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Begründung der Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises 1976 an Werner Hill

vorgängevorgänge 2412/1976Seite 121-123

Aus: vorgänge Nr. 24 (Heft 6/1976), S. 121-123

Lieber Werner Hill, sehr geehrte Gäste, liebe Freunde!
(.. .) Die Humanistische Union verleiht den Fritz-Bauer-Preis heuer zum siebenten Mal. 1968 wurde er, nach dem – nicht nur für seine Freunde – zu frühen Tod ihres anspruchs-vollsten und großherzigen Mitbegründers Fritz Bauer, als Zeichen der Verpflichtung zur Weiterarbeit für tief- und weitgreifende Reformen unserer Rechtsordnung gestiftet. Er zeichnet Frauen und Männer aus, die sich, „Vernunft und lebendigen Herzschlag” in sich vereinend- wie Fritz Bauer selbst die Voraussetzungen für humanes Handeln in seinem letzten öffentlichen Vortrag charakterisierte- für die Humanisierung und Liberalisierung des Strafrechts, des Strafvollzugs und für die Demokratisierung unseres Rechtswesens einsetzen. Unbequem und unerschrocken für und gegen die jeweiligen politischen Machtträger- hier speziell für und gegen die Justizbürokratie –, irritierend und lästig für das von selbstgerechten Vorurteilen und triebhaftem Vergeltungsfetischismus verhärtete- pathologisch höchst anfällige – „gesunde Volksempfinden” . . .
Alle bisherigen Preisträger zeichneten sich durch eine außergewöhnliche Empfindlichkeit gegen fortexistierendes, prädemokratisches Nicht-Recht, gesellschaftliches Un-Recht und ahumane oder willkürliche Rechtsverstöße aus. Alle waren und sind „Einzelkämpfer”, die sich zum Einsatz für menschenwürdige Kodifizierungen des Rechts und von dessen Anwendung verpflichteten. Sie maßen und messen das bürgerlich-liberale Postulat von der „Gleichheit aller vor dem Gesetz” an seiner Verwirklichung, und sie zielen, erinnert durch ein defizitäres Ergebnis, die Teilhabe der Nicht-Privilegierten, der Unterprivilegierten und der Ausgestoßenen an den unveräußerlichen Grundrechten an, die auch diesen die Verfassung formal garantiert.
Helga Einsele, die erste Fritz-Bauer-Preisträgerin, 1969, praktizierte diesen Anspruch als Leiterin der Frauen-Strafvollzugsanstalt in Frankfurt-Preungesheim. Birgitta Wolf, die den Preis 1971 erhielt, bekam ihn, weil sie seit Jahrzehnten Entrechteten während ihrer Haftzeit in bundesdeutschen Vollzugsanstalten und nach deren Entlassung in eine vergeltungssüchtige Mitwelt zu überleben hilft. Gustav Heinemann, Emmy .Biemer-Nicolaus und Helmut Ostermeyer- die Preisträger von 1970, 1972 und 1975, gehörten und gehören zu den unbeirrbaren Reformjuristen, die anachronistische Rechtsverkrustungen aufbrechen- als Ressortminister, als Parlamentarier und als Justizkritiker wie der Richter Qstermeyer, der seine Analysen über die Rechtsprechung an deutschen Gerichten aus seiner Berufserfahrung gewinnt. Mit der Preisverleihung an den politischen Strafverteidiger Heinrich Hannover im Jahre 1973 setzte die Humanistische Union einen- die Justiz- und gesellschaftspolitischen Akzente der Ausschreibung ausweitenden- politischen Akzent. In der Begründung sagte ich damals, daß der Fritz-Bauer-Preis für einen sich in politisch-strafrechtlichen Prozessen exponierenden Verteidiger nicht zuletzt die Forderung nach rechts-staatlichen Verfahren auch für jene politischen Straftäter unterstreichen solle, die das Grundgesetz und die auf seiner Basis erlassenen Gesetze nicht anerkennen.
Der warnende Unterton dieser drei Jahre alten Redepassage hat inzwischen ein erschreckendes Eigengewicht bekommen; er hat sich verselbständigt und er provoziert zur Widerstandspflicht.
Fritz Bauer war nicht nur d e r deutsche Reformjurist nach dem Zweiten Weltkrieg, der zu radikalem Umdenken über die gesellschaftlichen Sanktionen gegen Gesetzesbrecher aufforderte, er war auch einer der wenigen deutschen Juristen, die- im Gegensatz zu den Fachkollegen, die sich auf Kants absolut gesetzte Gehorsamspflicht gegenüber jedweder Obrigkeit berufen- das Recht und die Pflicht zum Widerstand gegen staatlichen Machtmißbrauch vertraten und begründeten. Seine in zunehmend verdüsterter Sorge wegen der restriktiven Entwicklung in der Bundesrepublik- gekennzeichnet durch die Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze -1965 vorgelegte Dokumentensammlung über den „Widerstand gegen die Staatsgewalt” bezeugt dies eindringlich. Vor allem aber sein letzter öffentlicher Vortrag, den er neun Tage vor seinem Tod am 30. Juni 1968 bei der Humanistischen Union in München hielt (veröffentlicht in Vorgänge 8-9/1968, S 268ff), bezeugt dies eindringlich. Der leidenschaftliche Tenor, in dem er sein Thema „Ungehor-sam und Widerstand in Geschichte und Gegenwart” vortrug, wurde von seiner Kritik an dem in das Grundgesetz aufgenommenen Absatz 4 des Artikels 20 bestimmt, der das „Recht auf Widerstand” kodifiziert. Nach seiner Meinung wurde hier das seit den Pro-pheten des Alten Testaments im Verlauf unserer Geschichte unzählige Male besiegelte Menschenrecht auf Widerstand gegen staatlichen Rechtsbruch pervertiert, weil es als grundrechtlich verbrämter „Verfassungsschutz von oben” verstanden und ausgelegt werden kann. Der letzte Vortrag, der als ein Appell begriffen werden muß, schließt mit dem Resummee: „Man kann zwischen einem totalen Widerstandsrecht und einer totalen Widerstandspflicht im Unrechtsstaat u n d einem partiellen Widerstandsrecht im Rechtsstaat unterscheiden. Auch dieses partielle Widerstandsrecht- das ,kleine Widerstandsrecht-, das wir heute besitzen, stellt Aufgaben genug. Der totale und der partielle Wider-stand (…) sind als Aufforderung zum persönlichen Engagement mehr ein pädagogisches Leitbild denn ein juristisches.”
In diesem Jahr 1976 wird der Fritz-Bauer-Preis vorrangig unter dem Aspekt solchen partiellen Widerstands verliehen. Werner Hills persönliches unabgesichertes, eigenverantwortliches Engagement für einschneidende Reformen unserer Rechtsordnungen- beispielsweise des Strafvollzugs- ist ein kritisch pädagogisches. Ihm immanent ist seine von politisch analytischer Sachkenntnis und strengem Berufsethos geprägte seismographische Kritik an den tagespolitisch motivierten Reduzierungen der Rechtsordnung, die Tendenzen zu verdächtig rigiden Rückläufigkeiten aufdeckt . . .- Rückläufigkeiten in Richtung auf eine „strafende” Gesellschaft, vertreten durch eine obrigkeitsstaatliche Bürokratie, die den Bürger „versorgt”.
Werner Hill praktiziert seit vielen Jahren im Rundfunk, in der Tagespresse, in Wochen- und Monatszeitschriften das, laut Fritz Bauer, zwingend gebotene partielle Widerstandsrecht. Er nimmt es in Anspruch analog zu den rechtstaatlichen Gefährdungen, die bislang nur eine alarmierend niedrige Zahl „mündiger Bürger” wahrnimmt als Abbruchunternehmungen von Rechtsnormen, die das Grundgesetz zu den unantastbaren zählt. Die Zahl der Informierten zu erhöhen ist ein mühseliges Geschäft. Sie auch zu Urteilsfähigen zu machen, deren geschärftes Bewußtsein ihnen die Augen öffnet für die verhängnisvollen Menetekel aus der Vorbereitungsperiode des zwölfjährigen Imperiums des Unmenschen, mag gar als Sisyphos-Arbeit erscheinen. Doch: dieses Geschäft täglich neu wieder auf sich zu nehmen- wie Werner Hill es tut-, widerlegt die vermeintliche Sinnlosigkeit dieser Arbeit und legt Widerstandsenergien frei, die politisch sensibilisierende Kettenreaktionen auszulösen vermögen. Mit der diesjährigen Preisvergabe an einen Journalisten appelliert die Humanistische Union an das Verantwortungsbewußtsein d e r Frauen und Männer, die in der Presse, im Hörfunk und im Fernsehen Einfluß auf die gesellschaftspolitischen und politischen Befindlichkeiten in unserer Republik nehmen. Die HU zeichnet Werner Hill sowohl wegen seiner ganz persönlichen Verdienste in der gegenwärtigen bundesrepubli-kanischen Publizistik aus, als auch stellvertretend für alle diejenigen seiner Kollegen, die mit Scharfblick, Sachkenntnis und Courage in den Medien aufklärenden Widerstand leisten …- vergleichbar jenem, den Carl von Ossietzky in den zwanziger und dreißiger Jahren leistete (was nicht besagen soll und darf, die abstruse Parole von 1976 „Freiheit oder Sozialismus” signalisiere Identität mit der Alarmsituation von 1932).
Aber es ist von eminenter Tragweite in diesen siebziger Jahren, ob die Legalisierung von Todesschüssen und der Anwendung von militärischen Waffen durch die Polizei in der Bundesrepublik, wie es das „Einheitliche Polizeigesetz für Bund und Länder” plant, in der bundesdeutschen Presse vorrangiger gewichtet wird als etwa die gewiß menschenverachtenden und protestwürdigen Schüsse an der DDR-Grenze. Werner Hill überschrieb seine Kritik an dem geplanten Polizeigesetz mit der Frage: „Todesschuß- die Polizei als Scharfschütze?” Es ist heute und hier für die demokratische Rechtsstaatlichkeit unerläß-lich, daß Journalisten die Strafrechtsverschärfungen und die Strafprozeßordnungseinschränkungen, wie die im Bundestag fast einstimmig verabschiedeten neuen Paragraphen 88a und 130a StGB und Behinderungen der freien Advokatur, für eine breite Öffentlichkeit auf ihre Grundgesetz-Konformität hin überprüfen, und- nach detaillierter Analyse- fragen: Wird im Gefolge des Baader-Meinhof-Traumas die mühevoll begonnene Liberalisierung des Rechts wieder demontiert? Und (um noch ein letztes Beispiel zu geben): Es kann von ausschlaggebender Bedeutung für die politische Zukunft unserer Bundesrepublik Deutschland sein, ob Journalisten das Tabu über die Unfehlbarkeit von Urteilen, die das Bundesverfassungsgericht fällt, durchbrechen und (über juristische Fachkreise hinaus) die politischen Bürger über die „Grenzüberschreitungen” dieses höchsten Gerichts aufklären- wie das Werner Hill mit seinen kritischen Urteilsschelten zum Hochschulurteil von 1973, zum Urteil gegen die Reform des § 218 1975 und zum Urteil über den „Extremistenbeschluß” von 1975 getan hat. (…)

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