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Begründung zu These 7: Arbeits­recht

01. Juni 1995

aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 40 – 43

These 7: Arbeitsrecht
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen hat das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht zu gelten mit seinem ohnehin wirksamen Toleranzschutz.

Begründung:

I. Kirchen als Großkonzern

Mit weit über 600.000 Beschäftigten allein in der alten Bundesrepublik sind die beiden großen Kirchen die zweitgrößten Arbeitgeber nach dem Staat. Die meisten kirchlichen Arbeitnehmer sind dabei jedoch nicht in der Seelsorge tätig, sondern in der innerkirchlichen Verwaltungsbürokratie und vor allem in den zahlreichen kirchlichen Hilfsorganisationen. Auch für sie gelten die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, des Tarifrechts und des Personalvertretungsgesetzes nicht. Im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen im nicht-kirchlichen Bereich sind sie daher weitgehend entrechtet. Unter Hinweis auf Artikel 140 des Grundgesetzes in Verb. mit Art. 137 Abs. 3 WRV werden alle kirchlichen Einrichtungen aus dem Geltungsbereich des Grundgesetzes herausgenommen, auch wenn sie keinen spezifischen innerkirchlichen Bezug haben. Der größere Teil der kirchlichen Beschäftigten arbeitet nämlich keineswegs im „hoheitlichen“ Bereich der Verwaltung oder der Seelsorge, sondern in karitativen Einrichtungen.

Aus der überkommenen kirchlichen Autonomie ist mit Hilfe der besonders kirchenfreundlichen Rechtsprechung und des Desinteresses der politisch Verantwortlichen eine durch nichts mehr zu rechtfertigende kirchliche Souveränität geworden. Die Kirchen können sich – gestützt insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Grenzen zum staatlichen Bereich selbst ziehen. Im Streitfall hat nach einer Entscheidung des BVerfG das Arbeitsgericht die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen und im Zweifel sogar entsprechende Auskünfte bei den kirchlichen Stellen einzuholen, damit dann der Sachverhalt unter die kirchlichen Normen subsumiert werden kann[46].

Diese Rechtsprechung zur Auslegung des Artikels 140 GG in Verb. mit Art. 137 Abs. 3 WRV in bezug auf die Wahrnehmung von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG ist zu kritisieren. Es nimmt bei der Auslegung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts weitgehende Einschränkungen der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kauf. Das Gericht stellt überwiegend auf das Glaubens- und Kirchenverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft ab. Diese Auslegung ist mit dem geltenden Staatskirchenrecht nicht in Einklang zu bringen. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährt den Religionsgemeinschaften die Autonomie zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten nur innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Die Religionsgesellschaften können sich somit nicht auf die Verfassung berufen, wenn sie ganze Rechtsgebiete, wie beispielsweise das Kündigungsschutzrecht, deren Regelung aufgrund der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten beim Staat liegt, eigenen Normen unterwerfen und die Regeln des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts beiseiteschieben. Der hohe Rang des Schutzes von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern läuft durch die einseitige Betonung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen faktisch leer.

II. Zumutungen an die Mitar­bei­te­rinnen

Die Anforderungen an kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind streng und unnachsichtig. Alle arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen den kirchlichen Anstellungsträgern und ihren Beschäftigen müssen dem religiösen Charakter des selbstdefinierten kirchlichen Auftrags entsprechen. Auch die Arbeitnehmer müssen bereit sein, „an der Verwirklichung eines Stückes Auftrag der Kirche im Geist der katholischen Kirche und in Verbindung mit den Amtsträgern der katholischen Kirche“ mitzuwirken. Diese Grundhaltung
verlangen die katholischen Bischöfe von ihren Untergebenen in einer Erklärung zum kirchlichen Dienst vom 24.09. 1993. Die Träger katholischer Einrichtungen haben demzufolge dafür zu sorgen, dass nur „geeignete“ Personen beschäftigt werden, die bereit und in der Lage sind, den kirchlichen Charakter der Einrichtungen zu pflegen und zu 18rdern. Kirchliche Einrichtungen dürfen pastorale, katechemische und in der Regel erzieherische Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört. Von den so verpflichteten Mitarbeitern wird verlangt, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechemischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeitern, die aufgrund der Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens-und Sittenlehre erforderlich.

Die nicht-katholischen christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche sind verpflichtet, „die Wahrheit des Evangeliums zu achten“ und dazu beizutragen, ihre Aufgaben im Sinne der Kirche zu erledigen.

Von allem – auch nichtchristlichen – Mitarbeitern wird verbindlich erwartet, dass sie „kirchenfeindliches Verhalten“ zu unterlassen haben. Der lange Arm des Klerus reicht auch in das Privatleben. Die Betroffenen dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten „die Glaubwürdigkeit der Kirchen und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden“.

Die wahre Bedeutung der o.gen. extensiven Auslegung des GG zugunsten der Amtskirchen wird erst deutlich bei der Betrachtung zahlloser skandalöser Einzelfälle: z.B. Entlassung einer langjährigen Kindergärtnerin dann, wenn sie das seit langem bekannte Verhältnis mit einem geschiedenen Lebensgefährten nach Geburt eines gemeinsamen Kindes legalisiert. Die amtkirchliche „Moral“ steht häufig im Widerspruch zu allgemein in der Gesellschaft – und von Kirchenangehörigen – akzeptierten ethischen Prinzipien.

Fazit: Wenn sich Kirchen des allgemeinen Arbeitsmarktes bedienen (wozu sie nicht gezwungen sind), so müssen sie sich auch an die dabei allgemein geltenden Rechtsregeln halten. Ihren speziellen Bedürfnissen wird durch die Regeln des Schutzes von „Tendenzbetrieben“ ausreichend Rechnung getragen.

III. Kirchen und Gewerk­schaften

Die beiden großen Kirchen, insbesondere die katholische, haben sich schon immer mit der Selbstorganisation der Arbeiter schwer getan. Bis heute lehnen es beispielsweise die katholischen Bischöfe ab, mit den Gewerkschaften über Tarifverträge zu verhandeln. „Tarifverträge kirchlicher Einrichtungen mit verschiedenen Gewerkschaften sind mit der Einheit des kirchlichen Dienstes unvereinbar.“ Streiks werden als unvereinbar mit den Anforderungen des kirchlichen Dienstes abgelehnt. Es gibt zwar Kommissionen zur Ordnung des Arbeitsvertragsrechts. „Dabei bleibt die Hirtenaufgabe des Bischofs unberührt, die umfassende Verantwortung für alle ihm anvertrauten Gläubigen wahrzunehmen.“
Seit langem fordert, wenngleich eher mit begrenztem Engagement und noch geringerem Erfolg, die Gewerkschaft ÖTV von den Kirchen mehr Mitbestimmung. Sie kritisiert, so im Bereich der evangelischen Kirche, die mangelnden Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretungen in personellen, sozialen und organisatorischen Angelegenheiten. Ein besonderer Kritikpunkt ist das Fehlen der Möglichkeit, beim Verwaltungsgericht oder beim Arbeitsgericht zu klagen, was bei anderen Tendenzbetrieben selbstverständlich ist. Im Bereich der evangelischen Kirche wird der Einfluss der Gewerkschaften auch durch den schwachen Organisationsgrad geschwächt. Lediglich etwa 40.000 kirchliche Mitarbeiter gehören einer Gewerkschaft an.

IV. Haltung der HUMANIS­TI­SCHEN UNION

Aufgabe der HUMANISTISCHEN UNION kann es in diesem Zusammenhang nicht sein, sich um die Fragen im Zusammenhang mit dem Zölibat zu befassen. Wer sich als Priester ausbilden lässt, tut dies mit dem Risiko, seinen Beruf nur ausüben zu können, wenn er ehelos bleibt. Dieser Zustand ist selbstverständlich ein gesellschaftlicher Skandal. Es ist jedoch eine Angelegenheit der innerkirchlichen Auseinandersetzung, diese Verhältnisse zu reformieren oder sie so zu belassen, wie sie sind. Der Staat sollte und kann sich hier nicht als Schiedsrichter betätigen.

Im Rechtsstaat ist es aber Sache des Staates, Autonomiegrenzen festzulegen. Gegenwärtig vernachlässigt der Staat aber seine verfassungsmäßigen Schutzpflichten gegenüber den kirchlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die seinem Handeln vom Grundgesetz vorgegeben sind. Es kann nicht länger hingenommen werden, dass z.b. Kindergärtnerinnen, die in zweiter Ehe einen neuen Partner heiraten, entlassen werden. Es ist ebenso unvertretbar, dass Ärzten ohne weiteres gekündigt werden kann, weil sie in Fragen des Schwangerschaftsabbruchs eine andere Auffassung vertreten als die Amtskirche.

Die Kirchen haben sich mit Hilfe eines verfassungswidrigen, falsch verstandenen Subsidiaritätsprinzips eine Reihe von – an sich öffentlichen bzw. staatlichen – Aufgaben angeeignet. In vielen Bereichen können beispielsweise Kindergärtnerinnen überhaupt keine anderen Arbeitgeber finden als die Kirchen. Diese halten große Teile des karitativen und erzieherischen Bereichs. Sie müssen daher den Grundrechtsschutz in vollem Umfang respektieren und gegen sich gelten lassen, wie er auch gegenüber staatlichen Einrichtungen gelten würde. Ein monopolbegründendes Subsidiaritätsprinzip darf nicht länger auch noch mit der arbeitsrechtlichen Schlechterstellung kirchlicher Bediensteter kombiniert sein.

[46] BVerfG, NZA 1986, Beilage 1, Seite 31

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