Themen / Rechtspolitik / Sexualstrafrecht

Das Gleich­ge­wicht zwischen Jugend­schutz und sexueller Selbst­be­stim­mung Jugend­li­cher wahren

15. Januar 2008

Jens Puschke

Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie (BT-Drs. 16/3439)

Vorbemerkung

Bei der Bewertung der Erweiterung von Straftatbeständen ist auf der einen Seite der Schutz von Rechtsgütern und damit der Opferschutz in den Blick zu nehmen, auf der anderen Seite ist darauf zu achten, dass nicht Verhaltensweisen kriminalisiert werden, die Rechtsgüter nicht oder nur sehr mittelbar beeinträchtigen oder die sich im Rahmen eines alltäglichen, noch zu tolerierenden Umgangs bewegen. Gerade bei der Bewertung von Verhaltensweisen, die die sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen betreffen, ist eine ausgewogene Einbeziehung der Belange aller Betroffenen schwierig. Die Stellungnahme beschäftigt sich mit den problematischen Regelungen des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung und der Stellungnahme des Bundesrates hierzu, beschränkt sich dabei allerdings auf die Neugestaltung der §§ 176, 182, 184b und § 236 StGB. Der Gesetzesentwurf stellt in großen Teilen den Versuch einer Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates vom 22.12.2003 (Abl. EU Nr. L 13 vom 20.1.2004, S. 44) und des Fakultativprotokolls vom 25.5.2005 dar. Entsprechend werden Änderungen häufig mit einer Umsetzungsnotwendigkeit begründet. Die folgende Stellungnahme bezieht jedoch nicht die europarechtlichen Dimensionen des Gesetzes ein, sondern konzentriert sich auf eine wertende Betrachtung der vorgeschlagenen Veränderungen im deutschen Strafgesetzbuch anhand allgemeiner Kriterien, da davon ausgegangen wird, dass insbesondere im Sexualstrafrecht eine enger Bezug zur jeweiligen Rechtsordnung ausschlaggebend ist. Somit also europäische Harmonisierungsbestrebungen für die rechtliche Bewertung der Vorschriften ohne Belang sind.

Zur Neuregelung von § 182 Abs. 1 StGB und § 180 Abs. 2 StGB

§ 182 Abs. 1 StGB in seiner bisherigen Fassung soll Jugendliche bis zum vollendeten 16. Lebensjahr vor sexuellem Missbrauch durch Erwachsene schützen. Bestimmend ist dabei der Gedanke, dass die Entwicklung einer eigenverantwortlichen sexuellen Identität junger Menschen geschützt werden soll (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 182 Rn. 2). Das festgeschriebene maximale Schutzalter des Opfers (unter 16 Jahre) und das Mindestalter des Täters (18 Jahre) sind Ausdruck der Abgrenzung zwischen Schutzbedürftigkeit und freiverantwortlichem Handeln, wobei die Altersdifferenz zwischen Opfer und Täter einem Macht- und Reifegefälle Rechnung tragen soll.

Altersgrenzen

Im Gesetzesentwurf ist zum einen die Heraufsetzung des Schutzalters des Opfers um 2 Jahre auf unter 18 Jahre und zum anderen der Wegfall einer Altersmindestgrenze für den Täter, also eine faktische Herabsetzung von über 18 Jahren auf das Strafmündigkeitsalter gem. § 19 StGB von über 14 Jahren, vorgesehen.

Die Heraufsetzung des Schutzalters begegnet Bedenken. Die Notwendigkeit des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung und einer ungestörten sexuellen Entwicklung als Rechtsgut des § 182 StGB (Schönke/Schröder-Lenckner/Perron/Eisele, StGB, 27. Aufl. 2006, § 182 Rn. 2) ist nur dann gegeben, wenn potentielle Opfer nicht freiverantwortlich und sexuell selbst bestimmt entscheiden können. Obwohl sich gesetzlich vorgegebene Altersgrenzen wegen ihrer Starrheit immer dem Vorwurf der Ungerechtigkeit im Einzelfall ausgesetzt sehen, ist der Mangel an Freiverantwortlichkeit in Bezug auf Sexualität bei Kindern unter 14 Jahren vorauszusetzen, sie sind somit als generell schutzbedürftig anzusehen. Schwieriger gestaltet sich die Bestimmung der Schutzbedürftigkeit von Jugendlichen, da wegen der heterogenen sexuellen Entwicklung im Lebensverlauf starre Altergrenzen unangemessen erscheinen. Die bisherige Regelung stellt daher mit einer Altersgrenze von unter 16 Jahren einen Kompromiss dar, der sich auf empirische Befunde stützen kann, die von einer entwicklungsbedingt nicht vollumfänglich vorhandenen sexuellen Selbstbestimmtheit regelmäßig auch bis in diese Phase ausgehen. Eine uneingeschränkte Erweiterung auch auf 16- und 17-Jährige kann indes nicht vorgenommen werden. Zwar mag auch in dieser Entwicklungsphase eine Schutzbedürftigkeit bei einer Anzahl der Jugendlichen bestehen, eine generelle Kriminalisierung rechtfertigt dies aber nicht. Um dem Schutzgedanken des § 182 StGB gerecht zu werden, ist es vielmehr erforderlich, das Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung jedenfalls dann im Einzelfall festzustellen, wenn aus empirischer Sicht starke Zweifel an dem Nutzen einer starren Altersgrenze zur abstrakten Feststellung einer solchen Fähigkeit bestehen. Dies ist jedenfalls bei 16- und 17-Jährigen anzunehmen. Will man auch diese Personengruppe in den Schutzbereich des § 182 Abs. 1 StGB einbeziehen, so sind der konkrete Nachweis der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung und freilich auch der Vorsatz des Täters hierauf als tatbestandliche Voraussetzungen entsprechend der Formulierung in § 182 Abs. 2 StGB aufzunehmen. Nur hierdurch könnte bei einer Erweiterung des Schutzalters der ultmia ratio Funktion des Strafrechts Rechnung getragen werden und ein Eingriff bei fehlender Schutzbedürftigkeit verhindert werden.

In der jetzigen Fassung des Gesetzesvorschlags kann auch der Wegfall der Alterbeschränkung für den Täter nicht bedenkenlos hingenommen werden, dies gilt jedenfalls für die Fälle des Absatzes 1 Nr. 1, die kein Ausnutzen einer Zwangslage vorsehen, also die Bezahlung von Entgelt und nach dem Vorschlag des Bundesrates zusätzlich die Hingabe eines sonstigen Vorteils. Das Merkmal „Ausnutzung einer Zwangslage“ enthält in Bezug auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung bereits das strafwürdige Unrecht, die Hingabe von Entgelt oder eines sonstigen Vorteils hingegen nicht. Sie stellt vielmehr eine Vermutung dafür dar, dass die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers durch die Gegenleistung manipuliert wird. Diese Vermutung liegt näher, sofern ein regelmäßig mit einem Altersunterschied einhergehender Reife- und Machtzuwachs angenommen wird. Wird durch die Verringerung des Täteralters und die Heraufsetzung des Schutzalters dem Tatbestand dieses zusätzliche Indiz für einen Missbrauch (die Formulierung „missbraucht“ hat grundsätzlich keine über die sonstigen Voraussetzungen hinausgehende eigenständige Bedeutung, Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 182 Rn. 2) genommen, ohne dabei durch das oben beschriebene Merkmal des Ausnutzens der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung eine Ergänzung zu erfahren, findet eine weitere Entkopplung der Norm vom eigentlichen Schutzgut statt. Dies kann beispielhaft zu Fällen führen, in denen die sexuelle Selbstbestimmung von 17-jährigen Opfern vor 14-jährigen Tätern geschützt wird. Auch diesem Missverhältnis kann durch die Aufnahme der Voraussetzung eines Ausnutzens der Unfähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung als Tatbestandsvoraussetzung entgegengewirkt werden.

„sonstiger Vorteil“ als Gegenleistung für sexuelle Handlungen in § 182 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 180 Abs. 2 StGB

Vom Bundesrat wurde eine Erweiterung des Entwurfs der Bundesregierung vorgeschlagen, die neben der Hingabe von Entgelt auch die Hingabe sonstiger Vorteile sowohl bei § 182 Abs. 1 Nr. 2 StGB als auch bei der Förderung sexueller Handlungen in § 180 Abs. 2 StGB für eine Strafbarkeit ausreichen lässt. Auch diesem Vorschlag ist entschieden entgegenzutreten. „Entgelt“ umfasst gem. § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB bereits jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung. Dadurch sind alle relevanten potenziellen Missbrauchsformen durch Manipulation der Willensfreiheit eingeschlossen. Eine darüber hinausgehende Kriminalisierung einer Vorteilsgewährung, etwa die in der Entwurfsbegründung angesprochene Aufnahme in eine Gruppe, geht nicht nur an den rechtstatsächlichen Gegebenheiten vorbei, sondern widerspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschriften, die sich vornehmlich gegen ein Abgleiten von Kindern und Jugendlichen in mit Begleitkriminalität verbundene Szene bzw. in die Prostitution richten (Schönke/Schröder-Lenckner/Perron/Eisele, StGB, 27. Aufl. 2006, § 182 Rn. 6).Werden neben der Gewährung eines Entgeltes auch immaterielle Vorteilsgewährungen unter Strafe gestellt, die sich regelmäßig aus einer konkreten Beziehung zwischen Gebendem und Nehmendem ergeben dürften, würde das die Kriminalisierung einer Vielzahl jugendlicher Alltagshandlungen bedeuten, für die keineswegs ein Strafbedürfnis besteht. Zudem führt die Unschärfe des Merkmals zu Rechtsunsicherheit, die durch die Rechtsprechung aufgrund der Vielzahl möglicher Konstellationen nur bedingt ausgeglichen werden kann.

Zu Neuregelung des § 184b StGB

§ 184b StGB soll in seiner jetzigen Fassung der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornografischer Schriften entgegenwirken. Der Entwurf sieht vor, entsprechende Verhaltensweisen auch für jugendpornografische Schriften (also solche mit Darstellungen 14- bis unter 18-Jähriger) zu kriminalisieren. Während für die Darstellung sexueller Handlungen von und an Kindern wegen der Annahme einer generellen Unfähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung von einem Missbrauch ausgegangen werden kann, Verbreitung und Erwerb somit ohne näheres Ansehen des Zustandekommens der Schriften unter Strafe gestellt werden können, ist eine entsprechende Vorgehensweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgutsschutzes für Jugendliche insbesondere, wenn sie bereits 16 oder 17 Jahre alt sind, problematischer. Schutzzweck ist hier zwar nicht ausschließlich unmittelbar die sexuelle Selbstbestimmung der dargestellten Minderjährigen, sondern die Vorschrift richtet sich auch mittelbar gegen die Förderung weiteren Missbrauchs. Wird nun aber, wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, ein Missbrauch nicht mehr vorausgesetzt, so kann auch hier keine unmittelbare Verbindung zwischen Rechtsgut und Strafnorm hergestellt werden. Zudem ergibt sich ein systematischer Bruch zu den einen Missbrauch bzw. eine Bestimmen weiterhin voraussetzenden Vorschriften der §§ 180 Abs. 2, 182b StGB. Auch kann es nicht Ziel sein, im Sinne einer Nachahmung, sexuelle Kontakte zu 16- und 17-Jährigen zu unterbinden, die als solche keine strafbare Handlung darstellen. Die somit erfolgende Gleichsetzung von pornografischen Schriften mit der Darstellung sexueller Handlungen von und an Kindern und solchen von und an Jugendlichen entspricht nicht den unterschiedlichen sexuellen Reifegraden und damit nicht dem Schutzzweck. Nach hier vertretener Auffassung sind daher neben der Darstellung sexueller Handlungen von und an Jugendlichen zumindest bei 16- und 17-Jährigen konkreten Anhaltspunkte eines Missbrauchs, mithin die Ausnutzung des Fehlens der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung erforderlich, um eine Strafbarkeit zu begründen. Diese gilt insbesondere auch für die Aufnahme des Posierens in sexuell aufreizender Weise, sofern nicht Kinder, sondern Jugendliche erfasst sind. (Zur Strafbarkeit des Bestimmens zum Posieren von Kindern siehe unten.)

Durch die Heraufsetzung des Schutzalters wird die beabsichtigte Beweiserleichterung in Bezug auf das Alter der dargestellten Personen nur in Einzelfällen erreicht. Dies liegt zum einen daran, dass zwar die kritische Schwelle von 14 Jahren keine grundsätzliche Bedeutung für die Strafbarkeit mehr hat, dafür aber eine erneute Nachweisbarkeitsproblematik bei der Altersschwelle von 18 Jahren entsteht, bei der eine eindeutige Alterszuordnung wohl noch schwieriger sein dürfte, womit sich auch das Problem der Behandlung von Schriften, die Scheinjugendliche darstellen, verstärkt stellt. Zudem ist zu beachten, dass nach hier vertretener Auffassung der Missbrauch eines Jugendlichen – im Gegensatz zum Missbrauch eines Kindes – über die sexuelle Handlung hinaus nachgewiesen werden muss, was dem Grenzalter von 14 Jahren erneute Bedeutung verleiht.

Zur Neuregelung des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB

Der Vorschlag, dass auch die Bestimmung eines Kindes zur Vornahme von sexuellen Handlungen vor dem Täter oder einem Dritten als strafbewehrt in § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aufgenommen werden soll, geht auf die Stellungnahme des Bundesrates zurück. Damit soll auch das sog. Posieren eines Kindes in sexuell aufreizender Weise erfasst werden. Dieser Reformvorschlag stellt sich als konsequente Umsetzung der Judikatur des Bundesgerichtshofes dar, der das Posieren trotz der Bejahung einer nicht unerheblichen sexuellen Handlung wegen des bisher eindeutigen Wortlauts des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB nicht als von der Vorschrift erfasst ansah (BGH NJW 2006, 1890). Das geschützte Rechtsgut des § 176 StGB, das in der Entwicklung des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit zu sehen ist, wird auch durch die Bestimmung eines Kindes, sich sexuell aufreizend dem Täter oder einem Dritten oder auch nur der Kamera gegenüber zu exponieren, beeinträchtigt. Eine Aufnahme in den Tatbestand des § 176 StGB ist daher aus diesem Grunde folgerichtig.

Versuchss­traf­bar­keit gem. § 182 Abs. 3 StGB und § 184b Abs. 1a StGB

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit in Bezug auf den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen vor, die in § 182 Abs. 3 StGB geregelt werden soll. Der Bundesrat schlägt darüber hinaus auch eine Versuchsstrafbarkeit für den Umgang mit kinderpornografischen bzw. nach der Neuregelung auch jugendpornografischen Schriften vor. Eine entsprechende Regelung soll in § 184b Abs. 1a StGB vorgenommen werden. Insbesondere dem Vorschlag des Bundesrates ist entgegenzuhalten, dass sich die Einführung der Versuchsstrafbarkeit in § 184b StGB zu einem großen Teil auf Handlungen bezieht, die sich als solche bereits im Vorfeld des Verbreitens der Schriften bewegen, wie etwa das Vorrätig halten. Bezieht sich aber der Versuch auf strafbewehrte vorbereitende Handlungen, liegt darin eine weitergehende Abkopplung des Strafrechts vom Rechtsgutsschutz. Entsprechende Einwände gelten auch für den Entwurf der Bundesregierung in seiner jetzigen Gestalt durch die Einführung einer Versuchstrafbarkeit gem. § 182 Abs. 3 StGB. Da das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung nicht in § 182 Abs. 1 StGB festgeschrieben werden soll, wird das Ansinnen der Vornahme einer sexuellen Handlung gegen Entgelt auch dann unter Strafe gestellt, wenn das potentielle Opfer gerade wegen seiner Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung das Angebot ablehnt, und dies auch, wenn sich der Tatentschluss des Täters nicht auf ein Ausnutzen bezogen hat.

Neuregelung des § 236 Abs. 2 S. 2 StGB

Der Gesetzesentwurf sieht zudem die Erweiterung der Strafbarkeit auch auf den Vermittler einer Adoption vor, der einer Person unter 18 Jahren ein Entgelt für die Zustimmung zur Adoption gewährt. Dabei wird es sich regelmäßig um die Zustimmung des zu vermittelnden Kindes selbst handeln. Das geschützte Rechtsgut des § 236 StGB ist die ungestörte körperliche und seelische Entwicklung betroffener Kinder. Wird das Kind durch eine Entgeltleistung der vermittelnden Person zur Zustimmung bewegt, liegt darin eine Gefährdung dieses Rechtsgutes. Bei einer so weit reichenden Entscheidung wie der Zustimmung zur Adoption muss das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen. Unter Aspekten des Rechtsgüterschutzes ist die Strafbarkeit der Gewährung eines Entgeltes an unter 18- Jährige somit nicht zu beanstanden.

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