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Gutacht­liche Stellung­nahme

15. März 2001

Gutachtliche Stellungnahme
zur Frage, ob das Land Brandenburg verpflichtet ist, neben dem Religionsunterricht gleichberechtigt weltanschaulichen Unterricht von Weltanschauungsgemeinschaften (z.B. „Humanistische Lebenskunde“) zuzulassen

Das Grundgesetz gewährleistet in Art. 4 Abs. 1 und 2 vorbehaltlos die Bekenntnisfreiheit. Bekenntnis im verfassungsrechtlichen Sinne ist dabei jede Überzeugung, mag sie transzendent oder immanent begründet sein, mag sie sich auf ein höchstes Wesen berufen oder ein solches verneinen. Wiewohl das Grundgesetz der traditionellen Wortwahl folgt und regelmäßig von ‚Religion‘ spricht, ist darunter jede Art von Bekenntnis zu verstehen, ein religiöses wie ein weltanschauliches.

Das Grundgesetz gewährleistet die Bekenntnisfreiheit nicht nur individuell, sondern auch kollektiv. Aus der verfassungsrechtlichen Gleichheit von Religion und Weltanschauung folgt deshalb die Gleichwertigkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Dies wird in Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 7 WRV anerkannt. Wo immer das Grundgesetz die Vokabeln ‚Religion‘ und‘ Religionsgemeinschaft‘ verwendet, ist deshalb stets ‚Weltanschauung‘ und ‚Weltanschauungsgemeinschaft‘ mitzulesen.

Der Staat hat alle Bekenntnisgemeinschaften paritätisch zu behandeln. Es gibt insoweit keinen Unterschied zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Dies ergibt sich aus der staatlichen Bekenntnisneutralität ebenso wie aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Differenzierungen sind nach herrschender Meinung nur insoweit möglich, als sie auf sachlichen Unterschieden beruhen. Zwischen Religionsunterricht und Weltanschauungsunterricht gibt es keine sachnotwendigen Unterscheidungserfordernisse.

‚Religionsunterricht‘ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 und 3 GG ist auch der ‚Weltanschauungsunterricht‘. Selbst atheistische Bekenntnisgemeinschaften können ‚Religionsunterricht‘ im Sinne dieser Bestimmung erteilen. Parlamentsgesetze, die von ‚Religionsunterricht‘ sprechen, sind mithin verfassungskonform dahin auszulegen, dass auch der ‚Weltanschauungsunterricht‘ gemeint ist. Das brandenburgische Schulgesetz macht davon keine Ausnahme. Es erübrigt sich, gegen die Wortwahl ‚Religionsunterricht‘ gerichtlich vorzugehen, weil dieser Terminus ausnahmslos als ‚Bekenntnisunterricht‘ zu verstehen ist. Der Landesgesetzgeber ist jedenfalls nicht befugt, sich legislatorisch darüber hinwegzusetzen. Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg ist deshalb grundgesetzlich berechtigt, seine Zulassung zum Bekenntnisunterricht an den öffentlichen Schulen in Brandenburg einzufordern, vorausgesetzt er ist eine Bekenntnisgemeinschaft im grundgesetzlichen Sinne und die von ihm zu erteilende Lebenskunde ein weltanschaulicher Bekenntnisunterricht. Das Land Brandenburg kann den Bekenntnisunterricht nicht auf einen Religionsunterricht im eigentlichen traditionellen Wortsinne beschränken.

Allerdings wird in der juristischen Literatur vereinzelt vertreten, dass nur solchen Bekenntnisgemeinschaften ein Recht auf Bekenntnisunterricht zusteht, die die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 WRV erlangt haben. Für eine derartige formale Einengung gibt es keinen hinreichenden Anhalt. Es genügt jede Organisationsform, die gewährleistet, dass ein eigenverantworteter Bekenntnisunterricht ordnungsgemäß erteilt werden kann. Dies wird man bei einem bürgerlichrechtlichen Verein ebenso wie bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts annehmen dürfen.

Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg hat im Schreiben an das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport vom 21. Juni 2000 die Zulassung zum Bekenntnisunterricht beantragt und das Ministerium hat diesen Antrag mit Schreiben vom 25.10.2000 abgelehnt. Wiewohl dieses Schreiben nicht in der verfahrensrechtlichen Form eines förmlichen schriftlichen Bescheids gehalten ist, stellt es nach vorherrschender Ansicht einen Verwaltungsakt dar. Es ist der beschwerdefähige ‚rechtsgültige Bescheid‘, den der Verband im Schreiben an das Ministerium vom 2.11.2000 fordert.

Da dieser Bescheid ohne Rechtmittelbelehrung ergangen ist, wird er nach § 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nach Ablauf eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung unanfechtbar. Der Verband wird daher wenigstens bis zum 25.10.2001 gegen ihn Anfechtungsklage zu erheben haben, um seine Rechte zu wahren.

Aus der prinzipiellen Gleichheit aller Bekenntnisgemeinschaften ergibt sich weiterhin der Grundsatz ihrer paritätischen Behandlung im übrigen. Dies bedeutet, dass der Staat, wenn er Religionsgemeinschaften finanziell oder auf andere Weise fördert, Weltanschauungsgemeinschaften gleichwertig zu fördern hat. Leistet der Staat finanzielle Zuwendungen an Religionsgemeinschaften, haben die Weltanschauungsgemeinschaften einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf vergleichbare Begünstigungen.

gez. Prof. Dr. Ludwig Renck
Richter am Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof München a. D.

München, am 15. März 2001

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