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Die Situation in den neuen Bundes­län­dern

01. Juni 1995

aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 49 – 51

1. Allgemeines
Die neuen Bundesländer haben in ihren Verfassungen weitgehend die religionsrechtlichen Bestimmungen der Verfassungen der alten Bundesländer bzw. des Grundgesetzes übernommen. Das Grundgesetz und die darin enthaltenen Regelungen der Weimarer Verfassung lassen abweichende landesrechtliche Regelungen leer laufen.

Nicht übersehen werden darf, dass die Situation der beiden großen christlichen Kirchen in den neuen Bundesländern eine gänzlich andere ist als im Westen. Die Stellung der Kirchen wurde durch die kirchenfeindliche Politik des DDR-Staates geschwächt, und auch jetzt steigt die Annahme der Kirchen durch die Bevölkerung nicht an.
Die grundsätzlich andere Situation der Kirchen in Ostdeutschland zwingt dazu, die rechtliche Behandlung anders auszugestalten, wie der Vereinigungsprozess insgesamt dazu anhalten sollte, die Verfassungspraxis kritisch zu reflektieren.

2. Volkskirche im Osten?
In den westlichen Bundesländern ist zumindest die rein formelle Mehrheit der Bürger konfessionell gebunden. Das rechtfertigt bereits die ihnen rechtlich eingeräumten Positionen. Von Volkskirche kann auch hier nur noch eingeschränkt die Rede sein. In den östlichen Bundesländern bekennt sich nur eine Minderheit formell zum Christentum. In Brandenburg z. B. sind ca. 18 % der Bevölkerung Mitglied einer der beiden Großkirchen, davon ca. 3 % der katholischen Kirche.
Von einer „Volkskirche“ kann hier nicht gesprochen werden. Dies muss in den den Kirchen gewährten Rechten deutlich seinen Niederschlag finden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung zur Berücksichtigung der Kirchensteuer bei der Berechnung der Höhe der Arbeitslosenhilfe zum Ausdruck gebracht“, indem es ausführte, dass die Kirchensteuer künftig wohl nicht mehr als „gewöhnlich“ anfallender Abzug anzusehen ist, da ein großer Teil der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern keiner Kirche angehört. Gleichwohl haben die Verfassungen der neuen Länder speziell den Kirchen z.t. Sonderrechte im karitativen und erzieherischen Bereich eingeräumt.

3. Verträge mit den Kirchen
Beide Großkirchen gehen den Weg, die von ihnen gewünschten Positionen und Rechte in Verträgen mit dem Staat festzuschreiben.
So haben die evangelischen Kirchen mit den neuen Bundesländern (1994 mit vier von ihnen) bereits Verträge abgeschlossen.

Brandenburg und Berlin befinden sich noch im Verhandlungsstadium. Mit der katholischen Kirche haben die Verhandlungen begonnen.

Die Kirchen beabsichtigen mit den Vertragsabschlüssen nicht nur die Neuschreibung der in früheren Konkordaten und Verträgen – deren Fortgeltung höchst zweifelhaft ist – enthaltenen Rechte. Die Verträge enthalten auch darüber hinausgehende Rechte und Privilegien.
Dabei kann nicht bestritten werden, dass es Regelungsbedarf zwischen Kirchen und Ländern gibt. Wo die Kirchen in weiten Flächen des Landes bei Friedhöfen eine „Monopolstellung“ haben, ist eine Regelung über Nutzen und Kostenerstattung erforderlich. Auch die kulturhistorischen Pflichten des Landes an Sakralbauten müssen über den „normalen“ Denkmalschutz hinaus geregelt werden.
Es ist aber völlig ungerechtfertigt, den Kirchen über die Hintertür eine quasi staatliche Stellung einzuräumen. Erforderliche Regelungen sind in staatliche Gesetze – nach entsprechender Beteiligung der Kirchen im Gesetzgebungsverfahren – aufzunehmen. In verfassungsrechtlich hoch problematisches Fahrwasser kommen die Verhandlungen, wenn es erklärtes Ziel der Kirchen ist, den Gesetzgeber auf lange Sicht zu binden.
Am brandenburgischen Kirchenvertrags-Entwurf sollen einige von den Kirchen gestellten Forderungen verdeutlicht und problematisiert werden:
Religionsunterricht: Er soll als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen
gewährleistet werden. In Brandenburg stellt sich aber die Frage, ob nicht die Klausel des Art. 141 GG gilt bzw. gelten soll. Dann würde Art. 7 Abs. 3 GG nicht zur Anwendung kommen, da am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Mit ihrer Forderung nach Geltung des Art. 7 Abs. 3 GG geht die evangelische Kirche selbst über die früheren Verträge hinaus, die zum Religionsunterricht keine Vereinbarung enthalten.

Staatsleistungen: Aus der Säkularisation leitet die evangelische Kirche eine Unterhaltspflicht des Landes für das Kirchenregiment sowie für die Besoldungen oder Zuschüsse für Geistliche und Kirchen ab.
Hier sollte geprüft werden, ob die früheren Verträge noch zu einer Zahlungspflicht des Landes führen. Sofern tatsächlich noch Rechtspflicht zur Zahlung besteht, sollten diese abgelöst werden.

Kirchlicher Dienst: Der kirchliche Dienst soll öffentlicher Dienst sein. Zwar stellen die Kirchen klar, dass das staatliche Dienst-recht keine Anwendung auf die Kirchen findet; aber bei einer Übernahme vom kirchlichen in den staatlichen Dienst sollen die kirchlichen Dienstzeiten Anrechnung finden. Eine Gleichwertigkeit der Ausbildungen ist aber nicht gewährleistet. Auswirkungen hat diese Regelung auch auf weitere Vorschriften im Vertrag. So leitet die evangelische Kirche daraus zum einen das Recht her, dass die Kirchengerichte berechtigt sind, Zeugen und Sachverständige zu vereidigen. Zum anderen soll daraus die Pflicht der Amtsgerichte folgen, Rechtshilfeersuchen der Kirche stattzugeben.
Gebührenbefreiung: Die Kirchen fordern, dass sie von allen auf Landesrecht beruhenden Kosten und Gebühren befreit werden, einschließlich Gerichtsgebühren und Gebühren für die Grundbuchämter.

Bindung des Gesetzgebers: In einigen Bereichen erheben die Kirchen die Forderung, dass die gegenwärtige Rechts- oder Verfassungslage „versteinert“ und der künftigen Gestaltung des Gesetzgebers entzogen wird.
So wird zum Beispiel unabhängig von der geltenden Gesetzeslage gefordert, dass kirchliche Feiertage gewährleistet werden. Den ersten ernsthaften Konflikt würde hier die Pflegeversicherung bieten!
Auch wird gefordert, dass das Land „darauf hinwirkt“, dass die Kirchen Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten. Eine Verletzung des Grundsatzes der weltanschaulichen Gleichberechtigung wird hier von den Kirchen nicht gesehen. Sie fordern die Bevorzugung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften, im Widerspruch zu Art. 137 Abs. 7 WRV in Verb. mit Art. 140 GG.

4. Ausblick
Die neuen Bundesländer hatten bzw. haben die Chance, das Verhältnis von Staat und Kirche neu zu regeln und dabei dem Trennungsgebot gerechter zu werden. Die meisten Länder haben diese Gelegenheit verpasst, indem sie nicht nur die Kirchenverträge der westlichen Bundesländer in vielem übernommen, sondern zusätzlichen Begehrlichkeiten der Kirchen nachgegeben haben. In Brandenburg und Berlin wäre jetzt zu zeigen, dass auch bereits institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten kritisch überdacht werden müssen.

Die strikte Einhaltung des Gebots der Trennung von Staat und Kirche dient letztlich auch dem Schutz der Kirchen vor dem Staat. Es kann nicht als kirchenfeindlich angesehen werden, wenn dem Selbstverwaltungsrecht der Kirchen ein größerer Raum gewährt wird. Fertig ausgehandelte Kirchenverträge und Konkordate, die im Landesgesetz übernommen werden, verstoßen zudem der Sache nach gegen das parlamentarische Prinzip.

Literatur

Neumann, Johannes, Gutachtliche Stellungnahme der HUMANISTISCHEN UNION zum Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg •Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. Januar 1994, München 1994;
Renck, Ludwig, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern – dargestellt am Beispiel Thüringens, in: ThürVerwBl. 1994;
Fischer, Erwin, Staat und Kirche im vereinigten Deutschland, Berlin – Aschaffenburg 1990.

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