Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 236: Der Streit um die Anleihekäufe der EZB

Der Streit zwischen dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt und dem Gerichtshof der EU zu den Anlei­he­käufen der Europä­i­schen Zentralbank im Lichte der nachfol­genden Krisen - Ein Streit­ge­spräch

Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde in den 1990er Jahren eingerichtet. Dies war eine institutionelle Voraussetzung für die Einführung des Euro, der ab 2023 mit dem Beitritt Kroatiens die Währung von 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten sein wird. Die Strategien und Maßnahmen der EZB waren stets umstritten. Gegner*innen der Gemeinschaftswährung monierten, die EZB überschreite ihre Kompetenzen. In Deutschland gingen sie dagegen auch in mehreren Verfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor. Für besonders viel Aufsehen sorgte die Entscheidung des BVerfG vom 5. Mai 2020, in der das Gericht – anders als zuvor der EuGH – den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB in der damaligen Form als Kompetenzüberschreitung einstufte, die mit Art. 23 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar sei.

Die Anleihekäufe wurden erheblich ausgeweitet, nachdem sich die EZB 2012 auf die Linie festgelegt hatte, den Euro „um jeden Preis“ zu stabilisieren und zu retten. Schon seit diesem „Whatever it takes“, vorgetragen vom damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, scheint sich die EU von ihren rigiden, in den 1990er Jahren maßgeblich von deutschen Regierungen durchgesetzten Vertragsgrundlagen in der Fiskalpolitik zu verabschieden. Auch in der COVID-19-Pandemie und jetzt im Ukrainekrieg sehen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten zu Maßnahmen gezwungen, die vorher undenkbar erschienen. Immer offensichtlicher finanziert die EU die Corona-Hilfspakete der Mitgliedsstaaten und widmet diese Mittel bei Bedarf um. Kritiker*innen sehen darin eine endgültige Hinwendung zur Vergemeinschaftung von Schulden und eine Abkehr von den vertraglich vereinbarten Stabilitätskriterien der Finanzpolitik. Die EU setzt immer neue Hilfs- und Konjunkturpakete der EZB auf, mit denen sie nicht nur den staatlich gelenkten Umbau der Wirtschaft in den Mitgliedsländern vorantreiben will, sondern auch die EU selbst als handlungsfähige Akteurin in einer multipolaren Welt zwischen der USA und China aufzustellen versucht.

Angesichts dessen eskalierte der juristische Streit um die Maßnahmen der EZB, insbesondere um die vertraglichen Grundlagen ihrer Anleihekäufe. Hat das BVerfG bei den Verfahren zu den OTM (Outright Monetary Transactions) noch die Begründung des EuGH akzeptiert, tat es dies bei den nachfolgenden Anleihekäufen der EZB, den PSPP (Public Sector Purchase Programme) nicht mehr. Das Urteil des BVerfG vom 5.5.2020 ist der bisherige Höhepunkt dieser Auseinandersetzung in Deutschland. Danach kam es zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen der Missachtung des Vorranges des EU Rechts durch das BVerfG, das wie das Hornberger Schießen endete. Dieser Streit wird fortgesetzt werden, mit Entscheidungen über die Maßnahmen der EU zur Corona-Bekämpfung und um die von der EZB Präsidentin Christine Lagarde angekündigten Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung des sogenannten TPI (Transmission Protection Instrument).

Die vorgänge-Redaktion hat vor diesem Hintergrund drei Wissenschaftler eingeladen, diese Entwicklungen aus ihrer unterschiedlichen fachlichen und finanzpolitischen Perspektive zu diskutieren: Andreas Fisahn (Verfassungsrechtler an der Universität Bielefeld), Hansjörg Herr (Volkswirt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) und Martin Höpner (Politikwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln). Mit den folgenden Fragen versuchen wir herauszufinden,

  • was die EZB mit ihren Maßnahmen bezweckt, was sie dazu treibt und ob sie dies nach geltendem EU-Vertragsrecht darf
  • wie der EuGH sich zu dem, was die EZB macht, positioniert und wie er dazu den Vorrang des EU Rechtes interpretiert
  • was dem Dissens über den Vorrang des EU Rechtes zwischen dem EuGH und den nationalen Verfassungsgerichten zugrunde liegt
  • wie das Verhältnis von Politik und Markt in der EU dauerhaft neu gestalten werden kann.

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