Humanisten auf dem Lerchenberg
Sven Lüders
Die 19. Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union vom 18.-19. Juni 2005 in Mainz. Mitteilungen Nr. 190, S.12-13
Obwohl es diesmal kein politisches Vorabendprogramm gab, waren erfreulich viele Mitglieder bereits am Freitagabend angereist, um am geselligen Auftakt im Restaurant Mollers“ teilzunehmen. Bei einem wunderbaren Panoramablick auf die Mainzer Innenstadt und den Dom gab es Gelegenheit, sich über die vergangenen zwei Jahre auszutauschen, neue Kontakte zu knüpfen oder bestehende aufzufrischen. Am nächsten Morgen ging es dann im ruhig gelegenen Tagungszentrum, dem Bürgerhaus auf dem Mainzer Lerchenberg, weiter.
Eine schwierige Bilanz
Den Auftakt bildete der Bericht des scheidenden Bundesvorsitzenden. Reinhard Mokros ging zunächst auf das in den letzten beiden Jahren Erreichte ein, wozu nach seiner Ansicht vor allem die Konsolidierung des Finanzhaushaltes, die Entwicklung der Außendarstellung des Verbandes (Pressearbeit, Werbematerial, Mitteilungen) aber auch einzelne, besonders gelungene Aktivitäten gehörten. Dennoch stehe die HU vor großen Herausforderungen: Sie kämpfe strukturell immer noch gegen den altersbedingten Mitgliederschwund an. Auf der politischen Bühne geraten die Bürgerrechtsthemen zunehmend durch den Abbau sozialer Leistungen unter Druck, der Abbau des Sozialstaates korrespondiere hier mit dem Aufbau eines Sicherheitsstaates. Aufgabe der HU sei deshalb, die soziale Grundsicherung als Voraussetzung für die Wahrnehmung von Bürgerrechten stärker zu thematisieren. Nicht zuletzt müsste die HU auch die in Ansätzen bestehende europäische Einbindung ihrer Arbeit verbessern.
Im zweiten Teil seines Berichts widmete sich Reinhard Mokros den Auseinandersetzungen im Bundesvorstand, die sich ausgehend von seiner Teilnahme (und der weiterer Vorstandsmitglieder) an einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität (AHS) im Dezember 2003 entfachten. Er skizzierte aus seiner Sicht die zunehmenden Differenzen innerhalb des Bundesvorstandes bis zur Auseinandersetzung nach der Sendung von Report München im vergangenen Jahr. Seine Ausführungen wurden durch zahlreiche Kurzberichte und Kommentare der anderen Vorstandsmitglieder ergänzt. Zum großen Teil gingen sie auf die Frage ein, wie der Abgrenzungsbeschluss gegenüber der AHS (und seine Entstehung) zu bewerten seien. Ulrich Fuchs, Jürgen Kühling und Fritz Sack kritisierten die zuweilen wahrgenommene Personalisierung dieser verbandsinternen Diskussion. Fritz Sack wies auf die politische Bedeutung des Abgrenzungsbeschlusses hin: Ihn erinnere der Beschluss in fataler Weise an den Begriff der Kontaktschuld; eine solche Praxis sei für Bürgerrechtsorganisationen nicht hinnehmbar. Dagegen wurde betont, dass es sich bei der Abgrenzung von der AHS um eine pragmatische Entscheidung zwischen Gesprächspartnern (deren Position wir nicht teilen müssen) und Bündnispartnern (zu denen wir besondere inhaltliche Affinitäten aufweisen) handle. Durch die regelmäßige Zusammenarbeit in der Vergangenheit hätte der Eindruck entstehen können, die AHS sei ein Bündnispartner der HU. Um derartige Unklarheiten und die daraus entstehenden Konflikte künftig zu vermeiden, wurde in der Debatte angeregt, dass sich der neue Bundesvorstand Kriterien dafür bildet, welche Gruppen für die HU als politische Bündnispartner in Frage kommen.
Es gab aber auch noch anderes aus der Vorstandsarbeit zu berichten: etwa Sophie Rieger und ihr Engagement für eine vollständige Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesregierung. Jürgen Kühling schilderte die Anfang des Jahres abgehaltenen 2. Berliner Gespräche zu Staat, Religion und Weltanschauung. Sein Werben galt einer Fortsetzung dieser Reihe, wobei die HU auf eine ausgewogene Besetzung der Podien achten sollte. Rosemarie Will dagegen hatte sich vor allem mit der Europäischen Verfassung, der Erneuerung der Patientenverfügung und den aktuellen Vorschlägen zur Reform des Betreuungsrechts beschäftigt. Abgerundet wurde dieser Überblick durch den Bericht der Geschäftsführer/innen, Martina Kant und Sven Lüders, der die Arbeit in der Bundesgeschäftsstelle und die finanzielle Situation der Humanistischen Union beinhaltete.
Der Bericht von Alexander Cammann, dem Redakteur der vorgänge, war von der schwierigen Verlagssituation geprägt. Seit zwei Jahren erscheint die Zeitschrift im neu entstandenen VS-Verlag, der trotz jährlicher Druckkostenzuschüsse von Humanistischer Union und Gustav Heinemann-Initiative ein finanzielles Defizit ausmacht und deshalb neue Finanzierungsmöglichkeiten sucht. Inzwischen hat der Verlag den Herausgebervertrag zum 31. Dezember 2005 gekündigt wie es derzeit um die vorgänge bestellt ist und welche Möglichkeiten sich für die HU eröffnen, beschreibt der Beitrag auf Seite 17 dieser Ausgabe.
Inhalte
Nach Kurzberichten aus den Arbeitskreisen, dem Bericht der Revisoren und der Entlastung des bisherigen Vorstands begann der politische Teil“ der Delegiertenkonferenz. Neben den bereits in der letzten Ausgabe der Mitteilungen veröffentlichten Anträgen gab es weitere Vorlagen: So erinnerte ein Entschließungsantrag von Klaus Scheunemann daran, dass antiklerikale Forderungen ein wichtiger Bestandteil der HU-Geschichte sind, der nach wie vor aktuell ist. Angesichts der zahlreichen immer noch vorhandenen Kirchenprivilegien sollten die Aktivitäten in diesem Bereich verstärkt werden. Im Antragstext hieß es dazu: Die tagelange Mediendominanz der katholischen Amtskirche in den Tagen des Papstwechsels wie auch die Dominanz der Kirchen beim Wort zum Sonntag“ und den Zuspruchsendungen im Hörfunk darf nicht hingenommen werden…“
Aus dem Marburger Ortsverband kam ferner eine aktuelle Stellungnahme zum gerade vorgelegten Gesetzentwurf für die Neuregelung des Großen Lauschangriffs, die vor allem die erst nachträgliche Prüfung auf mögliche Verstöße gegen den Schutz der Privatsphäre kritisierte. Ein weiterer Antrag stellte, einem Beschluss der letzten Delegiertenkonferenz folgend, eine Datenschutzordnung für die Humanistische Union vor, damit wir künftig beim Umgang mit personenbezogenen Daten mit gutem Beispiel vorangehen. Alle Beschlüsse der DK sind auf den folgenden Seiten dokumentiert.
Wahlen
Zwischendrin, am Samstagabend, gab es natürlich noch die Wahl der neuen Vorsitzenden, der Vorstandsmitglieder und der anderen Posten“. Für den Bundesvorsitz gab es mit Rosemarie Will nur eine Kandidatin. Das in sie gesetzte Vertrauen spiegelte sich in ihrem Wahlergebnis wieder: Sie erhielt keine Gegenstimmen bei fünf Enthaltungen. Bei der Wahl der übrigen Vorstandsmitglieder waren einige neue, aber noch erfreulicher: viele junge Gesichter zu erkennen. Bereits nach der Nominierung der Kandidatinnen und Kandidaten war klar, dass es einen personellen Wechsel geben würde. Von den bisherigen Mitgliedern trat (neben Rosemarie Will) nur Ulrich Fuchs erneut zur Wahl an. Für die sechs zur Verfügung stehenden Plätze im neuen Vorstand fanden sich insgesamt neun Bewerber (leider keine weiteren Frauen!). Die Zusammensetzung des neuen Vorstands geht aus der Wahlübersicht hervor. Einziger Wermutstropfen: Leider versagte bei der Abstimmung die regionale Verteilung der Vorstandsmitglieder, im neuen Vorstand sind allein vier Berliner vertreten. Das wollen die Vorstandsmitglieder aber durch eine regionale Ausrichtung ihrer Arbeit wieder wettmachen.