit „Fräulein” anredet.

In Artikel 3 fordert das Grundgesetz deklamatorisch: „Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden.” Dieser Artikel hat uns, in den beinahe dreißig Jahren seiner Gültigkeit, auf dem Weg zur Gleichberechtigung nicht viel weitergeholfen. Er konnte es wohl auch nicht, weil er viel zu ungenau ist, um wirklich gesellschaftlich etwas zu verändern. Er sagt nichts darüber aus, was denn nun nicht mehr sein darf. Der Begriff „Diskriminierung aufgrund des Geschlechts” ist weitgehend unbekannt. Bei „Frauendiskriminierung” denken die einen an Frauen vor Gericht (so die Brigitte-Redaktion, als wir sie um Material baten, diskriminiert also gleich kriminell?) und den andern fällt zum Stichwort Diskriminierung nur Südafrika ein.

Der Begriff Diskriminierung in Verbindung zum Geschlecht muß erst noch bewußt gemacht werden. Die Bewußtseinsveränderung ist, neben der Verbesserung der arbeitsrechtlichen und gesellschaftlichen Situation der Frau, das große Ziel eines Anti-Diskriminierungs-Gesetzes. Das Gesetz soll klarmachen: Frauendiskriminierung ist ebenso schlimm wie Rassendiskriminierung.

Um diese Bewußtseinsänderung zu bewirken, aber nicht nur deswegen, fordert die Humanistische Union ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz als umfassendes Gesetz. Kleinere Gesetzesänderungen, ein bißchen Arbeitsrechtsreform, neue Bildungsrahmenrichtlinien etc. würden vielleicht juristisch auch einiges bewirken, Diskriminierung als strafbaren Tatbestand aber nicht bekannt machen. Wir fordern dieses Gesetz als Ausführungsgesetz zu Art. 3 GG. Das Anti-Diskriminierungs-Gesetz soll definieren, was Geschlechtsdiskriminierung ist, und es soll – möglichst genau – festlegen, wo Diskriminierung verboten ist.

Der Zeitpunkt für eine solche Forderung ist günstig. Die Europäische Gemeinschaft hat beschlossen, daß alle ihre Mitglieder bis Juli 1979 dafür sorgen müssen, daß im Bereich der Arbeit Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts per Gesetz verboten werden soll (Text Seite 2). Auch die Bundesregierung ist also dazu aufgefordert.

Der Zeitpunkt ist aber auch aus anderen Gründen günstig: Rund um uns herum haben bereits viele andere Länder Anti-Diskriminierungs-Gesetze. Das macht uns Mut und gibt uns Rückhalt: Wir fordern eigentlich garnichts außergewöhnliches. Und die Erfahrung, die andere Länder mit ihren Anti-Diskriminierungs-Gesetzen gemacht haben, hilft uns: die Fehler, die anderswo erkannt wurden, werden wir nun nicht mehr machen müssen. Es hat sich gezeigt, daß jede Möglichkeit zu diskriminieren, genutzt wird, wenn das Gesetz sie nicht genau genug verbietet. Wir werden deshalb noch genauer definieren müssen, welche Formen der Diskriminierung verboten sind, und wir werden uns nicht darauf einlassen, daß, wie anderswo, eine Vielzahl von Ausnahmen die Absicht des Gesetzes wieder zunichte macht.

Ein kurzer Überblick über die internationale Lage

In den USA gibt es seit den 60er Jahren Anti-Diskriminierungs-Gesetze, die zum Teil erheblich über das hinausgehen, was wir fordern (und die das dank der starken Frauenbewegung dort auch erreichen; so mußten ganze Schulbuchproduktionen eingestampft werden wegen sexistischen Inhalts).

Italien hat seit Neuestem, d. h. seit Oktober 1977 ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz für den Bereich Arbeit.

Norwegen und Schweden bereiten momentan solche Gesetze vor.

Großbritannien hat seit Ende 1975, also seit zwei Jahren, einen Sex Discrimination Act. (Zusammenfassung Seite 20) Dieses Gesetz haben wir uns zum Vorbild genommen, weil es erstens ein Gesetz ist, das Diskriminierung nicht nur im Bereich Arbeit verbietet, sondern auch im Bereich Erziehung, im Bereich Inserate und im Bereich Dienstleistungen, Geschäftsverkehr und Mieten. Zweitens ist das englische Gesetz für uns vorbildlich, weil gleichzeitig mit dem Gesetz auch eine Kommission berufen wurde, die den Frauen helfen soll, ihre neuen Rechte auch durchzusetzen (Bericht der Kommission Seite 24). Ähnliche Kommissionen gibt es in fast allen Ländern mit Anti-Diskriminierungs-Gesetzen. Kommissionen, wenn auch kein Gesetz, gibt es außerdem in Australien, den Niederlanden, in Dänemark und Belgien.

Eine Kommission für Chancengleichheit

Wie die Erfahrungen im Ausland gezeigt haben, reicht es nicht aus, lediglich ein Gesetz zu schaffen. Die Einrichtung einer Kommission, die über die Einhaltung eines solchen Gesetzes wacht, ist unbedingt erforderlich. Diese Gleichberechtigungskommission muß selbst Klagebefugnis haben (neben der Klagebefugnis der Betroffenen). Die Kommission kann zunächst, ähnlich dem Bundeskartellamt, auf Bundesebene errichtet werden, später sollten jedoch wegen der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Länderkommissionen folgen.

Bei der Frage, wie sich eine solche Kommission zusammensetzen soll, muß die Festlegung auf einen bestimmten Proporz von gesellschaftlichen Gruppierungen vermieden werden. Ein solcher Proporzschlüssel könnte sich hemmend auf die Tätigkeit der Kommission auswirken. Zu denken wäre stattdessen an eine Wahl der Mitglieder durch den Bundestag bzw. die Landtage. Die Kommission sollte zu mindestens 50% aus Frauen bestehen.

Durchsetzung

Die Durchsetzung des Diskriminierungsverbots erfolgt zum einen durch die gerichtliche Klage des/der Betroffenen vor dem zuständigen Gericht auf Vertragsabschluß zumindest aber Schadensersatz und Schmerzensgeld, zum andern durch behördliche Überwachung (Kommission).

Es ist zu prüfen, ob, wie von dem britischen National Council for Civil Liberties vorgeschlagen, für Probleme der Diskriminierung eine eigene Gerichtsbarkeit eingerichtet werden sollte. Sie könnte der schon jetzt überlasteten Justiz dieses Gebiet abnehmen, könnte mit Fachleuten in Sachen Gleichberechtigung und paritätisch besetzt werden.

Ein schwerwiegendes Problem für die Klagende vor Gericht ist die Beweisbarkeit ihrer Diskriminierung. Die Absicht zu Diskriminieren wird man wohl nur schwer nachweisen können. Es ist deshalb sinnvoll, nur den Nachweis der diskriminierenden Wirkung zu verlangen, oder hier die Beweispflicht überhaupt vom Kläger auf den Beklagten zu übertragen: er muß nachweisen, daß er nicht diskriminiert hat (wie er ja z. B. auch nachweisen muß, daß er mit Recht fristlos gekündigt hat).

Was ist Diskriminierung?

Das Gesetz beginnt, so der Vorschlag der Humanistischen Union, mit der Definition, was im Sinne dieses Gesetzes unter Diskriminierung verstanden wird und mit einem allgemeinen Verbot jeglicher Diskriminierung. In England verbietet das Gesetz Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und des Familienstandes. Die Humanistische Union fordert zusätzlich das Verbot der Diskriminierung sexueller Minderheiten.

Das Diskriminierungsverbot soll sowohl Frauen als auch Männer schützen, auch wenn im Folgenden nur von Frauendiskriminierung die Rede ist.

Diskriminierung im Sinne des Gesetzes ist:

1. Direkte Geschlechtsdiskriminierung, das heißt: eine Frau aufgrund ihres Geschlechts schlechter behandeln, als ein Mann unter gleichen Umständen behandelt wird oder behandelt werden würde.

2. Indirekte Geschlechtsdiskriminierung, das heißt: Bedingungen oder Voraussetzungen werden zwar für beide Geschlechter gleich gestellt, sind aber so, daß sie ein Geschlecht vor dem anderen bevorzugen, ohne gerechtfertigt zu sein. Besteht zum Beispiel ein Arbeitgeber darauf, daß die Bewerber für einen Hausmeisterposten mindestens 1,80 m groß sind, liegt ein Fall von indirekter Diskriminierung vor.

3. Direkte Familienstandsdiskriminierung, das heißt: eine Frau aufgrund ihres Familienstandes (ledig, verheiratet, eine Heirat planend, getrennt, verwitwet oder geschieden) schlechter behandeln, als jemand mit anderem Familienstand behandelt wird oder werden würde (z. B. Ledigen werden nicht, wie Verheirateten, die Umzugskosten erstattet).

4. Indirekte Familienstandsdiskriminierung, das heißt: Eine Bedingung oder Voraussetzung stellen, die die Auswirkung einer Familienstandsdiskriminierung hat, wenn sie auch nicht so formuliert ist (z.B. keine Frauen mit Kindern einzustellen).

5. Diskriminierung sexueller Minderheiten, das heißt: jemanden wegen seiner von der „Norm” abweichenden sexuellen Neigung benachteiligen (z.B. dürfen Homosexuelle in der Bundesrepublik nicht Lehrer werden).

6. Diskriminierung durch Schikane, das heißt: jemanden schlechter behandeln, weil er auf seinen Rechten nach diesem Gesetz bestanden hat, oder jemandem dabei geholfen hat, dies zu tun, oder weil er der Kommission Auskünfte gegeben hat, oder weil vermutet wird, daß jemand so etwas beabsichtigt.

Im Folgenden werden die Forderungen für ein deutsches Anti-Diskriminierungs-Gesetz auf den einzelnen Gebieten erhoben, so wie sie Arbeitskreise einer Tagung der HU Anfang November1977 und in späterer Weiterarbeit formuliert haben.

Für die Bereiche Arbeit, Erziehung, Geschäftsverkehr und Dienstleistungen konnte der englische Sex Discrimination Act als Vorbild dienen; die Humanistische Union fordert darüber hinaus aber auch ein Diskriminierungs-Verbot in den Bereichen Justiz und Strafvollzug, Werbung und Medien.

Ein weiterer wichtiger Bereich wäre das Verbot der Diskriminierung im Familienrecht – hierzu sollen Forderungen noch erarbeitet werden.

Heide Hering

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