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Begründung zu These 3: Staats­leis­tungen

01. Juni 1995

aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 24 – 26

These 3: Staatsleistungen

Nach der Verfassung sind die Staatsleistungen abzulösen (Art. 140 GG in Verb. mit Art. 138 Abs 1 WRV). Dieser Verfassungsauftrag ist endlich einzulösen. Aus dem ausdrücklichen Verfassungsauftrag ergibt sich, dass die Begründung neuer Staatsleistungen verfassungswidrig ist.

Begründung:
Staatsleistungen werden in Deutschland unter Berufung auf den fortgeltenden Art.138 Abs. 1 der Reichsverfassung von 1919 an Kirchen, vor allem an die beiden großen Amtskirchen in allen neuen und nahezu allen alten Bundesländern (Ausnahme Hamburg und Bremen) in hohem Umfang gezahlt. Nach den Ansätzen in den Haushaltsplänen dürfte es sich 1994 um einen Betrag von 700 Millionen DM handeln, der etwa jeweils zur Hälfte der evangelischen und der katholischen Kirche zufließt. Für „Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung“ sowie für „kirchenregimentliche
Zwecke“ wendet damit der Staat (d.h. die Bundesländer) den Religionsgemeinschaften allgemeine Steuergelder zu. Die Zahlungsverpflichtung ist in der Regel in Kirchenverträgen und Konkordaten festgeschrieben. Die Staatsleistungen werden in der Regel historisch gerechtfertigt, nämlich insbesondere unter Hinweis auf die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie sie im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 vorgesehen war. Damals sei den Kirchen die materielle Basis für ihr seelsorgerisches Wirken entzogen worden.
Die deutschen Verfassungen (Reichsverfassung von 1919, Grundgesetz von 1949) verlangen zwingend die Ablösung der Staatsleistungen. Dieses Verfassungsgebot, eine selbstverständliche Konsequenz aus der Trennung von Staat und Kirche, aus der Aufhebung der staatlichen Kirchenhoheit und aus der Bekenntnisneutralität des Staates, haben der Bund und die Länder bis heute missachtet. Das Thema ist kirchlicherseits zunehmend tabuisiert worden. Es wird so getan, als bestehe die Ablösung der Staatsleistungen eben darin, dass sie weitergezahlt werden. Diese Staatsleistungen steigen in weiten Bereichen Jahr für Jahr im gleichen Maße wie die Beamtengehälter.
Die historische Begründung der Staatsleistungen mit der Säkularisation durch den Reichsdeputationshauptschluss ist hinfällig geworden dadurch, dass heute die materielle Basis für das Wirken der Kirchen durch die Einführung der Kirchensteuer seit 1919 gesichert ist. Dem lag der zu-treffende Gedanke zugrunde, dass nicht der Staat und damit alle Bürgerinnen und
Bürger, sondern allein die den jeweiligen Kirchen Angehörenden für die finanzielle Ausstattung ihrer Religionsgemeinschaft die Verantwortung tragen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, die Steuergelder kirchenfremder Personen für Dotationen an die Kirchen zu verwenden.

Desgleichen gibt es auch keine sachliche Rechtfertigung für die sogenannten negativen Staatsleistungen, d.h. für die vielfältigen Abgabenbefreiungen der Kirchen (Gerichts- und Verwaltungsgebühren, Grundbesitzabgaben, Steuern), deren Ausfall die Gesamtheit der Steuerpflichtigen tragen muss und deren Umfang bisher niemand auch nur annähernd hat feststellen können. Schließlich gibt es auch keine Rechtfertigung dafür, dass die Gesamtheit der Steuerbürgerinnen und -bürger den auf fünf bis sieben Milliarden DM jährlich geschätzten Ausfall an Einkommens- und Lohnsteuer trägt, der dadurch entsteht, dass die gezahlte Kirchensteuer als Sonderausgabe bei der Berechnung der Steuerschuld abgezogen werden kann.

Die historische Begründung für die Staatsleistungen wirkt, nahezu zweihundert Jahre nach der Säkularisation, anachronistisch. Kriege und Vertreibungen haben gerade in den letzten zweihundert Jahren hunderttausenden von Menschen und vielen Institutionen wiederholt die Existenzgrundlage geraubt, ohne dass der Staat in vergleichbarer Fürsorge den Betroffenen mit „Staatsleistungen“ auf Dauer zur Seite gestanden hätte. Die Kirchen, die wegen ihres noch immer umfangreichen Grundbesitzes ohnehin zu den reichsten Institutionen in Deutschland gehören, bedürfen der Staatsleistungen am allerwenigsten. Jedenfalls aber dürften die seit 1919 von den Ländern an die Kirchen geleisteten Zahlungen eine mehr als ausreichende Kompensation für die zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgte Enteignung darstellen. Daher kann heute auch für die Zahlung einer einmaligen „Ablösesumme“, wenn sie denn kirchlicherseits gefordert würde, keine Veranlassung bestehen.

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