Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 236: Der Streit um die Anleihekäufe der EZB

Die Konstruk­ti­ons­fehler der Eurozone, die QE-Pro­gramme der EZB und das Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom Mai 2020

Die Europäische Währungs- und Wirtschaftsunion und das dazu gehörige Euro-Währungssystem haben eine Reihe grundlegender Konstruktionsfehler. Sie sind die Ursache für erhebliche Divergenzen in den Handels- und Zahlungsbilanzen, für hohe und auseinanderlaufende Arbeitslosenquoten sowie eine zunehmend ungleiche Wirtschafts- und Einkommensentwicklung in den Mitgliedsstaaten.

Im Finanzsystem stehen sich gewaltige Geldvermögen auf der einen und eine wachsende Verschuldung von Haushalten, Unternehmen und Staaten auf der anderen Seite gegenüber. Die damit verbundene Ausweitung spekulativer Geldbewegungen und Fehlallokation wirtschaftlicher Ressourcen verhindern eine effektive ökologisch und sozial ausgerichtete gemeinsame Wirtschaftsentwicklung und zerstören die Grundlagen der Europäischen Union. Sie bergen die Gefahr von Spekulationsblasen, Finanzkrisen und das Risiko eines Zusammenbruchs des Finanzsystems, beispielsweise bei Staatsinsolvenzen einzelner Mitgliedsstaaten. Mit den derzeitigen Regulationsdefiziten ist ein dauerhaftes Funktionieren des Euro-Währungssystems nicht möglich.

Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht mit ihrer Geldpolitik, diese Krisen und Risiken zu kompensieren, indem sie das Zinsniveau niedrig hält und durch den Aufkauf von Wertpapieren Zentralbankgeld in die Finanzmärkte pumpt. Damit soll einerseits die Wirtschaft stimuliert werden (was nur eingeschränkt gelingt) und zugleich die Insolvenz der Länder mit defizitären Leistungsbilanzen verhindert werden, indem diesen Staaten ermöglicht wird, schuldenfinanzierte Ausgaben zu tätigen. So konnte ein Zusammenbruch des Euro-Systems verhindert werden. Die Geldpolitik der EZB kann die strukturellen Funktionsdefizite des Eurosystems jedoch nicht beseitigen, sondern nur kompensieren – und auch dies nur partiell und mit einer Reihe problematischer Nebenwirkungen. Und ob eine solche Politik, die offiziell auf die Zielinflationsrate, faktisch aber auf die Finanzierung der Staaten ausgerichtete Geldpolitik der EZB noch in deren Kompetenzbereich liegt, ist äußerst umstritten.

Im folgenden Beitrag beschreibt Rainer Land die grundlegenden Funktionsdefizite des Euro-Währungssystems. Anschließend skizziert er die verschiedenen Ebenen, auf denen eine weitreichende Reform des Eurosystems ansetzen müsste: die Durchsetzung einheitlicher Inflationsraten in den Mitgliedsländern der Eurozone; ein Verfahren zur Regulation der Lohnentwicklung und ein harmonisiertes Lohnstückkostenniveau in den Mitgliedsländern; eine eigene Fiskalpolitik und ein eigenes Investitionsprogramm der EU gegenüber den Mitgliedsländern; die Erweiterung der EZB-Kompetenzen als unbegrenzte Kreditgeberin für alle Staaten des Euro-Währungsgebietes (um Staatsinsolvenzen auszuschließen); die Regulation der Finanzmärkte.

Dr. Rainer Land Jg. 1952, studierte Philosophie und Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 1992 ist er Redakteur der Zeitschrift Berliner Debatte Initial. Seit den 1980er Jahren arbeitet er an »Bausteinen zu einer evolutorischen Theorie der Moderne«. Seit 2000 ist er in diversen empirischen und theoretischen Projekten am selbst gegründeten Thünen-Institut e. V. in Bollewick tätig.

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