Themen / Sozialpolitik

Krieg oder Vertrag der Genera­ti­o­nen?

30. Juni 1997

Ältere Menschen und die Zukunft des Sozialstaates

Aus: vorgänge Nr. 138 (Heft 2/1997), S. 20-28

Der für seine polemischen Darstellungen bekannte Gießener Sozialwissenschaftler Reimer Gronemeyer prophezeite bereits Ende der 80er Jahre in seinem Buch „Die Entfernung vom Wolfsrudel” den bevorstehenden „Krieg‘ der Generationen” auf politischer und wirtschaftlicher Ebene: „Die Alten haben vorerst gesiegt, sie besetzen die Schlüsselpositionen, und ihre Zahl wächst unaufhörlich. Immer mehr Junge müssen immer mehr arbeiten, um Renten und Intensivstationen zu bezahlen – auf Kosten der eigenen Zukunft. Bald werden viele glauben, wir könnten die ganz Alten nicht mehr versorgen, ihr Leben nicht mehr verlängern mit hohem Aufwand. Und: Wann werden die Jungen sich rächen für das vergiftete Erbe, das sie anzutreten haben?”

Ungeachtet einer Erläuterung der Fragen (Von welchen alten Menschen soll hier die Rede sein? Und: Welche Schlüsselpositionen sollen alte Menschen wo besetzt haben?) geistern derartige Szenarien durch die Medienlandschaft: Der Spiegel wählte Anfang Februar dieses Jahres den Aufmacher: „Die Rentenreform oder Wie die Alten die Jungen ausplündern”. Neben dem stempelartigen Schriftzug „Modellrechnung: Was bleibt wem im Alter” sind – obwohl der Titeltext zu einer derart einseitigen Fragestellung keinen Anlaß gibt – fünf unbekleidete – offensichtlich von den gierigen Alten ausgeplünderte bzw. ausgezogene – junge Menschen zu sehen.

Die Gemüter erregende Titel wie „Leben wir zu lange?” oder „Altersexplosion” und Reizworte wie „Altenlast” oder „Pflegerisiko Alter” tragen wohl ebenfalls kaum zur Erklärung, geschweige denn zur Lösung von Problemlagen bei.

Den einstweiligen Höhepunkt einer lustvoll geführten alten feindlichen Debatte markiert die Ärztin Heidi Schüller – ehemalige Leistungssportlerin und Gesundheitsministerin im SPD-Schattenkabinett zur Bundestagswahl 1994 – mit ihrem Vorschlag, „unwürdigen Greisen” das Wahlrecht zu nehmen und ihnen teure Operationen zu verweigern. Politikerinnen, die derartige Vorschläge in aller Öffentlichkeit meinen unterbreiten zu müssen, erregen zwar Aufsehen, tragen zur sachlichen Erörterung anstehender Handlungsnotwendigkeiten jedoch nicht bei.

Nach dem Ende der Klassenkampfdiskussion und dem einstweiligen Verstummen des Geschlechterkrieges kommt einigen JournalistInnen, Politikerinnen und WissenschaftlerInnen die angebliche neue Front zwischen den Generationen anscheinend gerade Recht – zumal sie, wie die Journalistin Cora Stephan zurecht feststellt, angesichts der Feminisierung des Alters latent ein Angriff auf die Frauen ist (1996, S.50).

Es stellt sich die Frage: Auf welche Argumente stützt sich die These vom „Krieg der Generationen”? Um zunächst der polemisierenden Rhetorik vom „Krieg zwischen den Generationen” gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln zu nehmen, sollen Ergebnisse einer Umfrage der Infas Sozialforschung GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Verhältnis der Generationen angeführt werden: Nach dieser Untersuchung sind 84% der im August und September 1996 befragten 3000 Männer und Frauen ab dem 14. Lebensjahr der Meinung, ältere Menschen sollten abgesichert sein, weil sie viel für das Land getan hätten. 98% der Befragten bezeichneten es als wünschenswert, daß alt und jung sich gegenseitig unterstützten (Lohse 1996). Nach einer Umfrage des Alterswissenschaftlers Martin Kohli sprachen sich nicht einmal 3% der 18 bis 44jährigen Befragten dafür aus, die Höhe der Renten zu kürzen (Perina 1996, S.54). Von einem Krieg zwischen den Generationen kann angesichts dieser Zahlen keine Rede sein. Im Gegenteil: Offensichtlich gibt es starke intergenerative Solidaritätsbeziehungen. Trotzdem wäre es unangmessen und vorschnell zu behaupten, das Verhältnis der Generationen sei unbelastet.

Ausgangspunkt v.a. der finanzpolitischen Überlegungen zur Rentenversicherung ist vielfach die demographische Entwicklung. Es gibt derzeit mindestens 15 verschiedene Prognosen bezüglich der Bevölkerungsentwicklung. Allen ist eine Plausibilität nicht abzusprechen. Auch wenn angesichts dieser prognostischen Vielfalt das Ergebnis der demographischen Entwicklung nicht sicher voraussagbar ist, so sind doch eindeutig einige nicht nur rentenpolitisch bedeutsame Tendenzen zu erkennen. Es wird in Zukunft immer mehr alte im Vergleich zu immer weniger jungen Menschen geben, wobei die Menschen zudem noch immer älter werden („dreifaches Altem“).

Die demographische Entwicklung deutet zum einen einen grundlegenden Strukturwandel des Alters an: Die Lebensphase „Alter” dehnt sich aus und dank des medizinischen Fortschritts und des weit vorangetriebenen sozialen Sicherungssystems gewinnt das Alter an Lebensqualität (ich werde später auf die Strukturveränderungen aus sozial gerontologisch Perspektive zurückkommen). Zum anderen hat die Bevölkerungsentwicklung finanzpolitisch Auswirkungen auf die Rentenversicherung; Der sogenannte „Rentenquotient” verschlechtert sich: Die Relation von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern verändert sich ungünstig Es gibt immer mehr Leistungsempfänger, die zudem infolge der steigenden Lebenserwartung immer länger Leistungen beziehen.

Zu beachten ist jedoch, daß die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung nicht direkt von der demographischen Entwicklung, sondern – sicherlich in Abhängigkeit von ihr – vom Verhältnis der Erwerbstätigen zu dei Nichterwerbstätigen abhängt. Das Schrumpfei der Anzahl von Erwerbstätigen belastet maßgeblich das bestehende Versicherungssystem. Das sozialstaatliche Zentralproblem ist nicht die demographische Entwicklung, die gleichsam als unveränderbares Faktum v.a. dem medizinischen Fortschritt geschuldet ist, sondere die hohe Arbeitslosenquote (vgl. Schwanz 1997; Bäcker/Ebert 1996, S.81). Nicht ein möglicher politischer Machtkampf der Generationen bedroht ihr Verhältnis, sondern die Tatsache, daß der Markt weniger und weniger Arbeitskräfte aufnimmt. Nicht der Sozialstaat, sondern v.a. die Arbeitslosigkeit ist zu teuer. Mit Cora Stephan läßt sich die sozialstaatliche Krise wie folgt präzisieren: Das Gerede vom Generationenkonflikt lenkt ab vom eigentlichen Problem, nämlich von der Infragegestellung der Arbeitsgesellschaft (1996, S.53). Die für die Zukunft des Sozialversicherungssystems entscheidende Frage lautet, ob es möglich sein wird, die hohe Zahl Arbeitsloser in absehbarer Zeit zu reduzieren.

Die Ausführungen verdeutlichen, daß die Rede vom intergenerativen, sozialstaatlichen Konflikt wohl zu allererst in einer „Zeit der knappen Haushaltskassen” einen Verteilungskonflikt meint: Es geht um die Renten. Ernster als das medial vermittelte Gerede vom „Krieg der Generationen“ aufgrund der wachsenden politischen Macht der alten Menschen ist der finanzpolitische Anschlag auf das soziale Sicherungssystem zu nehmen, u.a. auf das Rentenversicherungssystem – zurecht haben die Kirchen in einem „Sozialwort” die Sozialverträglichkeit der finanzpolitischen Maßnahmen eingeklagt.

Das Verhältnis der Generationen zueinander läßt sich, das haben die bisherigen Ausführungen bereits deutlich gemacht, auf verschiedenen Ebenen beschreiben. Den bisher angesprochenen politischen und wirtschaftlichen Aspekten auf der Grundlage der demographischen Entwicklung ließen sich noch weitere Dimensionen hinzufügen, etwa kulturell-normative, intergenerative Unterschiede auf der Grundlage des allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandels.

In der öffentlichen Diskussion wird primär der ökonomische Faktor isoliert fokussiert. Eine finanzpolitisch verengte Perspektive übersieht jedoch, worum es letztlich geht: das Verhältnis der Menschen unterschiedlicher Generationen zueinander. Die Einbeziehung ausgewählter Ergebnisse der Sozialgerontologie zu der Frage: Wer sind die alten Menschen? vermag den Blick auf die Menschen und deren – letztlich auch wieder finanzpolitisch relevanten – Potentiale zu öffnen. Eine Ergänzung der Erläuterung des Genetationenverhältnisses über das Rentenversicherungssystem mit sozialwissenschaftlichen Beschreibungsmodellen zu alten Menschen ist, so werde ich im folgenden aufzuzeigen versuchen, eine gewinnbringende Perspektiverweiterung. Damit ist zugleich der Weg der weiteren Ausführungen vorgegeben: Zunächst werden das Rentenversicherungsmodell und Reformvorschläge erläutert. An-schließend werden auf der Grundlage von sozialwissenschaftlichen Beschreibungsmodellen zu alten Menschen politische Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Genetationenverhältnisses thesenhaft skizziert.

Der Generationenvertrag traditioneller Prägung bestimmte in Deutschland bis ins 19. Jahr-hundert hinein die Beziehungen zwischen den Generationen. Er beruht auf einer stillschweigenden Übereinkunft dreier Generationen innerhalb einer (Groß-)Familie: Die jeweils erwerbstätige Generation versorgt sowohl die jüngeren, noch nicht erwerbstätigen als auch die älteren Menschen aus dem erwirtschafteten Einkommen. Dieser familiären beziehungsweise sozialen Norm lag weder ein expliziter Vertragsabschluss noch ein staatliches Arrangement zugrunde. Es handelte sich um eine historisch begründete wechselseitige Verpflichtung zwischen den Generationen.

Mit Beginn der Industrialisierung wurde aufgrund der massenhaften Verarmung infolge der Landflucht und dem Zerfall der Institution Großfamilie ein staatlich geregeltes, kollektives Sicherungssystem notwendig. Die Rentenversicherung wurde 1889 vom Reichskanzler Otto von Bismarck als Ausdruck eines Generationenvertrages moderner Prägung neben weiteren Versicherungssystemen gesetzlich fixiert.

Das System der öffentlichen sozialen Sicherung ist in der Folgezeit ausgeweitet und vielfach differenziert worden. Es umfaßt drei Bereiche: die Sozialversorgung, die Sozialversicherung und die Sozialfürsorge. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine der sogenannten „fünf Säulen” des Sozialversicherungssystems in Deutschland neben der Arbeitslosenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung und der sozialen Pflegeversicherung. Noch vor der Krankenversicherung beinhaltet die Rentenversicherung die mit Abstand größte Ausgabensumme von Sozialleistungen mit 317,7 Milliarden DM im Jahr 1993.

Der heutige, „moderne” Generationenvertrag ist ein staatlich verfügtes, weitgehend versicherungsmäßig organisiertes Beitrags-Transfersystem, das zwei Generationen umfaßt: Die jeweils erwerbstätige und beitragspflichtige Generation finanziert die laufenden Sozialrenten. Diese finanziell einseitige Geber-Nehmer-Beziehung ist geknüpft an die staatliche Zusage, daß die durch die Beitragszahlung erworbenen Anwartschaften von der nachwachsenden Generation aus deren Beiträgen bedient werden. Das „moderne” intergenerative Sicherungssystem ist im Vergleich zum traditionellen Generationenvertrag halbiert: Die Finanzierung der jüngeren Generation muß durch einen Familienlastenausgleich zusätzlich sichergestellt werden.

Die gesetzliche Rentenversicherung basiert zudem auf den folgenden Grundsätzen: Die Höhe der Renten ist lohn- und beitragsbezogen (Äquivalenzprinzip). Zudem ist sie über die „Rentenformel” an das Durchschnittseinkommen gekoppelt. Damit ist sie in ihrer Grundgestalt dynamisch. Die Renten werden finanziert nach dem sogenannten Umlageverfahren, nicht nach dem alternativ denkbaren Kapitaldeckungsverfahren: D.h. die Beiträge der heutigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden nicht angespart bis zu ihrer Rente, sondern aus ihnen werden, wie bereits dargestellt, die jetzigen Renten finanziert. Des weiteren gibt es gesetzlich geregelt Leistungsbemessungsgrenzen, die ohne Brechung des Äquivalenzprinzips aus Beitragsbemessungsgrenzen resultieren.

Aus der Rentenversicherung werden neben dem durch die Beitragszahlungen abgedeckten Lebensunterhalt im Alter die folgenden Leistungen mitfinanziert: arbeitsmarktbedingte Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten, vorgezogene Altersrenten, Berufsbildungszeiten und Anrechnungszeiten des Studiums, Krankenversicherung der Rentner, Kindererziehungszeiten sowie Zuschläge für Ostrenten. Diese Aufzählung verdeutlicht, daß viele Leistungen entgegen dem Äquivalenzprinzip nicht zuvor durch Beitragszahlungen erworben wurden. Als Ausgleich für die zu finanzierenden sogenannten „versicherungsfremden Leistungen” wird die Rentenversicherung nicht nur von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch, sondern zudem vom Bund aus Steuermitteln finanziert – zu bedenken ist jedoch daß nicht eindeutig geklärt ist, welche Leistungen als „versicherungsfremd” einzustufen sind.

Die demographischen Veränderungen – d.h. für die Finanzierung der Rentenversicherung: die Verschlechterung des Verhältnisse: der Anzahl von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern, die steigende Lebenserwartung und die damit einhergehende längere Inanspruchnahme von Rentenbezügen – sowie das im Durchschnitt niedrige Rentenzugangsalter (59 Jahre) führten 1992 zur Rentenreform. Ziel dieser Reform ist es, sprunghaft ansteigende Beitragszahlungen zu verhindern. Dies soll neben einigen anderen Maßnahmen vornehmlich erreicht werden durch eine Anhebung der Altersgrenze. Diese Maßnahme hat einen doppelten Entlastungseffekt: Die Zahl der Beitragszahler steigt bei gleichzeitig sinkender Zahl der Rentenempfänger. Zweitens wird der Rentenanspruch bei vorzeitiger Pensionierung pro Jahr um 3,6 Prozent verringert. Bei gleichzeitigem Interesse der Unternehmen, junge Arbeitnehmer zu beschäftigen, geht diese Maßnahme auf Kosten der dem formellen und informellen Druck ausgesetzten und / oder Frühinvaliden Erwerbstätigen. (Zu alternativen Modellen der Neuorganisation der Alterserwerbstätigkeit s. Bäcker / Nägele 1993.) Schließlich hat drittens die Nettolohnbezogenheit der Rente einen nicht unerheblichen „Schatteneffekt” zur Folge. Sie trägt zur Herabsetzung der Rentenbezüge bei, wenn entweder die Lohnsteuer oder die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer erhöht werden.

Trotz der Reformbemühungen ist ein neuerliches Reagieren auf die Progression der Rentenbeiträge notwendig geworden. Ende des letzten Jahres setzte die Bundesregierung eine Rentenreformkommission unter der Leitung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Norbert Blüm, ein. Ohne die Details der Erörterungen der Rentenkommission aufzuzählen, lassen sich unübersehbar zentrale Entwicklungstendenzen ausmachen: Die Lebensarbeitszeit soll zum einen früher als in der Rentenreform 1992 vorgesehen heraufgesetzt werden, um einerseits den Rentenquotienten zu verbessern und andererseits einem möglichen Arbeitnehmermangel ab dem Jahr 2010 frühzeitig vorzubeugen. Zum zweiten ist eine deutliche Schlechterstellung künftiger Rentenbezieher unter den bestehenden Bedingungen zu erwarten: Die heutigen jungen Erwerbstätigen zahlen mehr in die Rentenkasse ein und werden später weniger Rente herausbekommen im Vergleich zur jetzigen Rentenhöhe. Der Auszahlungsbetrag soll von 70% des Nettolohnes auf ca. 63% im Jahr 2030 sinken. Bedenkt man zudem, daß immer weniger Arbeitnehmer die Mindestzahl von 45 Beitragsjahren zum Erhalt der vollen Rente aufweisen können, so wird deutlich, daß betriebliche und private Versicherungen in Zukunft als Ergänzung zur gesetzlichen Rentenversicherung an Bedeutung gewinnen werden. Eine private Vorsorge wird jedoch um so schwerer, je größer die Steuerbelastungen werden. Setzt die Rentenkommission ganz offensichtlich auch auf private Vorsorgemöglichkeiten für das Alter, so ist es erforderlich, daß die Steuer- und die Rentenpolitik aufeinander abgestimmt werden. Belasten beide die Erwerbstätigen, so sinkt das Rentenniveau unaufhaltsam und geht für viele auf das Sozialhilfeniveau zu.

Bei allen diskutierten Maßnahmen geht es letztlich um die Kürzung der (zukünftigen) Renten und um die Erhöhung der Beitragssumme insgesamt durch eine Anhebung der Anzahl der Einzahlenden und / oder eine Anhebung des Beitragssatzes für jeden einzelnen.

Trotz der aufgezeigten Misere spricht in einer individualisierten Gesellschaft vieles dafür, die gesetzliche Rentenversicherung in ihren Grundzügen aufrechtzuerhalten. Sie garantiert im Alter Sicherheit und entpflichtet die jüngere Generation moralisch von ihrer Fürsorgepflicht. Das bestehende System muß jedoch reformiert werden, wenn es finanzierbar bleiben soll: es besteht unübersehbar Handlungsbedarf.

In der Diskussion um die Rentenversicherung werden – ungeachtet der bereits herausgestellten arbeits- und rentenpolitischen Priorität, die hohe Arbeitslosenzahl zu verringern – verschiedene Reformvorschläge kontrovers erörtert. Es gibt jedoch keine bedenkenlos umsetzbare Globallösung. Einige Vorschläge sollen im folgenden kurz angesprochen werden: Die Diskussion um „versicherungsfremde Leistungen” ist voranzutreiben, um diese Leistungen nicht der Rentenversicherung und damit den Beitragszahlern weiterhin unhinterfragt aufzubürden.

Die Beiträge für die Renten könnten sich darüber hinaus stärker personenunabhängig aus der Wertschöpfung der Betriebe ergeben. Das hätte den Vorteil, dass personenintensive Bereiche, wie z.B. der Dienstleistungsbereich, finanziell entlastet und produktionsorientierte und maschinenintensive Betriebe stärker an der Rentenfinanzierung beteiligt würden. Erhöht würde mit dieser Maßnahme jedoch die Wahrscheinlichkeit, daß noch mehr Betriebe ins Ausland abwandern.

Weiterhin wäre es möglich, mittels einer bevölkerungsdynamischen Rente die Anzahl der Kinder zu berücksichtigen. So könnte verhindert werden, dass Frauen, die zwar viele Kinder großgezogen haben, jedoch keine Rentenbeiträge einzahlen konnten, eine Rente unter Sozialhilfeniveau erhalten. Im Zusammenhang mit der Anerkennung von Erziehungsjahren für die Rente ist hier zu denken an die Einführung einer „Familienkasse”.

Des weiteren wird über die Finanzierung der Pensionen von Beamten zu diskutieren sein. Auch sie werden einen Beitrag zur Finanzierung ihrer eigenen Ruhegelder leisten müssen.

Zudem wird die steigende Lebenserwartung und die damit einhergehende längere Inanspruchnahme der Rente in die Rentenformel eingerechnet werden müssen.

Quer zu den Reformen auf der Basis der Prinzipien des bestehenden Versicherungssystems wird auch die Möglichkeit einer steuerfinanzierten Grundrente gekoppelt mit einer privaten Altersvorsorge, die nach dem Kapitaldeckungsverfahren funktioniert, erörtert (vgl. Miegel, in: FR, 6.2.1997). Zu bedenken ist jedoch bei einem Systemwechsel, dass die derzeitigen Beitragszahler einer doppelten Belastung ausgesetzt werden: Sie müssen das staatliche Versprechen einlösen, die bestehenden Rentenansprüche zu sichern, und zugleich ihre eigene Rente (privat) finanzieren.

Bei allen Vorschlägen ist zu berücksichtigen, dass die zu erzielenden Einsparungen, um nichts anderes geht es letztlich, sozialverträglich bleiben. Ziel der Maßnahmen muß es m.E. sein, die Bedürftigen quer zu den Generationen zu entlasten. Nicht die Rente der verwitweten alten Frau, die am Sozialhilfeniveau lebt – und davon gibt es nicht wenige –, darf in Frage gestellt und weiter gesenkt werden, wohl aber die Höhe der Bezüge derjenigen alten Menschen, die nicht wissen, wie sie ihren finanziellen, für ihren Lebensunterhalt unnötigen Überschuss am effektivsten anlegen sollen. Angesichts einer angeblichen „Diskussion ohne Tabus” zur Sicherung der Finanzierbarkeit des sozialen Sicherungssystems ist es doch erstaunlich, daß z.B. der Vorschlag, die Beitragsbemessungsgrenzen aufzuheben und zugleich die Höhe der Renten nach oben zu begrenzen, um nicht finanzierbare Rentenansprüche zu verhindern, kaum erörtert wird.

Die Rede vom „Krieg der Generationen” lenkt ab vom eigentlich anstehenden Verteilungskampf quer zu den Generationen: das voranschreitende Auseinanderfallen der Schere zwischen Reichen und Armen ist zu verhindern.

Ein Generationenvertrag, der für eine solidarische Verteilung der Rentenbezüge Sorge trägt, ist notwendig. Zwar gibt es rentenpolitischen Handlungsbedarf, aber es muß angesichts des bestehenden Veränderungsdrucks nicht zum Zusammenbruch des System kommen. Zur Lösung der anstehenden Probleme ist es notwendig, dass Konfliktpotential nüchtern ins Auge zu fassen und Dramatisierungen, die das Diskussionsklima unnötig anheizen, zu vermeiden. Die Anstrengungen können nur gemeinsam, und das heißt in diesem Zusammenhang intergenerativ, erfolgreich unternommen werden. Die gewagte konstruktive Auseinandersetzung schafft Kultur. Politik in einer alternden Gesellschaft ist Politik für alle Lebensalter: Das Kapital der Solidaritätsbeziehungen sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, sondern im Gegenteil Ausgangspunkt der Überlegungen sein.

Die medizinische Beobachtung des körperlichen Abbaus im Alter und die genetische Begründung der Abnahme körperlicher Leistungsfähigkeit haben sehr früh in der gerontologischen Theoriebildung zum sogenannten Defizit-Modell geführt: Im Vergleich zum jungen Erwachsenenalter nehme die Leistungsfähigkeit auf geistiger und körperlicher Ebene mit zunehmendem Alter ab. Diese These steht in engem Zusammenhang mit der Annahme daß der Rückzug alter Menschen aus der Gesellschaft sowohl ihnen zur gewünschten Ruhe verhelfe und der Vorbereitung auf den Tod diene, als auch für das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der Gesellschaft notwendig sei (Disengagement). Diese Überlegungen konnten durch die Bonner Altersforschung ir den 70er/80er Jahren eindeutig widerlegt werden. Diese wies in einer Längsschnittstudie nach, daß auch größere körperliche und sensorische Einschränkungen kompensiert werden können. So ist es durchaus möglich, im gerontologischen Sinn „erfolgreich zu altem” (Kompetenzmodell). Im Anschluß an die Bonner Altersforschung wird u.a. die Differenziertheit des Alters betont: „Den” alten Menschen gibt es nicht. Vielmehr lassen sich biographisch und sozialisatorisch bedingte, geschlechts- und auch schichtspezifische Unterschiede des Lebens im Alter ausmachen. Altem als Prozeß ist demnach zu unterscheiden nach unterschiedlichen Entwicklungsverläufen zwischen unterschiedlichen Personen (interpersonal), zudem auch nach unterschiedlichen Potentialen verschiedener Funktionsbereiche innerhalb einer Person (intrapersonal) und schließlich nach dem Lebensalter. Die Berliner Altersstudie hat die These des englischen Historikers Peter Laslett vom Entstehen des „dritten Lebensalters” bestätigt und inhaltlich ergänzt um ein „viertes Lebensalter” (Mayer/-Baltes u.a. 1996, S.631). Die meisten alten Menschen erfreuen sich einer relativ stabilen Gesundheit bei einer guten finanziellen Absicherung bis zum 80./ 85. Lebensjahr. Mit dem „dritten Lebensalter”, das, so Laslett, der Selbsterfüllung des Menschen auf der Grundlage seiner finanziellen und persönlich-sozialen Errungenschaften diene, ist im Alter eine Lebensphase mit einer neuen Lebensqualität entstanden.

Auch die Beschreibung des Strukturwandels des Alters durch den Soziologen Hans Peter Tews legt eine Differenzierung des Alters u.a. nach Lebensabschnitten nahe. Tews charakterisiert die Veränderungen des Alters mit den Begriffen: Verjüngung, Hochaltrigkeit, Feminisierung, Singularisierung und Entberuflichung. Niemand käme auf die Idee, alle Menschen zwischen dem 1. und 30. Lebensjahr soziologisch unter einen Sammelbegriff zu subsumieren. Die Differenziertheit des Alters rechtfertigt eine derartige Kategorie auch nicht für Menschen vom 60. bis 90. Lebensjahr. Das Leben ab dem 60. Lebensjahr hat sich nicht nur in quantitativer, sondern v.a. auch in qualitativer Hinsicht verändert.

Historisch gesehen ist grundlegend neu, daß es für relativ viele Menschen ab dem 60./65. Lebensjahr eine Phase gibt, in der sie körperlich und geistig vergleichsweise leistungsstark, finanziell abgesichert und zudem von gesellschaftlichen, beruflichen und sozialen Verpflichtungen frei sind oder sich freimachen können, ca. 25% der Menschen im Alter von 60-75 Jahren machen diese Gruppe der „neuen Alten” aus: Sie begegnen uns beispielsweise als Reiselustige im Ausland, als Studierende an den Universitäten oder als sozial Engagierte.

Die „neuen Alten” unterstreichen, daß traditionelle Sichtweisen vom Alter — alte Menschen seien hinfällig und pflegebedürftig, lästig und unproduktiv — gründlich korrigiert werden müssen. Ausgangspunkt der Überlegungen zum Verhältnis zwischen jungen und alten Menschen muß ein neues Altenbild sein. Alte Menschen sind nicht nur Leistungsempfänger, deren Not durch staatliche oder karitative Einrichtungen gelindert werden muß, sondern auch kompetente BürgerInnen und KonsumentInnen, die ihre Lebenslage selbst bestimmen und zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Lebensführung wählen können. Sie bringen sich nicht nur als Wähler, sondern auch als kulturelle Mitgestalter und nicht zuletzt als Geldgeber und Erblasser ins Spiel.

Angesichts der Diskrepanz zwischen der einseitigen Betrachtung alter Menschen unter sozialökonomischen Gesichtspunkten auf der einen Seite und der vielfältigen, unbeachteten ehrenamtlich inner- und außerfamilialen Aktivitäten alter Menschen auf der anderen Seite titelte die tageszeitung am 19.2.97: „Eins ist sicher: Die Rentner sind sauer. RentnerInnen arbeiten auch: Ehrenamtlich und engagiert. Mehr noch als die Rentenkürzungen ärgert sie, daß sie als Last der Gesellschaft diskriminiert werden.”

Unsere Gesellschaft braucht m.E. die Potentiale alter Menschen. Dazu bedarf es neuer Formen demokratischer Beteiligung bis ins Alter hinein. Ein Vorbild könnte diesbezüglich Dänemark sein. Dort ist die Mitbestimmung von alten Menschen in Seniorenbeiräten seit Januar 1996 gesetzlich geregelt.

Die Rhetorik vom „Krieg der Generationen” ist wahrscheinlich nur möglich, weil es keine kulturellen, geschweige denn gesetzlich geregelten, intergenerativen, demokratischen Aushandlungsverfahren gibt. Hierbei ist jedoch weniger an eine Verlängerung ausgeübter Funktionen einzelner politisch Aktiver bis ins hohe Alter hinein zu denken — beispielsweise in Seniorenabteilungen der Parteien oder in Stadtbeiräten. Vielmehr können politische Aktivbürgerschaften der Gesellschaft Impulse geben (vgl. Kohli/Neckel/Wolf 1997, S.22): neue Formen des intergenerativen Austausches und der Aktivität alter Menschen müssen ortsbezogen, prozeßhaft, dialogisch, kreativ, themen- und projektbezogen und gleichsam basispolitisch gefunden werden (vgl. auch Schmidt/Schweppe 1995).

Die Angst vor der Übermacht alter Menschen und das Gerede vom „Krieg der Generationen” sind nicht nur faktisch in dieser Einseitigkeit unbegründet, sie verstellen auch — und das ist folgenreicher — den Weg für die Vorstellung eines intergenerativ gestalteten, d.h. nicht nur Jugend fixierten Gemeinwesens. Denn in der Tat: Das kulturelle und soziale Potential alter Menschen ist durch die einseitige gesellschaftliche Wertschätzung ökonomisch verwertbarer Leistungen noch gar nicht ins Blickfeld geraten. Eine Öffnung der ökonomisch und leistungs- fixierten Interpretation von Produktivität wird eine vertiefte Wertschätzung der Fähigkeiten alter Menschen zur Folge haben. „Man wünscht dem Thema (der Beziehung zwischen den Generationen, H.M.) endlich unverstellte Neugier und Wahrnehmungsfreude, denn es reizt doch eigentlich ungemein, sich eine Gesellschaft vorzustellen, die nicht mehr Jugend fixiert und altersvergessen, sondern anders ist” (Stephan 1996, S.53).

Die vielfältigen Produktivitätspotentiale der „neuen” Alten geben allen Grund, Demokratisierungsbemühungen voranzutreiben bis ins hohe Alter. Die sozial gerontologischen Ausführungen und die rentenpolitischen Erörterungen laufen auf einen gemeinsamen Zielpunkt hinaus: Es wird wichtig sein, Lösungen mit den alten Menschen gemeinsam zu finden.

Literatur

Bäcker, Gerhard/Naegele, Gerhard: Geht die Entberuflichung des Alters zu Ende? – Perspektiven einer Neuorganisation der Alterserwerbsarbeit. In: Naegele, Gerhard/ Tews, Hans Peter (Hrsg.): Lebenslagen im Strukturwandel des Alters. Alternde Gesellschaft – Folgen für die Politik. Westdeutscher Verlag: Opladen 1993, S.135-15

Bäcker, Gerhard/Ebert, Thomas: Zukunft des Sozialstaates. Defizite und Reformbedarf in ausgewählten Bereichen der sozialen Sicherung. Hrsg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, satz+druck gmbh: Düsseldorf 1996

Behrend, Christoph: Krieg der Generationen statt Generationenvertrag – ein realisitisches Szenario?. In: Sozialer Fortschritt 11, 1996, S.264-268

„Eine Grundversorgung widerspricht dem Leistungsprinzip”. Vorschläge der Kommission „Fortentwicklung der Rentenversicherung” und ein Sondervotum. In: Frankfurter Rundschau 31, 6. Februar 1997, S.12

Gronemeyer, Reimer: Die Entfernung vom Wolfsrudel. Über den drohenden Krieg der Jungen gegen die Alten. Claassen: Düsseldorf, 2. Auflage 1989

Kohli, Martin/Neckel, Sighard/Wolf, Jürgen: Krieg der Generationen? Die politische Macht der Älteren. In: Studienbrief 7 zum Funkkolleg Altern, TC Druck: Tübingen 1997, Studieneinheit 20

Lohse, Eckart: „Gib mir eine Zukunft, Opa, und ich bezahle deine Rente”. In der jungen Generation greift Angst um sich. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 1.11.1996

Mayer, Karl Ulrich/Baltes, Paul B. u.a.: Wissen über das Alter(n): Eine Zwischenbilanz der Berliner Altersstudie. In: Dies. (Hrsg.): Die Berliner Altersstudie. Akademie Verlag Berlin 1996, S.599-634

Perina, Udo: Der konstruierte Konflikt. In: ZeitPunkte. Keine Angst vor dem Alter. Der Krieg der Generationen findet nicht statt. Zeitverlag 1, 1996, S.54-56

Rürup, Bert: Hält der Generationenvertrag? Soziale Sicherung im Alter. In: Studienbrief 6 zum Funkkolleg Altern, TC Druck: Tübingen 1997, Studieneinheit 16

Schmidt, Roland/Schweppe, Cornelia: Zur Entwicklung und Profilierung Sozialer Altenarbeit im offenen Bereich. In: Hedtke-Becker, Astrid/Schmidt, Roland: Profile Sozialer Arbeit mit alten Menschen. „Weiße Reihe” des Deutschen Zentrums für Altersfragen e.V.: Berlin; Frankfurt am Main 1995, 5.135-157

Schwartz, Rolf Dietrich: Junge Menschen in der Gesellschaft der Greise? Arbeitslose und Erwerbstätige bestimmen die Rentenproblematik weit mehr als die Alterspyramide. In: Frankfurter Rundschau, 31, 1997

Stephan, Cora: Droht ein Krieg der Generationen? In: ZeitPunkte. Keine Angst vor dem Alter. Der Krieg der Generationen findet nicht statt. Zeitverlag 1, 1996, S.50-53

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