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Die Körper­sprache - ein Weg zum Charisma? Gerhard Schröder und Edmund Stoiber in den TV-Duellen des Bundes­tags­wahl­kampfs 2002

vorgänge16009/2024Seite 44-55

Die Körpersprache öffentlicher Personen gewinnt als Träger und Mittler von Botschaften immer mehr an Bedeutung. Ermöglicht und begünstigt wird diese Entwicklung durch die zunehmend bildhaft-plakative Personendarstellung in Printmedien und in Fernsehnachrichten. Die Rezipienten nehmen die nonverbale, also diesseits von Sprache stattfindende Kommunikation vor allem optisch-visuell auf. Jeder Mensch nimmt nonverbale Signale anderer Menschen mit seinen Sinnen wahr und teilt sich selbst im Gegenzug, oft unbewusst, körpersprachlich mit. Jedoch ist beim bewussten Gebrauch sowie beim Lesen der Körpersprache immer noch ein ,nonverbaler Analphabetismus‘ zu konstatieren.

Die Körpersprache wird seit den 1950er Jahren als Teilbereich der Kommunikation innerhalb der Sozialpsychologie verstanden und als „die Lehre von der sprechenden Bewegung“ (Reutler 1986: 6) definiert. Paul Watzlawick, Mitbegründer der „Schule von Palo Alto“, jene 1959 als Mental Research Institute gegründete Kommunikationsschule der Familientherapie, stellte folgende Formel auf: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (Watzlawick 1996: 53) Das ,Alphabet der Körpersprache‘ verrät ständig, in welcher Verfassung sich ein Mensch gegenwärtig befindet, denn auch wenn der Mensch schweigt, spricht er mit seinem Körper. Keine Bewegung ist zufällig, sondern das Ergebnis bewussten oder unbewussten Denkens.

In der empirischen Sozialwissenschaft sind Wort und Schrift als Untersuchungsgegenstand anerkannt. Die Körpersprache befindet sich hingegen bis heute in einer wissenschaftlichen Sonderstellung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Literaturmarkt von unzähligen populärwissenschaftlichen Werken zum Thema ‚überschwemmt‘ ist. Dort beschäftigt man sich primär mit Käufer-Verkäufer-Situationen, denn der Körpersprache wird im heutigen Dienstleistungszeitalter für den zwischenmenschlichen Bereich des Warenaustauschs große Bedeutung attestiert. Selten wird dagegen die Körpersprache in rein theoretischen Zusammenhang gestellt; noch rarer sind Arbeiten, die sich mit dem Einfluss der nonverbalen Kommunikation in der Politik beschäftigen.

Jeden Tag werden die Bürger live oder vor allem im Fernsehen mit der Körpersprache der Spitzenpolitiker konfrontiert. Das galt insbesondere für den Bundestagswahlkampf 2002, in dem der Bundeskanzler und der Spitzenkandidat der Opposition, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, im Mittelpunkt des medialen Interesses standen. Im Folgenden wird gefragt, inwieweit Gerhard Schröders und Edmund Stoibers nonverbale Kommunikation zu ihrem politischen Erfolg/Misserfolg und zur positiven/negativen Medienpräsenz beitrug.

Gerhard Schröders und Edmund Stoibers körpersprachliche Signale werden am Beispiel der beiden ,Fernsehduelle‘ interpretiert. Die beiden Spitzenkandidaten werden schrittweise hinsichtlich Körperhaltung, Gang und Bewegung, Gestik, Gesicht und Mimik, Stimmqualität, Individualdistanz und Revierverhalten sowie äußerem Erscheinungsbild analysiert. So soll herausgefunden werden, welche Gesten typisch für Schröder und Stoiber sind, was man aus ihrem Mienenspiel ablesen kann, wie ihr Lachen und der Klang ihrer Stimme auf die Rezipienten wirken und wie sie durch ihre Motorik Besitz vom sie umgebenden Raum ergreifen.

Der mediale Einfluss auf die Körper­sprache in der Politik

Zur Analyse der nonverbalen Kommunikation von Politikern eignen sich insbesondere Fernsehdebatten. Denn anders als bei vorbereiteten Reden wie im Deutschen Bundestag oder auf Parteitagen werden Politiker in Fernsehdiskussionen häufiger mit unvorhergesehenen Fragen oder Argumenten konfrontiert. Aus solchen Situationen heraus agieren die Diskussionsteilnehmer oft mit spontanen Gesten oder sie weisen ein unverfälschtes Mienenspiel auf. In diesen Fernsehbeiträgen besteht für die Zuschauer die Möglichkeit, genauere Schlüsse über die Körpersprache der Politiker zu ziehen als bei einstudierten Redebeiträgen. Den Stressmomenten bei hitzigen Fernsehdebatten können auch mediengerecht geschulte Politiker schwer entkommen, da in Stresssituationen körpersprachlich jeder so handelt, wie er persönlich ist. Die bildhafte Darstellung des Fernsehens eignet sich daher hervorragend, um viele Informationen über die Person, ihre Gefühle, ihre innere Haltung und ihre Lebenserfahrung zu erhalten.

Bei Fernsehdiskussionen vor Wahlen geht es in erster Linie um die Zielgruppe der Wähler, die erst während des Wahlkampfes eine Entscheidung fällen und deren Stimmen oft ausschlaggebend sind (Laux 1996: 64f.). Mit zunehmender Konturlosigkeit der Parteiprogramme und Unübersichtlichkeit der Parteiziele sowie ideologischer Standpunkte hat sich die Anzahl unentschlossener Wähler vor Wahltagen erhöht. Zudem ist eine Lockerung der emotionalen Bindungen beträchtlicher Teile der Wähler an ihre Parteien festzustellen und damit verbunden ein erhöhter Wechselwähleranteil (Sarcinelli 1990: 62). Durch diese Prozesse werden das Medium Fernsehen und die Macht der Bilder für Politiker noch bedeutungsvoller: In den USA wurde bereits Anfang der 1980er Jahre beobachtet, dass immer mehr Wähler sich bei ihrer Entscheidung vor allem an der Person des Kandidaten, weniger an programmatisch-inhaltlichen Aspekten orientierten (Campbell 1982: 4ff.). Für die positive Wirkung eines Kandidaten beim Fernsehpublikum hat daher der Stil seines Auftretens größere Bedeutung als seine inhaltlichen Aussagen.

Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan gilt als der „klassisch nonverbale Charismatiker“ (Frey 1999: 97). Oft wird Reagan der sog. ,Tefloneffekt‘ zugeschrieben: Die entsprechende Person kann im Fernsehen einen besonders guten Eindruck machen, da nichts Negatives an ihr haften bleibt. Dies lässt sich vor allem durch die nonverbalen Informationsquellen wie Aussehen, Ausstrahlung und Körpersprache erklären.

Reagan war ein Meister der Inszenierung seiner Auftritte. Seine Pressekonferenzen wurden wie Bühnenauftritte tagelang geprobt, bis hin zu Gesten und Zwischenbemerkungen (Meyer 1992: 94). Die „Selbstinszenierung der Person als Programm“ (ebd.: 96) rückt gegenwärtig immer weiter in den Vordergrund des politischen Geschehens, denn das Transportieren von wichtigen Inhalten läuft in der durch Medien informierten Gesellschaft über Personen (Laux 1996: 9f.). Die Personalisierung ist als ein wesentliches Grundmuster der Politikvermittlung anzusehen, denn ,Köpfe‘ lassen sich leichter darstellen und vermitteln als Inhalte (Sarcinelli 1990: 43). In der Mediengesellschaft wird die Wirklichkeit auf den Fernsehkonsumenten zurechtgeschnitten. Er soll sie ,einfach‘ und auf der visuell-auditiven Ebene verarbeiten können. So werden politische Themen in der Medienwelt ganz gezielt nicht über die Sachebene vermittelt, sondern bewusst an Personen gebunden. Aus diesem Grund ist es für Politiker wichtiger als jemals zuvor, dem Publikum überzeugende Bilder ihrer Persönlichkeit zu vermitteln (Laux 1996: 27; vgl. auch vorgänge 158 „Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft“ [Heft 2/2002 — Juni]).

Bundes­tags­wahl­kampf 2002: Gerhard Schröder versus Edmund Stoiber

Zur Analyse der Körpersprache von Gerhard Schröder und Edmund Stoiber wurden deren Auftritte in den beiden Fernsehduellen untersucht. Zentrale Frage war, inwiefern sie die Körpersprache für ihr politisches Agitieren einsetzen. Ferner werden ihre speziellen Reaktionsabläufe und Verhaltensweisen in bestimmten Stresssituationen der ,Duelle‘ beobachtet und analysiert.

1. Das „Duell“ vom 25. August 2002 (RTL/Sat 1)

Äußeres Erscheinungsbild
Die beiden ‚Duellanten‘ präsentieren sich in ihrer Kleidersprache betont staatsmännisch. Zum klassisch-konservativ dunklen Anzug tragen sie ein helles Hemd und eine modisch, gestreifte Krawatte. Gerhard Schröder hat das in Management-Kreisen beliebte Hemd mit ,Haifischkragen‘ gewählt. Dieses schnürt seinen kurzen, aber breiten Hals nicht so ein und bietet ihm mehr Bewegungsfreiheit. Im Gegensatz dazu trägt sein Opponent Edmund Stoiber ein Hemd mit steifem Stehkragen. So wirkt er ,zugeknöpfter‘, konservativer. Stoibers Teint ist im Laufe des Bundestagswahlkampfes immer brauner geworden. Dadurch soll er auf die Rezipienten frisch und vital wirken.

Motorik: Gerhard Schröder
Da die beiden ,Duellanten‘ hinter einem Rednerpult stehen, sind für die Fernsehzuschauer nur Kopf and Oberkörper wahrzunehmen. Ihre Bein- und Fußstellung wird durch das Pult verdeckt und ist deshalb nicht zu interpretieren. Das Pult ist eine Art Schutzwall, der eine Barriere zwischen Sprecher und Zuhörer aufbaut. Bundeskanzler Gerhard Schröder hält sich am Anfang des ,Duells‘ mit beiden Armen am Pult fest, Oberkörper und Kopf sind statisch. In dem gesamten ,Fernsehduell‘ sind so gut wie keine Kopf- und Oberkörperbewegungen zu registrieren. Als Schröder etwa den Solidarpakt II anspricht und dabei auf jeglichen nonverbalen Einsatz verzichtet, verfehlen seine Worte die gewünschte Wirkung. Dieser mangelnde motorische Einsatz lasst ihn erstarrt, kraft- und tatenlos erscheinen. Lediglich als er über die Flutkatastrophe spricht und „die Bereitschaft des Volkes zusammenzustehen“, setzt er seinen Kopf zur Begleitung seiner Worte ein. In diesen Momenten agiert er als ernster Krisenmanager, der es versteht, glaubwürdig, vertrauenswürdig ,rüberzukommen‘.

Motorik: Edmund Stoiber
Um weniger aggressiv und hektisch bei den Fernsehzuschauern anzukommen, dosiert Stoiber seine Kopf- und Oberkörpermotorik. Üblicherweise ist Stoibers Motorik in Reden oder Fernsehdiskussionen äußerst lebhaft. Erst nach etwa einer halben Stunde wird seine Motorik etwas offensiver. Als er beispielsweise formuliert „Wir sind gegen die Ökosteuer“, schiebt er Kopf und Oberkörper leicht nach vorne, um seine Entschlossenheit, die Ökosteuer abzusetzen, zu demonstrieren. Jedoch wirkt er nicht so hektisch, fahrig wie noch bei früheren TV-Auftritten, sondern ruhiger, fernsehgerechter.

Mimik: Gerhard Schröder
Nur zur Begrüßung lächelt Schröder kurz und abgeklärt in die Kamera. Das sonst so häufig zitierte schalkhaft-joviale Medienlächeln steht heute nicht auf seiner ,nonverbalen Tagesordnung‘. Seine Mundwinkel sind oft weit nach unten gezogen, wodurch er einen pessimistischen, missmutigen Eindruck hinterlässt. Ganz besonders deutlich wird dies, wenn Schröder in der Zuhörerrolle ist und von seinem Herausforderer Stoiber kritisiert wird. Zu den herabgezogenen Mundwinkeln kommt ein ungewohnt defensives Blickverhalten. Während sein Kontrahent Stoiber das Thema Arbeitslosigkeit anspricht, senkt Schröder seinen Blick ausweichend nach unten. In dieser Situation offenbart er Unsicherheit, er möchte mit diesem Problem nicht konfrontiert werden. Als Schröder eine Zusammenarbeit mit der PDS ausschließt, entgegnet Stoiber schlagfertig: „Das glaub ich ihm nicht.“ Schröders nonverbale Antwort folgt in Form von einem lauten Schnalzen mit der Zunge, dem sich ein kurzes, unechtes Lächeln anschließt. Das unbeherrschte Zungeschnalzen offenbart deutlich Schröders Verärgerung; es zeigt, dass er nicht in jeder Situation der souveräne ,Medienprofi‘ ist. Ein weiteres Merkmal für seine Verlegenheit äußert sich im mehrfachen ,Lippen zusammenpressen‘. Diese leicht abgewandelte Form des ,auf die Lippe beißen‘ ist dann zu beobachten, wenn er einen Wortbeitrag beendet hat. Als er z.B. über die Hartz-Kommission spricht, presst er seine Lippen zusammen, anstatt gewinnend zu lächeln wie sonst bei ihm üblich. [1] Gerhard Schröder weiß, dass er seine Zielvorgabe, die Arbeitslosigkeit unter 3,5 Millionen zu senken, nicht einhalten konnte. Die nonverbale Reaktion darauf drückt sich in den verkrampften, heruntergezogenen Lippen aus, die seine diesbezüglich schlechte Stimmung verraten. Die Rezipienten bemerken bewusst oder unbewusst diese mimische Unsicherheit Schröders, die im Hinblick auf das Hartz-Konzept zum Vorschein kommt.

Mimik: Edmund Stoiber
Edmund Stoiber strahlt breit und offen zur Begrüßung in die Kamera. Der sonst eher mit Adjektiven wie ernst und verkniffen in Verbindung gebrachte Stoiber mimt in diesem ersten Fernsehduell den beinahe stets mit einem subtilen Lächeln ausgestatteten Herausforderer. Stoiber setzt sein Lächeln, bei dem die oberen Zähne offen gelegt werden, ganz bewusst ein, um Zuversicht und Wärme auszustrahlen. Da er jedoch auch bei Problemen wie der „Katastrophe der Arbeitslosigkeit“ seine Worte mit einem Lächeln begleitet, irritiert es die Rezipienten. In solchen Momenten merken die Fernsehzuschauer, dass Stoiber sich dieses Lächeln für das ,Duell‘ antrainiert hat. So wird die gewünschte Wirkung verfehlt, da es nicht mehr authentisch ist.

Im Gegensatz zu seinem politischen Gegner Gerhard Schröder ist Stoiber darauf bedacht, bei wichtigen Themen wie „Arbeitslosigkeit“ Blickkontakt zu den Fernsehzuschauern aufzunehmen. Anders als bei seinem nicht immer situationsgerechten Lächeln versteht es Stoiber hier, den Blickkontakt zu den Fernsehzuschauern geschickt und unaufdringlich einzusetzen. Mit klarem, offenem Blick transferiert er Selbstsicherheit, Offenheit und Freundlichkeit. Dass bei diesem ,Duell‘ ganz besonders Stoibers mimische Konstitution gefestigt ist, zeigt die Situation, in der er Schröder direkt anspricht: „Ich würde Ihnen raten, mehr in die Akten zu schauen.“ Einerseits spielt er durch diesen Satz auf sein Image des ,Aktenfressers‘ an, andererseits unterstellt er dem Bundeskanzler fehlendes Sachwissen. Zusätzlich dokumentiert Stoibers Körpersprache in diesem Moment sein Selbstbewusstsein: Er lächelt breit in die Kamera und zwinkert kokett den Fernsehzuschauern zu. Stoibers telegen-zentriertes Mienenspiel ist ein entscheidender nonverbaler Baustein für seinen überraschend mediengerechten Auftritt. Über die unterstützende Mimik in Form von Lächeln mit direktem Blickkontakt gelingt es ihm insgesamt, seinen Worten Nachdruck, Überzeugung und Vertrauenswürdigkeit zu verleihen.

Gestik: Gerhard Schröder
Zu Beginn des ‚Duells‘ umklammert Schröder mit beiden Händen das Stehpult. Obwohl er sich nach etwa zwanzig Minuten aus der angespannten Haltung löst, verfällt er im Laufe der Sendung immer wieder in die Umklammerungspose, die ein Zeichen für Verkrampfung und Nervosität ist. Nur selten setzt Schröder die für ihn typischen runden, fließenden Gesten ein. Diese natürlichen, nicht gespielt wirkenden Gesten machen ihn bei vielen Fernsehzuschauern sympathisch. Bei Schröder ist die rechte Ratio-Hand, die auf konkrete, punktuelle Informationen wie Zahlen, Daten, Fakten hindeutet, dominierend. Eine besonders aktive rechte Hand demonstriert die Lust zum Handeln. Die linke Gefühls-Hand, in der eher die analogen Informationen wie Bilder und Parabeln verarbeitet werden, kommt bei Schröder weniger zum Einsatz. Lediglich bei der vorletzten Frage zur Rolle seiner Ehefrau Doris Schröder-Köpf, bedient er sich seiner linken Gefühlshand. Ob er dieses nonverbale Stilmittel nun bewusst oder unbewusst einsetzt, bleibt offen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass er durch den spontan wirkenden Einsatz der linken Gefühlshand, gepaart mit der ruhig ertönenden Stimme, beim Themenkomplex „Die Rolle der Frau“ Sympathien bei den Betrachtern gewinnt.

Gestik: Edmund Stoiber
Edmund Stoibers Gestik ist im Unterschied zu vergangenen Fernsehauftritten deutlich reduzierter. Auch er umklammert die meiste Zeit mit beiden Händen das Rednerpult. An seinen hervorkommenden Fingerknöcheln ist abzulesen, dass er das Pult mit seinen Händen förmlich ,malträtiert‘. Sie umschließen das Pult so fest, als wolle er es zerdrücken. Das Pult fungiert als eine Art Ableiter für seine Angespanntheit und Nervosität. Nur gelegentlich offenbart sich in Ansätzen seine sonst so lebhafte Fingersprache, indem er einzelne Finger nach außen hin abspreizt. Es ist anzunehmen, dass dieses Fingerabspreizen Stoiber nicht bewusst ist. Der aufmerksame Zuschauer spürt jedoch, dass er versucht, sich zu bremsen, sein gestisches Repertoire zurückzuhalten. Die sonst für ihn typischen Dominanzgebärden wie Zeigefingereinsatz oder ,Handkantenschläge‘ werden unterdrückt, da sie zu aggressiv auf die Rezipienten wirken. Ein kurzer symbolischer Hilferuf Stoibers ist zu vernehmen, als Moderator Peter Kloeppel ihn darauf hinweist, er könne ruhig den Bundeskanzler anschauen und nicht ihn, wenn er diesen direkt anspreche. Daraufhin fasst sich Stoiber an seinen Ehering und dreht kurz daran. Diese bei Stoiber häufig in angespannten Situationen zu beobachtende Geste ist für ihn ein Appell an sein Gefühl. Die Geste hat für ihn einen meditativen, beruhigenden Charakter.

Fazit des ersten Duells
Gerhard Schröders überwiegend monotoner Tonfall in Kombination mit dem geringen Einsatz von Mimik und Gestik demonstrieren Lustlosigkeit an diesem ,Duell‘. Zwar strahlt er bei manchen Themen durch seine ruhige, sonore Stimme und sparsame Gestik Besonnenheit und Überlegenheit aus. Jedoch wäre angesichts hoher Arbeitslosigkeit und geringen Wirtschaftswachstums, mit denen ihn sein Gegner und die Moderatoren konfrontieren, etwas mehr körpersprachliches Engagement gefragt. Er agiert insgesamt in allen nonverbalen Komponenten zu defensiv. In diesem erstem ‚Duell‘ ist Schröder nicht der ,Medienkanzler‘, sondern wird als müder, kraftloser, teilweise durch die Mimik resigniert wirkender Staatsmann in Erinnerung bleiben. Die Körpersprache wäre ein probates Mittel gewesen, um den potenziellen Wählern und Wählerinnen mehr Zuversicht und Tatkraft zu vermitteln.

Die nonverbale Analyse des ersten deutschen Fernsehduells lässt vermuten, dass sich Kanzlerkandidat Edmund Stoiber in ein ,Medientrainingslager‘ begeben hat. Durch reduziertere Motorik, freundliches, zum Zuschauer Blickkontakt aufnehmendes Mienenspiel gelingt es ihm, seinem hölzernen Image entgegenzuwirken. Zusätzlich klingt seine Stimme ruhiger, klarer als üblich, da er seine vielzitierten ,Ähs‘ und ‚Ohs‘ unterdrückt. Dadurch hinterlässt er einen angenehmeren Eindruck bei den Rezipienten. Den einzig richtig schwachen verbalen und nonverbalen Moment hat Stoiber bei der vorletzten Frage. Auf die Rolle ihrer Ehefrauen angesprochen, reagiert Stoiber weitaus unbeholfener als Schröder. Während der Bundeskanzler hier mit ruhiger Stimme und linker Gefühlshand selbstbewusst ein modernes Frauenbild vertritt, gerät Stoiber in die Defensive. Seine Sätze werden zu lang, die ,Ähs‘ häufen sich. Als er seiner Ehefrau Karin attestiert, „mit der Ehe eine große soziale Aufgabe in Bayern übernommen zu haben“ und das sie sich „nur in der ihr gebotenen Zurückhaltung äußere“, holt ihn der ,Christiansen-Effekt‘ ein. Stoiber verfällt plötzlich wieder in das alte Rollenbild vom unbeholfenen, reaktionären, konservativen Politiker zurück. In diesem Augenblick wird deutlich, dass es trotz des Medientrainings nahezu unmöglich ist, permanent eine einstudierte Rolle zu spielen. Die aufmerksamen Fernsehzuschauer spüren, dass beim Frauenbild Stoibers Worte, Körpersprache und Stimmklang in Inkongruenz zueinander stehen.

Da jedoch die medialen Erwartungen an Stoiber deutlich geringer waren als an Schröder, ist davon auszugehen, dass er bei diesem ersten ,Duell‘ als Punktsieger hervorging. [2]

2. Das „Duell“ vom 8. September 2002 (ARD/ZDF)

Vor diesem zweitem ,Duell‘, ausgetragen auf der öffentlich-rechtlichen Bühne, wurde in sämtlichen Medien über den Sinn und Zweck der ,TV-Duelle` diskutiert. Liefern sie den Rezipienten auf der Inhaltsebene einen sachpolitischen Erkenntnisgewinn oder geht es lediglich darum, welcher der beiden ,Duellanten‘ die schönere Krawatte oder das bessere Make-up aufweisen kann? Die Meinungen hierzu waren vielfältig. Zweifellos war nach dem ersten ,Duell‘, bei dem über fünfzehn Millionen Fernsehzuschauer einschalteten, eine politisierte Stimmung in Deutschland zu spüren. Sowohl ,Normalbürger‘ als auch die sogenannten Experten tauschten sich jedoch primär darüber aus, wer telegener ,rüberkommt‘. Da die Telegenität durch die Körpersprache bestimmt wird, spiegelte sich die Erwartungshaltung für das zweite ,Duell‘ in zwei Fragen wider: „Wird sich Gerhard Schröder diesmal körpersprachlich offensiver, als ‚Medienprofi‘ präsentieren?“ und „Wie werden sich die ungünstigeren Umfragewerte der Meinungsforschungsinstitute auf Edmund Stoibers Körpersprache auswirken?“. [3]

Äußeres Erscheinungsbild
Edmund Stoiber hat deutlich kürzere Haare gegenüber dem letzten ,Duell‘. Durch die glatter anliegenden Haare wirkt er auf die Rezipienten jugendlicher, moderner. Ein Novum bei Stoiber ist übrigens, dass er in beiden ,Fernsehduellen‘ erstmals in seiner Politiklaufbahn auf das Tragen seines Siegelrings verzichtete. Der Siegelring gehörte bereits in den 1970er Jahren zu seinem äußeren Erscheinungsbild.[4] Es ist zu vermuten, dass Stoiber bewusst auf dieses Accessoire verzichtet, um nicht zu konservativ zu wirken.

Der Bundeskanzler ist gegenüber dem letzten ,Duell‘ besser geschminkt, wodurch sein Blick klarer, offener wirkt und er insgesamt einen vitaleren Eindruck hinterlässt. In puncto Kleidersprache präsentieren sich die Spitzenkandidaten im schwarzem Anzug und weißem Hemd beinahe identisch.

Motorik: Gerhard Schröder
Der Bundeskanzler gibt diesmal nicht den übertrieben gravitätischen, statischen Staatsmann, sondern wirkt in seiner Haltung weitaus gelöster. Hat er einen Wortbeitrag abgeschlossen, unterstützt er diesen mit leichtem Kopfvorschieben und meist freundlichem Gesichtsausdruck. Dadurch begleitet er seine verbalen Ausführungen und vermittelt den Zuschauern Hoffnung und Selbstsicherheit. Insbesondere als es um die Irak-Politik geht, wird seine Körpersprache, speziell seine Motorik offener, engagierter. Er löst sich vom Stehpult, ballt die rechte Faust, schiebt Kopf und Oberkörper vor und verkündet mit ruhiger Stimme, dass er „gegen eine militärische Intervention im Irak“ sei. Die vorgebeugte Körperhaltung signalisiert, dass dieses Thema ihm besonders wichtig ist.

Motorik: Edmund Stoiber
Stoibers motorisches Management ist viel angriffslustiger und offensiver als vor zwei Wochen. Hierbei ist in erster Linie sein Kopf zu erwähnen, den er während der mehr als 75 Minuten dauernden Sendung über ein Dutzend Mal direkt nach links zu seinem Opponenten Schröder wendet. Durch diese Kopfbewegungen ergreift er die Initiative und geht voll auf Konfrontationskurs zum Bundeskanzler. Stoiber stellt sich jedoch kein einziges Mal seitlich zu Schröder oder wendet den Oberkörper zu diesem. Dadurch, dass er immer nur den Kopf zu Schröder dreht, wird seine innere Verkrampfung sichtbar. Stoiber bleibt motorisch das gesamte ,Duell‘ über dem eng gesteckten Korsett in Form des Stehpults treu.

Mimik: Gerhard Schröder
Im Vergleich zum vergangenen ,Duell‘ ist das Mienenspiel des Bundeskanzlers freundlicher. Er schmunzelt häufig, sucht öfter den direkten Blickkontakt zum Zuschauer. So gewinnt er Vertrauen und Zustimmung. Direkt zu Beginn der Sendung, ,sorgt‘ sich Schröder um einen besseren Kommunikationsablauf: „Vielleicht schaffen wir es ja mit Ihrer Hilfe.“ Diesen Satz begleitet er mit jovialem Lächeln und einem kurzen ,über die Lippe lecken‘. Damit belohnt er sich für seinen koketten Spruch, der keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass er sich diesmal als ,Medienkanzler‘ präsentiert. Während er noch beim ersten ,Duell‘ meistens verbittert die Lippen zusammengepresst hat, zieht sich stattdessen das kurze ,über die Lippe lecken‘ durch die gesamte Sendung. Es ist ein Indiz für seine Sicherheit und sein Wohlbefinden.[5]

In Schröders Stimme spiegelte sich sein Lächeln wider. Dadurch wirkt er nicht so gereizt und missmutig wie noch bei der ersten Auseinandersetzung, sondern positiv und gelassen. Sein meist freundliches, offenes Mienenspiel zu Beginn und Ende einer Antwort zeichnen das Bild eines sympathischen, manchmal humorvollen Bundeskanzlers. Dass die Mimik entspannter ist, kann man auch daran erkennen, dass Schröder viel häufiger den Blickkontakt zu den Rezipienten sucht. So signalisiert er Selbstsicherheit und die Zuschauer schenken ihm bei wichtigen sachpolitischen Themen wie der Irak-Frage mehr Glauben.

Das Körpersprache, speziell Augen nicht lügen können, wird bei der Frage deutlich, ob Arbeitsminister Walter Riester eine „zweite Spielzeit“ bekommt. Nach zweimaligem Wiederholen der Frage antwortet er mit einem flüchtigen, emotionslosen: „Ja sicher.“ Schröders Stimmklang, der verkrampfte Mund und sein ins Leere laufender Blick offenbaren an dieser Stelle, dass er nicht hinter seiner Aussage steht.

Wenn er einen Punkt wie das Aufheben des Reformstaus explizit hervorheben möchte, reißt er die Augen auf, zieht die Augenbrauen hoch, schiebt den Kopf etwas nach vorne und blickt zum Schluss für einen Moment direkt in die Kamera. Schaute Schröder bei der ‚Duell‘-Premiere noch in der Rolle des Zuhörers meistens missmutig, unwirsch drein, so blickt er nun freundlicher, überlegen wirkend zu seinem Herausforderer Stoiber.

Mimik: Edmund Stoiber
Auch im Mienenspiel sind Veränderungen zu registrieren. Zwar ist Stoiber wieder darum bemüht, freundlich zu schauen, jedoch hat er das permanente, manchmal aufgesetzt wirkende Dauergrinsen, bekannt aus dem ,Duell‘-Debüt, abgelegt. Er setzt sein Lächeln sparsamer und vor allem passender ein, so dass es authentischer wirkt. Da Stoiber diesmal mehr darauf bedacht ist, mit motorischen Angriffen Schröder zu attackieren, nimmt er deutlich weniger Blickkontakt zu den Fernsehzuschauern auf. Der gezielte Einsatz des Blickkontakts im ersten ,Duell‘ war ein entscheidendes nonverbales Mittel für Stoibers Überraschungserfolg. Während er eine Frage gestellt bekommt, wirkt sein Mienenspiel meistens angestrengt. Stoibers leicht zurückgelehnter Oberkörper scheint angespannt, der Mund wirkt strichförmig verkniffen und die Augen schließt er für einen Moment, kurz bevor er antwortet. Durch diese motorisch-mimische Abfolge strahlt Stoiber keine Souveränität und Dynamik auf die Rezipienten aus.

Gestik: Gerhard Schröder
Im Vergleich zum erstem ,Duell‘ setzt Schröder viel häufiger Hände und Arme zur Betonung seiner Worte ein. Um Tatkraft und Entschlossenheit zu unterstreichen, kommt überwiegend die rechte Aktionshand zum Zuge. Dabei sind vor allem offene, Greif- und Dominanzgesten zu beobachten. Bei der offenen Handbewegung wird die sensible Handfläche preisgegeben. So möchte er Vertrauen gewinnen, die Bewegung wirkt positiv. Die Greifgesten gebraucht er, um ein sachpolitisches Thema wie die Bildungspolitik einzugrenzen, um dann unmittelbar folgend mit leichtem Fausteinsatz zu demonstrieren, dass er die Herausforderungen in Angriff nehmen wird. Es sind ruhige, sichere Gesten mit denen der Bundeskanzler seine Standpunkte vertritt. Sie stehen in Kongruenz zu seiner meist ruhigen, klaren und souveränen Stimme. Auch bei diesem Auftritt gelingt es Schröder, sein verbales- und nonverbales Paradebeispiel anzubringen. Es ist das ,Meisterstück‘ seiner Selbstinszenierung, wenn er mit gesenkter, betroffener Stimme, ernstem bis melancholischem Blick und sparsamen Gesten von seinen „eigenen schweren persönlichen Erfahrungen“ in Sachen Bildungspolitik berichtet. Da Stoiber durch seine kalt wirkende Zwischenbemerkung „Schöne Worte!“ prompt in Schröders ,Moralfalle‘ tappt, kann der ,Schröder-Effekt‘ voll und ganz auf die Rezipienten wirken. Schröder lässt es sich zudem nicht nehmen, Stoiber gegenüber den moralischen ,Prediger‘ zu geben, indem er betont: „So sollten Sie nicht über meine Erfahrung reden. Das sollten Sie nicht machen.“ Stoiber steht da wie ein ungezogener Schuljunge, der vom gestrengen Oberlehrer zurechtgewiesen werden muss. Der bayerische Ministerpräsident weiß auf Schröders Moralpredigt kein probates Mittel und sein „Ich habe auch das Glück gehabt, aus einfachen Verhältnissen herkommend Abitur machen zu dürfen“ wirkt geradezu lächerlich und völlig fehl am Platze. Mit der ,Betroffenheits-Nummer‘ sticht der ‚menschelnde‘ Schröder den kühlen, sachorientierten Stoiber aus.

Als Schröder von der Moderatorin Sabine Christiansen auf mögliche Koalitionen angesprochen wird, gibt er erneut den versierten ,Medienprofi‘: Mit weiter, offener rechten Hand, angehobener Stimme und kurzem ,über die Lippe lecken‘ formuliert er: „Ich verstehe ja Ihr Fragebedürfnis…“. Schröder hinterlässt bei den Fernsehzuschauern einen authentischen Eindruck, da Worte, Stimmklang und Gesten harmonieren, scheinbar aus dem Inneren fließen.

Gestik: Edmund Stoiber
Ähnlich wie bei der letzten Veranstaltung unterdrückt Stoiber seine Hand- und Armbewegungen und bleibt auch gestisch in seinem Korsett. Nur manchmal, als er etwa über die Hartz-Kommission spricht, spreizt er den Zeigefinger ,dolchartig‘ zu Schröder ab. Stoiber ist so darauf bedacht, das Pult zu umklammern, dass es ihm versagt bleibt, die Hände zu lösen, sich seitlich zu drehen und auf Schröder zu zeigen. Es scheint, als ob Stoiber die fehlende Gestik durch seine zahlreichen Kopfbewegungen ersetzen möchte. Als er über mögliche Reformen des Sozialversicherungssystems redet, gehen seine beiden Hände nur einmal kurz marionettenartig nach oben. In den seltenen Fällen, in denen Stoiber seine Hände einsetzt, wirken sie fremdgesteuert und damit nicht authentisch. Die gehemmte Gestik verhindert, dass sie ihm als Transportmittel der Kommunikation dienen.

Fazit des zweiten ,Duells‘
Edmund Stoiber präsentiert sich im Vergleich zum ersten ,Duell‘ deutlich angriffslustiger. Sein großes Problem besteht jedoch darin, dass er sich nicht aus dem Korsett des Stehpults lösen kann. Er würde vielleicht gerne aus diesem Käfig entfliehen, schafft es aber nur mit den Kopfbewegungen oder dem abgespreizten Zeigefinger bis zu den ,imaginären Gitterstäben‘. Stoiber ist nonverbal so eingegrenzt, regelrecht eingepfercht, dass wesentliche Kommunikationselemente gar nicht oder nur bruchstückhaft wirken können. Auch sein Schlusswort ist rhetorisch und körpersprachlich unstrukturiert. Dabei verspricht er sich zu oft; auch die vielen unruhigen Kopfbewegungen können bei den Fernsehzuschauern Irritationen auslösen.

Gerhard Schröder gibt zwar wieder den Staatsmann, jedoch ruft er diesmal noch weitere Rollen ab. So präsentiert er sich u.a. als alerter Charmeur, ernster Krisenmanager, tatkräftiger Modernisierer und moralischer Prediger. Insbesondere beim Schlussappell spielt er seine medialen Fähigkeiten aus, indem er rhetorisch geschickt betont, dass er die Kräfte, die er während der Flutkatastrophe gespürt habe, nutzen möchte. Zusätzlich spricht er das von Stoiber vernachlässigte Thema, sich speziell für die Frauen, d.h. für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einzusetzen, an. Schröder formuliert seine Zielvorstellungen mit klarer, sonorer Stimme und direktem Blickkontakt in die Kamera, so dass sie direkt die Adressaten erreichen. Das zweite ,Duell‘ hat eindrucksvoll bewiesen, dass Gerhard Schröder der souveräne ,Medienkanzler‘ ist.[6]

Gerhard Schröder – Medialer ,Musterkanzler‘ der Zukunft?

Gerhard Schröder gewinnt durch ein medienwirksames Lächeln, lässige Körperhaltung und sonore Stimme vor allem in Talkshows Sympathien in der Bevölkerung. Der ,Inszenierungsartist‘ Schröder weiß genau, wo die Kameras stehen, in die er lächeln muss, damit die potenziellen Wähler positive Bilder geliefert bekommen. Einzelne körpersprachliche Signale wie das Berühren von Gesprächspartnern wirken einstudiert und werden bewusst als Mittel der manipulativen Kommunikation eingesetzt. In Deutschland ist es unter den Spitzenpolitikern noch nicht wie in den USA üblich, zuzugeben, dass sie ihre Körpersprache trainieren. Deshalb bleibt es ungeklärt, ob Gerhard Schröder die Berührungsgeste vom ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton kopierte, das strahlende Lächeln vom englischen Premierminister Tony Blair abschaute oder von seinen Medienberatern empfohlen bekam.

Durch die Sparsamkeit seiner Gestik und die meistens gleich laut bleibende Stimme verkörpert Schröder am Rednerpult oder in der Fernsehdiskussion Ruhe und Gelassenheit. Seine telegen-zentrierte Körpersprache eignet sich besonders für Talkshow-Auftritte oder Interviews, wo er weitaus stärker zur Wirkung kommt als auf jeder Rednertribüne.

Da der Showaspekt in der Politik immer mehr Bedeutung erlangt, werden die Politiker zu Akteuren, die auf der Politikbühne mit zunehmender Globalisierung und Internationalisierung zu Staatsschauspielern werden. Um in der Welt der Politik mediengerecht agieren zu können, wird für die Politiker die Fähigkeit der Selbstdarstellung immer entscheidender. Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer stellt fest: „Der Eindruck zählt, nicht das Argument, das Bild und nicht die Rede, das Ereignis, die Bewegung und nicht der Gedanke.“ (Meyer/Kampmann 1998: 41)7 Die Bilder fügen sich zu einem Image. Das Image bringt Wählerstimmen.

Mit der zunehmenden Amerikanisierung der Wahlkämpfe in Deutschland wird die Bedeutung der Körpersprache für die kandidierenden Politiker weiter ansteigen. Parallel dazu wird der Einfluss von Medienberatern- bzw. trainern zunehmen. Nonverbale Ausdrucksmerkmale wie Haltung, Gestik, Mimik, Stimmklang und äußeres Erscheinungsbild erhalten durch die audio-visuellen Kommunikationsmedien in ihrer Bedeutung eine neue Dimension. Die Gesetzmäßigkeiten der Informationsübertragung durch Massenmedien machen sich vor allem Politiker mehr und mehr zu Nutze. Die Sensibilisierung menschlicher Grundregungen, eine philanthropische, auf Mitmenschlichkeit setzende Ansprache und das Betonen von allgemeinen Moralvorstellungen sind zu Grundregeln einer mediengerechten Verpackung politischer Aussagen in Reden und Interviews geworden. Die Beziehungsebene wird im Vergleich zur Inhaltsebene immer wichtiger.

Die internationale mediengesteuerte Personalisierung bedarf der kritischen Beobachtung: Zukünftig könnten Profilanalysen von Politikern dazu führen, dass die Parteien eine Politiker-Selektion nach Medientauglichkeit durchführen. So vertritt u.a. Siegfried Frey die Auffassung, der Politiker mit Ecken und Kanten könnte durch einen neuen, weitaus geschmeidigeren Typus von Politiker, der gewissermaßen maßgerecht für das Auge des Betrachters gezüchtet wird, ersetzt werden (Frey 1999: 132).

Wie auch immer diese Tendenzen im Einzelfall zu gewichten sind: Mit fortschreitender Personalisierung wird die Fähigkeit zur Selbstdarstellung in Verknüpfung mit der nonverbalen Kommunikation ein entscheidender Faktor für den politischen Erfolg sein. Gerhard Schröder passt ideal in diese Politikform: Im heutigen Medienzeitalter wollen Politiker überzeugende Bilder ihrer Persönlichkeit auf die Bürger transferieren. Gerhard Schröder präsentiert sich ganz in diesem Sinne als mediengewandter Politikdarsteller, ausgestattet mit einem medientauglichen Charisma. Dennoch gibt es auch im gegenwärtigen Politikalltag noch viele Belege dafür, dass jemand trotz fehlender Selbstdarstellungsgabe hohe Ämter bekleidet oder auf eine erfolgreiche politische Karriere zurückblicken kann. In diesen Fällen kompensieren Politiker ihr medienunwirksames Äußeres durch parteiinterne Verflechtungen, Abhängigkeiten und Loyalitätsbindungen. Im Hinblick auf die begonnene Legislaturperiode bleibt jedoch offen, wie sich Gerhard Schröders ,nonverbales Management‘ im Zeichen der innen- und außenpolitischen Krisen entwickeln wird: Denn Körpersprache ist nie statisch, sondern unterliegt Veränderungen. Zumindest eines bleibt festzuhalten: Die Interpretation von Körpersprache, bislang von der Politikwissenschaft ,stiefmütterlich‘ behandelt, ist von zentraler und wachsender Bedeutung, wenn künftig Machterwerb, Herrschaftsbeziehungen und personale Macht analysiert werden sollen – unabhängig davon, wie man den Stellenwert von Körpersprache für die Politik letztlich bewerten mag.

Anmerkungen

1 Das optimistisch wirkende Lächeln ist sonst ein entscheidender nonverbaler Faktor für Schröders politischen Erfolg. Kurz vor der Landtagswahl in Niedersachen 1998 lieferte sich Schröder ein ,TV-Duell‘ mit dem Oppositionsführer der Union, Christian Wulff. Hier lächelte Schröder stets am Ende seines Wortbeitrags (Dieball 2002: 123).

2 Die Frage, wer das erste ,Duell gewonnen‘ hat, wurde von den Meinungsforschungsinstituten unterschiedlich bewertet. Eine Blitzumfrage der ,Forschungsgruppe Wahlen‘ ergab, dass Stoiber mit 37 Prozent besser abgeschnitten hat als Schröder mit 35 Prozent.

3 Konnte die CDU/CSU noch im Juli/August einen fast uneinholbar geglaubten Vorsprung von mehreren Prozentpunkten aufweisen, sah das Stimmungsbild im September ausgeglichen aus. Bei der Sonntagsfrage kamen SPD und CDU/CSU jeweils auf 38 Prozent (Süddeutsche Zeitung vom 7./8. September 2002)

4 Im Rahmen meines Dissertationsprojekts konnte ich sämtliche Fernseh- und Fotomaterialien von Edmund Stoiber seit 1978 analysieren: Stoiber trug stets den Siegelring.

5 Das Lecken bzw. ,Nachschmecken‘ der eigenen Worte gehörte schon als Juso zu Schröders nonverbalem Basis-Repertoire (Dieball 2002: 178).

6 Das zweite ,TV-Duell‘ konnte mit 15,26 Millionen Zuschauern eine Rekord-Einschaltquote für eine Politiksendung verbuchen. Das Meinungsforschungsinstitut ,Infratest dimap‘ ermittelte unmittelbar nach der Sendung, dass 50 Prozent der Zuschauer Schröder, 28 Prozent dagegen Stoiber besser fanden. Unter den unentschlossenen Wählern waren 42 Prozent von Schröder, 22 Prozent von Stoiber überzeugt.

7 Verwiesen sei auf das Buch Die Macht des Bildes von Siegfried Frey, das diese Entwicklung beschreibt. Frey erforschte die Wirkung von Bewegtbildpräsentationen durch eine empirische Auswertung von 180 Nachrichtenclips, die den Rezipienten jeweils für 10 Sekunden gezeigt wurden. Das Ergebnis war, dass die nonverbale Kommunikation von Politikern in hohem Maße zur Imagebildung beiträgt (Frey 1999: 110ff.).

Literatur

Campbell, Angus (Hg.) 1964: The American Voter. An Abridgement, New York

Dieball, Werner 2002: Gerhard Schröder: Körpersprache – Wahrheit oder Lüge? Bonn

Frey, Siegfried 1999: Die Macht des Bildes. Der Einfluß der nonverbalen Kommunikation auf Kultur und Politik, Bern u.a.

Hetterich, Volker 2000: Von Adenauer zu Schröder – Der Kampf um die Stimmen. Eine Längsschnittanalyse der Wahlkampagnen von CDU und SPD bei den Bundestagswahlen 1949 bis 1998, Opladen

Laux, Lothar/Schütz, Astrid 1996: „Wir, die wir gut sind.“ Die Selbstdarstellung von Politikern zwischen Glorifizierung und Glaubwürdigkeit, München

Meyer, Thomas 1992: Die Inszenierung des Scheins. Voraussetzungen und Folgen symbolischer Politik, Frankfurt/Main

Meyer, Thomas/Kampmann, Martina 1998: Politik als Theater. Die neue Macht der Darstellungskunst, Berlin

Reutler, Bernd H. 1986: Körpersprache im Bild. Die unbewussten Botschaften. Ihre Merkmale Deutung auf einen Blick, Wiesbaden

Sarcinelli, Ulrich u.a. 1990: Politikvermittlung und Politische Bildung, Bad Heilbrunn

Schwartzenberg, Roger-Gérard 1980: Politik als Showgeschäft. Moderne Strategien im Kampf um die Macht, Düsseldorf vorgänge 158 „Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft“ (Heft 2/2002 – Juni)

Watzlawick, Paul u.a. 1996: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen und Paradoxien. 9. unveränderte Aufl., Bern u.a.

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