Themen / Sozialpolitik

Gesell­schaft­liche Ungleich­heit und politische Gleichheit als Legiti­ma­ti­ons­pro­blem

16. April 1976

aus vorgänge Nr. 20 (Heft 2/1976), S. 106-113

Bürgerliche Gleichheit als Garantie der Ungleichheit

Die Forderung nach Gleichheit und ihre Verankerung als Gleichheitsprinzip in der Verfassung stellt ein fundamentales Element der bürgerlichen Gesellschaft dar. Aber das Gleichheitsprinzip erweist sich im Kontext bürgerlicher Politik immer schon als Garant seines Gegenteils, der Ungleichheit. So schrieb Carl von Rotteck 1838 in seiner enzyklopädischen Abhandlung über „Gleichheit”, diese sei „der ldee nach das ursprüngliche und das überall da vorhandene Recht, wo nicht besondere faktische Verhältnisse oder anzuerkennende Rechtstitel eine Ungleichheit begründen”. Zwar stehe allen etwa dasselbe Recht der Erwerbung von Eigentum zu. In dem Maße aber,

„als Einer sein Eigentumsrecht oder sein Vertragsrecht fleißiger, geschickter, glücklicher ausübt, wird er auch auf diese oder jene Sachen oder Personen wirkliche, d.h. mit einem bestimmten Inhalte versehene, Rechte erhalten und dergestalt in bezug auf letztere die allergrößte Verschiedenheit entstehen; d.h. das materielle Recht wird, eben wegen der Gleichheit des formalen, notwendig ein ungleiches werden”. Daß der Staat alle „diese natürlichen, schon vor ihm oder außer ihm bestehenden oder unvermeidlich eintretenden… Rechtsungleichheiten, eben weil sie im wahren Recht begründet sind, anerkennen und schirmen dürfe, ja müsse, ist einleuchtend; und daraus schon geht die Abgeschmacktheit oder Frevelhaftigkeit der von fanatischen Freiheits- und Gleichheitsschwärmern mitunter erhobenen Forderung einer unbedingten Gleichheit im Staate, namentlich auch einer gleichen Güterverteilung, hervor” (1).

Im Bereich der faktischen Verhältnisse der privatisierten Ökonomie ist dem bürgerlichen Denken somit Ungleichheit kein Problem, so lange mindestens als formales Prinzip Startgleichheit herrscht. Eine solche Konstellation wird aber dann zu einem Dilemma, wenn es vor allem den gesellschaftlich benachteiligten Gruppen nicht mehr einleuchtend ist, warum der Staat diese „natürlichen” Ungleichheiten schützen soll; wenn sich das „Leistungsprinzip” in seiner legitimierenden Funktion als Ideologie derer erweist, die bei jedem hypothetischen Nullpunkt der Geltung des Gleichheitsprinzips — sei es jener der großen bürgerlichen Revolutionen, sei es jener der bundesdeutschen Nachkriegszeit, von dem der Neoliberalismus ausging — bereits über das notwendige Kapital verfügten, während die große Masse eigentumslos in den Startlöchern saß und daher das Gleichheitsprinzip als Hebel zur Veränderung der faktischen Verhältnisse verstand.
Die theoretischen Konstrukte sind bekannt, die im bürgerlichen Denken dieses Dilemma verarbeiten sollen: das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit als immerwährendes Paradoxon, wie es der Liberalismus seit John Stuart Mill (2) formuliert, oder wie es Ralf Dahrendorf (3) konflikttheoretisch aufzulösen sucht, indem er einerseits die Spannung zwischen Freiheit und Gleichheit für notwendig erachtet, weil sie gesellschaftliche Konflikte produziere — die Voraussetzung für Entwicklung, indem er diese Spannung aber andererseits stets in einem konsensfähigen Mittelweg auf entwicklungsgeschichtlich jeweils vorgeschobener Position ihrer vorübergehenden Milderung zuführen möchte, um gesellschaftliche Stabilität zu ermöglichen. Das Gleichheitsprinzip wird zum Verfahrensprinzip formalisiert, welches gesellschaftliche Ungleichheit legitimieren soll; es wird zur abhängigen Variablen des ranghöheren Prinzips der Freiheit. „Es bedarf”, so meinten neuerdings junge Konservative, „wohl keiner weiteren Begründung, daß Gleichheit überall dort in einen unauflöslichen Gegensatz zur Freiheit gerät, wo sie mehr ist als Gleichheit der Pflichten und Rechte, wo sie mehr und anderes will, als allen gleichermaßen zur Entfaltung ihrer natürlichen Ungleichheiten zu verhelfen“ (4).
Nun zeigen aber die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft und die sie reflektierenden Theorien, daß diese Gesellschaft nicht auf die Evidenz eines solchermaßen zurechtgestutzten Gleichheitsprinzips vertrauen kann, sondern den ihr konstitutiven Widerspruch zwischen Gleichheit der Rechte und Pflichten, die ja nur als politische voll durchzuhalten ist, und Ungleichheit des gesellschaftlichen Status begründen muß. Und der Zwang zu dieser Begründung ist ihr Legitimationsproblem. Denn indem sie in ihren Verfassungen den politischen Anspruch auf staatsbürgerliche Freiheit und Gleichheit verankert, setzt sie sich in Widerspruch zu sich selbst, zur ökonomischen Realität von Unfreiheit und Ungleichheit in einer Klassengesellschaft.
Im 19. Jahrhundert waren es Karl Marx und Lorenz von Stein, die als Reaktion auf die Revolutionen und Klassenkämpfe in Frankreich zu dem Ergebnis kamen, daß alle bürgerlichen Verfassungen an dem Widerspruch krankten, der gesellschaftlich herrschenden Klasse durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts die Garantie der gesellschaftlichen Macht potentiell zu rauben, der gesellschaftlich beherrschten Klasse durch die Beibehaltung der gesellschaftlichen Ungleichheit die politischen Möglichkeiten des allgemeinen Wahlrechts potentiell wieder einschränken zu müssen. Lorenz von Stein sah in der „Idee des Staates” die Möglichkeit, diese Spannung aufzuheben, was allerdings voraussetzte, den „Staat” als Sphäre des Rechts und der Rechtsgleichheit sowohl von der Gesellschaft zu trennen, als auch ihn über die Gesellschaft zu stellen. Marx dagegen kam zu dem Schluß, daß die bürgerliche Gesellschaft und ihr Staat theoretisch nicht voneinander getrennt werden können und der Widerspruch praktisch auf Dauer nicht auszubalancieren sei (5).
Diese Alternativen stellen sich bei der Reflexion des Legitimationsproblems auch heute, beispielsweise in den Debatten, die in den vergangenen Jahren unter dem Schlagwort von der „Legitimationskrise” geführt wurden.
Ist es möglich, so kann die eine Alternative formuliert werden, daß sich zwischen „Ökonomie” und „Politik” eine Grenze ziehen läßt, die aus dem Verhältnis zwischen den Individuen der bürgerlichen Gesellschaft in der Sphäre der Politik alle gesellschaftliche Ungleichheit ausfiltert und das politische Subjekt als freies und gleiches konstituiert, während dasselbe Subjekt als ökonomisches unfrei und ungleich bleibt? Ist es also möglich, den Widerspruch „aufzuheben”? Oder — so lautet die andere Frage — an welchen Punkten bricht diese Trennung immer wieder auf, wird die Legitimation der bürgerlichen Gesellschaft immer wieder brüchig?
Ich will die in der politischen Theorie gegebenen Antworten grob in diese beiden Richtungen auf-teilen und sie apologetische und kritische Theorien nennen, wobei „kritisch” sowohl Theorien umfaßt, die den Legitimationswiderspruch noch innerhalb des bürgerlichen Kontextes artikulieren, als solche, die darüber hinausweisen. Diese Unterscheidung scheint mir sinnvoll, weil die apologetische Richtung sich in einem zentralen Punkt von allen kritischen Theorien abgrenzen läßt. Sie will Krisen nur dort wahrnehmen, wo sie zum Ausnahmezustand führen, dessen Lösung aber nur die Wiederherstellung des status quo ante sein kann, während die andere Richtung — in all ihren Schattierungen — die Dimension einer gesellschaftlichen Veränderung als Resultat des analysierten Legitimationsproblems zum Inhalt hat, insofern kritisch ist(6).

Zum Verhältnis von Gesell­schaft, Staat und Legiti­ma­tion

Apologetische Theorien

Seit der Klassik dreht sich das bürgerliche Staatsdenken über den Zusammenhang von Gesellschaft und Staat um das Verhältnis des einzelnen, freien und gleichen Bürgers zur Zentralgewalt. Hierbei erwies es sich als logisch notwendig, einen besonderen Bereich zu konstruieren, in welchem sich auf der Basis des politischen Gleichheitsprinzips die Rechte und Pflichten gleichmäßig verteilen und staatliche Herrschaft als Ergebnis der freien Aktion der Staatsbürger diese in gleichem Maße unterwirft. Dieser Bereich ist die — wie John Locke sie nannte —,‚politische Gesellschaft“. In ihrer Konstitution wird zum privaten, nicht-politischen Bereich, zur ökonomischen Ungleichheit, eine Grenze gezogen. Bei Locke, und hierin ist er der Urahn aller apologetischen Theorien, ist diese Grenzziehung keine willkürliche, den Subjekten vorausgesetzte, sie vollzieht sich mittels Zustimmung aller. Indem die bürgerlichen Subjekte noch vor dem Eintritt in den politischen Vertragszustand der Ungleichheit des Eigentums zustimmen, „befreien” sie sich gewissermaßen selbst von Konflikten, die ihr politisches Zusammenleben unversöhnlich gestalten könnten (7).
Gesellschaft als private, politische Gesellschaft und Staat als zentrale Herrschaftsinstanz bilden die drei Pole, zwischen denen sich dieses Staatsdenken bewegt. Das Verhältnis zwischen diesen Polen wird aber in dem Augenblick problematisch, wo — vor allem seit der Ausdehnung des Wahlrechts — in die politische Gesellschaft durch die Verbände und Parteien der gesellschaftlich benachteiligten Gruppen die einstmals unterdrückten Konflikte hineingetragen werden. Nun muß das bürgerlich-apologetische Staatsdenken nach anderen Mechanismen suchen, die die politische Abstraktion von der gesellschaftlichen Ungleichheit vornehmen sollen. Die wechselvolle Geschichte der politischen Theorien kann hier nicht wiedergegeben werden (8). Als Ergebnis sind wir heute mit zwei wesentlichen Varianten konfrontiert, der Pluralismustheorie und den Varianten der politischen Systemtheorie. Beiden ist aber gemeinsam, daß sie nach wie vor die tradierte Grenzziehung versuchen.

In der Pluralismustheorie wird zunächst die gesellschaftliche Differenzierung als Differenzierung nach Gruppen und Interessen reflektiert, der einzelne Staatsbürger ist zwar noch Ausgangspunkt der politischen Willensbildung, aber deren Inhalt wird durch die Gruppen gesetzt. Die politische Gesellschaft (als „politisches System”) scheint somit in den Parteien als „politischen” Faktoren und den Interessenverbänden als „gesellschaftlichen” Faktoren (9) auch die gesellschaftliche Ungleichheit in sich aufzunehmen. Damit drohen die Grenzen zwischen Gesellschaft als privater und der Politik zu verschwimmen, weil der Möglichkeit nach in der Bildung des politischen Willens durch ein Kontinuum von gesellschaftlichen Interessen, politischer Auseinandersetzung und Staatswille der fundamentale Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft zur Austragung kommen könnte. Die traditionelle Pluralismustheorie hat jedoch versucht, dem dadurch vorzubeugen, daß sie das Gleichheitsprinzip als Verfahrensprinzip auf die Gruppen übertrug. Wieder sind die einzelnen Faktoren des politischen Systems bei Beginn der politischen Auseinandersetzung gleich, sie haben die gleichen Chancen, ihre Interessen durchzusetzen. Voraussetzung hierfür ist wiederum der Konsens über die Grundlagen, sowohl über die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Politik wie über die Spielregeln des politischen Prozesses. Dieser Grundlagenkonsens gibt die Basis ab für den fairen Interessenkampf, an dessen Ende der Kompromiß steht, der von allen akzeptiert werden kann und der alle gleichermaßen verpflichtet.
Wird im Basiskonsens von der gesellschaftlichen Ungleichheit abstrahiert, so erscheinen Ungleichheiten, die im Kompromiß auftreten, als Resultat eines auf Freiheit und Gleichheit begründeten politischen Prozesses. Dies hat schon Rotteck als den eigentlichen Sinn des Gleichheitsprinzips gesehen:

„Wir wiederholen es: das Gleichheitsprinzip ist alsdann, aber auch nur alsdann, befriedigt, wenn überhaupt keine Rechtsungleichheiten anerkannt oder statuiert werden, als welche auf vernünftigen Gründen beruhen, und demnach von allen Staatsangehörigen ohne Ausnahme — entweder schon in ihrer Eigenschaft als Personen oder Rechtssubjekte überhaupt [das bedeutet im privaten Bereich], oder wenigstens in ihrer Eigenschaft als zur Erstrebung des Gesamtwohles verpflichtete Staatsbürger — gewollt werden können oder müssen, oder, was noch zuverlässiger ist, wozu der Gesamtwille durch das Organ einer echten und lauteren Volksrepräsentation seine Zustimmung wirklich erteilt hat” (10).

Auch Niklas Luhmann, den doch nach seinem Selbstverständnis Welten von solch „alteuropäischem” Denken trennen, versteht Gleichheit nicht anders als „Gleichheit vor dem Verfahren”, Gleichheit gewissermaßen beim Eingang in das politische System, nicht etwa gleichen Herrschaftsanteil. „Das führt dazu, daß alle Ungleichheiten sekundär in das System hineingenommen werden, daß sie nicht in strukturellen Verflechtungen mit der Gesellschaft verankert sind, sondern auf Informations- und Entscheidungsprozessen beruhen, die rechenschaftspflichtig gemacht, kontrolliert und geändert werden können” (11).
Aber die Systemtheorie hat eine zentrale Schwäche der sich an der Tradition orientierenden Pluralismustheorie erkannt. Diese trennt nicht klar genug zwischen gesellschaftlichen Interessen und politischem System und schafft damit ungewollt immer wieder Einbruchstellen für die Artikulation „systemkritischer Interessen”, die da meinen, der Pluralismus beschränke sich nur auf Teilbereiche (12) und könne seinem eigenen Anspruch nur dann gerecht werden, wenn er alle Interessen zum Zuge kommen lasse. Luhmann, der hier nur als Repräsentant einer theoretischen Richtung stehen soll, spaltet deshalb den politischen Prozeß in zwei Teile: den Prozeß der Beschaffung generalisierten Konsenses, von „Systemvertrauen” als solchem, und den einzelnen Interaktionen zwischen Gesellschaft („Umwelt”) und politischem System (bei Luhmann der „Verwaltung“), in denen die Interessen zum Zuge kommen, allerdings nur als parzellierte, vereinzelte, denen keine Chance gegeben werden soll, das allgemeine Vertrauen ins System zu stören.
In dieser Differenzierung ist die Trennung von Gesellschaft und Staat zum Zwecke der Ausschaltung von aus dem fundamentalen Widerspruch resultierenden Störungen auf die Spitze getrieben. Die Gleichheit der Chancen erweist sich als Gleichheit vor der allmächtigen Verwaltung, die nach Gutdünken und nur zum Zwecke der Systemerhaltung jeweils die Grenze zieht zwischen Interessen, die ins politische Kalkül eingebaut werden können und solchen, die nicht wahrgenommen werden. Der einzelne Staatsbürger, von dem abstrakt die politische Willensbildung immer noch ihren Ausgangspunkt nimmt, ist nurmehr ein Schatten jenes freien und gleichen Bürgers der Frühzeit, dessen einzige Aufgabe darin besteht, seine diversen Rollen (als Privatmann, d.h. eben auch als Ungleicher; als politisches Subjekt usw) fein säuberlich auseinanderzuhalten und — aufsummiert zum „Publikum” — generell dem System zuzustimmen.
Aus dieser Fassung des Verhältnisses von Gesellschaft und Staat, in der schon das Problem des Verhältnisses von gesellschaftlicher Ungleichheit und politischer Gleichheit getilgt ist, kann nur die abstrakte Alternative einer Legitimation im Normalzustand und einer Delegitimation in der Katastrophe entstehen.
In der Vorstellung von der Legitimation im Normalzustand wird von einer Vorstellung der ldentität des Zusammenhanges politischer Willensbildungsprozesse der vielen Einzelnen und ihrer Organisationen mit den politischen Entscheidungen („Staatswille”) ausgegangen. Zwar erscheint diese Identität als Resultat, aber die normative Implikation dieser Theorie ist, daß es keine fundamentalen Widersprüche geben kann. Hierin kulminieren die Theorien des Gemeinwohls, ob sie nun im Nachklang des Naturrechts oder in Gestalt der „Systemrationalität” auftreten. Mit dem Basiskonsens über die gesellschaftlichen Grundlagen und die fundamentalen Spielregeln der Politik wird der Weg frei für Kompromißprozesse, das politische System und seine konstitutiven Elemente (wie Freiheit, Gleichheit, Demokratie) können formalisiert werden, wie es Schumpeter in seiner Definition der Demokratie als Methode prototypisch getan hat (13).
Scheinbar werden alle Inhalte zur Entscheidung zugelassen, tatsächlich aber nur so lange, wie die gesellschaftlichen Grundlagen, das bedeutet auch gesellschaftliche Ungleichheit, akzeptiert wird. Dies wird dann deutlich, wenn etwa unter dem Signum von der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht mehr nur die politische Demokratie, sondern auch die kapitalistische Gesellschaft in Gestalt der „freien Marktwirtschaft” dem notwendigen Basiskonsens zugeschlagen wird.
Droht die Nichtanerkennung der gesellschaftlichen Grundlagen durch die „Massen“ (14), schlägt die Legitimationstheorie diesen Typs abrupt um in Theorien des Ausnahmezustandes, in dem von einer Situation der Nicht-Identität durch eine „Katastrophe” ausgegangen wird. Legitimation wird nun von der Zentralinstanz, vom „Machthaber” aus gedacht. Die parlamentarische Demokratie, das Parteiensystem, der Pluralismus sind nicht mehr sakrosankt. Auch der Inhalt der staatlichen Entscheidungen wird scheinbar beliebig, „objektlos” wie Carl Schmitt es ausgedrückt hat. Nicht mehr die einzelnen Staatsbürger und ihre Interessen bilden den Ausgangspunkt der politischen Willensbildung, sondern der funktionelle Primat der „Systemerhaltung”, ein „allgemeines Interesse”, welches gewissermaßen a priori besteht und welches nur den Primat der bestehenden Gesellschaftsordnung enthält.
Wie die apologetische Theorie für den Normalzustand den Basiskonsens braucht, um die demokratische (auf Zustimmung beruhende) Lösung des Konflikts zwischen gesellschaftlicher Ungleichheit und politischer Gleichheit zu behaupten, so entlarvt sich der herrschaftliche Charakter auch dieses Konsenses in der Krise. Je weniger der Basiskonsens die Stabilität der „faktischen Verhältnisse” (um noch einmal Rotteck zu zitieren) garantiert, desto mehr muß er durch staatliche Macht ersetzt werden, die sich nunmehr auf ein Gemeinwohl beruft, welches „übergeordneten” Gründen folgt.
Ulrich K. Preuß hat dies mit dem Begriff der zweistufigen Legalität bezeichnet (15). Entscheidend aber ist, daß eine Krise in dieser Theorie gar nicht als legitim gelten kann, weil das Verhältnis von Gesellschaft und Staat im Kern widerspruchsfrei gedacht ist. Antagonistische, aus Ungleichheit und Herrschaftsstrukturen resultierende Interessen und Konflikte sind nicht vorgesehen; treten sie dennoch auf, dann sind sie Produkte einer „willkürlichen” Politik etwaiger „Systemfeinde”, die man verbieten und unterdrücken muß und darf (16).
Aber die apologetischen Theorien können das Problem nur verdrängen. Indem sie ihren Basiskonsens an Voraussetzungen knüpfen, die im politischen System gar nicht geschaffen werden können, nämlich den „sozialen Frieden” und die Stillegung von Klassenkonflikten, verschieben sie das Problem nur, etwa auf die friedliche Austragung des Klassenkonflikts im Rahmen der Tarifautonomie. Wird somit der gesellschaftliche Kompromiß zur Voraussetzung politischer Kompromißbildung, so ist an dieser „Nahtstelle” zwischen Gesellschaft und Staat ein Widerspruchsmoment eingebaut, welches sowohl die normativen Grenzziehungsversuche der traditionellen politischen Theorie wie auch die abstrakt-funktionellen der Systemtheorie immer wieder scheitern läßt.

Kritische Theorien

Versuchen wir die zentralen Theoreme der kritischen Tradition zu resümieren, dann halten sich auch hier zunächst die Grundmuster einer „Dreipoligkeit” von privater Gesellschaft, politischer Gesellschaft und Staat durch. Aber ihr Verhältnis wird von vornherein nicht harmonistisch konzipiert. Seit Rousseau, Hegel und deren kritischer Rezeption durch Marx wird die Spannung gesehen, die im bürgerlichen Individuum zwischen seiner Eigenschaft als „citoyen” und seiner Eigenschaft als „bourgeois” besteht. Wird der Privatmensch näher analysiert, muß sich zwangsläufig das von uns hier nachgezeichnete Legitimationsproblem entfalten. Gleich wie die Aufhebung der Spannung zwischen gesellschaftlicher Ungleichheit und politischer Gleichheit als Zielvorstellung formuliert wird: ob romantisch wie bei Rousseau oder progressiv wie in den sozialistischen Theorien, die bürgerliche Gesellschaft wird in ihrer Widersprüchlichkeit gesehen und der Akzent liegt auf der Analyse der privaten Gesellschaft als Ökonomie. Hierbei ergeben sich drei Momente:
Das politische System erscheint zwar ebenfalls in einer besonderen Weise „getrennt” von der „Gesellschaft”. Denn daß dem Staat in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft eine herausgehobene Funktion zukommt, ist zunächst ja schlicht ein empirisches Faktum. Allerdings wird diese Herausgehobenheit von vornherein relativiert. Grenzlinien werden nicht ahistorisch-abstrakt gezogen, sie bleiben stets problematisch.
Die Ökonomie nämlich als System „neben” dem Staat enthält eine Funktion, welche sie tatsächlich in Konkurrenz zur Politik setzt: auch hier werden Entscheidungen getroffen, die allgemeine Verbindlichkeit in dem Sinne erhalten, daß sich ihnen niemand in der Gesellschaft entziehen kann (17). Die Ökonomie verpflichtet in ihren Resultaten alle, berechtigt aber nur wenige. Die in der apologetischen Theorie einheitlich und ungebrochen gedachte Souveränität des demokratisch organisierten Volkes und „seines” Staates über die gesellschaftliche Entwicklung ist in Wirklichkeit beschränkt.
Schließlich werden in der Ökonomie nicht nur gesamtgesellschaftliche Entscheidungen getroffen, vielmehr fallen sie nach einem Prinzip, welches den Grundprinzipien der politischen Willensbildung widerspricht. Die große Masse der Individuen der bürgerlichen Gesellschaft lebt „privat” unter fremdem Kommando (sei es in der Fabrik, sei es im Mietshaus).
Beschränkung der Volkssouveränität und des Staates durch die „Eigengesetzlichkeit” der Ökonomie (18) und Beschränkung der möglichen Freiheit und Gleichheit durch das Ungleichheit und Unfreiheit reproduzierende gesellschaftliche System tangieren demnach auch die Beziehungen innerhalb der „politischen Gesellschaft”. Zwar besteht unter der Geltung demokratischer Rechte prinzipiell die Möglichkeit demokratischer Willensbildung; unter den realen Bedingungen der doppelten Beschränkung kann sich der demokratische Wille jedoch immer nur auf Teilbereiche der Gesellschaft beziehen, nämlich jene – allerdings nicht absolut abgrenzbaren – Bereiche, in denen die Eigengesetzlichkeit der Ökonomie nicht herrscht.

Die kritischen Theorien reagieren auf diesen Tatbestand nun einerseits nicht resignativ, andererseits aber unterschiedlich. Die Verfechter einer „Demokratisierung” aller gesellschaftlichen Bereiche, insbesondere der Wirtschaft (19), halten der kritisierten formellen politischen Demokratie den Maßstab einer zu verwirklichenden gesellschaftlichen Demokratie entgegen. In diesem Zusammenhang wird an einem Begriff des demokratischen Staates festgehalten, der souverän in dem Sinne ist, daß er mittels seiner rechtssetzenden Allgewalt dann in die Eigengesetzlichkeit der Ökonomie eingreifen, ja sie durchbrechen kann, wenn er bewußt als Instrument durch die demokratische Mehrheit eingesetzt wird. Diese Vorstellung macht sich also an einer als „Autonomie” verstandenen Rechtssetzungsgewalt fest, welche einen im Prinzip „neutralen” Staat als Veränderungsinstanz gesellschaftlicher Verhältnisse erscheinen läßt.
Hierin liegt eine Beschränkung, die sich vor allem darin äußert, daß sie nicht mehr reflektiert, mit welchen Widerständen eine wie immer geartete „systemüberwindende” Politik rechnen muß, nimmt sie ihren Ausgangspunkt, die bürgerliche Gesellschaft, wirklich ernst. Ökonomie und Staat werden – trotz der erkannten Widersprüche im Versuch ihrer Vermittlung – von vornherein als getrennt begriffen. Diese Trennungsvorstellung ist jedoch nur ein Reflex der bereits institutionell vorgegebenen Herausgehobenheit des Staates, dessen Funktion in diesen Theorien nur in bezug auf die Ökonomie, d.h. in bezug auf ein mögliches Eingreifen, gesehen wird, der aber nicht mehr selbst als Funktion der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer ökonomischen Formen analysiert wird. Eine solche Analyse, die danach fragt, „woher der Staat kommt”, d.h. eine genetische Analyse, wird aber herausarbeiten, daß die – juristisch allumfassend formulierte – Souveränität des Volkes (und des Staates) in der bürgerlichen Gesellschaft funktionell in den Materien beschränkt ist, über die überhaupt politisch entschieden werden kann (20).

Damit wäre eine verändernde Strategie nicht per se für unmöglich erachtet, vielmehr würde sie sich klarer vor Augen führen können, welche Widerstände vonseiten der durch die bestehende Gesellschaft funktionell und persönlich privilegierten Gruppen einem solchen Unterfangen entgegenstehen, vor allem mit welchen gerade durch eine Politik der bewußten demokratischen Systemtransformation hervorgerufenen Krisen man fertig werden muß.

Dies würde aber nur heißen, daß diese Theorien ihre eigene Krisenanalyse auf ihre Zielvorstellungen zurückbeziehen. Denn sie gehen ja entsprechend ihrer Interpretation des Verhältnisses von privater, politischer Gesellschaft und Staat implizit von einer permanenten, in der Latenz wirkenden oder auch manifest ausbrechenden, Legitimationskrise aus (21). Der grundlegende Widerspruch bürgerlicher Verfassungen, wie ihn Marx in den „Klassenkämpfen in Frankreich” formuliert hat, ist ihr Leitmotiv. Die Krisenmöglichkeit oder -realität verdankt sich eben jenem Verhältnis der wechselseitigen Beschränkung von Souveränität des Staates, Freiheit, Gleichheit und politischer Demokratie und der Eigengesetzlichkeit (im Wortsinne) der Ökonomie.
Der Widerspruch zwischen politischer Herrschaft auf der Basis von Freiheit und Gleichheit und ökonomischer Herrschaft auf der Basis der Ungleichheit produziert – ob dies den Apologeten recht ist oder nicht – notwendig Bewegungen der gesellschaftlich Beherrschten zur Aufhebung von nichtlegitimierbarer Herrschaft. Dabei nehmen diese Bewegungen die unterschiedlichsten Formen an. Es können in der Reichweite beschränkte Bürgerinitiativen sein oder große Klassenbewegungen. Meist tendieren solche Bewegungen zunächst dazu, den mit der politischen Verfassung gegebenen Anspruch der Demokratie ernstzunehmen und über dessen jeweilige Verwirklichung hinauszutreiben. Unter diesem Aspekt erscheinen dann Kompromisse (der Angelpunkt der apologetischen Pluralismustheorie) einerseits als Stilllegung des Widerspruchs, andererseits aber als jeweiliger Ausgangspunkt für ein erneutes Aufbrechen politischer wie sozialer Kämpfe (22), weil das Stillegen des Widerspruchs, wenn man die gesellschaftliche Dimension solcher Kompromisse analysiert, auch Momente der politischen Repression enthält. In kritischer Sicht erhält das Dahrendorfsche Konflikt-Konsens-Schema einen gesellschaftlichen Sinn und eine gesellschaftliche Tendenz: nämlich die Aufhebung des Paradoxons von Freiheit und Gleichheit.

Krise ohne Alter­na­tive?

Der Widerspruch zwischen staatlicher Souveränität und Eigengesetzlichkeit der Ökonomie kann jedoch als der erfahrbare Widerspruch zum Beispiel einer Reformstrategie Legitimationskrisen in doppelter Hinsicht produzieren.
Erstens stoßen die gesellschaftlichen Interessen, die in der Logik der Demokratie, der Souveränität des Volkswillens und der Vorstellung von der Autonomie des Staates die Ökonomie verändern wollen, auf Grenzen. Solche Grenzen wurden in letzter Zeit nicht nur in der marxistischen Literatur festgestellt, sondern von den Planungstheoretikern im Umkreis der sozialliberalen Koalition als Erfahrung festgehalten (23). Diese Erfahrung staatlicher Handlungsgrenzen ist zweitens aber insofern ambivalent, als sie sowohl zu einer genaueren Reflexion der Probleme einer verändernden Strategie führen kann als auch in die Resignation mit Bestätigung des status quo. Vieles was heute unter dem Schlagwort der „Tendenzwende” firmiert, entpuppt sich als unreflektierte Resignation angesichts verharschter Systemstrukturen. Ungewollt tragen dann die enttäuschten Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft selbst zu einer Legitimationskrise bei, die allerdings eine ganz andere Richtung nehmen kann als die ehemals intendierte.
Die Erfahrung der Grenzen politischer Handlungsautonomie sollte dort, wo die kritischen Theorien ihren kritischen Impuls nicht verlieren wollen, zu Überlegungen führen, die den vorgegebenen Rahmen bürgerlicher Theorie und Politik sprengen. Denn die Alternative, die sich stellt, ist die zwischen einem Rückfall in den Immobilismus, und damit letztlich in die Katastrophenfurcht, einerseits und einer strategischen Orientierung andererseits, die jene aus den objektiven Mechanismen einer bürgerlichen Gesellschaft resultierenden Legitimationskrisen zum Anlaß einer bewußten Veränderung dieser Grundstrukturen nimmt.
Denn die bürgerliche Gesellschaft kann aus sich heraus den ihr konstitutiven Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Ungleichheit und politischer Gleichheit nicht wirklich aufheben, in ihrem Rahmen wird der Konflikt im Zweifelsfall stets zugunsten der Erhaltung der gesellschaftlichen Ungleichheit — und das bedeutet zur Gefährdung und zum Abbau der Demokratie — entschieden. Nur in einer Gesellschaft, die mittels einer bewußten und planmäßigen Verbindung von langfristiger Entwicklungsperspektive und kurzfristiger Interessendifferenzierung die Spannung zwischen „Ökonomie“ und „Politik” aufhebt, kann Gleichheit wirklich hergestellt werden. Dies bedeutet aber keineswegs — wie von Liberalen und Konservativen seit Jahrhunderten bald behauptet wird — „Gleichmacherei”. Denn es geht nicht darum, daß alle persönlichen Unterschiede nivelliert werden, sondern schlicht darum, daß die privilegierte Verfügung über den gesellschaftlichen Produktionsprozeß, die materielle Voraussetzung für die menschliche Entwicklung, aufgehoben wird. Diese Unterscheidung verwischen die apologetischen Theorien gerne mit dem Begriff der „natürlichen” Unterschiede. Es wird darauf ankommen, den gesellschaftlichen Ungleichheiten gerade diesen Schein der „Natürlichkeit” zu rauben, um eine menschliche Gesellschaft aufzubauen.

Verweise:

1 Carl von Rotteck, „Gleichheit”, in: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Band 7, Altona 1838,S67/68.
2 John Stuart Mill, Die Freiheit, übersetzt und mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Adolf Grabowsky (1945), Darmstadt 1973.
3 Ralf Dahrendorf, Reflexionen über Freiheit und Gleichheit, in: Gesellschaft und Freiheit, München 1961, S 363-415.
4 Bernd und Ingeborg Guggenberger, Die Legitimitätskrise des modernen Staates — ist die Massengesellschaft noch freiheitlich regierbar?, in: Material zum Problem der Legitimität im modernen Staat, Hg Konrad Adenauer Stiftung, Politische Akademie Eichholz. Materialien zur Tagungs- und Seminararbeit der Politischen Akademie Eichholz, Heft 31, Bonn 1975,S28—47,39.
5 Lorenz von Stein, Gegenwart und Zukunft der Rechts-und Staatswissenschaft Deutschlands, in: Gesellschaft — Staat — Recht, hg von Ernst Forsthoff, Frankfurt/Berlin/ Wien 1972, S 147-494, 268/9, 368/9. Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, in: Marx-Engels-Werke, Band 7, Berlin (DDR) 1971,S9—107,43.
6 Diese Unterscheidung lehnt sich an den Aufsatz von Max Horkheimer, „Traditionelle und kritische Theorie”, in: Zeitschrift für Sozialforschung, VI. Jg, 1937, S 245—292, an. Der Begriff „kritisch” meint in unserem Zusammenhang allerdings nicht die Kritische Theorie der Frankfurter Schule.
7 John Locke, Die zweite Abhandlung über die Regierung, in: Zwei Abhandlungen über die Regierung, hg von Walter Euchner, Frankfurt/Wien 1967, insbes Kapitel 5 „Das Eigentum” S 217-233. Zum Begriff der „politischen Gesellschaft”, vgl Kapitel 7, „Die politische oder bürgerliche Gesellschaft”, S 251 -263.
8 Vgl unter anderen Bernhard Blanke/Ulrich Jürgens/Hans Kastendiek, Kritik der Politischen Wissenschaft, 2 Bde, Frankfurt/New York 1975.
9 Zur Pluralismustheorie vgl Blanke/Jürgens/Kastendiek, aaO, Kapitel 9, S 183—221.
10 Rotteck, aaO; S 73.
11 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied/ Berlin 1969, S 172.
12 Wolf-Dieter Narr, Leistungen, Grenzen und Probleme
der pluralistischen Gesellschaft am Maßstab der Demokratie, in: Franz Nuscheler/Winfried Steffani (Hg), Pluralismus. Konzeptionen und Kontroversen, München 1972
13 J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, (1942), München 1972, 3. Aufl, S 428: „Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben”.
14 Es sind schließlich die Massen, die Gleichheit „mißverstehen” und stets drohend vor den Toren der bürgerlichen politischen Gesellschaft stehen. Die Furcht vor der „Revolution der Gleichheit” teilen alle Konservativen mit Tocqueville, vgl z.B. Guggenberger, aaO, 38 ff, für die die eigentliche Legitisnitätskrise von den anonymisierter Massen droht und für die Legitiniitätskrise gleichbedeutend ist mit sozialem Chaos. Nicht zufällig berufen sie sich dabei auf Thomas Hobbes. Vgl S 30 ff, 40 f.
15 Ulrich K. Preuß, Gesellschaftliche Bedingungen der Legalität, in: Legalität und Pluralismus, S 7—113.
16 So meinte das Bundesverfassungsgericht im KPD-Urteil von 1956, schon die politisch-analytische Vorstellung von der Klassengesellschaft inkriminieren zu können, weil dies dem „Prinzip der Gleichbehandlung” widerspräche (vgl die Passagen in BVerfGE 5, S 197—207). Und so wird etwa von Kurt Sontheimer Kritikern des Pluralismus, die von antagonistischen Interessen redeten, entgegengehalten, sie seien der einzige Antagonismus und gehörten nicht in den geduldeten Bereich des Meinungspluralismus.
17 Dieses Theorem ist zusammengefaßt bei Peter Bachrach, Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, Frankfurt/Main 1967, S 89—100.
18 Vgl hierzu die Diskussion um die „Restriktionen” staatlicher Planung, vor allem Volker Ronge/Günter Schmieg, Restriktionen politischer Planung, Frankfurt/Main 1973.
19 Ihren Ausgangspunkt nahm diese Richtung in den Diskussionen unter sozialdemokratischen Staatstheoretikern in der Weimarer Republik. Vgl hierzu Blanke/Jürgen/Kastendiek, aaO, Kapitel 7, S 145—168; Hans Kremendahl/Thomas Meyer (Hg), Sozialismus und Staat, 2 Bde, Kronberg 1974.
20 Dies wird näher ausgeführt in Blanke/Jürgens/Kastendiek, aaO, Teil V: „Das Verhältnis von Politik und Ökonomie als Ansatzpunkt einer materialistischen Analyse des bürgerlichen Staates”.
21 Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt/Main 1972; Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/Main 1973; Staat und Legitimation im Spätkapitalismus, hg von Rolf Ebbighausen, Frankfurt/Main 1976. 
22 Jürgen Seifert, Kampf um Verfassungspositionen, Frankfurt/Köln 1974.
23 Renate Mayntz/Fritz Scharpf, (Hg), Planungsorganisation. Die Diskussion um die Reform von Regierung und Verwaltung des Bundes, München 1973.

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„Ich lasse meinen Blick über die zahllose Masse schweifen, wo nichts sich erhebt, nichts tiefer steht. Das Schauspiel dieser allumgreifenden Einförmigkeit stimmt mich traurig, und ich fühle mich versucht, der Gesellschaft nachzutrauern, die nciht mehr ist.
Als die Welt von sehr großen und sehr kleinen, sehr reichen und sehr armen, sehr gelehrten und sehr unwissenden Menschen erfüllt war, wandte ich meine Blicke von den zweiten ab, um sie nur auf die ersten zu heften, und diese erfreuten mein Auge; ich begreife jedoch, daß die Freude aus meiner Schwäche kam: weil ich in meiner Umgebung nicht alles auf einmal sehen kann, darf ich aus sovielen Dingen diejenigen wählen und herausheben, deren Betrachtung mir zusagt. Anders ist es für das allmächtige und ewige Wesen, dessen Auge notwendig die Gesamtheit der Dinge umfaßt und das deutlich zu gleicher Zeit sowohl die ganze Menschheit und jeden einzelnen Menschen sieht.
Natürlich glaubt man, daß nicht das besondere Wohlergehen einiger weniger, sondern der größte Wohlstand aller den Blick dieses Schöpfers und Erhalters der Menschen am meisten befriedigt: was mir als Niedergang erscheint, ist also in seinen Augen ein Fortschritt; was mcih verletzt, findet er gut. Die Gleichheit ist vielleicht weniger erhaben; sie ist aber gerechter und ihre Gerechtigkeit macht ihre Größe und ihre Schönheit aus.
Ich bemühe mich, diese Anschauungsweise Gottes zu begreifen, und von ihr aus suche ich die menschlichen Dinge zu betrachten und zu beurteilen.“

Alexis de Tocqueville (Die Demokratie in Amerika, Band II; deutsche Ausgabe Stuttgart 1962)

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