Themen / Sozialpolitik

Arbeits­lo­se­nin­i­tia­tive im umgebauten Sozial­staat: Zwischen Basispro­test und politischer Integration

20. Juli 1984

aus vorgänge Nr. 70 (Heft 4/1984), S. 75-83

1. Arbeitsloseninitiativen — Wer ist das?

Die »Szene« der Arbeitsloseninitiativen ist nur schwer zu überblicken. Das Spektrum reicht hier vom »Einmannbetrieb« bis zum durchorganisierten, »semiinstitutionellen« Arbeitslosenzentrum, vom wöchentlichen Gesprächskreis bis zur selbstorganisierten Arbeitsbeschaffung.
Arbeitsloseninitiativen mit kleineren Gruppen (10 bis 30 Mitglieder) mit einem lockeren Bezugsfeld von 50 bis 100 Mitwirkenden dominieren. Größere Initiativen, die gleichzeitig auch einen Kristallisationspunkt für kleinere Initiativen in der Region darstellen, sind selten. Die Gruppe der 18- bis 35jährigen ist vorherrschend, Jüngere und Ältere sind selten — letztere sind noch am ehesten in den kirchlich organisierten Initiativen anzutreffen. Männer haben ein deutliches Übergewicht (ca. 80%). Die Bildungs- und Ausbildungsqualifikationen scheinen besser als bei dem Durchschnitt der Arbeitslosen zu sein. Arbeitsloseninitiativen rekrutieren sich primär aus solchen Personenkreisen, die Ausbildungs- bzw. Fachhochschul- oder Hochschulabschlüsse absolviert haben. Dagegen wirken Arbeiter und Angestellte aus Betrieben und Dienstleistungsunternehmen nur selten in Arbeitsloseninitiativen mit. Die regionale Verteilung der Arbeitsloseninitiativen weist eine Konzentration in den großen Städten und in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Bremen, Berlin und Hamburg auf. In Bayern und Baden-Württemberg bestehen vereinzelte Initiativen, im Saarland und in Rheinland-Pfalz sind nur wenige bekannt geworden.

1.1. Selbstverständnis und Ziele der Initiativen

Die Aktivitäten der Initiativen vermittelt ein völlig heterogenes Bild. Allen gemeinsam ist der Versuch, zur Bewältigung der individuellen Lebens- und Arbeitslosensituation durch kollektive Prozesse beizutragen. Dabei reichen die Angebote von persönlichen Beratungen über therapeutische Hilfen bis zu Rechtsbeistand und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Etwa ein Zehntel der Arbeitsloseninitiativen schafft sich in jeweils sehr unterschiedlichen Bezügen selbst Arbeitsplätze (staatliche oder kirchliche Förderung, Selbsthilfe- und Alternativprojekte etc.). Bei ca. 40% der Initiativen hat das politische Motiv der Selbstorganisation von Arbeitslosen die gleiche Bedeutung wie das der individuellen Betreuung. Darunter verstehen solche Initiativen zunächst den Erfahrungsaustausch und als Ergebnis die Schlußfolgerung möglicher politischer Konsequenzen, die zumeist darin bestehen, mit Parteien, Gewerkschaften und den Kommunen zu kooperieren und in verchiedenen Formen an die Öffentlichkeit zu treten, um die eigenen Interessen wirkungsvoll zu artikulieren.
Über die politisch-strategische Ausrichtung der jeweiligen Initiativen entscheidet u.a. ihre rechtliche und finanzielle Anbindung. Man kann davon ausgehen, daß jeweils ein Drittel der Organisationen in gewerkschaftlichen, kirchlichen und selbstorganisierten Initiativen arbeitet. Der inhaltliche und finanzielle Zusammenhang bei gewerkschaftlichen Initiativen scheint eher locker zu sein, während vor allem die evangelische Kirche (insbesondere in Nordrhein-Westfalen) große Anstrengungen unternommen hat, die in ihrem Einzugsbereich liegenden Initiativen nach Kräften zu fördern. Die Distanz der autonomen Arbeitsloseninitiativen zu anderen gesellschaftlichen Organisationen schließt nicht in allen Fällen aus, daß sie auch öffentliche Gelder für die eigene Arbeit verwenden (Arbeitslosenladen Berlin).
Eine für die Arbeitsloseninitiativen zentrale Fragestellung betrifft die Zielvorstellungen sowie die eigenen politischen Aktivitäten, durch die neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Bei den Zielvorstellungen herrschte auf dem ersten Arbeitslosenkongreß 1982 ein weitgehender Konsens, der sich eng an Vorstellungen der Gewerkschaften, der Bremer Memorandumsgruppe und der Grünen/SPD anlehnt (35-Stunden-Woche, Arbeitszeitflexibilisierung, selektive Wachstumsprogramme, Förderung von Selbsthilfe- und Alternativprojekten etc.). Eine abweichende Meinung äußerten nur die autonomen Arbeitsloseninitiativen, die die Schaffung inhumaner Arbeitsplätze nicht zum Ziel von Arbeitsloseninitiativen machen wollen.
Differenzen sind in der politisch-strategischen Einschätzung vor allem dann erkennbar, wenn es um die Kooperationsbereitschaft bzw. Distanz zu den gesellschaftlichen Großorganisationen und um die zu verwendenden Protestmittel geht. Hier versprechen sich die kirchlich und gewerkschaftlich getragenen Initiativen von einer engen »Beatmungsstrategie« vor allem gegenüber den Gewerkschaften, daß die Gewerkschaften sich nicht länger der Lage der Arbeitslosen verschließen können und in ihre Tarifverhandlungen die Schaffung von Arbeitsplätzen einbeziehen müssen. Zum anderen gehen sie von der Vorstellung aus, daß öffentlichkeitswirksame Protestaktionen (Arbeitslosenmärsche, Kongresse, Demonstrationen etc.) das politische Klima für beschäftigungspolitische Initiativen mittelfristig verbessern. Die autonomen Arbeitsloseninitiativen — stärker an der Selbsthilfe- und Alternativbewegung orientiert — lehnen zwar nicht ausdrücklich die Kooperation mit den Gewerkschaften und Parteien ab, sehen aber in der Distanz zu diesen Großorganisationen die Voraussetzung dafür, überhaupt ein eigenständiger politischer Faktor werden zu können. Die Nicht-Institutionalisierung und Nicht-Vereinnahmung der spezifischen Interessen als Arbeitslose ist für sie eine Bedingung, um politischen Druck auf diese Organisationen auszuüben. Die Vertreter dieser Richtung verweisen auf die Entwicklung der neuen sozialen Bewegungen und die Voraussetzungen ihres partiellen Erfolgs: die nichtinstitutionelle Konflikt- und Protestform — verbunden mit nachvollziehbaren und zum Teil konsensfähigen Zielen — war und ist für sie der Schlüssel, um bestimmte Themen wirkungsvoll auf die politische Tagesordnung setzen und eine inhaltliche Auseinandersetzung erzwingen zu können.

1.2. Arbeitsloseninitiativen 1984: von der Initiative zum Zentrum

Hatte es aufgrund der unterschiedlichen politisch-strategischen Einschätzung, die sich auf dem Bundeskongreß in Fraktionskämpfen um die »richtige« Organisationsform und in dem nur von einer Minderheit getragenen, fehlgeschlagenen »Arbeitslosenmarsch« niederschlugen, zunächst so ausgesehen, als seien die Tage der Arbeitsloseninitiativen als halbwegs geschlossener Basisbewegung gezählt, so führte die Alltagsarbeit der Initiativen im Laufe der Zeit zu einer Annäherung der verschiedenen Standpunkte. Gewerkschaftlich orientierte Initiativen wurden ihren politischen Ziehvätern gegenüber kritischer, kirchliche Vertreter entdeckten die politische Dimension ihrer Arbeit, und die unabhängigen Gruppen stießen auf die nicht nur finanziellen Grenzen ihrer Autonomie. So standen die verschiedenen Zusammenkünfte der Initiativen zu Beginn dieses Jahres im Zeichen einer kontinuierlichen und zunehmend sachlichen Diskussion. Vor allem mit drei Themenstellungen beschäftigen sich die Arbeitsloseninitiativen derzeit:

  • mit den je nach Bundesland verschiedenen Praktiken der »Zwangsarbeit«, nach denen, in einer juristisch höchst fragwürdigen Konstruktion, Sozialhilfeempfänger gegen einen Stundenlohn von unter 3 DM zum Nachweis ihrer Arbeitswilligkeit zu sogenannten »gemeinnützigen« Arbeiten herangezogen werden;
  • mit der Forderung nach einem »Existenzgeld« oder »garantiertem Mindesteinkommen« anstelle der am Versicherungsprinzip orientierten Unterstützungsleistungen. Diese Begriffe haben bisher kaum die Sphäre der akademischen Diskussion verlassen (vgl. dazu Offe 84, Schmid, 84). Die Thematik ist jedoch deswegen von besonderer Bedeutung, weil hiermit erstmalig eine grundsätzliche Kritik des Verhältnisses von Lohn- und Transferzahlungen einhergeht;
  • mit der aktuellen gewerkschaftlichen Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche. Hier gab es unter den Initiativen noch am meisten Konfliktstoff. Solange die Gewerkschaften primär auf die formale Durchsetzung der Forderung drängen und deren qualitative Absicherung (durch Rationalisierungsschutz, Personalausgleich, Schutz vor Erhöhung der Arbeitsintensität etc.) hintenanstellen — so der allgemeine Tenor —, können sie nicht mit der uneingeschränkten Unterstützung der Arbeitsloseninitiativen rechnen. Viele Arbeitslose sehen in einer Durchsetzung der 35-Stunden-Woche ohne diese qualitativen Absicherungen nur eine soziale Konfliktregelung zugunsten der Nochbeschäftigten unter Aufsicht einer konzertierten Aktion von Staat, Gewerkschaften und Kapital. So läßt sich das Verhältnis der Initiativen zum aktuellen Kampf der Gewerkschaften um eine Wochenarbeitszeitverkürzung mit dem Wort der »kritischen Solidarität« umschreiben. Der an dieser Frage deutlich werdende Interessenkonflikt zwischen Arbeitslosen und Nochbeschäftigten macht deutlich, daß die Entwicklung des Verhältnisses (konflikthaft oder kooperativ) zwischen Arbeitslosen(initiativen) und Gewerkschaften für die Zukunft der Initiativen von großer Bedeutung sein wird.

Was den Zusammenhalt der Initiativen angeht, läßt sich feststellen, daß die Arbeit einer ganzen Reihe von Gruppen sich auf einem — wenn auch bescheidenen — Niveau stabilisiert hat. Dies war angesichts der ungünstigen Rahmenbedingungen kaum zu erwarten. Mit dieser Stabilisierung ihrer Arbeit geht häufig auch eine Veränderung ihrer internen Organisationsstruktur einher. Entscheidend für Charakter und Entwicklung der Arbeitsloseninitiativen ist deren doppelte und durchaus ambivalente Zielsetzung. Sie verkörpern politischen Protest und soziale Betreuung zugleich. Öffentlichkeitsarbeit steht neben selbstorganisierter Sozialarbeit. Die unmittelbare Organisation von Überleben nimmt dabei einen großen Teil der materiellen und personellen Ressourcen ein. Zunächst einmal gilt es, die psychische Situation der aus dem Arbeitsleben herausgedrängten Mitglieder durch gegenseitigen Erfahrungsaustausch zu verbessern. Das gemeinsame Frühstück ist die Voraussetzung für zukünftiges kollektives Handeln einer Gruppe, deren einzige Gemeinsamkeit in der individuellen Betroffenheit von Arbeitslosigkeit liegt. Erst die Gruppenerfahrung läßt die systematische Verursachung der Situation bewußt werden, was die Voraussetzung jeder Form kollektiver Solidarität ist.
Die Organisation von Überleben erfordert eine kontinuierliche und sachgerechte Arbeit in den Initiativen und damit auch eine gewisse Professionalisierung, zumindest einiger ihrer Mitglieder. Der Trend »von der Arbeitsloseninitiative zum Arbeitslosenzentrum« (Blanke, u.a., 1984), von direkter Selbsthilfe und sozialem Protest zum, wenn auch selbstorganisierten, Dienstleistungsaustausch reflektiert diese Entwicklung, die allerdings vorläufig nur bei den größten Initiativen zu beobachten ist.
Während die Quasi-Institutionalisierung einiger Arbeitsloseninitiativen für die Erfüllung »sozialpflegerischer« Aufgaben mit Sicherheit vorteilhaft ist, sind deren Auswirkungen auf die politische Ausrichtung und die Effizienz des Betroffenenprotests nicht eindeutig. Zwar läßt sich mit geschulten und festen Mitarbeitern auch eine bessere Öffentlichkeitsarbeit nach traditionellem Verständnis betreiben, erkauft wird diese jedoch mit einer Rücksichtnahme auf die Finanzierungsträger und einer Kanalisierung des Protestes.
Daß die politische Seite der Arbeitsloseninitiativen etwas ins Hintertreffen gerät, hat jedoch auch noch andere Gründe. Die allgemeine Ratlosigkeit innerhalb der neuen sozialen Bewegung, wie denn überhaupt noch etwas »bewegt« werden kann, mit welchen Strategien und Konfliktformen ihr Anliegen effektiv auf eine materielle Politikebene gebracht werden kann, tut hier ein Übriges. Nachdem seit Beginn der 80er Jahre sowohl beschränkt-konflikthafte (Hausbesetzer, Startbahn-West) als auch massenhaft-friedliche Basisproteste (Friedensbewegung) von staatlicher Seite nahezu folgenlos absorbiert werden konnten, sind die gesamten neuen sozialen Bewegungen in ein tiefes konzeptionell-strategisches Loch gefallen. Gerade von den Arbeitslosen hier einen konstruktiven Beitrag zu erwarten, käme einer naiven Überforderung ihrer Möglichkeiten gleich. So ist es kein Zufall, wenn die Diskussion unter den Arbeitsloseninitiativen immer genau dann ins Stocken gerät, wenn über den Zusammenhang von Organisations- und Konfliktformen nachgedacht wird.

2. Arbeitsloseninitiativen im umgebauten Sozialstaat

Auch wenn die Arbeitsloseninitiativen hier unter die Kategorie der neuen sozialen Bewegungen gefaßt werden, darf ihre Lokalisierung im außerparlamentarischen und -institutionellen Bereich nicht darüber hinwegtäuschen, daß bereits zahlreiche Auffangmechanismen wirken bzw. gerade entwickelt werden, die zu einer Integration der »Bewegung« führen können. Die bloße Existenz bzw. kurzfristige politisch-symbolische Relevanz von Basisprotesten sagt nichts über ihre längerfristige politische Wirkung in bezug auf die gesteckten Ziele aus.
Um den Umgang staatlicher und halbstaatlicher Agenten mit dem Phänomen Arbeitsloseninitiativen verstehen zu können, muß zunächst der gesellschaftspolitische Rahmen, innerhalb dessen sich diese Reaktionen vollziehen, kurz skizziert werden. Das traditionelle Sozialstaatsmodell, innerhalb dessen ja im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes die politisch-kompensatorische Verarbeitung von Arbeitslosigkeit vorgesehen ist, beruht auf einem Verständnis nur kurzfristiger und vorübergehender Arbeitslosigkeit. Aufgrund der Entkopplung von Produktions- und Beschäftigungssystem (Bolle) stößt eine solche rein kompensatorische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an zeitliche und finanzielle Grenzen. Die ursprüngliche Funktion der im AFG vorgesehenen Maßnahmen, nämlich die Rückführung der Arbeitslosen in den Arbeitsprozeß, kann bei dauerhafter Massenarbeitslosigkeit nicht mehr erfüllt werden (vgl. dazu Greven 1984, S. 70). Was sich in der letzten Dekade unter dem Schlagwort »Abbau des Sozialstaats« vollzieht, ist de facto die Korrektur seiner disfunktionalen Elemente, d.h. seiner weiteren Ausdifferenzierung. Diese »Reorganisation der Organisationsmittel« (Offe) vollzieht sich seit dem 1. Haushaltsstrukturgesetz 1975 in Form eines kontinuierlichen Abbaus des Leistungssystems. Ihren vorläufigen Höhepunkt fand der Umbau des Leistungs- in ein Fürsorgesystem in der Kürzung des Arbeitslosengeldes für Ledige im Rahmen der »Operation 83«. Der Trend geht von der Beschäftigungspolitik zur Sozialfürsorge, vom Rechtsanspruch auf Unterstützungsleistungen zur Pflicht des Nachweises der Arbeitswilligkeit. Endziel dieser Operation am »Patienten« Sozialstaat ist ein neues, billigeres, grobmaschigeres und repressiveres Konfliktverhinderungsnetz.
Die für einen erfolgreichen Umbau des Sozialstaats notwendige Leistungs- und Anspruchsreduktion erfolgt dabei über eine Strategie partieller Ein- und Ausgrenzung (vgl. dazu Blanke, u.a., 1984). Bestimmte Randgruppen des Arbeitsmarktes werden ausgegrenzt, anderen werden neue Rollen zugewiesen, wieder andere kommen in den Genuß staatlicher Arbeitsersatzangebote: Rückkehrhilfen für Ausländer, Erziehungsgeld für Frauen und ABM-Programme für Auserwählte. Die innerhalb des Systems Ausgegrenzten werden als Sozialfälle integriert: Ausgrenzung aus dem nationalen Versicherungssystem der Arbeitslosenunterstützung, Herabstufung auf Sozialhilfe und Finanzierung eines lokalen Arbeitslosenzentrums.

2.1. Herausbildung eines kommunalen Korporatismus

In der Bundesrepublik lassen sich im kommunalen Sozialsektor, auf einer Ebene also, auf der sich Basisproteste wie auch die Arbeit von Arbeitsloseninitiativen in erster Linie manifestieren, erste Ansätze zu neuen Formen staatlicher Integrationsbemühungen für die aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Krisenopfer feststellen. In Anlehnung an die auf das Zusammenspiel von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften bezogene Korporatismus-Debatte läßt sich diese Entwicklung als kommunaler Korporatismus bezeichnen (Grottian/Paasch 1984): durch eine Gewichtsverlagerung der Problembearbeitung werden hier die negativen Folgewirkungen des »Modell Deutschland« (Esser, u.a. 1982) auf lokaler Ebene kleingearbeitet. Das politisch-administrative System geht dazu über, mit den Schlagworten »Subsidiarität« und »kleine Netze« und indem konservatives und alternatives Gedankengut aufgegriffen wird, die vorher in den Sozialstaat gerissenen Löcher wieder durch forcierte Selbsthilfe zu stopfen (vgl. das 7,5 Mio. Programm für Selbsthilfegruppen des Senats von Berlin sowie ähnliche Pläne in NRW und Hamburg). Diese Entwicklung manifestiert sich auch in der Rolle, die vor allem die evangelische Kirche und einzelne Wohlfahrtsverbände (DPW) für die Arbeitsloseninitiativen spielen. Sie werden von staatlicher Seite dazu gedrängt, sich als neue Träger einer unter staatlicher Oberhoheit selbstorganisierten, basisnahen Sozialpolitik zu formieren.
In den so entstehenden korporatistischen Verbundsystemen zwischen staatlichen Institutionen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und Betroffenenvertretern haben auch die Arbeitsloseninitiativen ihren festen Platz. So sieht etwa ein seit Anfang 1983 in Planung befindliches Projekt in Bremen, in dem sich fünf Träger lokaler Sozialpolitik, darunter die »Arbeitsgemeinschaft Arbeitsloser Bürger e.V.« und der DPW, zusammengeschlossen haben, Beratung und Training schwervermittelbarer Arbeitsloser vor. Das im Rahmen der institutionellen Förderung beruflicher Bildung durch die Bundesanstalt für Arbeit geförderte Projekt soll in seiner Endphase die Schaffung von 30 gewerblichen Arbeitsplätzen beinhalten. Andere Arbeitsloseninitiativen werden aus Selbsthilfe- oder ABM-Töpfen finanziert.
Die staatliche Annahme und Förderung von Selbsthilfeprojekten deuten jedoch auch an, daß die sozialen Folgen des Krisenmanagements und die damit verbundenen Marginalisierungsprozesse eher durch eine weitere Ausdifferenzierung korporatistischer Netzwerke auf niedrigeren Konfliktebenen in ihrer politischen Brisanz reduziert werden, als daß sie Anlaß zu einer grundsätzlichen Gefährdung korporatistischer Strukturen geben könnten.

Daß solche korporatistischen Verbundsysteme den Arbeitslosen mehr helfen, als tradierte Formen rein kompensatorischer Sozialpolitik, ist unstrittig. Gerade weil die staatlichen Subventionen dazu dienen, die konkreten Hilfsangebote für die Arbeitslosen zu verbessern, stehen die Initiativen ihrer Eingliederung in die neuen Verbundsysteme relativ hilflos gegenüber. Auch wenn das Bewußsein, nicht nur »alternative Sozialarbeit« leisten zu wollen, in den Initiativen durchaus vorhanden ist, so ist es angesichts der beschriebenen strategischen Alternativlosigkeit kaum noch möglich, innerhalb des Verbunds konflikthaft zu reagieren. Ihrer politischen Dimension ist damit die Spitze genommen.

3. Arbeitsloseninitiativen: Symbolischer Protest oder Katalysator einer Politisierung?

Stellen die Arbeitsloseninitiativen nun nur ein politisch zu vernachlässigendes, kurzfristiges und absorbierbares Phänomen dar?

Zunächst einmal beweist die Existenz der Initiativen, daß die Reste sozialstaatlicher Absicherung bei einem gewissen, wenn auch zahlenmäßig geringen Anteil der Arbeitslosen eine Politisierung bewirken (vgl. dazu Vobruba, 1984, Wacker, 1978). Eine »Arbeitslosenbewegung« ist dies jedoch nicht. Fraglich ist auch, ob durch die Mitgestaltung und den politischen Einfluß der Betroffenen die korporatistischen Verbundsysteme zu einer organisatorischen Basis für eine weitere Politisierung von Arbeitslosen werden können. Während die an einen festen Träger gebundenen Initiativen zwar die organisatorischen Voraussetzungen für eine kontinuierliche Arbeit besitzen, aber aufgrund ihrer materiellen Abhängigkeit auf bestimmte Konfliktformen beschränkt sind, fehlt es des sogenannten »autonomen« und damit noch nicht integrierten Initiativen mit ihrem zumindest verbal artikulierten politischen Selbstverständnis an den zu einer wirksamen Öffentlichkeitsarbeit notwendigen materiellen wie organisatorischen Voraussetzungen. Nur wenn ein Kompromiß aus Professionalismus und Autonomie in Verbindung mit einer regionalen und überregionalen Zusammenfassung aller Arbeitsinitiativen gefunden werden kann, (Vernetzung) werden sie mittelfristig dazu in der Lage sein, rein symbolischen Beschwichtigungsstrategien der gesellschaftlichen Großorganisationen erfolgreich zu begegnen und die Verbundsysteme als Basis erweiterter Politisierung zu benutzen.
Gegenstand einer solchen Politisierung muß die »Entkopplung von Beschäftigung und materieller Reproduktion« (Greven 1984) sein. Folglich ist für eine Verbreiterung des Kreises der bereits politisierten Arbeitslosen das zukünftige Verhältnis zwischen Arbeitslosen(initiativen) und Gewerkschaften mitentscheidend, nicht zuletzt auch deswegen, weil die Gewerkschaften als gesellschaftliche Großorganisation auch erheblichen Einfluß auf die kommunale Verarbeitung von Arbeitslosigkeit haben. Der Transport des Themas »Arbeitslosigkeit« auf eine nationale und materielle Politikebene kann allein von den Arbeitslosen(initiativen) kaum geleistet werden. Sie können hier nur Katalysator einer Politisierung sein, die auch die Noch-Beschäftigten miteinbeziehen und damit in die Produktionssphäre hineinragen muß. Ein Ausblick auf die abzusehende, zukünftige Umgestaltung des Sozialstaats unterstreicht noch die Bedeutung gewerkschaftlichen Handelns für die Arbeitslosen(initiativen). Der Umbau des Sozialstaats in bezug auf seine kompensatorischen Leistungen scheint vorerst abgeschlossen. Was folgt, ist die von der Kapitalseite versuchte Reorganisation der industriellen Beziehungen. Die Haltung der Regierung im Tarifkonflikt um die 35-Stunden-Woche und alle weiteren Anzeichen (vgl. dazu die Papiere und Thesen von Lambsdorff, Albrecht und George, sowie der Blümsche Gesetzesentwurf zur »Förderung der Beschäftigung«) deuten darauf hin, daß dieser Strategie spätestens mit dem nächsten Konjunktureinbruch verstärkter politischer Flankenschutz gegeben wird. Bereits heute deutet sich an, daß die vermeintliche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit über die Restrukturierung der Arbeitsverhältnisse erfolgen soll. In der Auseinandersetzung um die Arbeitszeitverkürzung und die Neugestaltung der industriellen Beziehung wird sich erweisen, ob die Gewerkschaften in der Krise hinreichend flexibel sind, einer potentiellen Gefährdung ihrer Mitgliederstruktur aktiv, d.h. durch eine Integration der Interessenvertretung von Arbeitslosen entgegenzuwirken, oder ob sie eine solche Herausforderung dadurch beantworten, daß sie ihre derzeit praktizierte selektive Vertretung von »Kernarbeiterinteressen« verstärken. Die hier und von den Gewerkschaften geforderte Flexibilität setzt allerdings ein kaum vorhandenes politisches Bewußtsein der Gewerkschaftsmitglieder voraus, dessen Herausbildung gerade in der Krise problematisch ist. Die Chancen für eine erfolgreiche Stellvertreterpolitik der Gewerkschaften für aktuell und potentiell Arbeitslose stehen also schlecht. Verkommen die Gewerkschaften nach einer möglichen Niederlage in den beschriebenen Auseinandersetzungen zu einem spezifischen Interessenvertretungsclub (vgl. Müller-Jentsch, 1984), fallen sie damit auch als Allianz der Arbeitsloseninitiativen weg. Arbeitsloseninitiativen wird es wahrscheinlich auch dann noch geben, über die Organisation von Arbeitslosen in bezug auf deren politische Relevanz bräuchte man sich dann allerdings keine Gedanken mehr zu machen.

Literatur

Blanke, B, Heinelt, H, Macke, C. W., Arbeitslosigkeit und Kommunale Sozialpolitik, in: Bonß, W., Heinze, R. G., Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft, Frankfurt 1984
Esser, J. Gewerkschaften in der Krise, Frankfurt/1982
Greven, M. Th., Der hilflose Sozialstaat und die hilflose Sozialstaatskritik, in: Vorgänge, Heft 1, 1984
Grottian, P, Paasch, R., Arbeitslosen: Von der gesellschaftlichen Randgruppe zum politischen Faktor?, in: Bonß, W., Heinze, R. a.a.O.
Heinze, R. G., Elitenkorporation und Basisproteste: Grenzen neokorporatistischer Steuerung, in Journal für Sozialforschung, 4/1982, S. 429 ff.
Müller Jentsch, W., Klassen-Auseinander-Setzungen, in: Prokla, 54, 1984
Offe, C., Wer keine Arbeit findet, soll trotzdem essen dürfen, in: Frankfurter Rundschau vom 23. 8.1983
Rucht, D., Die Bürgerinitiativbewegung — Entwicklungsdynamik, politisch-ideologisches Spektrum und Bedeutung für die politische Kultur, in: Grottian, P, Nelles, Großstadt und neue soziale Bewegungen, Stuttgart 1983
Schmid, Th., (Hrsg.) Thesen zum »Garantierten Mindesteinkommen», erscheint demnächst bei Wagenbach. Vobruba, G., Krise: Auf hohem Niveau, in Vorgänge, Heft 1, 1984
Wacker, A., Vom Schock zum Fatalismus, Frankfurt 1978

nach oben