Themen / Sozialpolitik

Licht am Ende des Tunnels?

31. Oktober 1991

Von sozialer Ausgrenzung zum neuen kulturellen Modell

aus: vorgänge Nr. 113 (Heft 5/1991), S. 96-114

Diese Gesellschaft – zumal die alte Bundesrepublik Deutschland – hat sich auch unterhalb des Zentralereignisses in den achtziger Jahren, der staatlichen Vereinigung, wohl entwickelt: und als ob eine Politgrafik Klaus Staecks aus dem Bundestagswahlkampf 1972 – Die Reichen müssen noch reicher werden – nun wirtschaftspolitisch ins Werk gesetzt wurde, zeichneten sich im vergangenen Jahrzehnt in der Tat die Umrisse einer Zweidrittelgesellschaft ab: (1) jener zwei Drittel, die wohl leben können. Und jenes unteren Drittels, das zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel hat. Und auch wenn diese Gesellschaft heute empirisch noch keine Zweidrittel -, sondern eine Vierfünftel gesellschaft ist: die sozialen Gräben zwischen den Reichen, den gut und besserverdienenden einerseits und den – alten oder neuen – Armen, den wenig oder gar nicht verdienenden, sind breiter geworden.
Natürlich sind heute schon unterhalb der großen Menschheits- und Überlebensprobleme –  Weltkriegsgefahr, atomarem Holocaust, einer zu mehr als zwei Dritteln hungernden Weltbevölkerung und der ökologischen Umweltkatastrophe – sowohl im deutschen Westen als auch im neuen deutschen Osten neue Konflikte, Probleme und Spaltungslinien sichtbar. Insofern wirft auch das Jahr Zweitausend seine innergesellschaftlichen Schatten: es geht um Armut und Arbeitslosigkeit, um soziale Ungerechtigkeiten, erhebliche Einkommensunterschiede, Bevölkerungs-, Versorgungs- und Rentenprobleme infolge zunehmender Veralterung, sinkender Nachkommenschaft und damit grundsätzlich angelegter Generationsverwerfungen. (2) Es ging – und geht – um berechtigte Ansprüche von Frauen auf erfülltes ganzes Leben. Und auch die Wanderungsbewegungen von Millionen Flüchtlingen werden, als typische Notwanderungen von arme in reiche Gesellschaften, um die erweiterte Bundesrepublik keinen Bogen machen. Sondern zusätzlich zu weiteren Binnenwanderungen von Deutschland Ost nach Deutschland West voraussichtlich dramatisch anwachsen.
Nicht nur weltweit – auch in der Bundesrepublik Deutschland selbst hat die Arbeitslosigkeit – genauer: Erwerbslosigkeit in Verbindung mit Unterbeschäftigung – zugenommen. Doch Arbeitslosigkeit – Massenarbeitslosigkeit zumal – scheint in der alten Bundesrepublik nach wie vor kein die öffentliche Diskussion dominierendes Thema. Auch, wenn sie hierzulande seit gut 15 Jahren im Gefolge der weltweiten Ölkrise fortdauert. Und nun auch millionenfach und schneller als zunächst erwartet in die fünf neuen Länder einziehen wird: Von vier Millionen bis zum Jahresende 1991 ist inzwischen die Rede … In den alten Ländern gibt es aktuell knapp zwei Millionen Betroffene. Wird das Dunkelfeld, die amtlich Verschwiegenen, einbezogen, sind zwischen drei und vier Millionen Menschen arbeitslos: ein gesellschaftliches Skandalon ersten Ranges. Denn auch wenn sie massenhaft und millionenfach auftritt: Arbeitslosigkeit heißt noch immer Ausschluß in mehrfacher Weise. Ausschluß von Arbeit, von Konsum, soziale Ausgrenzung und Diskriminierung, Isolation, familiäre Konflikte, verminderte Ausbildungs-, Handlungs- und Lebenschancen. Auch ist diese Gesellschaft nicht nur Konsumgesellschaft und schon gar kein Konsumparadies für alle. Sie ist nach wie vor eine privatwirtschaftlich verfaßte – auch kapitalistisch genannte – Arbeitsgesellschaft – selbst wenn ihr zunehmend die Arbeit ausgeht. Erwerbsarbeit, hauptsächlich bezahlte Lohnarbeit, steht im Zentrum und bestimmt auch das gesellschaftliche System von Werten, Tugenden, Normen und Einrichtungen. Und wesentlich die Möglichkeiten – oder Unmöglichkeiten – der Teilhabe aller einzelnen am gesellschaftlichen Reichtum. Damit auch Ansehen, Rang, Prestige, kurz: sozialen Status. Wer keine Arbeit hat – meinen Betroffene -, hat das Leben auch schnell satt: ohne Moos nix los.
Arbeitslosigkeit meint nicht nur weniger und wenig Geld zum Leben. Arbeitslosigkeit ist, weil jede industrielle Markt- und Konsumgesellschaft immer schon eine entwickelte arbeitsteilig organisierte Erwerbsgesellschaft ist, Ausschluß von bezahlter Arbeit und setzt so eine soziale Ausgrenzungsspirale in Gang, deren Endpunkt noch lange nicht das Sozialamt oder die Obdachlosigkeit sein muß.
„Kein Eigentum haben”, schrieb die politische Philosophin Hannah Arendt vor 30 Jahren über die soziale Ordnung der mittelalterlichen Ständegesellschaft, „hieß, keinen angestammten Platz in der Welt sein eigen zu nennen, also jemand zu sein, den die Welt nicht vorgesehen hatte.“ (3) Diese Kennzeichnung gilt auch für jede industriell entwickelte Gesellschaft – nur daß es nicht zum Eigentum, sondern um bezahlte Erwerbsarbeit geht. Und hier und heute als jemand, der arbeiten will, keine Arbeit zu haben – das heißt: keinen angemessenen Platz in der Welt zu haben, also jemand zu sein, den diese Arbeitsgesellschaft nicht vorgesehen hat.

Der politische Umgang mit der Arbeitslosigkeit bestätigt diese These, zumal Arbeitslose keine starke Lobby haben und Politik gegen Arbeitslosigkeit hierzulande typischerweise Politik gegen die Arbeitslosen war und ist; mit erweiterten Zumutbarkeitsregelungen, Leistungskürzungen, Aussonderungen aus dem Kreis von Leistungsempfängern. (4) Diese Politik gegen Betroffene wird auch im letzten „Datenreport” des Statistischen Bundesamtes deutlich: „Von den Arbeitslosen, die Ende September 1988 gemeldet waren, bezogen 39,1 Prozent Arbeitslosengeld und 22,2 Prozent Arbeitslosenhilfe. Damit betrug der Anteil der Leistungsberechtigten unter den Arbeitslosen im September 1988 rund 69 Prozent. 1982 lag die Quote der Leistungsberechtigten noch bei 76 Prozent. Insgesamt hat also fast jeder dritte beim Arbeitsamt registrierte Arbeitslose weder Anspruch auf Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe. Hinzuzurechnen ist die gesamte „stille Reserve”, die sich in dem Bewußtsein, keine Leistungen beanspruchen zu können, erst gar nicht beim Arbeitsamt meldet. Unter diesen Personen sind viele Berufsanfänger, die noch keine Gelegenheit hatten, durch Beitragszahlungen Leistungsansprüche zu erwerben. Sie sind entweder auf die Unterstützung durch Angehörige oder auf Sozialhilfe angewiesen.“

Nur folgerichtig, wenn es an anderer Stelle dieses amtlichen Berichts aus der alten Bundesrepublik zur Sozialhilfe heißt: „Von 1970 bis 1987 stieg die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 110 Prozent. In den letzten Jahren kamen vor allem Arbeitslose hinzu, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe (mehr) haben.” Und weiter: „1987 wurden 27,6 Milliarden DM im Rahmen der Sozialhilfe ausgegeben, darunter 25,2 Milliarden DM für die Sozialhilfe im engeren Sinn (nach dem Bundessozialhilfegesetz). Die Sozialhilfe im engeren Sinn umfaßt die Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Hilfe in besonderen Lebenslagen. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung erhielten 1987 von den männlichen Einwohnern 4,7 Prozent, von den weiblichen Einwohnern 5,5 Prozent Sozialhilfe. Von den 3,1 Millionen Sozialhilfeempfängern waren 862000 unter 18, 390000 18 bis 24, 1 249 000 25 bis 59 Jahre und 635000 60 Jahre und älter. Die 2,3 Millionen Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt verteilten sich 1987 auf insgesamt 1,4 Millionen Haushalte. Damit wurde 1987 jedem 19. Haushalt mindestens für einen Monat Sozialhilfe gewährt; 1975 war es nur jeder 37. Haushalt. Als hauptsächliche Ursache für die Inanspruchnahme von Sozialhilfe gaben 1987 31,5 Prozent der Haushalte Arbeitslosigkeit an. 1980 waren es erst knapp 10 Prozent.”
Diese Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz mit seinem Leitmotto „Hilfe zur Selbsthilfe” werden nach von Betroffenen als entwürdigend empfundenen sogenannten Bedürftigkeitsprüfungen „gewährt” – wobei dieses verwaltungsbürokratische Wörtchen nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß auf Sozialhilfe, sei’s zum Lebensunterhalt, sei´s zur Unterstützung in besonderen Lebenslagen, jeder einzelne und jede einzelne einen einklagbaren Rechtsanspruch hat. Dabei soll die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt die Grundbedürfnisse des alltäglichen Lebens befriedigen – zum Beispiel, wenn Renten, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe allein dies nicht vermögen. Hilfe in besonderen Lebenslagen hingegen dient der aktuellen Unterstützung in besonderen sozialen Notfällen. Sozialhilfe soll als Unterstützungsform für Bedürftige also verhindern, daß betroffene Arme absolut verelenden. Wer sich freilich die auch von den Wohlfahrtsverbänden seit Jahren als zu niedrig bewerteten konkreten Regelsätze anschaut, weiß oft wirklich nicht, wie hier ohne private oder verwandtschaftliche Zusatzhilfe oder sogenannte Schwarzarbeit ein Überleben ohne weitere Verarmung und schließliche Verelendung möglich sein kann. Konkret gesprochen: die Regelsätze zum Lebensunterhalt spannten vom Spitzensatz von monatlich 424 DM für den Haushaltsvorstand – in Berlin – bis zum Schlusslicht Saarland mit monatlich 403 DM 1988. Im gewichteten Mittel der damaligen Bundesländer also 411 DM. Dazu kämen beispielsweise bei einer vierköpfigen Familie für die Ehefrau und Mutter im Bundesdurchschnitt 329, für ein Kind älter als 12 Jahre 308 DM und ein kleineres zweites Kind 267 DM monatlich, macht zusammen 1315 DM pro Monat – zum Leben. Dazu kann sowohl die Miete übernommen werden als auch in Einzelfällen gelegentlich ein Zuschuß, zum Beispiel für Kinderkleidung im Winter, beantragt und „gewährt” werden.
Die amtlichen Zahlen können natürlich nicht die subjektive Seite der Betroffenheit Sprechen machen. Sie verdeutlichen aber – als Zahlen -, daß allein von 1975 bis 1987 die Haushalte, die Hilfe zum Lebensunterhalt bekamen, verdoppelt wurden.

Diese seitdem weiter anhaltende Entwicklung von Armut ist gewiß kein Zufall. Sondern auch Ergebnis einer neu-liberalen Wirtschaftspolitik und insofern in der Marktlogik selbst angelegt – geht es doch um Freisetzung der Marktkräfte und Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben. Der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler nannte diese Politik Ende der siebziger Jahre griffig: Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Aber: Dieses marktradikale Märchen klang denn doch zu schön, um wahr zu werden. Wohl gab es steigende Unternehmensgewinne, Export- und Handelsbilanzüberschüsse, schließlich hohe Kapitalexporte – aber in Sachen Massenarbeitslosigkeit keine Wende. Und die im letzten Jahrzehnt geschaffenen neuen Arbeitsplätze waren nicht selten befristet, untertariflich bezahlt oder Stundenjobs ohne Lohnsteuerkarte und Sozialabsicherung (bis heute 490 DM pro Monat). Und auch wenn sich in den letzten beiden Jahrzehnten bei Abnahme der gesellschaftlichen Arbeitsmenge um ein Fünftel das Bruttosozialprodukt etwa verdoppelte – 1988 etwa 32 000 US-Dollar pro Kopf -, so haben die sozialen Kluften nicht ab-, sondern zugenommen. Die Einkommensschere zwischen Besser- und Schlechterverdienenden auch innerhalb der abhängig Beschäftigten, der Arbeitnehmerschaft, ist immer größer geworden. Und die Einkommen derer, die von Armut und Verelendung, Wohnungsnot und Dauererwerbslosigkeit betroffen sind, sinken im Verhältnis zu den anderen vier Fünftel der Erwerbsbevölkerung seit Jahren.
Dabei sind die Ende 1990 knapp vier Millionen Sozialhilfeempfänger nur etwa die Hälfte aller, die bedürftig sind und berechtigt wären, Sozialhilfe als ständige oder gelegentliche Unterstützung zu beantragen. Die Dunkelziffer beträgt auch heute noch – so der Freiburger Sozialwissenschaftler Baldur Blinkert zutreffend in einer Modellrechnung – etwa 50 Prozent. Und die bundesdeutsche Armut und Verelendung ist vor allem weiblich. Das merkt Frau, wenn sie geschieden ist und, ohne erwerbstätig werden zu können, Kinder zu erziehen hat. (5)

Gesellschaftspolitisch bedeutet dies: daß immer dann, wenn das zweite hauptsächliche Armutsrisiko – Scheidung – auftritt, auch gesicherte Mittelstände bedürftig und arm werden können. Und inzwischen wird hierzulande jede Dritte Ehe brüchig und schließlich geschieden. Was Armut in einer reichen Gesellschaft für Betroffene konkret bedeutet ist in den letzten beiden Jahren von zwei Forschergruppen ausführlich dokumentiert worden: die Studie des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes heißt ,,… wessen wir uns schämen müssen in einem reichen Land …“ (6), die Studie einer mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund zusammenarbeitenden Forschergruppe trägt den Titel „Armut im Wohlstand“. (7) Bei den Materialien unterliegt ein sozialwissenschaftliches Verständnis von Armut: es geht nicht um absolute Verelendung wie zu frühkapitalistischen Zeiten. Sondern um soziale Bedürftigkeit und Ausgrenzung. Um relative Armut also, die immer an den vorhandenen gesellschaftlichen Möglichkeiten gemessen wird – um relative Deprivation. Der britische Armutsforscher Peter Townsend hat sie so beschrieben: „Mangel oder Knappheit an Nahrungsmitteln, Annehmlichkeiten, Verfügungsrechten, Dienstleistungen oder Teilhabechancen, die sonst in der Gesellschaft allgemein verbreitet sind und daher als alltäglich gelten. Sobald die finanziellen oder andere Mittel fehlen und dadurch Menschen gehindert werden, als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu leben, leben sie in Armut.“ (8)
Und für die Betroffenen gilt, was der Politikwissenschaftler Claus Offe vor 20 Jahren in einem Beitrag zur „politischen Herrschaft” beschrieb: ihre – berechtigten – Interessen sind schwer organisations- und gewiß nicht konfliktfähig: „Eine Reihe von Status- und Funktionsgruppen” – so Offe – „ist zwar organisationsfähig, aber nicht konfliktfähig, jedenfalls nicht in den Grenzen des institutionell vorgesehenen Konfliktverhaltens. Beispiele sind die Gruppen der Hausfrauen, der Schüler und Studenten, der Arbeitslosen, der Pensionäre, der Kriminellen und Geisteskranken und der ethnischen Miniritäten. Die Bedürfnisse dieser Gruppen sind mit verminderter Durchsetzungskraft ausgestattet, weil sie am Rande oder außerhalb des Leistungsverwertungsprozesses stehen und ihnen daher das Sanktionsmittel einer ins Gewicht fallenden Leistungsverweigerung nicht zur Verfügung steht.“ (9)

Dies trifft jedenfalls für die Interessenvertretung arbeitslos gemachter Menschen zu: es gab und gibt, nicht nur in Deutschland, keine selbstbewußte gemeinschaftliche Interessenvertretung von Erwerbslosen. Versuche, diese im Osten Deutschlands zu schaffen, dürften an der strukturellen Erfolglosigkeit einer sozialen Bewegung von Arbeitslosen wenig ändern. Zumal – hüben wie drüben – die Betroffenen infolge ihrer zwangsweisen Ausgrenzung alle Kraft aufs Überleben und ihre Alltagsbewältigung richten müssen, eine längerfristige politische Perspektive so nicht entwickelt werden kann und schließlich die große Gruppe Arbeitsloser in sich vielfältig geschichtet ist und immer weiter unterschichtet wird. (10)  Kein Wunder, daß mit Ausnahme einiger Langzeitarbeitsloser mit gewerkschaftlichen oder politischen Handlungserfahrungen die weitaus meisten Betroffenen versuchen, sich als einzelne an den Arbeitsmarkt – einen Käufermarkt – anzupassen, um wieder Anstellungen zu finden. Das meint freilich: die Krise des Arbeitsmarktes wird individualisiert und die Ausgrenzungsspirale muß individuell ausgehalten werden, oft mit den bekannten und zuletzt in zwei neuen sozialwissenschaftlichen Studien in Erinnerung gerufenen Folgen von Angst, Verunsicherung, Isolation, Selbstzweifeln, Aggressivität, Alkoholismus, Resignation, Verzweiflung, Mutlosigkeit, schließlich persönlichen und familiären Identitätskrisen und psychischen oder somatischen Erkrankungen. Und daß dies auch heute noch für diejenigen von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen gilt, die sich nach wie vor auf die Arbeitsgesellschaft ausrichten und glauben, ohne Arbeit nichts wert zu sein und als Arbeitslose nicht leben zu können, verdeutlichen die Veröffentlichungen über „Familiäre Konsequenzen ökonomischer Deprivation” von Sabine Walper (11) und zum „Familienleben in der Arbeitslosigkeit“, herausgegeben von Hans Schindler, Ali Wacker und Peter Wetzels. (12) Gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse aus Arbeitsmarkt und Erwerbsleben und besonders die soziale Ausschließung in Form des Erst-Gar-Nicht -Hereinlassens ins Arbeitsleben (13) sind für alle Betroffenen existentiell: abhängige Arbeit zur Lebenssicherung und Persönlichkeitsentwicklung wird objektiv ein knappes wirtschaftliches Gut und subjektiv zunehmend schwieriger, prekär, unmöglich; Selbstverwirklichung über bezahlte Lohnarbeit uneinlösbar.

Dies ist die subjektive Seite von Arbeitslosigkeit. Sie betrifft im besonderen heute Fünfundzwanzig- bis Dreißigjährige, also die, die auch Kinder der Mitte der 70er Jahre beginnenden und bis heute anhaltenden Arbeitsmarktkrise genannt werden – eine verlorene Generation?
Was daraus für Lebenspläne folgen kann, hat eine Bremer Forschungsgruppe um Rainer Zoll schon in 1984 bis 1986 durchgeführten und jetzt veröffentlichten Interviews mit um 1960 geborenen jungen Leuten erfahren. Die paradoxen gesellschaftlichen und persönlichen Lebenslagen, die sich aus der Krise der Arbeitsgesellschaft und der Arbeitsmarktlage ergeben, deuten, so der Untertitel des Buchs „Nicht so wie unsere Eltern!“ (14) auf eine Unterströmung hin, die als neues kulturelles Modell gilt: aus den dort publizierten Interviewteilen wird anschaulich, daß – und warum – alte Formen von Arbeitsorientierung, Beruf, Lebensweise, Lebenssinn und Lebensplan nicht mehr greifen können. Und daß für diese – gewiß – Minderheiten innerhalb der jungen Generation gesellschaftliche Teilhabe als Vergesellschaftung über bezahlte abhängige Arbeit und Berufsorientierung nicht mehr wirksam ist. Die Interviews zeigen in dichter Beschreibung den Umriß einer Gruppe junger Erwachsener im Umbruch. Für sie scheint lediglich eines noch zu gelten: „Die Normalität der Herausbildung einer Lohnarbeiteridentität gibt es tendenziell nicht mehr.“ (15) Und damit gilt auch nicht mehr, was in den älteren Generationen immer schon griff und, auch heute noch, für die Mehrheit der Jüngeren gilt: das Hauptsache-Ich-habe-mein-Arbeit-Prinzip. (16)

Auflösung der Normalarbeit meint auch in der Arbeitsgesellschaft Auflösung der Normalbiographie: die durch Arbeitsmarktindividualisierung, Rationalisierung und Automatisierung, schließlich durch neue Technikanwendung bei bestehender Ungleichverteilung von Eingangsvoraussetzungen und Arbeitsmenge begünstigte Auflösung von Normalität der Erwerbsgesellschaft deutet auf ein neues kulturelles Modell hin, in dem neue Lagen, Interessen und Bedürfnisse aufscheinen; in diesem Neuen Kulturellen Modell – so die Kernthese der Bremer Forscher – steht nicht mehr das alte Leistungs- und Arbeitsethos mit Disziplin und Verzicht, also jene dem Geist des Kapitalismus entsprechende protestantisch-calvinistische Askeseethik im Mittelpunkt – sondern: ein anderer, eher lustvoll-ichbezogener Sozialtyp, der von Bedürfnissen nach Kommunikation, Selbstverwirklichung und Ich-Selbst-Sein-Wollen bestimmt ist. Die ersten Umrisse dieses alternativen Lebenstyps finden sich bei – noch relativ kleinen – Gruppen der seit 1960 geborenen.“ (17)

Was zunächst und oberflächlich als Wiederaufleben der alten Boheme erscheinen mag – Max Weber nannte diesen Typus ebenso verächtlich wie unzutreffend Kaffeehausliteraten -, ist aber eher ein neuer Individualismus. Er ist zunächst aus der Not der Arbeitsgesellschaft, der zunehmend die Arbeit ausgegangen ist und die gerade junge Menschen ausschließt, geboren. Inzwischen erscheint die Not aber immer mehr Jüngeren zugleich als Tugend und Hoffnung auf neue Möglichkeiten menschlicher Existenz und persönlicher Identität jenseits der arbeitsgesellschaftlichen Zwänge: Kommunikation und Alltagssolidarität, so Rainer Zoll, sind die Medien der Verwirklichung. Der amerikanische Volkssänger Pete Seeger ironisierte unter dem Beifall der damals sensiblen Teile heute 40 bis 50-Jähriger die vorgestanzten Karriereschritte im Leben der Mittelklasse als ,Little boxes: Heute, eine Generation später, reden Jugendliche verächtlich vom ,rate race` – jenem gnadenlosen beruflichen Konkurrenzkampf in der industriell hochentwickelten Erwerbsgesellschaft, an dem sie zunehmend weniger teilnehmen wollen oder können. Es ist als habe die Mitte der sechziger Jahre angesagte große Verweigerung nun neue – weniger politische als individuelle – Anknüpfungspunkte und Ausdrucksformen gefunden und entwickelt.
Einer Nur -Arbeitslosigkeitsforschung, die sich vorwiegend mit Fragen wie Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Familie, Ehe, Kinder etc. beschäftigt, werden diese neuen Trends entgehen. Sobald aber die subjektive Seite der Erwerbslosigkeit – und damit auch die sehr vielfältigen Formen des Bewältigungshandelns in depravierten Lebenslagen – ernst genommen wird -, dominiert nicht mehr die bloße Opfersicht. Das wird auch in einer österreichischen Studie über individuelle Strategien und familiäre Verarbeitungsmuster von Arbeitslosigkeit deutlich: neben Gefährdungen – Statusverlust, Identitätskrisen, dem Zerfall von Zeitstruktur und tiefer Enttäuschung – in seelischer und Einschränkungen in finanzieller Hinsicht bei der Mehrheit der arbeitsgesellschaftlich orientierten Betroffenen gab es auch Mitte der achtziger Jahre in Österreich eine kleinere Gruppe, vielleicht eine wachsende Minderheit aller, die zwischen 25 und 40 Jahre alt, berufserfahren und relativ gut ausgebildet, vorübergehend ausstiegen und unter reduzierten Lebensbedingungen das versuchten, was sie immer schon machen wollten. Dieses Teilergebnis der Studie von Rainer Münz und Monika Pelz im Auftrag des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung zeigt damit, daß der neue hedonistische Sozialtyp keine neue deutsche Besonderheit ist. (18)

Wenn nun der subjektive Lebenssinn und die individuelle Lebensperspektive nicht mehr oder noch nicht im Streben nach bezahlter Erwerbsarbeit liegen wie bei einigen Befragten der Bremer Studie – dann macht dieses neue kulturelle Modell nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv einen Sinn. Denn gerade für die besondere Risikogruppe der sogenannten Langzeitarbeitslosen ist die Wegorientierung auf bezahlte – wenn und weil doch noch nicht oder nicht mehr erreichbare – Lohnarbeit, Beschäftigung und Anstellung ein wesentlicher Schutzwall, der zum Überleben beiträgt. Mit der sozialwissenschaftlichen Streßforschung gesprochen: „Aus der Sicht des einzelnen bilden überkommene Werte und Verhaltensorientierungen Herausforderungen oder Belastungen, insbesondere wenn, durch rapiden sozialen Wandel bedingt, soziokulturelle Inkonsistenzen oder Widersprüche zwischen weithin akzeptierten Werten und tatsächlich abgeforderten Verhaltensweisen entstehen. In einem solchen Widerspruch sind zum Beispiel die Arbeitslosen einer ,Arbeitsgesellschaft` gefangen. Die Schaffung eigener ,alternativer‘ Subkulturen und informeller Beziehungsnetze können unter diesen Bedingungen streßtheoretisch als kollektive Schutz- und Bewältigungsversuche zur interpersonellen Stabilisierung abweichender ldentitäten gedeutet werden. Vorhandensein oder Schaffung einer selbstwertstabilisierenden sozialen Umwelt ist eine wichtige Bedingung persönlichen Selbstvertrauens.“ (19)

So gesehen, wird auch die subjektive Seite von Arbeitslosigkeit – gerade langanhaltender – angesprochen und sinnvoll gedeutet. Dies meint auch die Absage an das vorherrschende Paradigma naturwissenschaftlicher Prägung: denn natürlich reagieren wir als Menschen nicht wie Ratten mechanisch auf vorgegebene Objekte. Und auch Arbeitslose sind keine Organismen oder Objekte, die als Reaktionsdeppen nur versorgt oder beforscht werden wollen, sondern als – wenn auch depravierte – Menschen mit Bewußtsein ausgestattete und zu vielschichtigem Empfinden, Planen und Handeln grundsätzlich fähige Individuen. Jede Opfersicht, auch wenn sie sich mit wohlmeinenden Appellen an die Regierenden oder wen auch immer wendet, verkennt diesen Zusammenhang: denn Menschen müssen sich nicht nur reaktiv zu Objekten verhalten, sondern können entsprechend ihrer anthropologischen Ausstattung als Gattungswesen aktiv – und manchmal sogar produktiv – Wirklichkeit aneignen, verändern – und so neue Wirklichkeit schaffen. (20)

Die bereits erwähnte Studie von Rainer Zoll und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern veranschaulicht Brüche in der Erwerbsgesellschaft. Dadurch, daß sie die um 1960 Geborenen ausführlich zu Wort kommen läßt und das, was sie sagen und wie sie es sagen, als Ausdruck für absichtsvolles und sinnhaftes Handeln deutet, werden spurenhaft neue Aneignungsweisen von Lebenswirklichkeiten und Lebensformen deutlich, die über die herkömmliche Ausrichtung aufs bloße Überleben und damit die Fragestellung der traditionellen Arbeitslosenforschung hinausgehen. Damit steht – natürlich – das arbeitsgesellschaftliche System selbst im Mittelpunkt. Dies nun heißt, daß das System des in sich vielfältig zerklüfteten Arbeitsmarktes und damit die sozial genannte Marktwirtschaft selbst zunehmend ihre eigene tiefgehende Sinn- und Strukturkrise geschaffen hat. Das ist nicht zufällig bei den heute 25 bis 30Jährigen spürbar und verweist auf neue lebensweltliche Ansprüche und Handlungsfelder innerhalb dieser Alters- und Generationsgruppen.
Insofern kann die Studie auch als Herausforderung an die Gesellschaft und ihre öffentliche Sozialwissenschaft verstanden werden. Und zwar unabhängig davon, ob die Deutung der Forscher nicht in einer Hinsicht unzulässig verallgemeinert: denn was als neues kulturelles Modell erscheint – ist zunächst Ausdruck einer tiefliegenden Krise des alten Lebensmodells von Normalarbeit und Normalbiographie. Im Interviewmaterial jedoch wird deutlich, daß es der Bremer Forschergruppe gelungen ist, etwas zu versuchen, das die grande dame der internationalen Arbeitslosigkeitsforschung, Marie Jahoda, einmal so ausdrückte: „to make invisible things visible” – das Unsichtbare sichtbar machen“ (21)

Wenn nun die schon zu Beginn der achtziger Jahre sichtbaren Entwicklungsprozesse der neuen Techniken im Produktions-, Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich und ihre zunehmend beschleunigte praktische Anwendung im beginnenden Jahrzehnt angemessen beschrieben worden sind, dann entwickelt sich eine Doppeltendenz oder Polarisierung immer weiter: einmal zur Erhöhung der Tätigkeitsbereiche und -anforderungen bei Beschäftigten. Und zum anderen – und gleichzeitig – die weitere Automatisierung gering qualifizierter Tätigkeiten. (22) Was zur Substitution gering qualifizierter Arbeit durch weitere Automatisierung entsprechender Tätigkeiten führt. Erwerbslosigkeit in doppelter Weise: erstens Entlassung – vorwiegend älterer – Beschäftigter. Und zweitens Nichtbeschäftigung – vorwiegend jüngerer – Unterbeschäftigter, bestätigt also den Prozeß der Ausgrenzungsspirale aus der bezahlten Arbeit in der marktwirtschaftlich verfaßten Erwerbsgesellschaft – wodurch sich im übrigen in der entwickelten industriellen Gesellschaft marktwirtschaftlichen Typs die Tendenz der immer weiter fortschreitenden Ersetzung von lebendiger Arbeit durch vergegenständlichte Arbeit in Form von Maschinen, Automaten und neue – rationalisierende, also lebendige Arbeit einsparende – Technik verstärkt durchsetzt. Und sofern nicht politisch bewußtes Eingriffshandeln in die Marktprozesse verändert ein – genauer: das – allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation fröhliche Urständ‘ feiert: „Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierend Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats” – so Karl Marx -, „desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee, desto massenhafter die konsolidierte Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Das ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfaltige Umstände modifiziert.“ (23)

Resultat dieses allgemeinen Prozesses sind dann gewiß zunächst jene bekannten jugendlichen „Warteschleifen”: Aber sie können – auf Dauer – nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Krisengeschehen allgemeiner und tiefgreifender ist. Denn Folge der Akkumulationsentwicklung selbst ist gerade für einen – tendenziell größer werdenden – Teil der nachrückenden Generationen mit begrenztem Arbeitsvermögen der dauerhafte Ausschluß aus der Arbeitsgesellschaft überhaupt. Dies wäre dann in der Tat eine „Klasse der von der Arbeit erfolgreich abgedrängten Unmündigen” (Lars Clausen) (24) – oder wenn man sozial-pädagogischen Erfahrungsberichten folgt: „eine wachsende Schicht von Jugendlichen, für deren Vermögen es keine entsprechende Arbeit mehr gibt” (Hermann Giesecke). (25) Diesem neuen sozialen Tatbestand ist auch nicht dauerhaft mit einer wie immer ausgelegten sogenannten „Qualifizierungsoffensive” zu begegnen: denn einmal war und ist das Ausbildungssystem „nicht nur ein Qualifikations-, sondern auch ein Selektionsprozeß. Umgekehrt garantiert Bildung nicht in gleichem Maße wie früher adäquate Positionen” im Erwerbsleben. (26) Und zum anderen ist der „Prozeß der relativen Entwertung von Bildungseinrichtungen und -gängen, deren Mechanismen zur Zugangs- und Abgangsrationierung nicht mehr ausreichend gut funktionieren, so daß nunmehr lediglich notwendige Bedingung einer privilegierten gesellschaftlichen Position ist, was bisher hinreichende Bedingung war“ (27) in den Arbeitsmarkt der Marktwirtschaft strukturell eingelagert und insofern ein grundlegendes Dilemma für alle nachrückenden Generationen jenseits aktueller konjunktureller Entwicklungen.

Dies ist der entscheidende Grund für die – objektive und subjektive – Entwertung des alten kulturellen Modells der Arbeitsgesellschaft. Insofern gibt das seit Mitte der achtziger Jahre spurenhaft aufscheinende neue kulturelle Modell mit seinen konturenhaften Ansprüchen auf erfülltes Leben auch bei Nichterwerbsarbeit Doppelsinn: subjektiv für Betroffene, die zu Recht vom Arbeitsmarktsystem wenig oder überhaupt nichts mehr erwarten – zumal auch denkbare größere Umbauaktionen des Erwerbssystems, die diesen Namen verdienen, nicht in Sicht oder politisch durchsetzbar scheinen: also radikale Umverteilung von bezahlter Arbeit bis hin zur Vier-Tage-Woche mit 20-Stunden-Regelarbeitszeit als aktuelle Forderung. Ein neues, wie auch immer im einzelnen ausgeprägtes kulturelles Lebensmodell, das sich aus der Falle der alten Arbeitsgesellschaft befreit, macht auch Sinn mit Blick auf die in jeder real-existierenden Gesellschaft notwendigen Vergesellschaftungsprozesse: und wenn für zunehmende Betroffenengruppen Vergesellschaftung über bezahlte Lohnarbeit in der Erwerbsgesellschaft nicht mehr möglich ist und zukünftig noch weniger möglich wird – dann sind in der Tat alternative Formen der Organisation von Gesellschaft überhaupt nötig. Und damit auch andere Werte und Tugenden außerhalb des Komplexes der protestantischen Verzichtsethik und neue Normen und Einrichtungen bis hin zur radikalen Neubewertung von unbezahlter und Nichtarbeit nötig (28) – es sei denn um den Preis weiterer Ausgrenzung und noch größeren Ausschlusses wachsender Betroffenengruppen und damit einhergehender zunehmender sozialer Spaltungen, die vermutlich eine soziale Klasse neuer Paupers schafft – „aufgeschlossen für Brot und Spiele.“ (29)

Und genau dies ist die heute schon absehbare Botschaft, die als Herausforderung, auch an politisches Eingriffshandeln, im sogenannten neuen kulturellen Modell aufscheint. Hier wird nicht nur – wenn auch zunächst nur spurenhaft – der auch von einer Göttinger Forschungsgruppe im Projekt „Jugend und Krise” hervorgehobene „grundsätzliche Entwicklungsbruch im Vergesellschaftungsmodus” mit seinen auch in die Arbeitswelt überstrahlenden neuen Subjekt- und Sinnansprüchen sichtbar, (30) sondern auch, wenn und insofern gerade bei Jugendlichen mit weniger Handlungskompetenzen und Lebenschancen nicht erwartet werden kann, daß diese sich mit dem Münchhausen Effekt selbst helfen können, die Erfordernis sozialpädagogischer Handlungsermutigungen deutlich. (31)  So gesehen, ist die gerade Jugendliche treffende Krise der Arbeitsgesellschaft auch die Stunde von Pädagogen, die nicht entsprechend dem alten Modell abrichtend zu erziehen sondern vielmehr unterstützend zu ermutigen haben. Und daß hier sowohl materielle als auch ideelle Unterstützungen nötig sind gerade für jene „da unten” dürfte ebenso einsichtig sein wie der sonst wirksame Matthäi-Effekt, der da lautet: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er Fülle habe. Wer aber nicht hat, dem wird genommen, was er hat.“ (32)
Einer der Pädagogen, der einerseits die Gunst der Stunde nutzen will und andererseits die Not der Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit auch als Chance für neue, ganzheitliche Lebensentwürfe versteht, ist der frühere Bildungsreferent des nordrhein-westfälischen Landesjugendrings und heutige Professor für Erziehungswissenschaft an der Bremer Hochschule, Franz Josef Krafeld. Auch er bewertet die bisherige Forschung zur Arbeitslosigkeit im allgemeinen und zur Jugendarbeitslosigkeit im besonderen als defizitär: sie präsentiere nämlich immer wieder eine Palette von Negativwirkungen und trage nichts zur besseren Lebensbewältigung der Menschen, die von Erwerbslosigkeit bedroht oder betroffen sind, bei. Im Gegenteil: diese Forschung „verstärkt die Eindrücke von Ausweglosigkeit und untermauert gleichzeitig die Bindung an das berufszentrierte Lebensmodell“. (33)
Dem setzt der Autor ein neues lebens-, betroffenen und subjektgerichtetes Alternativkonzept von Anders-Leben, von „Erfahrungsproduktion als subjektgeleitetem Prozeß” entgegen. Und weil sich, so Krafeld, das „Ende der berufsfixierten Epoche der industriellen Arbeitsgesellschaft” unwiderruflich abzeichnet – soll sein neues pädagogisches Modell, ohne erhobenen Zeigefinger und festes Zukunftswissen, subjektzentrierte Such- und Erprobungsprozesse in Gang setzen, die eigene Erfahrungsproduktion von Jugendlichen ermöglichen und durch Austausch untereinander zur Stärkung der eigenen Stärken und zu-gleich zur Schwächung der eigenen Schwächen bei der praktischen Lebens- und Zukunftsbewältigung beitragen helfen. (34)

Dieser alternative pädagogische Ansatz wurde erstmalig in einem Modellversuch in der Arbeit mit Bremer Arbeitslosen und Arbeitsloseninitiativen erprobt: im Mittelpunkt stand die Bewältigung eines arbeitsgesellschaftlich beschädigten Lebens, in dem für die Betroffenen zumindestens auf absehbare Zeit keine Erwerbsarbeit vorhanden ist, über die ihr Leben gesichert, ihr Alltag strukturiert und ihrer Existenz Sinn gegeben werden kann. Dies führt zu einem „ganzheitlichen” Ansatz, bei dem nicht mehr das Hauptproblem ist, daß bezahlte Erwerbsarbeit fehlt, sondern: es geht um Versuche, auch ohne Arbeit wo und wie immer möglich bewußt zu leben, also auch arbeitslos das Alltagsleben zu bewältigen und nach persönlicher Selbstverwirklichung zu suchen. (35) Die zahlreichen organisierten Treffs waren Kommunikationsorte für Erfahrungsaustausch betroffener Arbeitsloser. Es ging um Alltagslernen und darum – so der Autor -, „daß Menschen lernen, ihre eigene Lebensrealität, ihren eigenen Lebensalltag besser zu begreifen und daraus subjektgeleiteter und selbstbewußter eigene Handlungsmöglichkeiten zu entfalten.“ (36) Das entscheidende Erfolgskriterium war aber nicht die Leute, wie auch immer, wieder in Lohn und Brot zu bringen, sondern den Arbeitslosenalltag mit seinen vielen Ausgrenzungs-, Versagens- und Entbehrungserfahrungen als neuen, selbständigen Lebens- und Handlungszusammenhang zu verstehen, der auch in depravierter Lage eigenständige Lern-, Entwicklungs- und Entfaltungsprozesse ermöglicht. Dies setzt natürlich voraus, daß die Betroffenen ihre Lage als Arbeitslose anerkennen und sich mit ihr aktiv als Subjekte auseinandersetzen, daß sie sich also, pädagogisch ausgedrückt, auf ihre Arbeitslosigkeit einlassen.
Freilich: auch dort, wo die praktische Hilfe zur lebensbewältigenden Selbsthilfe in sozial schwieriger Lage gelang, wollten die Betroffenen, so Franz Josef Krafeld zusammenfassend, „im Prinzip am liebsten wieder voll in das konventionelle Muster von Erwerbsarbeit integriert werden, wenn sich nur eine entsprechende Möglichkeit dazu bietet.” Und weiter: „Insofern ist ein ,Abschied von Erwerbsarbeit‘ als allgemeines Phänomen sicherlich nicht festzustellen, sondern zeigen sich ,lediglich` unterschiedliche Elemente einer wachsenden Brüchigkeit von der bedingungslosen und völlig unkritischen Unterwerfung unter sämtliche Anforderungen und Maximen herrschender Muster von Erwerbsarbeit.“ (37)

Die lebensweltliche Ausrichtung auf das System Arbeitsgesellschaft also erscheint weitgehend ungebrochen. Lediglich ihre teilweise Relativierung ist das neue, aber noch nicht aufs subjektive Ende der Arbeitsgesellschaft hinweisende Moment. Und dies kann im Grunde auch gar nicht anders sein, weil die subjektiven Orientierungen immer noch an die objektiven Strukturen gebunden sein müssen, ihnen also nicht vorauseilend weglaufen können. Möglich hingegen ist eine letztlich auch durch die Krise der Arbeitsgesellschaft bedingte Flexibilisierung und Verflüssigung der Lebensweisen und Lebenspläne. Und diese ist vor allem dann nötig – und sinnvoll -, wenn Arbeitslosigkeit von den Betroffenen praktisch bewältigt werden muß – zumal es hier gilt, wenigstens zeitweilig die Fixierung auf Lohnarbeit und Anstellung abzubauen. Oder in den Worten eines Betroffenen: „daß es einfach auf Dauer nix bringt, sich zehn oder zwanzig Jahre lang dreimal die Woche zu bewerben und drei Mal in der Woche ’ne Ablehnung zu riskieren.“ (38)
Das sozialwissenschaftlich wichtige Hauptergebnis der Bremer Projektstudie verweist auf einen Widerspruch: einerseits trifft – gleichsam objektiv – zu, daß das „Ende der berufsfixierten Epoche der industriellen Arbeitsgesellschaft” heute schon absehbar ist. Andererseits ist – auf der subjektiven Seite und auch bei von Arbeitslosigkeit betroffenen jüngeren – noch heute ein „,Abschied von Erwerbsarbeit‘ als allgemeines Phänomen sicherlich nicht festzustellen”. Dieser Widerspruch mag verstanden werden gleichermaßen als Ergebnis der weitgehend ungebrochenen Vorherrschaft des Systems ,Arbeitsgesellschaft` über die Lebenswelt ,Arbeitslosigkeit` und führt, so gesehen, die immer noch wirksame ,systemische Kolonialisierung` der Lebenswelt vor. (39) Zugleich verbietet dieser empirische Befund natürlich die so naheliegende wie verführerische Verallgemeinerung des Neuen Kulturellen Modells als heute schon praktisch einlösbarer Lebensweise. Der Widerspruch selbst ändert aber nichts daran, daß der bundesdeutsche Arbeitsmarkt wie in anderen entwickelten industriellen Erwerbsgesellschaften eine Erosionskrise der Arbeitsgesellschaft selbst geschaffen hat und die zunehmende Auflösung von Normalarbeitsbiographie und damit biographischer Normalität überhaupt hervorbringt. (40)

Das heißt aber auch: im Sinne zukünftiger selbstbewußter Erfahrungsproduktion ist eine Zukunfswerkstatt ‚Neues Kulturelles Lebensmodell‘ so nutzlos nicht. Geht es doch heute schon um Beiträge, die über die breite empirische Vorherrschaft von Arbeitsgesellschaft als System hinausweisen können. Oder, mit Robert Jungk: um Entwürfe für eine „neue Zivilisation.“ (41) Dies hat, parallel zum vorgestellten Projekt „Leben ohne Arbeit”, Franz Josef Krafeld in seinem Buch „Anders leben lernen. Von berufsfixierten zu ganzheitlicheren Lebensorientierungen” versucht. (42)  Diskutiert werden wenigstens erste allgemeine Umrisse neuer Lebensentwürfe für eine Zukunft, in der der Arbeitsgesellschaft, auch wenn es viel zu tun gäbe, die bezahlte Erwerbsarbeit zunehmend ausgeht. Und daß diese lebensweltlichen Zukunftsentwürfe sicherlich nicht heute oder morgen im Ganzen praktisch lebbar sein können, verdeutlicht schon die Nuance des Autors im Untertitel: nicht um ganzheitliche – sondern um ganzheitlichere Lebensorientierungen geht es. Sein engagiertes Plädoyer für neue, ganzheitlichere Lebensentwürfe nimmt die Diskussion um die Struktur- und Erosionskrise von Arbeitsmarkt und Arbeitsgesellschaft auf, bündelt die allgemeine marktwirtschaftliche Entwicklungstendenz als „sinkenden Bedarf an nachwachsenden – verwertbaren – Arbeitskräften” und betont den vollzogenen Bruch zwischen Ausbildungs- und Beschäftigungssystem: „Ohne qualifizierenden Abschluß ist die berufliche Zukunft nicht nur unsicher, sondern nahezu gänzlich verbaut. Ausbildungsabschlüsse sind einerseits immer weniger hinreichend dafür, andererseits aber immer notwendiger, um sich biographische Optionen auf Integration ins Erwerbsleben zu erschließen. Die statuszuteilende Funktion von Ausbildung hat sich entscheidend verändert. Sie ebnet nicht mehr Wege, sondern eröffnet lediglich unsichere Chancen. (43)

Und die kritische Durchmusterung der Ergebnisse bundesdeutscher Arbeitslosenforschung gibt erste Hinweise auf eine mögliche Folge dieser neuen Betroffenenlage für die da draußen vor der Tür der bezahlten Erwerbsarbeit. Ihnen, den jüngeren, spricht Krafeld nicht nur die Fähigkeit zu sinnvollem Leben zu. Der Autor will vielmehr gerade denen, die bisher vor allem als Opfer der Arbeitsgesellschaft beforscht und verwaltet wurden, eine optimistische, aktive, ganzheitlichere Lebensperspektive jenseits des berufsfixierten Modells auf den Weg bringen. So gesehen, kann Arbeitslosigkeit auch zur Handlungschance werden – auch wenn dies selbst von den Betroffenen nicht gesehen oder abgelehnt wird. Denn die jüngeren Arbeitslosen, auch wenn sie wie die älteren mehrheitlich auf bezahlte Erwerbsarbeit ab- und ausgerichtet sind, „haben für sich selbst bisher nie erfahren, ob dieses Lebenskonzept für sie auch tatsächlich tragfähig ist. Sie stehen vielmehr heute vor der Frage, ob oder wann sie sich jemals stabil auf dieses Lebenskonzept stützten können und ob überhaupt mit eigenen Bemühungen noch eine stabile Realisierung dieses Lebenskonzepts gesichert werden kann.“ (44) Und im Gegensatz zu jenen älteren, die nicht mehr gebraucht werden, haben diese jüngeren, die noch nicht gebraucht wurden, „durchweg bisher kein auf Erwerbstätigkeit gegründetes Persönlichkeitsbild, keine soziale und personale Identität im Rahmen berufsfixierter Wertvorstellungen erfolgreich entwickeln” können. (45)
Damit liegt in der Tat die Frage nahe: ob Erwerbsarbeit und Beruf denn im Leben wirklich alles sein können. (46) Und diese Sinnfrage stellt sich immer dann, wenn junge Leute auf die Schattenseite der Zwei-Drittel-Gesellschaft abgedrängt werden in Form von lebensweltlichen, alltagsbezogenen Suchprozessen in einer – so Krafeld – „nach wie vor völlig ungebrochen berufsfixierten Öffentlichkeit, in der junge Menschen zunehmend zwischen Sinnmangel und Anpassungsdruck eingekeilt werden.“ (47) Die erfahrungsbezogenen Suchprozesse, für die der Autor plädiert, können dabei nicht nur gegenwartsorientiert, sondern müssen darüber hinaus auch zukunftsbezogen sein, weil die Zukunft dieser Betroffenen „immer weniger die Verlängerung vergangener Tendenzen” sein kann und auch die Subjektivierung sozialer Probleme („Umdefinition gesellschaftlicher Problemlagen zum Problem Jugendlicher“)(48) an Grenzen stößt. Dies meint, daß alle neuen Formen von Erfahrungsbildung und Suchen nach lebbaren Alternativen „die Lebensbewältigung riskanter” macht und auch „riskantere Verhaltensweisen” erfordert. (49)
Bevor Franz Josef Krafeld dann im einzelnen thesenhafte Zugänge zum Lebenlernen mit neuen „bruchhaften Lebensverläufen” skizziert – macht der Autor auf einen Widerspruch aufmerksam, der auch schon bei der Szenen und Alternativbewegung der siebziger und achtziger Jahre sichtbar wurde, den Mittelstandsbonus: „Ein gesteigerter Existenzsicherungsdruck erschwert solche Suchprozesse gerade in unteren sozialen Schichten. Denn diese sind dauernd von Marginalisierung bedroht, haben nicht wie privilegierte bürgerlicher Schichten ein Ensemble sozialer, materieller und qualifikationsmäßiger Auffangnetze im Hintergrund. Das führt zu dem scheinbaren Paradox, daß heute diejenigen Schichten Jugendlicher am ehesten weiterhin auf berufsfixierte Lebenskonzepte ausgerichtet sind, bei denen eine entsprechende Integration am stärksten grundsätzlich gefährdet ist, während sich eher ganzheitliche Lebensentwürfe am ehesten bei solchen Schichten herausbilden, die aufgrund ihrer sozialen Lage und ihrer Bildung davon ausgehen, sich jedenfalls im Notfall immer noch erfolgreich z.B. mit Jobben u.ä. durchschlagen zu können.“ (50)
So gesehen, erscheint gerade mit Blick auf die wichtigsten Adressaten, ,die da unten`, die Entwicklung und Erprobung alternativer neuer Lebensorientierungen wie das Einfache, das so schwer zu machen ist. An der Dringlichkeit, auch für sie eine Perspektive von individueller (Über-)Lebensfähigkeit und gemeinschaftlicher Gesellschaftsfähigkeit zu entwickeln – also Soziabilität zu stiften -, hält Franz Josef Krafeld fest. Und weiß natürlich, daß gerade heute Lebensfähigkeit und Gesellschaftsfähigkeit in depravierter Milieus und Gruppen zunehmend auseinanderfallen. (51)

Die folgenden Thesen des Autors, denen Hinweise auf erste praktische Ansätze und Erfahrungen aus den Bremer Arbeitslosenprojekte folgen, (52) versuchen den gesetzten Anspruch, oft tastend in jedem Fall meist empirisch ungeschützt, in Form eines thesenhaften Zugangs als Lernziele im Alltag und zur Bewältigung des Alltags mit Lebenslauffragmenten einzuholen und im Sinne einer praxisbezogenen „Lebenswissenschaft” zu profilieren. Im Mittelpunkt der hier im einzelnen nicht zu diskutierenden Hinweise, Anregungen und Denkanstöße steht dabei die Abwendung von einer zunehmend perspektivloser gewordenen und immer weiter sinnloser werdenden Berufsfixierung und die Hinwendung zu neuen subjekt- und alltagszentierten Handlungsstrategien. Ein – vielleicht das wichtigste – „Lernziel” dürfte dabei der Risikokomplex sein: also zu lernen, in dieser wunden Welt der Brüche Risiken zu erkennen, zu bewerten, abzuwägen und sie schließlich aktiv zu bewältigen. Es dürfte dies zugleich wohl das praktisch schwierigstes Lernfeld sein – scheint doch der allgemeine Individualisierungsdruck unserer Zeit immer auch mit dem Sicherheitsbedürfnisdruck ein herzugehen. (53)  Aber gerade wenn und weil dies so ist – könnte sich gerade in diesem Feld die Bedeutsamkeit des Anders-Leben-Lernen-Plädoyers von Franz Josef Krafeld erweisen. 
Die so begründeten und angerissenen Konturen eines neuen Lebensmodells sind damit vorgestellt. Ob, wie, wann und in welchen Formen sich diese – oder vergleichbare – Entwicklungen, Perspektiven und Vorhaben werden verwirklichen lassen – das ist weder eine sozialwissenschaftliche noch eine sozialpädagogische Frage. Sondern eine eminet praktische Angelegenheit sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft überhaupt.
So wenig sich sozialer Fortschritt im gesellschaftlichen Durchschnitt vollziehen kann – ist im Jetzt und Hier ein rascher und gesellschaftliche durchgreifender Paradigmenwechsel von Lebensmodellen und Lebenspraxen Vieler zu erwarten. So daß mehrheitlich denn wohl auch kaum berufsfixierte von ganzheitlichen Lebensperspektiven und Lebensmodellen abgelöst werden (können). Zu erwarten sind eher – auch in Franz Josef Krafeld Wortkonstruktion: ganzheitlicher aufgespeicherte – Zwischenformen und Zwischenlagern, die, oft auch zeitlich verschoben, mehr oder weniger flexibel das eine mit dem anderen und das alte (berufsfixierte) mit dem neuen (ganzheitlichen) verbinden, mixen oder amalgieren.
Ohne daß wie bisher – und dies scheint mir entscheidend – das eine (alte) gegen das andere (neue) kulturelle Lebensmodell ausgespielt wird. Und wenn das zukünftig wenigstens eine wichtige gesellschaftliche Unterströmung würde – könnte auch drohenden und absehbar erweiterten sozialen Spaltungstendenzen (der „Zweidrittelgesellschaft“) wirksam begegnet werden.

Wie immer ein sich abzeichendes Neues Kulturelles Modell mit stärker ganzheitlichen Lebensperspektiven im einzelnen bewertet werden mag – wichtig scheint mir, daß hier antizipierendes Bewußtsein, das immer schon  zur anthropologischen Grundausstattung des Menschen als Gattungswesen gehört, mobilisiert wird, um eine neue und andere Zivilisation vorzustellen. In diesem Sinn enthält, was mit neuem kulturellen Modell und mit ganzheitlichen Lebensorientierungen gemeint ist, etwas, das der österreichische Romancier Robert Musil in der Schlüsselmetaphar „Möglichkeitssinn“ beschrieb. Es kann nämlich auch (fast) alles anders sein: „Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, […] dann muß es auch etwas geben, dass man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen […]. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken, und das was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ (54)
Antizipierendes Bewußtsein (Ernst Bloch) ist gerade in Umbruchzeiten als Mobilisator für Handlungen jenseits von Tradition und Gewohnheit nicht zu unterschätzen. Es ist grundsätzlich offen. Und es ist immer dann gefragt, wenn – so die Lageskizze Franz Josef Krafelds – „die Brüchigkeit bisher als stabil geltender Handlungs- und Lebenskonzepte zwar herausgearbeitet, aber kein neues ,ganzheitliches` Konzept angeboten werden kann.“ (55)

Verweise

1 vgl. Friedrich Hengsbach, Beteiligungdefizite im nationalen Einigungsprozeß. In: Symposium´90. Markt und Kultur, hrg. von  
Heinrich A. Henkel. Regensburg 1991 ( = Kölner Schriften zur Sozial- und Wirtschaftspolitik 15), S. 59 – 80
2 vgl. genauer Franz-Xaver Kaufmann, Zukunft der Familie. Stabilität und Stabilisitätskrisen und Wandel der familiären
Lebensformen sowie ihre gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. München 1990 ( = Perspektiven und Orientierungen.
Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes 10), hier S. 73ff.
3 Hannah Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München-Zürich 5. Auflage 1987 ( = Serie Piper 217), S. 60
4 vgl. Eckart Reidegeld, 15 Jahre Arbeitslosenversicherung und Arbeitsmarktpolitik bei Massenarbeitslosigkeit – Rückblick auf
einen Leidensweg. In: Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung, 44 (1990) 5, S. 129 – 137, sowie grundlegend die Beiträge von Christoph Büchtemann, Rolf G. Heinze (Hrg.), Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft. Ffm. 1984 ( = edition suhrkamp 1 212), S. 53 – 188
5 vgl. Baldur Blinkert, „Familienanalytische Studie“. Eine Untersuchung über die zunehmende Belastung des Stadtgebiets von
Freiburg mit sozialen Problemen. Forschungsbericht des Freiburger Instituts für angewandte Sozialwissenschaft, Freiburg / Br.
1988; sowie zusammenfassend und pointiert ders., Kriminalität als Modernisierungsrisiko? Das „Hermes“-Syndrom der
entwickelten Industriegesellschaften. In: Soziale Welt, 39 (1988) 4, S. 397 – 412
6 Ulrich Schneider u.a., „… wessen wir uns schämen müssen in einem reichen Land …“ – Armutsbericht des Paritätischen  
Wohlfahrtsverbandes für die Bundesrepublik Deutschland. In: Blätter für Wohlfahrtspflege, 11 / 12, 1989
7 Dieter Döring u.a. (Hrg.), Armut im Wohlstand. Ffm. 1990 ( = edition suhrkamp 1595)
8 Peter Townsend, Poverty in the United Kingdom. Harmondsworth 1979; vgl. Richard Albrecht, Not macht erfinderisch und
Hunger macht skrupellos. Über Armut und Sozialpolitik. In: Sozialer Fortschritt, 39 (1990) 10, S. 241 – 244
Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstruktur. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme. In: Gisela Kress /
Dieter Senghaas (Hrg.), Politikwissenschaft. Eine Einführung in ihre Probleme. Ffm. 1969 ( = kritische Studien zur
Politikwissenschaft), S. 155 – 189
9 Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstruktur. Zur Analyse spätkapitalistischer  Gesellschaftssysteme. In: Gisela Kress / Dieter Senghaas (Hrg.), Politikwissenschaf. Eine Einführung in ihre Probleme. Ffm. 1969 ( = kritische Studien zur Politikwissenschaft),    S. 155 – 189
10 vgl. Ali Wacker, Massenarbeitslosigkeit als Politisierungspotiential – der schwierige Lebensprozess. In: Probleme des Klassenkampfs, 35 / 1979, S. 49 – 66; sowie grundlegend Büchtemann, op. Cit.;      S. 53 – 105
11 Sabine Walper, Familiere Konsquenzen ökonomischer Deprivation. München-Weinheim 1988 ( = Fortschritte der psychologischen Forschung 2); vgl. dies. / Rainer K. Silbereisen, Arbeitslosigkeit und Familie. Auswirkungen ökonomischer Deprivation durch Arbeitslosigkeit auf die Familie und Entwicklungsperspektiven ihrer Mitglieder. In: Rosemarie Nave-Herz / Manfred Markefka (Hrg.), Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Bd. I: Familienforschung. Neuwied-Ffm. 1989, S. 535 – 557; Hans Schindler u.a., Die Familie in der Arbeitslosigkeit. Bremen o.J. [1988] ( = Schriftenreihe der Angestelltenkammer Bremen); sowie Bernhard Blanke u.a., Großstadt und Arbeitslosigkeit. Ein Problemsyndrom im Netz lokaler Sozialpolitik. Opladen 1987 ( = Studie zur Sozialwissenschaft 73)
12 Hans Schindler / Ali Wacker / Peter Wetzels (Hrg.), Familienleben in der Arbeitslosigkeit. Ergebnisse neuer europäischer Studien. M. e. Vorwort v. Marie Jahoda. Heidelberg 1990
13 vgl. Klaus Hurrelmann, Warteschleifen? Keine Berufs- und Zukunftsperspektiven für Jugendliche? Weinheim-Basel 1989 ( =
Reihe Pädagogik); Hans Bertram u.a., Bericht über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe (Achter Jugendbericht), Bonn 1990
14 Rainer Zoll u. a., ,,Nicht so wie unsere Eltern!“ Ein neues kulturelles Modell? Opladen 1989; ders., Neuer Individualismus und Alltagssolidarität. Bemerkungen zur Krise der individuellen Identität. In: Hans Leo Krämer/ Claus Leggewie (Hrsg.), Wege ins Reich der Freiheit. Andre Gorz zum 65. Geburtstag. Berlin 1989 (= Rotbuch Rotationen), S. 174-187
15 Zoll u.a., op.cit., S. 216. — Auch Zoll schließt natürlich an die These des Individualisierungsdrucks an, vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Ffm. 1986 (= edition suhrkamp 1365); Wolfgang Zapf u.a., Individualisierung und Sicherheit. Untersuchung zur Lebensqualität in der Bundesrepublik Deutschland: München 1987 (= Perspektiven und Orientierungen. Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes 4)
16 vgl. Rainer Zoll (Hrsg.), „Hauptsache, ich habe meine Arbeit” Ffm. 1984 (= edition suhrkamp 1228)
17 vgl. zusammenfassend Rainer Zoll, Neuer Individualismus und Alltagssolidarität. In: Jürgen Hoffmann u.a. (Hrsg.) Jenseits der Beschlußlage. Gewerkschaft als Zukunftswerkstatt. Köln 1990 (= HBSForschung 1), S. 58-69
18 vgl. Rainer Münz / Monika Pelz, Die subjektive Seite der Arbeitslosigkeit. Individuelle Strategien und familiäre Verarbeitungsmuster. Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung im Rahmen der Projektserie ,Mechanismen der Krisenverarbeitung‘. Wien 1986; sowie die Kurzfassung durch dies. in: Rudolf Burger u.a. (Hrg.) Verarbeitungsmechanismen der Krise. Wien 1988, S. 391-417
19 Bernhard Badura / Holger Pfaff, Stress, ein Modernisierungsrisiko? Makro- und Mikroaspekte soziologischer Belastungsforschung im Übergang zur postindustriellen Zivilisation. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 41 (1989) 4, S. 644-668, hier S. 650-651
20 vgl. Klaus Hurrelmann, Das Modell des produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts in der Sozialisationsforschung. In: Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 3 (1983) 2, S. 91-103; bündig formuliert von Klaus Horn: „… Wir erinnern, daß Verhalten nur die Aktivität oder Reaktion eines Organismus meint, daß Verhalten seiner Herkunft nach ein behavioristischer Begriff ist … Wir ziehen den Begriff Handeln vor, insofern er das Spezifikum menschlicher Aktivität hervorruft, daß nämlich absichtsvoll und sinnhaft gehandelt wird.“ (ders. u.a., Gesundheitsverhalten und Krankheitsgewinn. Zur Logik von Widerständen gegen gesundheitliche Aufklärung. Opladen 1983, S. XVII, Anm. 2); — das Konzept der Aneignung als Schlüsselkategorie einer sozialpsychologischen Handlungstheorie und Leitelement der ,subjektiven` Sozialstruktur (der „angeeigneten Form gesellschaftlicher Strukturprinzipien”) entwickeln und erproben Wolfgang Buchholz und Mitarbeiter / innen, vgl. ders. /Florian Straus, Lebensweltliche Strukturen familialer Probleme. In: Heinrich Keupp / Dodö Rerrich, Psychosoziale Praxis — gemeindepsychologische Perspektiven. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. München 1982, S. 63 -74; ders., Lebensweltanalyse. Sozialpsychologische Beiträge zur Untersuchung von krisenhaften Prozessen in der Familie. München 1984; ders. u.a., Lebenswelt und Familienwirklichkeit. Studien zur Praxis der Familienberatung. M.e. Geleitwort v. Heiner Keupp. Ffm. — N .Y. 1984
21 Marie Jahoda, The Psychology of the Invisible: An Interview. In: New Ideas in Psychology, 4 (1986) 1, pp. 107 -118
22 vgl. Horst Kern / Michael Schumann, Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion. München 1984, 2. Aufl. 1985
23 Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band I. Berlin 1962 ( = Marx-Engels Werke 23), S. 673 /674; vgl. dazu Albrecht, Not macht erfinderisch und Hunger macht skrupellos, op.cit., S. 242/243: „Der überschüssigen lebendigen Arbeit, die ihre Arbeitskraft nicht über den Arbeitsmarkt und seine Teilsegmente verkaufen kann, bleiben … nur Randformen des wirtschaftlichen Überlebens, weil sie — so Marx in Randnotizen („Theorien über den Mehrwert”) — nicht nur reell, sondern nicht einmal formell unters Kapital subsumiert ist. Und was historisch in der Phase der Herausbildung und Festigung des Kapital- und Akkumulationsverhältnisses galt — gilt aktuell in der Phase der sogenannten ,dritten industriellen Revolution‘ mit ihrer metropolen Überbevölkerungsproduktion ebenso: Gerade in diesen erwerblichen Randbereichen ist die ,Exploitation der Arbeit‘, also die Ausbeutung und nicht selten Auszehrung der lebendigen Arbeit, ,am größten‘ (Karl Marx). Dies gilt für alle erwerbswirtschaftlichen Überlebensversuche der Armutsbevölkerung“ — Zu den geschichtlichen Armuts-Überlebens-Formen vgl. Norbert Preußer, Not macht erfinderisch. Überlebensstrategien der Armenbevölkerung in Deutschland seit 1807. München 1989 ( = AG Spak M 93)
24 Lars Clausen, Hinweise zu einer unnützigen Generation. In: Demokratische Erziehung, 1 / 1982, S. 38-41
25 Hermann Giesecke, Neue Sozialisationswege als Reaktion von Jugendlichen auf ihre Lebensbedingungen. In: Materialien zur Heimerziehung, 1 / 1990, S. 5-8
26 Gerhard Schmidtchen, Schritte ins Nichts. Selbstschädigungstendenzen unter Jugendlichen. Opladen 1989,    S. 114
27 Burkhart Lutz, Bildungsexpansion und soziale Ungleichheit. Eine historisch-soziologische Skizze. In: Reinhard Kreckel (Hrg.), Soziale Ungleichheiten. Göttingen 1983 (= Soziale Welt SH 2), S. 221-245
28 in diesem Zusammenhang steht die Diskussion um gesellschaftlich garantiertes Grundeinkommen vgl. Michael Opielka / Ilona Ostner (Hrg.), Umbau des Sozialstaats. Essen 1987 ( = Perspektiven der Sozialpolitik 2); Barbara Riedmüller / Marianne Rodenstein (Hrg.), Wie sicher ist die soziale Sicherung? Ffm. 1989 (= edition suhrkamp 1568); zum arbeitsunabhängigen Grundeinkommen vgl. auch zusammenfassend: Bodo Blinkert, Familienanalytische Studie, op.cit., S. 41-44
29 Clausen, Hinweise zu einer unnützen Generation, op.cit., S. 41
30 Horst Baethke u.a. , Jugend: Arbeit und Identität. Lebensperspektiven und Interessenorientierung von Jugendlichen. Eine  Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI). Opladen 1988 1 Giesecke, Neuer Sozialisationswege, op.cit., S. 7-8
31 Giesicke, Neuer Sozialationswege, op.cit., S. 7 – 8
32 Evangelium (Mätthäus 13 / 12 und öfter)
33 Franz Josef Krafeld, Ganzheitliche Lebensentwürfe. In: neue praxis, 3/1988, S. 251-255
34 Franz Josef Krafeld, Erfahrungsproduktion und Lebensbewältigung. In: deutsche jugend, 1 / 1986, S. 9-17
35 Franz Josef Krafeld, Leben ohne Arbeit — wie geht das? Eine Untersuchung des Beitrags von Arbeitslosenprojekten zur Lebensbewältigung Arbeitsloser. Forschungsbericht, Hochschule Bremen, Bremen 1989; ders. Ohne Arbeit leben lernen. Der Beitrag von Arbeitslosenprojekten zur Lebensbewältigung Arbeitsloser. In: neue praxis, 3 / 1990, S. 260-267
36 Krafeld, Ohne Arbeit leben lernen, op.cit., S. 263
37 Krafeld, op.cit., S. 265
38 Krafeld, op.cit., S. 263
39 vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Zwei Bände. Ffm. 1981 (Suhrkamp) hier Bd. 2, S. 452
40 Andre Gorz, Wege ins Paradies. Berlin 1983; Oskar Negt, Lebendige Arbeit, enteignete Zeit. Politische und kulturelle      Dimensionen des Kampfes um die Arbeitszeit. Ffm. — N.Y. 1984; Claus Offe, Arbeitsgesellschaft. Strukturprobleme und     Zukunftsperspektiven. Ffm: N.Y. 1984; Lothar Böhnisch / Werner Schefold, Lebensbewältigung. Soziale und pädagogische     Verständigungen an den Grenzen der Wohlfahrtsgesellschaft. Weinheim-München 1985; sowie pointiert zusammenfassend     Klaus Körber, Krise der Gesellschaft — Krise des Individuums. In: Widersprüche, 32 / 1989, S. 71-83
41 Robert Jungk / Norbert Müllers, Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München 1989 (2.     überarbeitete Taschenbuchauflage); zuletzt ,Nichts entwickelt sich gradlinig‘. Gespräch mit dem Zukunftsforscher Robert Jungk. In: Publizistik & Kunst, 2/1991, S. 12 -16
42 Franz Josef Krafeld, Anders leben lernen. Von berufsfixierten zu ganzheitlichen Lebensorientierungen. Weinheim-Basel     1989 (= Edition Sozial)
43 Krafeld, Anders leben lernen, op.cit., S. 51
44 Krafeld, Anders leben lernen, op.cit., S. 29
45 Krafeld, op.cit., S. 30
46 der ehemalige ,Pflasterstrand`-Scene-Autor Matthias Horx hat in seinem letzten Buch erinnert, wie ,alternative Lebensformen` im großstädtisch-studentischen Frankfurter Milieu etwa von Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre zu leben versucht wurden — und erinnert so nostalgisch wie melancholisch wie und für welchen Preis dies zeitweilig gehn konnte (vgl. Aufstand im Schlaraffenland. Selbsterkenntnisse einer rebellischen Generation. München 1989)
47 Krafeld, Anders leben lernen, op.cit., S. 58
48 Krafeld, op.cit., S. 61
49 Krafeld, ebenda, S. 59
50 Krafeld, op.cit., S. 59 / 60
51 Krafeld, op.cit., S. 65
52 Krafeld, op.cit., S. 71 ff. [und] S. 81 ff.
53 vgl. Wolfgang Zapf u.a., Individualisierung und Sicherheit, op.cit., S. 138
54 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Hbg. 1952, S. 16. — Es ist mir theoretisch bewußt, daß hier die Grenzen empirischer Sozialforschung angesprochen sind — zumindest in ihrer derzeitigen Gestalt: denn ,Möglichkeitsinn` meint immer auch intellektuelle Autonomie. Empirisch-wissenschaftlich ,erforschbar` erscheint bisher nur das, was Möglichkeiten und Möglichkeitssinn beschränkt, was also determinierbar und bestimmbar (also abhängig und nicht autonom) ist
55 Krafeld, Anders leben lernen, op.cit., S. 71. — Soziologen nennen diese Umbruchslagen seit Emile Durkheim Anomie [1897: Le Suicide].

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