Referat Walf

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Prof. Dr. Knut Walf

Erst im 19. Jahrhundert (Preußen 1875, Württemberg 1887) wurde die Kirchensteuer staatlicherseits als Mittel zur Selbstfinanzierung der Kirchen und mit dem Ziel der Entflechtung von Staat und Kirche eingeführt. Die Kirchensteuer ist verfassungsrechtlich abgesichert und könnte deshalb nur mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat abgeschafft werden (Art. 79 Abs. 2 GG). Rechtliche Grundlage ist der Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung (1); danach wird – wie die Weimarer Verfassung es ausdrückte – Religionsgesellschaften (wir sprechen heute von Religionsgemeinschaften), die als Körperschaften des öffentlichen Rechts seitens des Staates anerkannt sind, die Berechtigung erteilt, „aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten … Steuern zu erheben“. Von dem Recht Kirchensteuer zu erheben, ist die Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat zu unterscheiden, meine Damen und Herren. Sie fällt nicht unter die verfassungsrechtliche Gewährleistung.

a) Probleme allgemeiner Art

Staatsrechtlich beginnen die Schwierigkeiten mit dem Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Dieser Begriff ist schillernd, und kam auch während der letzten Jahrzehnte ins Gerede. Darunter verbirgt sich die recht allgemeine Rechtsform eines Personenverbandes. Die Körperschaft des öffentli­chen Rechts ist – um es sehr abgekürzt auszudrücken – eine Rechtsform in der sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung und findet in der Regel Anwendung auf Verwaltungseinheiten, die vom Staat mehr oder minder abhängig sind! Deshalb sprach bereits vor zwei Generationen der deutsche Staatsrechtler Rudolf Smendt im Hinblick auf die Anwendung dieses Begriffs auf die Religionsgemeinschaften von einem „rätselhaften Eh­rentitel“.

Die Kirchensteuergesetze der Bundesländer lassen verschiedene Arten von Kirchensteuer zu (Zuschlag zur Einkommens- und Lohnsteuer, zur Vermögens- oder Grundsteuer); zudem ist es den Kirchen freigestellt, unabhängig davon noch ein Kirch­engeld zu erheben. Da der Hauptanteil der Kirchensteuer aus der Lohn- und Einkommenssteuer stammt (Zuschlag von 8-9%), sind die Kirchen von der Einkommenssteuerpolitik des Staates und der wirtschaftlichen Konjunktur abhängig. Dies erklärt auch das Interesse der Kirchen, die Verknüpfung der Kirchen­steuer mit der Einkommens- bzw. Lohnsteuer weiterhin aufrecht zu erhalten, da andere Steuerarten stärkeren Verschiebungen unterliegen, heutzutage teilweise unter Ein­fluß der Steuerrichtlinien der EG, dort jedoch vornehmlich die sachbezogenen Steuern (Mehrwertsteuer).

Im derzeitigen Steuersystem wird nur rund ein Viertel der Kirchenangehörigen zur Zahlung der Kirchensteuer verpflichtet. Dies mag nicht wenige erstaunen lassen, ist aber Tatsache: Bürger ohne eigenes Einkommen und solche, die nur über geringe Einkünfte verfügen, sind von der Kirchensteuer ebenso befreit wie etwa Bezieher hoher Sozialrenten, da diese bekannt­lich bisher nicht der Einkommenssteuerpflicht unterliegen. Wegen der Progression der Einkommenssteuer erreicht aller­dings die Belastung von Spitzenverdienern mit Kirchensteuer beachtliche und bedenkliche Höhen. Es stimmt also nicht, daß alle Kirchenangehörige zum Unterhalt der Kirche aufgrund der Kirchensteuer beitragen und die Kirche nicht von den Reichen abhängig wird.

b) Probleme (inner-) kirchlicher Art

Der Zahlung der Kirchensteuer kann man sich nur durch den Kirchenaustritt mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung (Erklärung vor Standesamt oder Amtsgericht) entziehen. Dies hat in der katholischen Kirche die Exkommunikation zur Folge, nicht jedoch einen Ausschluß aus der Kirche! Dies ist gemäß der Lehrauffassung der katholischen Kirche ebenso unmöglich wie der Kirchenaustritt!

Auf die Verteilung der Einnahmen aus der Kirchensteuer haben die zur Zahlung Verpflichteten nur geringen Einfluß. Dafür sind kirchliche Organe zuständig, in denen kirchensteuer­pflichtige Laien zwar die Mehrheit besitzen, von der Kirchen­leitung abhängige oder berufene Mitglieder jedoch eine Sperrminorität bilden.

Der Übergang, vom früheren System der Ortskirchensteuer zur Diözesankirchensteuer oder Landeskirchensteuer nach dem Zweiten Weltkrieg, hat die Zentralisierungsbestrebungen der kirchlichen Hierarchie nachhaltlich gefördert.

Die Einnahmen aus den Kirchensteuern machen den Löwenanteil der kirchlichen Haushalte aus. Dabei darf aber nicht ver­gessen werden, auch und gerade im Hinblick auf eine angestrebte Reduzierung oder sogar Abschaffung der Kirchensteuer heutiger Art, daß die Kirchen über mannigfaltige andere Einkommensquellen verfügen, die teilweise vom Staat gespeist werden, jedoch eben keine Kirchensteuergelder sind.

Andere Quellen der Kirchenfinanzierung

Staatsleistungen aufgrund von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung

Die dazugehörigen Rechtstitel sind unterschiedlicher Art, bezüglich der katholischen Kirche gehen sie weitgehend auf den § 35 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 zurück. Aus diesen Geldern werden teilweise Gehälter oder zumindest Besoldungsanteile für Bischöfe, Domkapitulare, Pfarrer, Küster, Organisten (bzw. Kantoren) gezahlt. Ferner sind sie der Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter (theologische Fakultäten) für Bau und Instandhaltung kirchlicher Gebäude u.ä. gewidmet. 

Staatssubventionen und Steuerbefreiungen

Die Kirche nimmt regelmäßig vielfältige Staatszuwendungen als Trägerin der Sozial- und Jugendhilfe, der Kranken- und Altersversorgung, aber auch der Denkmalpflege entgegen. Diese Staatszuwendungen beruhen nicht auf festen Rechtstiteln, sind also widerruflich, zweckgebunden, häufig auch nur befristet gewährt. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß derartige Staatssubventionen durch ihre alljährliche Erneuerung den Charakter ständiger Staatsleistungen erhalten können. 

Zu nennen wären ferner Steuerbefreiungen: So sind etwa Ordensangehörige von der Zahlung der Steuer befreit. Weitere Befreiungen und Begünstigungen, haben wir vom Bensberger Kreis in unserem Memorandum „Zu einigen Aspekten der Kirchenfinanzierung“ vom Jahre 1985 aufgeführt. Um welche Summen es sich dabei handelt, enthüllt jeweils der Subventionsbericht der Bundesregierung. Der sechste seiner Art (von 1980) wies immerhin 31,7 Milliarden DM jährlich zugunsten der Kirchen aus; aufgrund veränderter Kriterien wurde dann im neunten Subventionsbericht von 1983 nur noch ein Gesamtbetrag von 15,3 Milliarden DM genannt. Ich will deshalb an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen.

Anmerkungen

Da hier heute genügend Fachleute für die staatsrechtlichen Probleme anwesend sind, will ich mich in meinem kurzen Statement auf die eher kirchenrechtlichen Folgen beschränken:

Wichtig erschien mir die allgemeine Nennung der diversen Leistungen, Subventionen, Befreiungen oder Begünstigungen seitens des Staates an die Kirchen aus folgendem gravierenden Grund: Die Kirchen erwecken häufig in der Öffentlichkeit bewußt den unzutreffenden Eindruck, ihre karitativ-sozialen Anstrengungen würden aus Kirchensteuergeldern finanziert. Dies aber trifft nur sehr partiell zu. Sieht man sich einmal einen der Allgemeinheit zugänglichen Etat eines bundesdeutschen Bistums an, kann man errechnen, daß karitativ-soziale Leistungen heutzutage überhaupt nur noch etwa 10% des Haushalts ausmachen (so etwa im Haushalt 1990 des Bistums Rottenburg-Stuttgart) (2) Dazu sind zwei Bemer­kungen zu machen: Dieser noch nie hohe Haushaltsposten ging in den Diözesanhaushalten während der letzten zehn Jahre kontinuierlich zurück (von etwa 14 nach 10%). Und: Man muß bedenken, daß es sich dabei keineswegs ausschließlich um Zuwendungen für Personal- oder Materialkosten handelt, sondern daß diese Gelder großenteils vermögensschaffend angelegt werden, also für Grund­stückserwerb oder bauliche Zwecke. (Bau und Unterhalt, etwa in Wohnungsbaufonds). Inwiefern aber dann diese Leistungen aus Kirchensteuergeldern oder aber aus den Staatsgeldern für eben diese Zwecke gespeist werden, wird nicht deutlich. Doch darf man getrost davon ausgehen, daß die zweckgebundenen Staatssubven­tionen in diesem Etatposten den Löwenanteil ausmachen.

Die Kirchensteuer in ihrer derzeitigen Form kommt in erster Linie den Bistümern und Landeskirchen zugute. Man sollte kurzfristig alles versuchen, zur Gemeindekirchensteuer zurückzukehren, die man im Prinzip bis in die Nazizeit hinein kannte. Ich will dabei betonen, daß selbst unter dem derzeitigen System die evangeli­schen Kirchen beweisen, daß sie ihren Gemeinden eine weitaus größere Gemeindeautonomie zugestehen als dies die katholischen Bistümer gegenüber ihren Pfarrgemeinden tun.

Die Beteiligung der kirchlichen Laiengremien, bei der Zuteilung der Kirchensteuergelder, ist völlig unzureichend. Es ist deshalb darauf hinzuarbeiten, daß insbesondere die Diözesankirchensteu­erräte demokratischer mit unabhängigen und natürlich kompeten­ten Leuten beschickt werden. Dies könnte bedeuten, daß vermutlich binnen kurzer Zeit andere Prioritäten in den kirchli­chen Haushalten gesetzt würden, z.B. sehr viel mehr Gelder für soziale Zwecke hierzulande und – so ist zu hoffen – in den Ländern der sogenannten Dritten Welt zur Verfügung gestellt würden. Andererseits würde – so steht gleichfalls zu vermuten oder ist doch zumindest zu erhoffen – weniger investiert in absurd große kirch­liche Bürokratien, die inzwischen in keinem Verhältnis mehr zur tatsächlichen Bedeutung der Kirchen in unserer Gesellschaft ste­hen. 

Wegen der vielfältigen Probleme, die viele Kirchenangehörige mit der Kirchensteuer haben, muß nach Lösungen gesucht werden, von der Zahlung der Kirchensteuer ohne vorherigen Kirchenaustritt freizukommen. Viele deutsche Katholiken zahlen nur gezwun­genermaßen Kirchensteuern. Die Kirchensteuer ist ein Relikt aus den Zeiten des Staatskirchentums. Schon allein deshalb gehört sie abgeschafft!

An die Stelle der Kirchensteuer sollte – vielleicht stufenweise konkretisiert – ein Beitragssystem auf freiwilliger Basis entstehen, wie es ausländische Teilkirchen in unterschiedlichen Formen ken­nen. Die deutsche Kirche sollte aus ihrer eigenen Vergangenheit und durch den Blick in die Nachbarkirchen lernen, sich selbst anders zu finanzieren, als sie es heute tut.

In Ihrem Brief wird auch nach Übergangszeiträumen gefragt: Darüber wird in der einschlägigen Literatur nur im Hinblick auf die Ablösung der Staatsleistungen reflektiert. Gemäß Art. 140 GG (Art. 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung) sind Gegenstand eines Verfassungsauftrages zur Ablösung nicht die Staatsleistungen als solche, sondern die Rechtstitel, auf denen sie beruhen. Die Ablösung umfaßt gemäß herrschender Auffassung zwei Rechtsvorgänge: die Aufhebung des bestehenden Leistungsverhältnisses und die Begründung der Ausgleichspflicht. Es handelt sich bei diesem Verfassungsauftrag also nicht um Konfiszierung oder entschädigungslose Enteignung der Kirchen. Lediglich die Rechtsgrundlage wird verändert, um eine Entflechtung von Staat und Kirchen in Deutschland zu erreichen. Die Verfassungsbestimmungen geben keine Anhaltspunkte über die Art und Weise der Ablösung.

In verschiedenen Staatskirchenverträgen sind jedoch einige Bestimmungen, unter denen die Staatsleistungen an die Kirche zu erbringen sind, geändert worden. Daraus lassen sich Hinweise entnehmen, wie eine endgültige Lösung aussehen kann: Kapitalisierung der traditionellen Naturalleistungen, Pauschalisierung der vielfältigen Einzelzuweisungen, Zusammenfassung der zahlreichen Empfangsberechtigten in einem Gesamtverband. Andere Staatskirchenverträge kennen bereits neben der einmaligen Kapitalzahlung und der Übertragung von Grundbesitz auch Rentenberechtigungen. In der einschlägigen Literatur wird meist die Ablösung durch Rente empfohlen. Ich bin dagegen, weil dadurch die Verpflechtung von Staat und Kirche auf unabsehbare Zeit festgeschrieben wird. Andererseits muß man an die immensen Lasten denken, die auf den Staat bei einer einmaligen Ablösung zukommen.

Lassen Sie mich noch folgendes anfügen. Angeblich soll die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Kirchensteuer positiv gegenüber stehen. Ich will das nicht bezweifeln, vermute jedoch, daß dies so ist, weil die Leute bislang unzureichend oder überhaupt nicht über die Problematik der Kirchensteuer unterrichtet sind. Natürlich gibt es da einen allgemeinen Mißmut, aber schlußendlich doch einen solchen der resignativen Art (Der Wiener würde sagen: „Da kann man eh nix machen, da muß halt was g’schehn“).

Christa Nickels: Ja, schönen Dank, Herr Prof. Walf. Was ich dabei sehr wichtig fand war, daß Sie jetzt auch Ansatzmöglichkeiten aufgezeigt haben, wie man in dem jetzigen System schon erste Schritte zur Reform machen kann und zweitens auch die anderen Forderungen von außen. Das ist ein Punkt, der ganz wichtig ist, daß man Handlungsperspektiven zur Veränderung kriegt, von beiden Seiten her. Danke schön. Daran werden wir anschließend noch weiter diskutieren können. Und ich möchte dann Herrn Prof. Neumann bitten.

(1) Die DDR-Verfassung von 1949 kannte eine vergleichbare Bestimmung (Art 43 Abs: 4), die jedoch lautlos mit der Verfassung von 1968 verschwand.

(2) Im Haushaltsvoranschlag 1990 der Erzdiözese München und Freising sind es 19.98 %.

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