Themen / Sozialpolitik

Bafög - Mißbrauch des Sozial­staats?

25. September 1996

aus vorgänge Nr. 133 (Heft 1/1996), S. 105-18

Als ich den Titel des Aufsatzes akzeptierte, war mir klar, daß er das entscheidende Reizwort eines sehr komplizierten politischen Diskurses enthält: Missbrauch. Der Begriff wird regelmäßig verwendet, wenn eine soziale Leistung oder ein erworbenes Recht eingeschränkt oder abgebaut werden soll und diese Einschränkung mit dem Fehlverhalten der Begünstigten und nicht mit anderen politischen Schwerpunktsetzungen begründet wird. Also wird nicht gesagt: Dafür haben wir kein Geld, weil wir es für etwas anderes ausgeben wollen, sondern: wir haben zu wenig Geld dafür, weil so viele Menschen das an sich zu verteidigende Recht missbrauchen.
Wir kennen diese Missbrauchsdiskussion vom Asylrecht, aus dem Gesundheitswesen und vor allem aus der Sozialhilfe. Die an sich starke moralische Begründung für die Sozialstaatsagenda wird entpolitisiert, d.h. von ihren rationalen Zwecken abgetrennt, und negativ moralisiert, d.h. die Inanspruchnahme einer Staatsleistung für pauschal oder individuell unmoralisch erklärt – wer ein ihm zustehendes Recht in Anspruch nimmt, muß sich zusätzlich rechtfertigen, daß und ob er diese Inanspruchnahme verdient. Auf der anderen Seite enthält die Abwehr des Missbrauchsverdachts dementsprechend viele Prämissen über die gesellschaftliche Tragfähigkeit des jeweils in Frage stehenden Rechts; sie ist umso defensiver, je prekärer ein solches Recht sich darstellt. Es handelt sich dann meist um Besitzstände, denn als solche erscheinen Leistungen aus dem ideellen Sozialstaatsvertrag, wenn ihnen keine realen Vertragsverhältnisse, z.B. mit Gegenleistungsanspruch, zugrunde liegen.

Für den studentischen Lebensunterhalt, und damit verbunden für das Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög), wird zwar eine ähnlich defensive Argumentation wie in der Mißbrauchsdebatte angewandt, aber schon die Fragestellung ist falsch. Bafög ist nicht der Mißbrauch des Sozialstaats, sondern seine logische Konsequenz, und die falsche Focussierung des Sozialstaats hat das jetzige Dilemma systemlogisch produziert.

Der Bafög-Diskussion sollen vielmehr zwei Fragen zugrundeliegen:

1. Ist der studentische Lebensunterhalt Bestandteil eines Rechts auf Bildung und somit nichtdiskriminierende Voraussetzung für die Studienleistungen (real oder prognostiziert)?, oder
2. soll der studentische Lebensunterhalt als kontingentes Element der gesellschaftlichen Aufstiegsgestaltung den Studienleistungen meritokratisch nachgebildet werden?

Ich werde versuchen, die Grundlinien der aktuellen Diskussion im Lichte dieser Fragen darzustellen. Dabei will mich vorrangig mit den System- und Strukturfragen beschäftigen, die im Kontext der Hochschulstudien mit diesem Bereich sozialer Sicherung verbunden sind. Meine Fragestellung ist weder, wie der Titel verheißen mag, ob Bafög missbräuchlich angewendet wird, noch, ob das System der Sicherung des Lebensunterhalts an und für sich gut oder verbesserungsfähig ist.

Die folgenden Fragenkomplexe gliedern die Darstellung anschaulich:
1. Welches sind die staatlichen, welches die gemeinschaftlich-öffentlichen und welches die individuellen Komponenten, die zu einem vermittelbaren und politisch operationalen Standpunkt bezüglich der Sicherung des studentischen Lebensunterhalts gehören? Die Adjektive „gemeinschaftlich-öffentlich” und „staatlich” sind nicht deckungsgleich: Der Staat ist der Träger der meisten Hochschulen, aber auch ein bedeutender Arbeitgeber für
Hochschulabsolventen (Lehramt, Justiz, allgemeine Verwaltung u.v.m.). Sein Interessenkonflikt, für alle Tätigkeitsbereiche wissenschaftliche Ausbildung koordinieren zu müssen und erhebliche institutionelle Eigeninteressen zu vertreten, wird hier thematisch.
2. Wie kommt die sozialstaatliche Dominanz der Argumentation zustande, die mit dem Recht auf Bildung verknüpft wird? Wie ist die staatliche Verantwortung der Sicherung dieses  Rechts mit der individuellen ökonomischen Regulierung für die Studierenden vereinbar?
3. Welche Rolle spielen der Generationenvertrag und die individuelle Verantwortung der Studierenden in diesem Kontext? Besonders das Ausmaß der Elternabhängigkeit des studentischen Lebensunterhalts und die Berechtigung, Optionen auf künftige Privilegierung (von Absolventen) zu erheben, sind hier von Bedeutung.

Staatliche, gemein­schaft­lich-öf­fent­liche und indivi­du­elle Elemente der studen­ti­schen Lebens­si­che­rung

Der wirtschaftswissenschaftliche Sprachgebrauch hat es mit sich gebracht, daß die veröffentlichte Bafög-Debatte mit der Feststellung von „Bildung als einem öffentlichen Gut” eingeleitet wird. Daraus wird die primäre staatliche Verantwortung für die Hochschulfinanzierung abgeleitet. Problematisch an diesem Begriff ist erstens, daß er eine Analogie zur allgemeinenbildenden Schule bzw. zur Berufsgrundbildung darstellt und nicht geprüft wird, wieweit Wissenschaft (incl. der Hochschulausbildung) ganz oder überwiegend dem Bildungssystem einer Gesellschaft zuzuordnen ist, und ob sie nicht eher anteilig mit Wirtschaft, Technologie und Infrastrukturbereichen assoziiert ist (d.h. gar nicht erst assoziiert zu werden braucht). Es macht nämlich einen Unterschied, ob gesagt wird, daß ein zivilisierter Kultur- und Sozialstaat eine allgemeine      (= für alle eingerichtete) möglichst breite Schulbildung incl. ihrer Erziehungsanteile braucht oder ob gesagt. wird, daß wissenschaftlich-technische Entwicklung neben ihrer Kulturanteile „allen” in der Gesellschaft zugute kommt. Aus der Gleichsetzung ziehen nicht nur studentische Funktionäre den Schluß, daß der Staat aus dem allgemeinen Steueraufkommen das Studium aller Studenten zu bezahlen habe und, als dessen Voraussetzung, für den studentischen Lebensunterhalt aufkommen müsse.

Dem lassen sich drei Einwände entgegenhalten:
1. Anders als das allgemeine Schulwesen (oder das Gesundheitssystem) ist das  Wissenschaftssystem keineswegs grundlegende Konstitution einer bestimmten  Gesellschaftsform. Es liegen prinzipielle Wert- und Handlungsentscheidungen vor, wonach das nationale (staatliche) Interesse eine aktive Rolle in der Wissenschaftspolitik, in breiter  Ausbildung und/oder Forschung usw. gebietet (denkbar ist auch, und dafür gibt es Beispiele,  daß ein Land Wissenschaft im großen Stil als Dienstleistung einkauft oder daß seine  Studierenden hohe Gebühren bezahlen, um interne Eliten zu reproduzieren). Wenn eine  solche Entscheidung fällt, dann meist in Zusammenhang mit hegemonialen Überlegungen als  Akteur auf dem Weltmarkt: „Für eine hochentwickelte Industriegesellschaft ohne  nennenswerte natürliche Rohstoffe hat eine leistungsfähige und im internationalen  Wettbewerb konkurrenzfähige Forschung eine besondere Bedeutung. Sie kompensiert  natürlich Ressourcenarmut durch wissenschaftlich-technischen Reichtum.”1 In diesem Fall
ist  es erwünscht, daß viele Studenten mit guten Ergebnissen „bedarfsorientiert” studieren (wie das z.B. der Entwurf des neuen österreichischen Bundesgesetzes über Studien an  Universitäten 2 mit seinem Verwendungsnachweis anstrebt), und der Staat muß alle materiellen Voraussetzungen (Hochschulbau, Personal, Ausstattung) treffen. Das Ergebnis  der staatlichen Akteursrolle ist also eine nutzenorientierte Kompetenz- und damit  verantwortungsübernahme, deren Resultate konsequent die folgenden sein müssen:
— Sicherung einer international vergleichbaren Ausstattung der Hochschulen;
— Garantie des freien Zugangs und gesetzlich geregelter Zulassungsbedingungen (Abschöpfung von Eliten aus der Breite bzw. Chancengleichheit);
 — Vorsorge für eine sozial nicht-diskriminierende Studiendurchführung.
 Der letzte Punkt ist entscheidend: es kommt dem Staat in diesem Kontext nicht auf  irgendwelche individuellen Aufstiegs- oder Lebensstandard-Aspirationen seiner Studenten  an, sondern auf deren „Performance” in einem — seinem — Machtspiel. Das wird zu Konflikten mit den sozialstaatlichen Verantwortlichkeiten führen, wie wir sehen  werden.
2. Obwohl der Staat natürlich Akteur und nicht einfach Erfüllungsgehilfe partikularer wirtschaftlicher Interessen ist, agiert er als Umverteilungsinstanz. Bei der Berufsqualifikation (erst seit 1968 thematisch, ab 1976 im Hochschulrahmengesetz) verteilt er allgemeine Steuerabschöpfung zugunsten der Unternehmungen in Produktion und Dienstleistung um, die von der akademisch qualifizierten Arbeitskraft am meisten profitieren. D.h. prosaisch, er privilegiert einen „Stand” (Hochschulabsolventen) kollektiv, aber noch mehr seine Arbeitgeber bzw. im Falle von Selbständigen, seine Auftraggeber. Das öffentliche Gut   Hochschulbildung hat eine höchst private Innenseite.
3. Schließlich privilegiert der Staat die einzelnen Studierenden mehrfach, wobei hier der Frage der individuellen Gegenleistung besondere Bedeutung zukommt. Das Studium privilegiert die individuelle Biographie durch einen umfassenden kulturellen Vorsprung vor anderen Tätigkeiten; (darauf gehe ich in diesem Aufsatz nicht ein, obwohl dieser Aspekt für mich ganz entscheidend ist: von hier konstruieren sich die Lebensqualitätsentscheidungen über den akademischen Habitus, verbunden mit allen  
Vorsprüngen im sozialen und kulturellen Kapital) 3; der Studienabschluß, und vielfach auch nur ein nichtabgeschlossenes Studium, erzielt (heute noch) ein nachweislich so  
überdurchschnittlich hohes Lebenseinkommen in der zweiten Lebenshälfte, daß das Studium schon durch die staatliche Vorhalteleistung der Produktionsmittel privilegiert ist.

Diese Privilegierungsthese ist höchst umstritten. Die Studenten rechnen gegen den privilegierenden Befund sowohl eine (unrealistisch) pessimistische Beschäftigungsprognose als auch den Verzicht auf „normales” Erwerbseinkommen (also ohne Doppelbelastung) auf. Der populistischere Einwand aber ist, daß bei steigendem Studentenaufkommen die Privilegierungsdifferenz gegenüber den Nichtstudierten notwendigerweise sich abflachen oder gar umkehren würde. In der derzeitigen Auseinandersetzung um Bafög hat diese These zu einer ständig wiederholten Kontroverse v.a. mit Thorsten Bultmann, dem Geschäftsführer des BDWI, geführt, der die Privilegierung über soziales und kulturelles Kapital zwar anerkennt, aber sehr viel geringer für eine biographische Kollektivperspektive veranschlagt als ich.
Doch die Zahlen sprechen für sich: Die Arbeitslosenquote unter Akademikern ist noch immer nur halb so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote und das beinahe konjunkturunabhängig. Auch Geisteswissenschaftler finden binnen Monaten Arbeit, allerdings kaum im gewünschten Berufsfeld. Die Einkommensentwicklung holt im Durchschnitt nach einem bestimmten Lebensalter auch das geringere Einkommen aus der Studienzeit wieder auf, bzw. kompensiert die in die studentische Lebenshaltung eingebrachte Investition.
Wenn aber die Privilegien durch Studium und Akademikerexistenz so nachhaltig sind, wie wir aus der Vergangenheit wissen und für die nächste Zukunft vorhersagen können, dann wäre es gerade ein sozialstaatliches Gebot, sie einzudämmen. Andernfalls müßte sie nämlich zu einer weiteren Diskriminierung sowohl der Nichtstudierenden als auch deren Eltern führen, also mehr und nicht weniger Ungerechtigkeit produzieren. Wenn nämlich mehr Menschen studieren und die damit verbundene lebenslange Besserstellung in Anspruch nehmen, dann geht dies auch dann zu Lasten der nichtstudierenden bzw. nichtstudierten Bevölkerungsanteile, wenn die relative individuelle Privilegierung sich analog zur massenhaften Inanspruchnahme des Studiums ermäßigt.
Die Konsequenz aus diesen Überlegungen geht noch nicht direkt an das studentische Lebenseinkommen, sondern würde zu einer Diskussion über eine reale oder symbolische Beteiligung der Studierenden entweder während oder nach ihrem Studium an den Ausbildungskosten führen, also Studiengebühren thematisieren. Gerade eine sozialstaatliche Position müßte um Gerechtigkeit bemüht sein und deshalb eine Abschöpfung der Vorteile aus dem privaten Gut der Hochschulausbildung vornehmen. Wenn HRK-Präsident Erichsen seine neueste Forderung nach Studiengebühren für akademische Großverdiener ab 85000 DM erhoben hätte statt für alle, wäre dieses Prinzip von Leistung und Gegenleistung erfüllt. 4
Hier erkennt man die Bedeutung der Trennung von bildungspolitischer und sozial-politischer Diskursebene. Für die Bildungspolitiker soll nämlich das soziale Argument plötzlich dann keine Rolle mehr spielen, wenn es nicht benachteiligt, sondern begünstigt …

Das Recht auf Bildung und der studen­ti­sche Lebens­un­ter­halt

Die moralische und sozialanthropologische Idealaussage könnte „Bildung” als Lebensmittel im Wortsinn idealisieren und damit, wie Essen und Trinken, zu den Grundvoraussetzungen zivilisierter Gesellschaften erklären.
Schließlich ist es auch sinnvoll zu postulieren, daß in wissenschaftlich-technisch orientierten „Wissensgesellschaften“ immer mehr Menschen kompetent mitreden und, wenn möglich, sogar kritische Positionen zu diesem Gesellschaftstragenden Wissen beziehen können. Die Emanzipationsstrategie der 68er hat hier einen durchaus noch uneingelösten Anspruch erhoben.
Das Recht auf Bildung ist dennoch keine revolutionäre Formulierung, sondern einfach ein verkürzter Titel aus dem Bündnis von Demokratie und Technokratie, das die Hochschulreform nach 1968 so erfolgreich kennzeichnete. Es meinte — neben Dahrendorfs politisch-liberalen Überlegungen 5 — u.a. ein Recht auf Studienplätze, vor allem im Zusammenhang mit der Lehramtsausbildung, die wiederum die Voraussetzung für die Bildungswerbung in Richtung auf Teilnahme am weiterführenden Schulwesen war.
Pessimisten erwähnen an dieser Stelle den „Fahrstuhleffekt”, mit dem Ulrich Beck die Fortschreibung der sozialen Ungleichheit auf höherem Niveau meint. Es steht zu den sozialliberalen und sozialstaatlichen Ideen keineswegs im Widerspruch, wenn wir klarstellen, daß das Recht auf Bildung zunächst die Einlösung eines bürgerlichen Marktzugangsversprechens ist. Das ist auch nicht abwegig, wenn man von der Grundthese ausgeht, daß sozialer Frieden und ein hohes Maß an Konfliktregulierung mit dem durchschnittlichen Ausbildungsstand der Bevölkerung korrelieren. Gerade die Verbindung dieses Elements mit der Umstellung des Bildungssystems von einer Elitenförderung zur demokratischen Massenausbildung war ja der große Erfolg der Bildungsexpansion im Gefolge der politischen Bewegungen, die mit der Ausrufung der Bildungskatastrophe (1963) ihre Gestalt erhielten.

Das Recht auf Bildung wird in der Tat durch einen „Pakt” eingelöst, der bis heute den Referenzpunkt der Argumentation der Hochschulen in ihren Ansprüchen gegen den Staat darstellt. Im Zuge der Beratungen zum Hochschulrahmengesetz, das selbst Ausdruck der Einführung einer staatlich koordinierten Massenausbildung an den Hochschulen ist, werden zwei politische Prämissen zur operationalen Praxis wirksam: Die Quantifizierung der Parameter als typisches Kennzeichen massendemokratischer Ausbildungssysteme mit starkem Rekurs auf bildungsökonomische und demographische Meßwerte; typische Ergebnisse dieser Implementation sind die Kapazitätsrechnung und die Berechnung der flächenbezogenen Studienplätze als Bedarfsangabe und als Meßwert für die jeweils erreichte Leistungsfähigkeit innerhalb einer vorgegebenen politischen Rahmensetzung; von daher war die „Überlastdebatte” überhaupt nachvollziehbar zu veröffentlichen. Sie aber bestimmte die zweite Voraussetzung für das Gelingen der Umsetzung der Expansionspläne: Der Öffnungsbeschluß der Hochschulen (durch die Westdeutsche Rektorenkonferenz im Juni 1976). Hierin wird, ohne ausdrücklichen Bezug dazu, Abschied von Humboldt genommen und quasi-vertraglich bestätigt, daß in Anerkennung des öffentliches Gutes der Hochschulausbildung und als Legitimation der enormen Nachfrage nach Studienabschlüssen die Hochschulen auf alle diskriminierenden Zugangsregeln verzichten werden, obwohl sie der Belastung durch die steigende Nachfrage kaum standhalten würden.
Damit erst ist das Hochschulstudium in sein sozialstaatliches Stadium getreten. Es ging nicht mehr darum, sozial benachteiligten Studenten den Zugang zur Hochschule zu erleichtern oder Diskriminierungen auszuschalten, sondern um die Garantie von Studienmöglichkeiten unabhängig von den individuellen Konstellationen der Nachfrage. Staat und Institutionen (Hochschulen) haben gemeinsam ein „Recht” etabliert, das andere Begründungen und Motive zur Grundlage hatte als sie in der staatlichen Ausgabengestaltung für den Wissenschaftsbereich verankert waren. Die kulturstaatliche Zugangsgleichheit ist um eine Ausstattungsgarantie erweitert worden, die einzulösen allein dem Bringschuldner Staat bzw. seinen Agenturen, als Hochschulen, überlassen wurde. Keine der drei möglichen Gegenleistungen von seiten der damit erst begünstigten Studierenden wurde in Anspruch genommen, als da wären Studiengebühren,verbindliche Leistungsnormen und nicht verhandelbare Studienzeitbegrenzungen zum ersten Abschluss.

Dafür gibt es eine Reihe von guten Gründen, die ich heute noch vertrete. Was aber versäumt wurde, wenn schon diese Gegenleistungen nicht kodifiziert wurden, war die Regelung der sozialen Folgen des Öffnungsbeschlusses. Es wurde also nicht gefragt, welche Kosten auf den Staatshaushalt als kumulierte Effekte zukommen müßten, wenn der Öffnungsbeschluß langfristig wirksam würde.
Die Gründe dieser Unterlassung hängen teilweise mit der nichterfolgten Normierung von individuellen Gegenleistungen zusammen, teilweise aber mit dem Paradox, daß für die Studenten eine kollektive sozialstaatliche Option eröffnet wurde, die für die Akteure in den Hochschulen (Lehrkörper, Verwaltung) aber möglichst keine korporativen Folgen haben sollte. In der Aufzählung der Gründe werden wir abschließend das Problem des Generationenvertrags nennen, um dann zur Schlußfolgerung in Bezug auf die Sicherung des studentischen Lebensunterhalts zu kommen. Denn obwohl dieser ja mein eigentliches Thema ist, muß ich so weit ausholen, um auch deutlich zu machen, daß und ggf. warum er kein Thema bei der Expansion und Studienreform der Hochschulen war, bzw. immer nur als abgetrenntes Sozialleistungsfeld bearbeitet wurde.
Ein Gegenleistungskonzept hätte von vornherein legitimiert werden können durch die Aussage, daß die kollektive Privilegierung durch das Studium ihre Berechtigung in der gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeit einer kritischen und intellektuellen sowie qualifizierenden Akademisierung fände, daß die individuellen Akademisierungsgewinne gerade in der nicht-elitären Massenakademisierung aber in die Gemeinschaftskasse rückverteilt werden müßten, weil die nicht-monetären Begünstigungen ohnedies überdurchschnittlich hoch sind, also Leistungsanreize hinreichend bestehen bleiben würden. Man verzichtete aber darauf, u.a. weil die Bildungswerbung, vor allem für das Lehramt, nicht gestoppt werden sollte und weil die sozialliberale Politik (auch der Opposition! hier trifft die These von der Sozialdemokratisierung einmal zu) keine weiteren Abbrüche in der Loyalität der jungen Generation hinnehmen wollte:

— Studiengebühren und rigorose Leistungsanforderungen auch solche im Lehrkörper der Hochschulen erforderlich gemacht hätten, was standespolitisch und rechtlich kaum durchsetzbar gewesen wäre (und heute noch ein fundamentales Problem der Modernisierung unserer Hochschulpolitik darstellt),
— die Voraussetzungen für kurze Studienzeiten weder durch ein gegliedertes Abschlußsystem (mindestens zwei gestufte Abschlüsse vor dem Doktorat) noch eine hinreichende nachfrageorientierte Versorgung mit Lehrkapazität vorhanden waren; die Konjunkturerwartungen und der wirtschaftsideologische Konsens bis Mitte der siebziger Jahre noch einen beliebigen Verteilungsspielraum für staatliche Dauerleistungen insinuierten, wobei sicher auch eine Überschätzung der kurzfristigen Bildungsrendite eine Rolle spielte.

Dazu kommen noch zwei komplexere Gründe. Den ersten verorte ich in einem sozial-staatlichen Mißverständnis, den zweiten in der politischen Psychologie. Der erste Grund, ich nannte ihn ein sozialstaatliches Mißverständnis, liegt darin, die guten Argumente für Bafög 1969 trotz der gewandelten quantitativen Situation weiter als Prämissen für die Bildungs-, Familien- und Hochschulpolitik gelten zu lassen. Da es keinen gesellschaftlichen Konsens über den Wert und den Rang von Hochschulausbildung gibt, verwundert es nicht, daß — anders als in anderen sozialstaatlichen Kernbestandteilen wie der Renten- und Kranken- sowie der Arbeitslosenversicherung — keine Rede von einem Generationenvertrag und einer solidarischen Lastenteilung besteht.
Der zweite Grund: Mit der Hochschulreform einschließlich der Einführung der Gruppenuniversität hatte man sicherlich einen Schritt hin zur massendemokratischen Ausbildung geleistet. Aber innerlich hatten sich die Studierenden sehr viel weiter von der alten Universität verabschiedet als die Lehrenden, die Hochschulverwaltung und die politische Wissenschaftsadministration. Das führte zum einen zu einer bis heute ziemlich verlogenen Selbststilisierung der deutschen Universität im historischen Kontext, zum andern zu einer höchst unwillig geführten Diskussion um die tatsächlichen wirtschaftlichen und sozialen Implikationen einer massenhaften Hochschulausbildung, die nur mit Mühe den Anschein einer institutionellen Einheit von Forschung und Lehre aufrecht erhalten kann. Das zeigte sich u.a. an der völlig hilflosen bis naiven Reaktion der Hochschulen auf die Standortdebatte und vor allem der letztlich zu zögerlichen Wissenschaftsaußenpolitik gegenüber der EU und den USA.
Der Zusammenhang zu unserem Thema mag überraschen: Ich habe den belegbaren Eindruck, daß die deutsche Studentenpopulation in gewisser Hinsicht „abgehängt” wird, was ihren sozialen Status betrifft. Das bedeutet sehr drastisch, daß sie viel mehr als ökonomisch abhängige künftige Eliten vom staatlich gelenkten Hochschulsystem behandelt werden, als daß sie, ihrem Status als Erwachsenen gemäß, Akteure bei der Gestaltung ihrer biographischen und beruflichen Zukunft mit in die ökonomische Verantwortung eingebunden werden. Man kann verstehen, daß Deutschland sich aufgrund seines Reichtums entschlossen hat, bislang weder Studiengebühren noch einen Beitrag zur Lebenshaltung im Falle von Stipendien zu verlangen — das ist ja die Arroganz eines Landes gewesen, jedes Strukturdefizit mit Geld glattzubügeln. Aber wenn solche Beiträge nicht erfolgen, dann können es die europäischen und amerikanischen Partner noch weniger verstehen, daß es keine Gegenleistungen auf der materiellen Ebene des Studiums gibt („Performance“, Studienzeit, Noten — irgendetwas, das der Öffentlichkeit klar macht, daß für „ihr” Geld verantwortlich und erfolgreich gearbeitet wird).
Man kann mit einem gewissen „linken” Stolz die Errungenschaften der sozialen Absicherung von Studium und Lebensunterhalt verteidigen, aber man kann sich dann nicht zugleich unter Berufung auf anachronistische Standesregeln einer nicht ausweispflichtigen Korporation berufen, in der plötzlich die Freiheit der Wissenschaft als Hinderungsgrund für „Accountability” herhalten muß.

Dieser Zusammenhang ist so explosiv, daß er — gemeinsam mit dem zweiten Hinderungsgrund für die Einführung eines Gegenleistungsprinzips beim studentischen Lebensunterhalt — zu einer spontanen Politisierung geführt hat, die ihren Ausdruck im letztlich bislang erfolglosen Kampf gegen Minister Rüttgers Darlehenslösung (1995) und — endlich — in einem Überdenken der Bafög-Grundposition bei einigen Hochschulpolitikern geführt hat.

Elter­nu­n­ab­häng­keit und indivi­du­elle Leistungs­bei­träge der Studie­renden zu ihrem Lebens­un­ter­halt — der Genera­ti­o­nen­ver­trag

Eltern haften für ihre Kinder — das gilt für ungesicherte Baustellen als Versicherung für den Bauunternehmer. Aber so einfach kann das in modernen Staatsgebilden nicht mehr gelten, wenn es um die Ausbildung künftiger Generationen geht.
Nehmen wir ein liberales Grundsicherungsmodell als Folie: In einer wohlhabenden Gesellschaft könnte die Bildungszukunft der Kinder ganz in die Verantwortung der Eltern und der Studierenden gelegt werden. Wer begabt ist, studienberechtigt und willig dazu, dem wird ein Zuschuss zum Lebensunterhalt gewährt, damit er oder sie nicht unter die Armutsgrenze fällt. Das ist ein Idealtypus für stark familienorientierte Marktwirtschaften, in denen der Wert von Ausbildung als Bestandteil eines weitgehend konsensfähigen Aufstiegsmodells anerkannt wird. Die Anerkennung des öffentlichen Bedarfs an breiter Ausbildung wird ausschließlich durch die soziale Unterstützung dokumentiert, ansonsten wird unterstellt, daß der private Nutzen mit dem öffentlichen koinzidiert. In einem solchen Modell ist es konsequent, wenn ein großer Teil des Familieneinkommens vorsorglich für die Ausbildung der Kinder reserviert wird (Schulgeld, Studiengebühren, Lebensunterhalt), und zwar in Form von Versicherungen, steuerbegünstigtem Ansparen usw. (Es überrascht nicht, daß in einem solchen System die Krankheitsvorsorge ähnlich funktioniert.) Für die staatliche Unterstützung ist es nur von sekundärer Bedeutung, ob die Zuschüsse als Darlehen oder als Zuschüsse gezahlt werden, das wird sich je nach sozialpolitischer Position der jeweiligen Regierung und nach der Konjunktur richten.
Ich habe hier einen idealtypischen Zustand beschrieben, der sich als Folie deshalb so gut eignet, weil er dem erfolgreichsten akademischen System unserer Zeit, den USA, sehr nahekommt. Die Schwächen des Ansatzes sind sofort erkennbar: Je geringer das Familienkommen, desto größer die Belastung durch die Bildungsvorsorge; im Extremfall müssen andere wichtige Lebensgestaltungen einschließlich der Gesundheits- und Altersvorsorge der Eltern geopfert werden. Vor allem driften die sozialen Lager in einem solchen System dann weiter auseinander, wenn sich seine Grundannahme bestätigt, daß nämlich eine gute Ausbildung alle Kapitalien (monetär, sozial, kulturell) beim Individuum vergrößert. Eine reiche Herkunftsfamilie kann daher ohne große Opfer für ihre Kinder eine bessere Bildungszukunft kaufen als eine arme, diese aber wird sich sozial an den Rand der Existenzkrise bewegen, wenn sie — wie das in den USA weitgehend der Fall ist — den massendemokratischen Konsens über den Vorrang der Ausbildung vor allen anderen Zukunftsinstrumenten anerkennt.
Damit ist ein wichtiges Stichwort gefallen: „Massendemokratie”, d.h. in diesem Fall eine fast alle Schichten übergreifende republikanische Werthaltung, die sich wenig hinterfragt in allen Bereichen der Gesellschaft wiederfindet (z.B. in den USA neben der Bildungspriorität in Werthaltungen gegenüber Mobilität, Seif-Made, Geschmackskonventionen). Wenn nun in einer Gesellschaft mit vielen kommunitaristischen Anteilen die jeweiligen Gerechtigkeitsansprüche auf ihre „Sphären” begrenzt bleiben 6, dann bedeutet es keinen Widerspruch, wenn die individuelle Familie für den lokalen Generationenvertrag haftet, aber z.B. die Studierenden massenhaft ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit subventionieren oder, z.B. im Medizinstudium, genau kalkulierte Verschuldungsstrategien eingehen.

Damit ist aber auch schon deutlich, warum die Hoffnungen vieler Wirtschaftsliberaler, man könnte das US-System für uns übernehmen, unsinnig sind. Sozialstaatliche Elemente werden nämlich in den USA in einer Weise von der Steuergesetzgebung, der privaten Wirtschaft und vom individuellen „Gemeinsinn” übernommen, die der deutschen Gesellschaft historisch und systematisch fremd ist (bislang; ich denke, konvergente Entwicklungen sind sinnvoll und notwendig, aber das gehört nur am Rande hierher. Ich erwähne es deshalb, weil mit dem Abnehmen der beschriebenen Systemmerkmale in den USA unter den republikanischen Administrationen seit Nixon genau die gleichen Probleme, die wir in Deutschland mit Bafög haben, anwachsen).
Die sozialstaatliche Alternative, die Deutschland gewählt hat, konnte sich in ihren Anfängen u.a. deshalb bewähren, weil sie ebenfalls auf einem Konsens beruhte und die eklatanten Nachteile der Marktorientierung (Studium und Abschlüsse als geldwerte Bestandteile ständig gehandelter Arbeitskraft) und des privaten Vorsorgerisikos frühzeitig erkannte.
Bafög ist das Ergebnis eines Modernisierungskonsenses (und nicht einer sozialen Überlegung). Weil die Bildungswerbung nach 1961 sich auf die Ausschöpfung der Begabungsreserven konzentrierte, durfte sie nicht aus sozialen Gründen gebremst werden oder gar in soziale Konfliktpotentiale einmünden. Also „sozialisierte” Bafög das Risiko für die einkommensschwache Familie, ohne aber auf den Konsens rechnen zu können, daß alle Familien die gleiche Grundorientierung bezüglich des Studiums ihrer Kinder inclusive der Haftungsübernahme teilen. Hier schließt nun die bereits oben erfolgte Aufzählung der Gründe an, warum keine Gegenleistungskonzepte eingeführt wurden. Weil vor der Einführung von Bafög das Studium in der Tat sozial besonders diskriminierend für wenig wohlhabende Herkunftsfamilien zu erreichen war, mußte es geradezu erfolgreich wirken — ein großer Teil der Studierenden wurde gefördert, deren Familien wurden tatsächlich entlastet und das erstrebte Ziel eines sozial weniger diskriminierenden Zugangs ist erreicht. Diesen Erfolg anerkenne ich uneingeschränkt, und er ist eine der ganz großen Leistungen der sozialstaatlich ausgerichteten Gesellschaftspolitik bis in die Mitte der siebziger Jahre. Dennoch liegt in der Gestaltung der Bafögpolitik schon sein Versagen und seine künftige Unhaltbarkeit, gerade unter sozialen Aspekten.
Das klingt nach „ungerechter” Beckmesserei, weil sozialpolitische Überforderungen ja ganz im Trend der Diskussion liegen. Aber nichts liegt mir ferner, als diesem Trend über die notwendige grundsätzliche Sozialsstaatskritik hinaus zu folgen, im Gegenteil, ich behaupte, daß zunehmende Ineffektivität und Unbezahlbarkeit von Bafög ebenso in seinen Grundlagen angelegt sind wie seine künftige Inkonsistenz.

Bafög bindet die Studenten an die soziale Herkunft ihrer Eltern. Wenn ein Zuschuss oder Darlehen gewährt wird, werden primär die Eltern entlastet, aber doch von einer Pflicht, die für sie, anders als in den USA, gar nicht zum Bestandteil der gesellschaftlichen Prioritätenliste gehört. (In den USA sind die Studenten auch jünger, die Eltern bezahlen also in gewisser Hinsicht für die Fortführung der Erziehungsarbeit durch das College. In loco parentis ist eine Philosophie, die sich bei uns nie durchgesetzt hat. Sie wäre aber „Bafög“-logisch, weil sie dann ein gewisses „Zugriffsrecht der Eltern” auf die biographische Gestaltung wenigstens der ersten Studienjahre plausibel, quasi kontraktuell machen würde. So kommt es im Zweifelsfall zu höchst unerfreulichen Klagen der Studenten gegen ihre Eltern, bevor Bafög greifen kann, aber nicht zu einem regelmäßigen Generationenvertrag.
Das stark angelsächsisch inspirierte Mischmodell, das der Hamburger Universitätspräsident Lüthje vorschlägt, krankt genau daran: Er vertritt die Position, daß die Eltern „natürlich” verantwortlich für die Studienzukunft ihrer Kinder sind, daß aber im Fall ärmerer Familien Bafög-Rückzahlungen und/oder Studiengebühren vom Staat übernommen werden sollen. Lüthje schlägt dazu eine Reihe von sozial begünstigenden Randleistungen vor, wie z.B. steuerbegünstigtes Bildungssparen. Alle Leistungen werden von Lüthje unter dem Satz zusammengefasst, der Staat solle nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Wir erinnern an die Argumentation zu Beginn dieser Abhandlung: Es wird für die Betroffenen — Eltern und Studierende — ein Recht konstituiert, das sich aus der Verantwortung des Staates speist. Paradoxerweise entwickelt dieses „Recht” aber nicht eine generationenübergreifende Solidarität, sondern erzeugt eine sozial induzierte Abhängigkeit zwischen der Eltern- und der Studentengeneration; im Grunde eine Voraussetzung für soziale Entfremdung, denn nun wird eine nicht-kodifizierte rein ökonomische Beziehung zwischen den Generationen gefordert, während in allen anderen Entscheidungen (Studienfach, -ort, -leistung) die Studenten als Erwachsene nichts mit ihren Eltern zu tun haben als intentionale Bindungen (über die der Staat bekanntlich wenig Macht hat).

Die ökonomische Elternunabhängigkeit ist demgegenüber die Grundforderung, an der sozialstaatliche Weiterentwicklungen von Bafög oder sein Ersatz durch ein neues System sinnvoll zu denken sind. Drehen wir die Argumentation von Lüthje um und überprüfen zugleich die Arbeitshypothesen zur erfolgreichen Installierung von Bafög vor mehr als 20 Jahren. Gehen wir davon aus, daß das deutsche Hochschulsystem auch in Zukunft von der Ausbildung erwachsener, mündiger, volljähriger Studierender bestimmt sein wird, also einen Bildungsauftrag formulieren kann, aber keinen Erziehungsauftrag. Dann ist die Bedingung der Möglichkeit von Autonomie der einzelnen Studierenden innerhalb der korporativen Autonomie der Institution die ökonomische Selbstbestimmung, bzw. der nicht extern gesteuerte Zugriff auf die Mittel zum eigenen Lebensunterhalt. Diese Autonomie ist einerseits die Voraussetzung zur Herstellung einer freiwilligen Solidarität, die jedes Generationenverhältnis bestimmen sollte. Andererseits stellt sie eine Beziehung zwischen dem Zweck des Studiums und der indivduellen Lebensgestaltung her. Ein erwachsener Mensch ist für seine ökonomische und kulturelle Biographie verantwortlich. Es ist keine Frage der sozialen Herkunft, und darf es nicht sein, daß jemand, der verantwortlich studiert, nicht zugleich ebenso verantwortlich über ein bestimmtes, sehr begrenztes Maß hinaus, für seinen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit aufkommen muß.
Das bedeutet jedoch nicht, daß der Lebensunterhalt für die Dauer des Studiums vom Staat, also aus dem allgemeinen Steueraufkommen, finanziert werden muß. Daß es einige Jahre, während der Bildungswerbung, so finanziert wurde, konstituiert noch kein weiter wirkendes Recht.
Gerade weil die sozialstaatliche Grundlegung des Rechts auf Bildung den Hochschulzugang und die staatliche Vorhalteleistung an Personal, Gebäuden und Grundausstattung garantiert, wäre es höchst unsozial, den studentischen Lebensunterhalt als sekundäre Privilegierung auch noch weiter zu subventionieren. Also folgt fast zwingend, daß dieser Teil der biographischen Verantwortung von den studierenden Individuen getragen werden muß, und zwar in jener sozialen Solidarität, die die Rückerstattung erhaltener Leistungen zumutbar und langfristig gestaltet und einen Studienbeginn ohne soziale Abstiegsängste ermöglicht.
Dazu gibt es einige einfache Prämissen. Wenn wir die Hochschulen offenhalten wollen — und das ist die sozialstaatliche Grundforderung — müssen wir dafür sorgen, daß alle dazu geeigneten Studenten auch ohne finanziellen Druck studieren können. Wir können dies nur über eine Kasse oder ein Darlehensmodell bewerkstelligen, bei dem die jeweiligen Rückflüsse (als Beiträge oder als Tilgung) die Liquidität der Zuwendungen an die nächste Generation garantieren. (Eine Kasse wird nach dem Rentenkassenmodell gestaltet: alle Studierenden können Leistungen bis zu einer gewissen Höhe beziehen, die sie als Beiträge, also in sehr kleinen Raten, bis zum Ende ihres Erwerbslebens zurückzahlen; ein sozial ausgewogenes Darlehensmodell, wie es das deutsche Studentenwerk als Gegenentwurf zu den derzeitigen Plänen der Bundesregierung vorgelegt hat, oder wie es in Teilen des mit dem Kassenmodell verwandten BAFF-(Bundesausbildungsförderungsfonds)-Modells der GRÜNEN dargestellt wird, sieht begünstigende Rückzahlungsmodalitäten unterhalb der Ebene einer nicht zumutbaren Verschuldung vor.).

Das Ziel, als idealtypischer Gegenentwurf zur derzeitigen Situation, ist es, völlige Elternunabhängigkeit durch Beteiligungsmöglichkeit aller Studenten an der Förderung ihres Lebensunterhalts aus einem sozial gelenkten Fonds mit vollständiger Rückzahlungspflicht aller erhaltenen Leistungen zu erreichen. (Die soziale Lenkung am Ein-kommen zu orientieren, hat den Nachteil, daß Kapitalvermögen und Ererbtes wieder einmal nicht eingehen und dadurch eine gewisse Schräglage entsteht, aber eine so tief greifende Reform erscheint in der heutigen politischen Konstellation unmöglich).
Übergangsmodelle können durchaus (abnehmende) elternabhängige Komponenten enthalten, jedoch dürfen keine Bezüge zwischen Anspruch und Studienleistung hergestellt werden – weil sonst die Inanspruchnahme von Leistungen in die Richtung von Mehrbelastung der Bedürftigen abgedrängt wird. (Die Leistungskomponenten spielen in der Gebührendebatte eine viel größere Rolle; viele der Argumente, die für den studentischen Lebensunterhalt gelten, sind auf diese Studiengebührendiskussion zwar auch anzuwenden, aber es kommen derart viele zusätzliche Bedingungen dazu, daß eine Verknüpfung höchst schädlich wäre.) 7
Dieser Gegenentwurf muß einlösen, was wohl den Minimalkonsens aller ausmacht, die die Studienbedingungen durch eine Absicherung des studentischen Lebensunterhalts effektiv und sozial gerecht gestalten wollen (in dieser Reihenfolge): daß das doppelt privilegierende Studium nicht zweifach durch diejenigen subventioniert wird, die subjektiv und individuell am wenigsten von der Hochschulausbildung und seiner staatlichen Verallgemeinerung haben: die Eltern derer, die nicht studieren (werden, wollen, können) und die, die jetzt nicht studieren, aber erwerbstätig sind und Steuern zahlen. Andererseits muß sichergestellt sein, daß es für hinreichend viele auch wohlhabende Familien attraktiv ist, wenn studierende Kinder an der Ausbildungskasse teilnehmen.
Man kann das alles auch in Richtung auf staatliche Verantwortung und legitime Erwartungen wenden: Der Staat hat ein Recht darauf, daß die Studierenden, für die er die Hochschulen baut und unterhält, effektiv studieren und nicht durch unangemessene Erwerbsarbeit daran gehindert werden. Hier setzt die Argumentation über das Recht auf Bildung zu Recht wieder an.

Einige Schluß­fol­ge­rungen

Ein effektives System ist nur dann gegeben, wenn die Förderung des studentischen Lebensunterhalts hinreichend viele Personen erfaßt. Nun sind die Befunde bezüglich der jetzigen Situation eindeutig:
1. Bei einer Gefördertenquote von unter 25 Prozent kann von einer zieladäquaten Effektivität nicht die Rede sein;
2. bei einem Höchstfördersatz von ca. 1000 DM ist die Anzahl derer, die weniger erhalten, viel zu groß, als daß eine einigermaßen homogene leistungsorientierte Studentenpopulation erzielt werden könnte. Der Betrag entspricht in etwa dem Beitrag, den alle Studierenden erhalten sollten, damit sie ordentlich studieren önnen. Die Differenz, die tatsächlich auftritt, zwingt sie entweder zu übermäßiger Erwerbsarbeit oder belastet die Eltern im oben beschriebenen entsolidarisierenden Sinn.
3. Die Transferleistungen (Kindergeld, Ausbildungsfreibetrag usw.) kommen den Eltern und nicht den Studierenden direkt zugute.
4. Die Studienleistungen werden durch die erzwungene übermäßige Erwerbsarbeit beeinträchtigt.
5. Eine Anhebung der Höchstsätze und eine Ausweitung des Kreises der Berechtigten ist aus finanzpolitischen Gründen nicht urchsetzbar, wenn sie denn verteilungspolitisch möglich wäre. D.h. selbst wenn eine Quelle gefunden würde, aus der die Erweiterung innerhalb des Bafögmodells bezahlt werden könnte – z.B. Budgetumverteilungen aus dem Verteidigungs-, Straßenbau oder Sozialhaushalt, so käme es doch bald wieder zu finanziellen Engpässen, wenn dann mehr Studierende mehr Geld erhielten, ohne daß die Rücklaufsumme sich überproportional erhöhen könnte.

Von daher ist die Alternative nur eine Einschränkung der sozialen Bedingungen für den Hochschulzugang, d.h. brutal formuliert: seine völlige Marktförmigkeit, oder eine Lastenteilung zwischen den aktuell und den künftig Studierenden in einem solidarischen Generationenvertrag mit hoher Autonomie während des Studiums und angemessener Rückzahlung der Leistungen danach.
Eine wichtige Voraussetzung des Generationenvertrages ist seine allgemeine Akzeptanz, was an anderer Stelle zu der leicht zu widerlegenden, aber wohl immer noch vermittelbaren Beteuerung führt, die Renten seien sicher.
Bei der studentischen Basis und vielen Hochschulpolitikern gibt es eine leichte Tendenz zum zweiten Verfahren, allerdings mit erheblichen Befürchtungen, durch die Elternunabhängigkeit den Klientenstatus der an sich profitierenden Elterngeneration zu verlieren und in das Dickicht einer absehbar komplizierten Umgestaltung der sozial-staatlichen Bildungspolitik zu geraten, wie wir sie eingangs dieser Abhandlung skizziert haben.
Ein Schlaglicht zur Position der studentischen Funktionäre: der ASTA der FH Aachen gibt eine Zeitung heraus, deren letzte Nummer den Bildungs-„Mördern“ Rüttgers, Waigel, Daxner u.a. gewidmet ist. u.a. mit folgenden Argumenten:

„Modell Ausbildungskasse

Dieses vom Präsident der Uni Oldenburg vorgeschlagene Modell würde jedeM StudentIn elternunabhängig einen monatlichen Betrag von 1000.- DM bringen. Nachteil ist, daß der Betrag nicht dem tatsächlichen Bedarf entspricht und die vorgeschlagene Akademikersteuer als Bestandteil eines Generationenvertrages nicht tragbar ist, da nicht alle AbsolventInnen einen entsprechenden Job bekommen.”
So geehrt, schlage ich ein paar Seiten weiter die folgende Anzeige auf: „Alma-Winter-Sportcamp … Ort: Champéry/Schweiz, südlich des Genfer Sees. Skigebiet: Champéry gehört zum Skigebiet ,Les Portes du Soleil‘. 160 Seilbahnen und Lifts erschließen Pisten aller Schwierigkeitsgrade. … Kostenbeitrag: DM 500.- (per Überweisung) Zusätzliche Kostenbeiträge: Skipass für 6 Tage für das Gesamtgebiet ,Portes du Soleil‘ ca. DM 220.-”
Eine Woche Champéry summiert sich auf mehr als 1000.- DM multikulturellen Urlaubs auf. Recht so: Studenten sind Erwachsene, sie haben Recht auf Urlaub, sie werden sich dafür ihr Geld schon verdienen. Das Recht auf Bildung sollte ihnen aber nicht von denen verdient werden, die sich auch ohne ASTA-Vermittlung keinen Urlaub in Champéry leisten können.

1 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu den Perspektiven der Hochschulen in den 90er Jahren, Köln 1988
2 Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst: Entwurf: Bundesgesetz über Studien an Universitäten (UniStG), Wien, Juni 1995
3 Für ein genaueres Durchdringen dieser Begriffe vgl. Bourdieu, P.: Die feinen Unterschiede, Frankfurt/M. 1982
4 Bonner Generalanzeiger, 29.2.96, Seite 1
5 Ralf Dahrendorf: Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik, Hamburg 1968
6 vgl. Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, Frankfurt 1990 (Suhrkamp)
7 Michael Daxner, Die Wiederherstellung der Hochschule, Köln 1993; und: ders., Ist die Uni noch zu retten? Reinbek 1996, S. 218-224

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