Zensus 2011: Der Datenschutz zählt!
Informationen zur Volkszählung
Zum 9. Mai 2011, dem Stichtag für den Zensus, werden derzeit per Post die Besuche der „Erhebungsbeauftragten“ des Statistischen Bundesamtes für die Haushaltsbefragungen angekündigt.
Grundlage für den Zensus ist die EU-Verordnung über Volks- und Wohnungszählungen vom 9. Juli 2008 für alle EU-Mitgliedstaaten. Bundesweit werden knapp 10 Prozent der Wohnbevölkerung direkt befragt. Die Stichprobengroße schwankt zwischen den Bundesländern und ist in Stadtstaaten geringer: In Berlin sollen lediglich 3,6 Prozent befragt werden, in Rheinland-Pfalz 13,3 Prozent.
Der Verzicht auf eine Befragung aller BewohnerInnen zeigt im Vergleich zur letzten Volkszählung 1987 (in Westdeutschland, DDR-BürgerInnen wurden 1981 zuletzt erfasst) ein datensparsameres Vorgehen: Sicher auch ein Ergebnis der damaligen Proteste. Doch auch der aktuelle Zensus ist eine Totalerhebung: Zusammen mit der laufenden Erhebung aller Wohnungseigentümer (zugleich Grundlage zur Erfassung der Wohnungen) wird etwa ein Drittel der Bevölkerung direkt befragt. Die Anschriften der Eigentümer wurden von Finanzämtern, der Müllabfuhr oder dem Stromversorger bezogen. Weitere Daten der gesamten Bevölkerung werden „registergestützt“ indirekt einbezogen. Basierend auf dem Melderegister des Wohnorts werden hierfür weitere existierende Datenquellen zusammengeführt: Daten der Bundesagentur für Arbeit (ca. 27 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitssuchende) oder die Daten der öffentlichen Arbeitgeber über etwa 1,8 Mio. Beamte, RichterInnen und SoldatInnen. Weitere Daten liefern zusätzliche Befragungen sowie Berechnungsverfahren („Haushaltegenerierung“).
Zweck der Befragung sei es, ungenaue Bevölkerungszahlen, etwa zur Berechnung von Stimmbezirken oder für Finanzzuweisungen an Kommunen, zu korrigieren. Darüber hinaus sollen Basisdaten für Wissenschaft und Forschung, künftige Planungsvorhaben und (internationale) Vergleiche gewonnen werden. Abgesehen von den hohen Kosten von derzeit geschätzten 750 Mio. Euro für die Durchführung des Zensus wäre hiergegen grundsätzlich wenig einzuwenden.
Zweifelhaft ist jedoch der empirische Ertrag einiger Fragen, wie z.B. die – als freiwillig gekennzeichnete – Angabe zum „Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder zu einer Weltanschauung“. Als Alternativen angeboten werden hierbei: Christentum, Judentum, Islam (sunnitisch, schiitisch oder alevitisch), Buddhismus, Hinduismus, Sonstige sowie „Keiner Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung“. Diese nicht von der EU vorgegebene Bekenntnis-Frage soll offenbar auch eine Größenordnung für die Zahl der hierzulande lebenden Muslime liefern, die – anders als Mitglieder christlicher und jüdischer Gemeinden – keinen offiziellen Mitgliedsstatus haben. Die Humanistische Union kritisiert die über-obligatorische Erfassung solcher sensiblen Daten im Erhebungsbogen. Dass die Angabe freiwillig ist, ist auf dem Bogen leicht zu übersehen; fraglich ist zudem, ob jede/r Befrager/in darauf ausreichend hinweist. Grundsätzlich versprechen die Angaben hierzu wegen der Freiwilligkeit und mangels Nachprüfbarkeit ohnehin wenig belastbare Ergebnisse.
Ebenfalls nicht von der EU-Richtlinie gefordert, ist die Abfrage des „Migrationshintergrundes“. Die Befragten sind hierbei jedoch verpflichtet anzugeben, ob und aus welchem Staat sie oder ihre Eltern nach 1955 „in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ zugezogen sind. Fragen nach Religionszugehörigkeit, Glaubensrichtung und Migrationshintergrund können diskriminierend wirken. Solche Datensammlungen wecken zudem Begehrlichkeiten bei Polizei und Geheimdiensten. Die Erfahrungen mit der Rasterfahndung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zeigten deutlich, dass die Sicherheitsbehörden an solchen Daten interessiert sind.
Die Humanistische Union wendet sich ebenfalls gegen die gesonderte Erhebung der Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften wie z.B. Studierendenwohnheime, Internate, Obdachlosenheime, Klöster oder Seniorenwohnheime. Die von allen Bewohnern solcher Einrichtungen geforderte Angabe des Namens neben Geburtsdatum und Geburtsort und einigen weiteren Angaben zur Person erscheint für die Durchführung des Zensus nicht erforderlich. Falls die Anschrift des Wohnheims bzw. der Gemeinschaftsunterkunft zufällig auch für die Haushaltebefragung ausgewählt wurde, muss von allen Bewohnern dieser Adresse ebenfalls der umfassendere Erhebungsbogen beantwortet werden.
Besondere Rücksicht erfordert nach Auffassung der Humanistischen Union die Erhebung in sogenannten „sensiblen Einrichtungen“ wie z.B. Flüchtlingslager, Notunterkünfte, psychiatrische Kliniken, Waisenhäuser oder Gefängnisse. In solchen Einrichtungen werden die Bewohnerinnen und Bewohner nicht selbst befragt, sondern nur „auf geeignete Weise“ über die Erhebung informiert. Die Angaben sind dann von der Leitung der Einrichtung im Rahmen der ihr vorliegenden Kenntnisse zu machen. Neben der möglichen Diskriminierung von Bewohnerinnen und Bewohnern solcher Einrichtungen ist nach Auffassung der Humanistischen Union auch hier eine Namensangabe für den Zweck des Zensus unverständlich.
Für die weitere Durchführung des Zensus fordert die Humanistische Union die strikte Beachtung folgender datenschutzrechtlicher Erfordernisse:
- Kürzung der gesetzlich geregelten Aufbewahrungsfrist der Daten von derzeit bis zu vier Jahren nach dem Berichtszeitpunkt (geplant: 2013), also etwa bis 2017. Diese Aufbewahrungsfrist ist unverhältnismäßig lang. Dies gilt auch für die Auflösung des bundesweiten Anschriften- und Gebäuderegisters, die bis zum 9. Mai 2017 erfolgen muss.
- Verhinderung missbräuchlicher personalisierter Abfragen z.B. infolge einer Verknüpfung der Erhebungsbögen mit den Registerdaten über eine spezifische Ordnungsnummer.
- Die Verarbeitung und Speicherung der Daten sowohl in den verarbeitenden Stellen der Länder sowie nach der Zusammenführung der Datensätze in Bayern hat strengsten Qualitätsstandards zu genügen, um Missbrauchsgefahren auszuschließen. Jüngste Erfahrungen mit Datendiebstahl durch Externe sowie Veruntreuung von Daten durch Mitarbeiter („Steuer-CD“) deuten auf vorhandene Restrisiken.
- Strenge Einhaltung des Rückspielverbots, das im Volkszählungsurteil von 1983 geregelt wurde: Für statistische Zwecke erhobene Daten dürfen nicht an andere Verwaltungen, wie Polizeien, Meldeämter oder Finanzamt übermittelt werden.
- Genaues Beachten des Abschottungsgebots: Die erhobenen Daten müssen von sämtlichen anderen Verwaltungsabteilungen der Gemeinden und anderer Gebietskörperschaften getrennt bleiben.
- Einrichtung und Umsetzung technischer Normen und Verfahrensregeln höchster Qualität bezüglich Datenschutz und technischer Infrastruktur.
Anstelle der wenig transparenten Planung und Vorbereitung des Zensus hätte nach Auffassung der Humanistischen Union eine frühzeitige Beteiligung der Bevölkerung entsprechend der Vorgaben des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1983 stattfinden müssen. Die Mitte April angelaufene Informationskampagne des Statistischen Bundesamtes ermöglicht keine partizipative Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Statt abgestufter Zwangsregelungen zur Durchsetzung der Erhebungen wäre für die in zehn Jahren vorgesehene erneute Durchführung einer Erhebung eine freiwillige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in Erwägung zu ziehen, auch im Hinblick auf die gewünschte Datenqualität.
Was können Sie tun, wenn der/die BefragerIn vor der Tür steht?
Die BefragerInnen kündigen sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vorher schriftlich mit einem Terminvorschlag an. Es ist jedoch niemand verpflichtet, den Fragebogen gemeinsam mit dem Erhebungsbeauftragten auszufüllen oder ihn in die Wohnung zu lassen. Sie können sich den Erhebungsbogen mit Rückumschlag auch aushändigen lassen, um diesen selbst auszufüllen und an die Erhebungsstelle zurückzusenden.