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Aufgeklärte Politik öffent­li­cher Sicherheit oder symbo­li­scher Krieg gegen das Böse? Eine Analyse der Anti-Ter­ror-­Ge­setz­ge­bung

vorgängevorgänge 15909/2002Seite 31-40

Auch ein Jahr nach dem 11. September wäre es vermessen, alle Auswirkungen dieser furchtbaren und in ihrem Ausmaß einmaligen Terroranschläge zu summieren, geschweige denn eine „weltgeschichtliche Einordnung“ der Ereignisse versuchen zu wollen. In jedem Fall aber dürfte sich durch die Attentate des 11. September auf schmerzhafte Weise die uns längst bewusste Verwundbarkeit unserer komplexen Zivilisation (Jürgen Habermas) bestätigt haben. Weder das Land mit der stärksten Armee und dem größten Geheimdienst der Erde noch seine politischen Verbündeten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten konnten jene Terroranschläge verhindern oder auch nur voraussehen, bei denen innerhalb weniger Stunden rund 3.000 Menschen ihr Leben verloren.

Trotz dieser offenkundigen Ohnmacht traditioneller polizeilicher und geheimdienstlicher Mittel gegenüber dem gezielten Vorgehen einer Handvoll von Terroristen haben nahezu alle rechtsstaatlich-demokratischen Industrienationen mit zum Teil massiven gesetzlichen Maßnahmen im Bereich der Innen-, Sicherheits- und Ausländerpolitik auf die Anschläge reagiert. Ob diese Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Terrorakte geeignet sind, kann bezweifelt werden. Denn die hinter den Anschlägen stehenden Anhänger eines militanten fundamentalistischen Islamismus, bei denen das technische Know-how des 21. Jahrhunderts eine Verbindung mit Bewusstseinsformen des • 13. Jahrhunderts eingeht (so eine Formulierung von Ulrich K. Preuß), stellen eine qualitativ neue Gefahr dar, welche mit ihrem selbstmörderischen Willen, weder sich selbst noch andere zu schonen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als das Gebot des schonendsten Mittels im staatlichen Umgang mit seinen Gegnern potenziell nicht greifen lassen, wie Erhard Denninger feststellte. Freilich beeilte Denninger sich zu versichern, es sei deswegen noch lange nicht erlaubt, einen mutmaßlichen Terroristen zu foltern. Auch dieses Tabu der rechtspolitischen Diskussion ist aber bereits, unter Zuhilfenahme eines etwas konstruiert wirkenden Beispiels, in der jüngsten rechtspolitischen Diskussion von Winfried Brugger gebrochen worden. Mit der Debatte über ein staatliches Recht auf Folter erreichte auch hierzulande die Auseinandersetzung über den Terrorismus aus menschen- und bürgerrechtlicher Sicht ihren vorläufigen Tiefpunkt.

Die in der rechtspolitischen Diskussion zentral aufgeworfene Frage ist, in welchem Umfang die Anschläge vom 11. September und die notwendige, mit rechtsstaatlichen Mitteln auch weltweit zu betreibende Verfolgung der in ihrer Zahl bislang unbekannten Anhänger dieser extremen Ausprägung eines militanten Fundamentalismus grundsätzliche Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen der Tätigkeit u.a. von Polizei und Nachrichtendiensten legitimieren können.

Die deutsche Bundesregierung reagierte bereits wenige Tage nach den Attentaten in den USA mit der Ankündigung von zwei so genannten „Sicherheitspaketen“, die alle notwendigen und angemessenen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Attentate sowie zur Gewährleistung der allgemeinen öffentlichen Sicherheit enthalten sollten: angekündigt wurde die Ausweitung bundespolizeilicher Kompetenzen, die Erweiterung der Aufgaben und Befugnisse der Geheimdienste, Erleichterungen des Datenaustausches zwischen den unterschiedlichen Behörden sowie der Ausbau zahlreicher technischer und organisationeller Methoden zur besseren Identifizierung, und Überwachung aller deutschen Bürger, vor allem aber der in Deutschland aufhältigen oder nach Deutschland kommenden Ausländer.

Der Ausbau des Sicher­heits­ap­pa­rates

Das Polizei- und Strafprozessrecht sowie die gesetzlichen Kompetenzen der Nachrichtendienste sind seit Anfang der 1970er Jahre dauernder Gegenstand gesetzgeberischer Novellierungsvorhaben. So wurde nach dem „Anti-Terrorismusgesetz“ von 1976 und dem „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus“ von 1986 mit dem nun vorliegenden „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ von 2002 nunmehr bereits das dritte Paket diesen Namens verabschiedet. Insbesondere dessen zweiter Teil, das „Sicherheitspaket II“, perpetuiert und vertieft mit seinen Vorschriften rechtliche Entwicklungen, die bereits lange vor dem 11. September begonnen haben.

Die Geschichte des Bundeskriminalamtes (BKA) ist vor allem die seines kontinuierlichen Ausbaus (vgl. Aden 1999). Zuletzt erschien 1997 ein novelliertes BKA-Gesetz, welches zahlreiche mit weit gefassten Generalklauseln versehene Befugnisse insbesondere zur Datenverarbeitung enthielt. Mit jedem neuen Gesetz wird die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ein bisschen weiter verschoben: Polizeifragen sind an sich Länderangelegenheit. Längst aber haben sich die politischen Entscheidungs- und Kontrollzentren aufgrund der zunehmenden Rechtsvereinheitlichung von den Parlamenten der Länder weg in verfassungsmäßig nicht vorgesehene Gremien wie die Innenministerkonferenz (IMK) verschoben. Das Bundeskriminalamt (BKA) wird durch die neuesten Sicherheitsgesetze — auch gegenüber den Landeskriminalämtern — in dreierlei Weise gestärkt: zum einen hat es mit dem § 303b StGB (Computersabotage) neben den eigentlichen Staatsschutzdelikten eine weitere originäre Ermittlungskompetenz erhalten. Diese ist schon deswegen verfassungsrechtlich bedenklich, da bereits die Kompetenznormen des Grundgesetzes dem Bundesgesetzgeber verbieten, eigene Strafverfolgungszuständigkeiten für das BKA außerhalb der Staatsschutzdelikte zu begründen. Zum zweiten hat das BKA im Rahmen seiner Funktion als Zentralstelle zur Koordinierung der Zusammenarbeit der Bundes- und der Länderpolizeien nunmehr ein eigenständiges und allgemeines Recht zur Datenerhebung nach § 7 II BKAG. Damit scheint zwar die zunächst geplante neue, verdachtsunabhängige und eigenständige Ermittlungskompetenz des BKA insbesondere aufgrund der Intervention von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom Tisch. Angesichts des drohenden Einbruchs in eine der wenigen verbliebenen Länderkompetenzen in Form der Strafverfolgung darf aber bezweifelt werden, ob hier nicht auch frühzeitig und entscheidend der Widerstand aus den Ländern für die Rücknahme des Vorstoßes maßgeblich war. Befürchtet werden muss, dass das BKA auch im bloßen Rahmen seiner Zentralstellenfunktion nunmehr in größerem Umfang ohne Absprache mit den Länderpolizeien von sich aus Daten erhebt und es somit zu Doppelerhebungen und damit doppelten Grundrechtseingriffen kommt. Damit wären auch über den Zweck hinausgehende und aus datenschutzrechtlicher Sicht unzulässige Doppelspeicherungen der gesammelten Daten verbunden. Zum Dritten wird für das BKA die Möglichkeit des Lausch- und Spähangriffs zur Absicherung von verdeckten Ermittlungen („Kleiner Lauschangriff‘) über den bisherigen Kreis von Bediensteten auf bloße Vertrauenspersonen und Informanten erweitert: auch diese dürfen also laufend vom BKA bei ihren Einsätzen überwacht werden. Von diesen Maßnahmen dürfte regelmäßig ein weiter Kreis auch völlig unbescholtener Personen mitbetroffen sein.

Im Zuge der Internationalisierung krimininalpolizeilicher Aufgaben sind weitere Befugniserweiterungen des BKA zu erwarten. Angesichts der beim BKA favorisierten operativen Konzepte präventiv orientierter, auch auf Verdachtsgewinnung zielender Lagebilder, die eben vorrangig nur das BKA mit den zahlreichen bei ihm eingehenden Informationen zu erstellen imstande ist, dürfte es auch insofern zu weiteren Rechtsänderungen kommen, um die aus Sicht der Behörde notwendige Rechtssicherheit für die praktizierte Datenverarbeitung sicher zu stellen. In diesem Zusammenhang stehen aber nicht nur die Landeskriminalämter unter dem Druck weiterer Kompetenzverluste. Denn auch das BKA selbst wird sich gegenüber der zur Zeit rasant wachsenden EUROPOL-Behörde inhaltlich und kompetenzmäßig behaupten müssen.

Die Entgrenzung polizei­lich-­ge­heim­dienst­li­cher Befugnisse

Aus kriminalistischer Sicht regen sich Bedenken gegen diese zentralisierenden Tendenzen wegen der möglicherweise geringeren Effektivität polizeilicher Arbeit, wenn diese immer mehr von orts- und landesspezifischen Milieukenntnissen losgelöst wird. Das Schlagwort vom Remote Policing, der polizeilichen Arbeit aus „sicherer Entfernung“ also, welches an sich für die Bezeichnung des vermehrten Einsatzes fernsteuerbarer Überwachungstechnologien verwendet wird, erhält damit womöglich auch eine organisationelle Bedeutung. Aus bürgerrechtlicher Sicht aber droht die zunehmende Bürgerferne der Polizeiarbeit die demokratische Integration des Polizeiapparates zumindest graduell zu unterminieren.

Der Bundesgrenzschutz (BGS) darf nun entlang der Grenzen im Küstenbereich bis zu einer Tiefe von 50 Kilometern verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen. Per Rechtsverordnung darf dieses Gebiet auch ausgeweitet werden, so dass Städte wie Hamburg, Kiel oder Rostock dann in die sachliche Zuständigkeit des BGS fallen. Auf Verlangen sind bei so genannten sachdienlichen Befragungen nach § 22 BGSG dabei auch Ausweispapiere auszuhändigen — ein Schlag gegen die immer noch prinzipiell geltende Freiheit, ohne Ausweispapiere das Haus verlassen zu können und sich eben nicht immer und überall ausweisen zu müssen.

Vielfach beschrieben und kritisiert worden sind auch die Ausweitungen der Kompetenzen der Nachrichtendienste. Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 Teile des G-10-Gesetzes in der Fassung von 1994 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und den Gesetzgeber gezwungen, insbesondere wichtige datenschutzrechtliche Vefahrenskautelen zu ergänzen.

Damit war die strategische Auslandsüberwachung des Fernmeldeverkehrs (die so genannte Staubsaugermethode, nach der Telekommunikationen automatisiert auf verdächtige Suchbegriffe abgerastert werden) durch den BND auf den Prüfstand der Justiz gelangt. Am 29. Juni 2001 trat die von der jetzigen Regierung verantwortete, novellierte Fassung des G-10-Gesetzes in Kraft. Aus bürgerrechtlicher Sicht zu kritisieren ist die problemlose Weitergabe der verdachtslos und an sich zu Zwecken der Auslandsaufklärung erhobenen Daten zur Bekämpfung der Inlandskriminalität. Hierfür dürfte es schon an einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehlen, da die Strafverfolgung wiederum grundsätzlich Ländersache ist. Schlimmer aber ist, dass der eigentliche Informationsgewinnungseingriff sich nicht mehr in den rechtsstaatlichen Bahnen des strafprozessualen Tatverdachts bewegt und allein durch dessen Vorliegen legitimiert werden kann, sondern sich nunmehr eine tendenziell uferlose Ermittlungstätigkeit des Auslandsgeheimdienstes für inländische Strafverfolgungsbehörden zu etablieren droht. Denn die strategische Überwachung durch den BND erfolgt anlassunabhängig und allein unter Bindung an dessen Aufgabenstellung der Auslandsaufklärung. Von der strategischen Überwachung ist nach dem von der jetzigen Bundesregierung verabschiedeten, neuen G-10-Gesetz nun auch die leitungsgebundene Kommunikation betroffen. Die zuvor im „Staubsaugerverfahren“ allein überwachte Satellitenkommunikation betraf dagegen bislang nur einen geringen Anteil des Gesamtaufkommens im Fernmeldeverkehr, was noch eine gewisse faktische Einschränkung der Überwachung verbürgte, zugleich allerdings auch die Frage nach der grundsätzlichen Geeignetheit des Verfahrens zur Zweckerreichung aufgeworfen hatte. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sucht der BND sich derzeit auf dem Weg über Ergänzungen der erst jüngst verabschiedeten Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) neben anderen Sicherheitsbehörden die Herrschaft über die Schnittstellen zu sichern und damit die rechtliche Absicherung der technischen Umsetzung anlassloser Überwachung zu erreichen: die TKÜV verpflichtet nämlich sämtliche, also auch private Telekommunikationsanbieter, auf eigene Kosten zur Bereitstellung und Vorhaltung von so genannten Online-Schnittstellen, über die sich Polizeien und Dienste von den Anbietern selbst unbemerkt in deren Netze einschalten und mithören können.

Nach der Verabschiedung des Sicherheitspakets II kann der BND nun ergänzend, neben einer grundsätzlich erweiterten Aufgabenstellung auf die Beobachtung von Bestrebungen gegen die Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, nunmehr auch bei privaten Unternehmen wie Banken, Telekommunikationsbetreibern oder der Post nach der Herausgabe von Daten über Kunden fragen. Entscheidend für die bürgerrechtliche Gesamtbewertung dieser Befugnisse ist ebenfalls, dass mit der möglichen Weitergabe der Daten durch die Dienste an die Polizeien die für diese geltenden höheren Erhebungshürden umgangen werden und damit ein verfassungsrechtlich problematischer, weil entgegen der im Volkszählungsurteil dargelegten Prinzipien informationeller Gewaltenteilung ein funktionaler präventiver Fahndungsverbund entsteht. Ein solcher Fahndungsverbund potenziert die Datenmacht in den Händen der Exekutive auf eine Weise, die es nicht nur möglich macht, an sich verfassungswidrige, weil umfassende Persönlichkeitsprofile Einzelner zu erstellen, sondern die auch geeignet ist, das für eine Demokratie lebenswichtige Klima einer offenen und unüberwachten, das heißt ohne einen allgemeinen Überwachungsdruck auskommenden Öffentlichkeit zu beschädigen.

Im Ergebnis werden somit zunächst zwei Tendenzen erkennbar, die im Sicherheitspaket nur ihre Fortsetzung erfahren: zum einen wird der bundespolizeiliche Sicherheitsapparat weiter ausgebaut. Zum anderen wird mit dem an Konturen gewinnenden präventiven Informationsverbund die gegen die Bindungen des Verfassungsrechts gestellte Vision eines „vereinheitlichenden Sicherheitsrechts“ fortgeführt. Diese Entwicklung widerspricht den auch im Volkszählungsurteil formulierten Grundsätzen informationeller Gewaltenteilung. Sie erzeugt ein aus demokratietheoretischer Sicht tendenziell bedenkliches Informationsungleichgewicht zugunsten der Exekutive, dass auch mit Hilfe der auf verfahrensrechtlichen Kautelen beruhenden parlamentarischen Kontrollvorschriften nicht hinreichend ausbalanciert werden kann.

Weitere Verschär­fungen sind im Geset­ze­s­paket schon angelegt

Die zahlreichen Kompetenz- und Befugniserweiterungen für unterschiedliche Sicherheitsbehörden entfalten, so ist zu befürchten, eine nicht zu unterschätzende Ausstrahlungswirkung für die weitere rechtspolitische Entwicklung. Die Diskussion als auch die Umsetzung maßgeblicher Bestimmungen des Sicherheitspakets II weisen bereits die Richtung für künftige Gesetzgebungsvorstöße. Bereits genannt wurde die letztlich im Gesetzgebungsverfahren gescheiterte Initiativermittlungskompetenz des BKA. Aber auch der Fahndungsverbund bleibt thematisch aktuell und führt zu weiteren rechtspolitischen Vorstößen. So forderte jüngst der CDU-Sicherheitspolitiker Eckart Werthebach die Schaffung weiterer gegenseitiger Informationspflichten zwischen Nachrichtendiensten und Polizei. Eine datenschutzrechtlich prekäre Entwicklung stellt auch die Vorschrift des § 69 III SGB-X dar, die erstmals die polizeiliche Rasterfahndung in bestimmte Sozialdaten hinein erlaubt. Die besonders sensiblen und dem Schutz des Sozialgeheimnisses unterliegenden Sozialdaten auch von bislang völlig Unverdächtigen können somit in die behördliche Auswertung gelangen. Damit erfährt das wegen seiner Ausdehnung auf eine unbegrenzte Anzahl unverdächtiger Bürger ohnehin umstrittene Instrument der Rasterfahndung eine entscheidende inhaltliche Ausweitung, die — je nach Anwachsen der Datenbestände — eine beliebig weiter fortsetzbare rechtliche Ausdehnung der Zulässigkeit zumindest denkbar erscheinen läßt.

Auch die eine Vielzahl von Handy-Nutzern betreffende Legalisierung des Einsatzes von IMSI-Catchern durch den Verfassungsschutz im Terrorismusbekämpfungsgesetz war erkennbar nichts anderes als eine Salamitaktik, die den „Stachel ihrer Ausweitung“ bereits in sich trug. Denn, wie von Datenschützern befürchtet, wurde im Mai diesen Jahres die Verwendung des Geräts auch im Rahmen der Strafverfolgung in einem heimlichtuerischen, von der Öffentlichkeit in der Tat völlig unbemerkt gebliebenen Verfahren (an einem Freitagnachmittag vor Pfingsten in dritter Lesung ohne weitere Aussprache) im Bundestag verabschiedet. Fortgesetzt wird mit der Legalisierung dieser Technologie die Tendenz, wie bei Videoüberwachungen, Schleierfahndung oder Rasterfahndung entgegen dem Grundgesetz und ohne konkreten Grund Unverdächtige ins Visier zu nehmen: Die Gerichte formulieren das so: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, der Freiheitsanspruch des Einzelnen verlangt, von polizeilichen Maßnahmen verschont zu bleiben, die nicht durch eine hinreichende Beziehung zwischen ihm und einer Gefährdung eines zu schützenden Rechtsguts oder durch eine entsprechende Gefahrennähe legitimiert sind (vgl. MVVerfG DVB1.2000, S.262, 265). Oder, vielleicht etwas unpräziser formuliert: Nach dem Menschenbild des Grundgesetzes darf die Polizeibehörde nicht jedermann als potenziellen Rechtsbrecher betrachten (vgl. BVerwGE 26, 169, 170, ebenso OVG NW NJW 1999, 2689f.).

Ausländer als Bürger zweiter Klasse

Im Zentrum des Terrorismusbekämpfungsgesetzes stehen Bestimmungen über die informationelle Erfassung von Ausländerinnen und Ausländern. Während die Aufnahme von biometrischen Daten wie etwa Fingerabdruck oder Handgeometrie in deutsche Reisepässe und Personalausweise unter Parlamentsvorbehalt gestellt wurden, sollen Ausweispapiere von Ausländern auf dem Wege der einfachen Rechtsverordnung durch solche Daten ergänzt werden können. Diese dürfen dann in Verbindung mit Referenzdateien jederzeit von der Polizei genutzt werden. Damit wird am Parlament vorbei ein System errichtet, das für Deutsche in keinem Fall zulässig wäre: die Schaffung einer persönlichen und unveränderbaren Kennziffer in Form eines biometrischen Merkmals, mit Hilfe dessen alle sonstigen zur Person vorliegenden Daten verbunden werden können. Im Volkszählungsurteil hatte das Bundesverfassungsgericht eine solche Entwicklung wegen der Gefahr der Erstellung von umfassenden Persönlichkeitsprofilen als unzulässig bezeichnet. Dieses Urteil sowie der betroffene Artikel 2 Absatz 1 GG (in Verbindung mit Artikel 1 GG) gilt in vollem Umfang aber auch für Nicht-Deutsche.

Zur Herkunftsbestimmung von Ausländern wurde die Aufzeichnung der Sprachanalyse legalisiert. Ist die Herkunftsbestimmung jedoch einmal erfolgt, gilt unter dem Gesichtspunkt der Zweckbindung die Legitimation für eine weitere Speicherung als entfallen. Das Gesetz sieht gleichwohl eine datenschutzrechtlich unzulässige Vorratsdatenspeicherung des Sprachprofils zu allgemeinen Abgleichzwecken (zum Beispiel mit Telefonüberwachungen) für zehn Jahre vor. Über Visa-Antragsteller sowie deren im Visa-Antrag genannte in Deutschland lebende Gastgeber können Regelanfragen der Botschaften und Konsulate bei allen Sicherheitsbehörden vorgenommen werden. Mit sämtlichen Dateien, die im ohnehin inhaltlich weitestgehend ausgefransten Ausländerzentralregister vorhanden sind, dürfen nicht nur Polizeien sondern auch Geheimdienste unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gefahr Rasterfahndungen durchführen. Hier kann in der Tat ohne weiteres von einem rechtlich institutionalisierten Generalverdacht gegen alle Ausländer gesprochen werden. Verschärfend hinzu tritt die Informationspflicht des Bundesamtes für die Anerkennung von Flüchtlingen gegenüber dem Verfassungsschutz, der die dortigen Sachbearbeiter zu einer Art inoffizieller Außenstelle nachrichtendienstlicher Ermittlungen macht und den präventiven Informationsverbund weiter anwachsen läßt.

Nicht unerwähnt bleiben soll neben diesen legislativen Aufweichungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch die Verwässerung des Abschiebungsschutzes: der neue Art. 51 Abs. 3 Satz 2 Ausländergesetz erlaubt die Abschiebung bereits dann, wenn schwerwiegende Gründe den Verdacht rechtfertigen, der Betroffene habe ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke oder ein schweres nichtpolitisches Verbrechen oder aber Handlungen, die den Ziele und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, begangen. Hiermit wird systemwidrig und — worauf Denninger hingewiesen hat — erkennbar „Ausländer-Management aus dem Geiste der Prävention“ betrieben. An Stelle einer klaren rechtskräftigen Verurteilung tritt der bloß auf qualifizierte Gründe gestützte Verdacht, die an sich detailliert zu erhebenden Tatbestände werden durch eine vage Generalklausel abgesichert.

Es ist bezeichnend, dass in der öffentlichen Debatte über das Gesetz diese Details kaum Erwähnung fanden. Es verdeutlicht die schwache Lobby der Ausländer in Deutschland. Damit wird es dem Gesetzgeber leicht gemacht, einen Datenschutz zweiter Klasse für Ausländerinnen und Ausländer zu etablieren und das ohnehin weitgehend Rechtssicherheit für Ausländische Bürger verweigernde Ausländerrecht weiterhin auf eine Art und Weise aufzuweichen, wie es mit den Prinzipien des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.

Die symbolische Insze­nie­rung von Handlungs­stärke

Als im Bundestagswahlkampf 1980 zwei Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe zwar lange observiert, aber doch nicht festgenommen wurden, erhob die CDU schwere Vorwürfe gegen den Hamburger Senat und die Bundesregierung. Das Ganze gipfelte in der Attacke, FDP-Innenminister Baum sei zum Sicherheitsrisiko Nummer eins der Republik geworden. Bundeskanzler Schmidt wurde öffentlichkeitswirksam Führungsschwäche vorgeworfen.

Die rot-grüne Bundesregierung wird sich nach dem 11. September an diese und ähnliche Attacken erinnert haben — und handelte entsprechend. Die Aufgabe von Innenminister Schily war von Beginn der Legislaturperiode an ohnehin eindeutig definiert: er sollte der CDU/CSU-Opposition im Bereich der Innenpolitik keinen Zollbreit Profilierungsmöglichkeit und keine Angriffsfläche für den nächsten Wahlkampf bieten. Angesichts der Brisanz des Politikfeldes „Innere Sicherheit“ wollten sich die Koalitionäre um keinen Preis des Vorwurfs der politischen Naivität aussetzen. Der Handlungsdruck in diesem Politikbereich verstärkte sich nach dem 11. September natürlich enorm. Schily musste einen zügigen Nachweis staatlichen Handelns zu erbringen.

Das alles mag verständlich sein und aus taktischer Perspektive vielleicht sogar richtig. Doch die Art und Weise, wie die beiden Sicherheitspakete auf den Weg gebracht wurden, trägt Züge einer Form der politischen Inszenierung, die geeignet ist, das Vertrauen in einen rationalen und demokratischen Staat nachhaltig zu beschädigen. Das fängt damit an, dass es sich bei dem unmittelbar nach den Anschlägen auf den Weg gebrachten „Sicherheitspaket I“ um eine reine Mogelpackung handelt: es enthielt am Ende nicht mehr als die Änderung eines einzigen Gesetzes, nämlich die Streichung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsrecht. Die zunächst noch geplante Einführung eines § 129b Strafgesetzbuch, der die Strafbarkeit von sich in Deutschland aufhaltenden, aber im Ausland agierenden kriminellen und terroristischen Vereinigungen regeln sollte, wurde in die Ausschüsse verwiesen und gelangte erst im April diesen Jahres zur Verabschiedung (Vgl. BT-DrS 14/8893 sowie BT-DrS 14/7025). Zudem standen beide projektierte Gesetzesänderungen in keinem direkten Zusammenhang mit dem 11. September. Die Einführung eines § 129 b war nach Angaben der Verantwortlichen schon lange geplant und vor allem einer EU-Rechtsangleichung geschuldet. Die Streichung des Religionsprivilegs dagegen bezog sich vor allem auf die Erfahrungen mit dem so genannten Kölner Kalif-Staat. Das so zusammengeschusterte Gesetzespaket scheint damit auch in keiner Weise geeignet, einer möglichen terroristischen Bedrohung wirksam entgegenzutreten.

Das entscheidende „Sicherheitspaket II“ enthielt dann gleich ein so großes Bündel an grundrechtlich problematischen Maßnahmen, dass es einer eingehenden Befassung und Beratung durch eine möglichst breite Öffentlichkeit bedurft hätte. Stattdessen wurde das „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ noch vor dem Jahresende 2001 im Parlament durchgepeitscht. Eine hastig anberaumte Sachverständigenanhörung gab den Gutachtern nur wenige Tage zur Vorbereitung ihrer Stellungnahmen. Laufende Veränderungen des Verhandlungsstandes zwischen den Koalitionspartnern bis kurz vor der Lesung machten es der Mehrheit der Parlamentarier nicht möglich, von den geplanten Gesetzesänderungen hinreichend Kenntnis zu nehmen. Einige Abgeordnete bekannten im nachhinein, nicht wirklich gewusst zu haben, worüber sie da eigentlich abgestimmt hatten.

Dieses Vorgehen der das Verfahren betreibenden Koalitionspartner mag aus parteitaktischer Sicht möglicherweise ein legitimes Ziel verfolgt haben. Aus demokratietheoretischer Perspektive aber war sowohl die Art und Weise der öffentlichen Kommunikation der Maßnahmen als auch das eigentliche Verfahren selbst der Bedeutung der Problematik und mit Blick auf die möglichen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen unangemessen und es wurde der Öffentlichkeit effektives Handeln vorgetäuscht, wo tatsächlich wenig oder nichts geschehen war. Ein verantwortungsbewusster Staat aber sollte keine Versprechen geben, die er nicht einlösen kann. Er sollte sorgfältig prüfen, welche Wirkungen seine Gesetze haben können. Und: der Erlass von Gesetzen allein reicht zur Gefahrenabwehr niemals aus.

Für die mit einem eindeutig bürgerrechtlichen Profil in die Koalition gegangenen Grünen dürfte taktisch in der Situation nach dem 11. September ungefähr gegolten haben, was einer ihrer Strategen bereits im Jahre 1988 über die schwarz-gelbe Regierung zu sagen hatte, als diese ebenfalls gerade ein „Sicherheitspaket“ geschnürt und durchgeboxt hatte: „Dieses Spiel hat in Bonn Tradition. Dem gemeinen Volke wird aus einem größeren Paket ein bestimmter Plan zur Diskussion vorgeworfen. Sofort setzt die politische und wissenschaftliche Diskussion ein, ob denn alles rechtsstaatlich sei. Der zuständige Minister weist solche Vorwürfe als unerhörte Unterstellung empört zurück. Im Rahmen eines Hearings zerbrechen sich die Fachleute den Kopf darüber. Die Koalition ringt sich schließlich zu einem Kompromiss durch oder lässt den Punkt fallen. Die FDP feiert diesen Sieg‘ als Bestätigung ihrer rechtsstaatlichen Standhaftigkeit, während die Konservativen mit zerknirschter Miene schon jetzt gesetzgeberischen Nachholbedarf in der Zukunft anmelden.“ (Roth 1988:7)

Auch das Terrorismusbekämpfungsgesetz wurde damit begründet, dass die vorhandenen rechtlichen Instrumente nicht ausreichend seien. Wo nun aber genau die Defizite liegen, konnte noch niemand zufrieden stellend beantworten. Zumindest die nach dem 11. September überhastet durchgeführten Rasterfahndungen haben sich als grandioser Fehlschlag erwiesen. Immerhin hat der Gesetzgeber Teile des Terrorismusbekämpfungsgesetzes zeitlich befristet, viele der durch das Paket geänderten Gesetze gelten vom 11. Januar 2007 an wieder in ihrer alten Fassung. Außerdem sind die neuen Vorschriften vor Ablauf der Frist zu evaluieren. Gleichwohl besteht kein Grund zur Entwarnung. Denn die Evaluierung wird mit der gewählten Fünf-Jahres-Frist erneut in eine Vor-Wahlkampfphase fallen. Damit könnte sie zum Steilpass für weitere populistische Verschärfungen bzw. die umstandslose Verlängerung der Maßnahmen vor dem Hintergrund eines überwiegend auf Repression setzenden Diskurses der Inneren Sicherheit sein. Ferner sind die inhaltlichen Kriterien der Evaluation nicht näher definiert. Sollte die Überprüfung dann auch noch nicht unabhängig, sondern durch die Ministerialbürokratie erfolgen, könnte sie sich auch auf eine rein pekuniäre Kostenprüfung beschränken und ansonsten leerlaufen.

Effektive Gesetzesfolgenabschätzungen sind aufwändig und teuer. Sie beanspruchen, wie etwa die derzeit durchgeführte Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zur Effektivität der Telefonüberwachung zeigt, einen längeren Ausarbeitungszeitraum und führen mitunter, wie etwa die jüngst veröffentlichte erste Studie zur elektronischen Wohnraumüberwachung, zu für den Gesetzgeber verheerenden Ergebnissen: von gerade einmal 70 Verfahren in zwei Jahren blieben 41 ohne Ergebnis. Damit aber wird die Frage aufgeworfen, zu welchem Zweck diese verfassungsrechtlich hoch umstrittene Maßnahme des großen Lauschangriffs überhaupt eingeführt werden musste.

Fazit

In der Diskussion um den Abbau rechtsstaatlicher Sicherungen bei der staatlichen Gewährleistung öffentlicher Sicherheit darf es nicht so weit kommen, dass letztlich nur noch das empirische Argument des faktischen „Bürgerschutzes durch Knappheit der Personal- und Sachmittel bei den Sicherheitsbehörden“ zählt. Diese Argumentation verfängt nicht angesichts der beachtlichen Aufstockung der Geldmittel, die für den Sicherheitsapparat nach dem 11. September bereitgestellt wurden, auch wenn offenbar in den meisten Verwaltungsbereichen keineswegs immer eine zweckbezogene, unmittelbar auf die Bekämpfung des Terrorismus gerichtete Verwendung der Gelder erfolgte, sondern wohl auch anderweitige Lücken geschlossen und lange geplante sonstige Umstrukturierungen finanziert wurden.

Die Werte der Verfassung aber verpflichten den Gesetzgeber zur rechtlich effektiven Gewährleistung der Grundrechte: Extreme Ausnahmesituationen eines vereinzelt zuschlagenden und zugegebenermaßen gefährlichen Terrorismus dürfen nicht undifferenziert zum alleinigen Richtwert gesetzlicher Maßnahmen der Terrorbekämpfung werden. Weltweit bedürfen die demokratisch-rechtsstaatlich orientierten Staaten vielmehr der Rückbesinnung auf die tragenden Prinzipen ihrer demokratischen Rechtskultur, anstatt sich diese von „konservativ-pragmatischen Sicherheitsallianzen“ (Aden 1998:284) voreilig als Sicherheitshindernis hinstellen und entwerten zu lassen. Hierin könnte auch ein Beitrag zu weltweiter ziviler Krisenprävention liegen, wenn durch rechtsstaatliche Strukturen die Stabilität und Integrationskraft von Gesellschaften erhöht wird. In der weltweit zu beobachtenden Krise der Menschen- und Bürgerrechte unter dem Eindruck terroristischer Anschläge liegt damit auch die Möglichkeit zu einer Besinnung auf die eigenen Stärken. Die Bildung neuer, grenzüberschreitender Netzwerke und Allianzen durch diejenigen, denen die Prekarität der ihnen gesellschaftlich zur freien Entwicklung von autonomer Selbstbestimmtheit und Solidarität mit anderen eingeräumten Handlungsspielräume bewusst ist und die bereit sind, für ihre Freiheiten sichtbar einzutreten, könnte dann im besten Fall die positive Folge sein.

Literatur

Aden, Hartmut 1998: Polizeipolitik in Europa, Opladen.

Aden, Hartmut 1999: Das Bundeskriminalamt — Intelligence-Zentrale oder Schaltstelle des bundesdeutschen Polizeisystems?; in: Bürgerrechte und Polizei (Cilip), Heft 62, Nr. 1/1999, S. 6-17.

Denninger, Erhard 2002: Freiheit durch Sicherheit? Anmerkungen zum Terrorismusbekämpfungsgesetz, in: Strafverteidiger (StV), Heft 2 2002, S. 96 —102.

Meyer, Thomas 1992: Die Inszenierung des Scheins, Frankfurt am Main.

Roth, Jürgen 1988: Neue Bausteine zu den Sicherheitsgesetzen, in: vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik 92 1988, Heft 2, S. 7-10

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