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Antrag 4: Rechte für Whist­leblower

14. September 2011
Datum: Mittwoch, 04. Juni 2008

Initiative für mehr Rechtsschutz von Whistleblowern

Die Delegiertenkonferenz möge beschließen:

Die Humanistische Union tritt in den öffentlichen Diskurs über den individuellen und gesellschaftlichen Nutzen des Whistleblowing (Loyalität nicht nur gegenüber Arbeitgeber/Dienstherrn, sondern auch gegenüber Mitmenschen, der Gesellschaft und der Umwelt) sowie der Notwendigkeit eines besseren Schutzes von Whistleblowern ein.

Der Bundesvorstand wird beauftragt, bürgerfreundliche rechtliche Regelungen zum Whistleblowing dem Bundestag vorzuschlagen, welche eine für den Informanten gefahrlose Aufklärung von illegalem Handeln ermöglichen. Als Ausgangspunkt werden die unten erwähnten und andere Überlegungen von  Dr. Deiseroth vorgeschlagen.

Begründung:

Bislang sind Whistleblower in Deutschland vor Sanktionen ihrer Arbeitgeber weitestgehend ungeschützt. Unser ehemaliges Vorstandsmitglied Dr. Jürgen Kühling schildert die Situation in klaren Worten:

„Das Recht schützt – auch bei uns – die dunklen Geheimnisse der Mächtigen. Wer rechtswidrige oder gemeinschädliche Handlungen staatlicher Stellen oder seines Arbeitgebers offenlegt, verletzt regelmäßig Verschwiegenheitspflichten und setzt sich Maßregelungen aus. Der beamtenrechtliche Ausnahmetatbestand ist eng gefasst: Nur strafbares Verhalten darf der Beamte anzeigen. Im Arbeitsrecht gibt es kein allgemein anerkanntes gesetzliches Maßregelverbot für ‚Whistleblower‘. Der strafrechtliche Schutz von Staats-, Amts- und Geschäftsgeheimnissen reicht weit und kennt ebenfalls keine generelle Ausnahme für rechtswidrige oder gemeinschädliche Tatsachen.
Auch das gesellschaftliche Umfeld des ‚Whistleblowers‘ ist gewöhnlich nicht auf seiner Seite. Sein Verhalten wird als Verrat eingestuft, gilt als illoyal. Ein tief verwurzeltes Ethos der Gefolgschaftstreue überlagert die Grundsätze einer aufgeklärten Ethik, die sein Verhalten gutheißt. Zustimmung erfährt er, wenn überhaupt, gewöhnlich von weither. Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt – das ist das gewöhnliche Schicksal dessen, der sich im Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließt.“

Bestenfalls erreichen sie nach jahrelangem Rechtsstreit – mit Unterstützung eines mächtigen Verbandes – einen Teilerfolg, wie der gerade bekannt gewordene Fall von Brigitte Heinisch zeigt: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Juli 2011 entschieden: Die fristlose Kündigung von Brigitte Heinisch, Berliner Altenpflegerin, und die Weigerung der deutschen Gerichte diese Kündigung aufzuheben, verstoßen gegen das Recht auf Meinungsfreiheit, das in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechts-Konvention garantiert wird.

Anfang 2005 war Heinisch von ihrem Arbeitgeber, dem landeseigenen Berliner Konzern Vivantes fristlos gekündigt worden, weil sie im Dezember 2004 eine Strafanzeige gegen Vivantes wegen des Verdachts auf Betrug und weitere Straftaten gestellt hatte. Hintergrund war die Besorgnis von Heinisch über erhebliche Personal- und Qualitätsmängel in der Pflege. Hierauf hatte sie, teilweise auch gemeinsam mit Kolleginnen, zuvor schon mehrfach intern hingewiesen. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hatte mehrfach Pflegemängel festgestellt. Aber weder Heinischs Hinweise noch die Feststellungen des MDK hatten zu einer Verbesserung der Situation geführt.

In seiner Entscheidung benennt der EGMR das Verhalten von Frau Heinisch explizit als Whistleblowing und verweist auch auf die jüngste Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Thema Whistleblowing.

Vor dem Hintergrund der Vorfälle um den Gammelfleisch-Skandal haben die drei Bundesministerien Ernährung/Landwirtschaft/Verbraucherschutz, Arbeitsrecht/Soziales und Justiz im Jahre 2008 einen gemeinsamen Vorschlag für eine gesetzliche Verankerung des Informantenschutzes für Arbeitnehmer im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 612a n.F. BGB) vorgelegt.

Aber schon im Vorfeld der Behandlung im Parlament hat die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände BdA mächtig gegen eine gesetzliche Regelung zum Whistleblowing getrommelt.
Wie die Anhörung des BT-Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 4.6.2008 gezeigt hat, bleibt dieser Vorschlag inhaltlich jedoch weit hinter dem zurück, was notwendig ist, um diese Voraussetzungen für mehr Whistleblowing zu schaffen. Dies hat auch HU-Beirat Dr. D. Deiseroth festgestellt, der im eigenen Namen ein Sachverständigen-Gutachten abgegeben hat. Schließlich ist der Vorschlag am Widerstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gescheitert.

Bis Ende 2012 muss Deutschland gesetzliche Reglungen zum Whistleblowerschutz einführen, so lautet die Vorgabe der G20 von deren Gipfel im Seoul im November 2010. In einer Petition an den Deutschen Bundestag forderten über 5.400 Bürgerinnen und Bürger „gesetzliche Regelungen zum bestmöglichen Schutz von Whistleblowern“ und die SPD Bundestagsfraktion kündigte anlässlich des Dioxin-Futtermittelskandals Anfang 2011 einen Gesetzesentwurf noch vor der Sommerpause an.

Wie schon 2008 ist großer Widerstand der Arbeitgeberverbände zu erwarten. Auch die gesellschaftliche Unterstützung von Informanten wird nicht gewachsen sein.

Antragsteller:
Wolfgang Killinger (München)

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