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Nichts wissen und nichts wissen wollen

31. März 2011

Die Bemühungen der Humanistischen Union um eine Bestandsaufnahme der Staatsleistungen an die Kirchen. Mitteilungen Nr. 212 (1/2011), S. 1-4

Nichts wissen und nichts wissen wollen

I. Die Ausgangslage

Seit 1919, also seit 91 Jahren, verlangt in Deutschland die Verfassung, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen (Art. 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung – WRV, Art. 140 Grundgesetz – GG). Dieser Verfassungsauftrag richtet sich an den Bundesgesetzgeber (bis 1945 an den Reichsgesetzgeber), der für die Ablösung Grundsätze aufstellen muss, und an die Landesgesetzgebung, die auf der Basis der Grundsätze die konkrete Ablösung vollziehen soll. Der Verfassungsauftrag betrifft alle Bundesländer bis auf die Stadtstaaten Bremen und Hamburg, die keine Staatsleistungen entrichten.

Sieht man von wenigen Randbereichen vor allem bei der staatlichen Bauunterhaltung kirchlicher Gebäude ab, ist in diesen 91 Jahren nichts in Richtung Ablösung geschehen. Im Gegenteil: In zahlreichen Verträgen der Länder mit den Kirchen aus der Zeit nach 1919 sind die Staatsleistungen garantiert und festgeschrieben worden, genau gesagt in 12 Verträgen mit der katholischen Kirche und in 15 Verträgen mit evangelischen Landeskirchen. Darüber hinaus haben nach 1945 die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen die Staatsleistungen in ihren Verfassungen besonders gewährleistet.

Staatsleistungen werden seit 1919 ununterbrochen gezahlt, auch während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, auch von und in der DDR von 1949 bis 1990. Im Jahre 2010 beläuft sich nach den Haushaltsplänen der Länder die Summe der Staatsleistungen an die Diözesen und die in der EKD zusammengeschlossenen Landeskirchen auf 461,5 Millionen Euro; davon entfallen auf die katholische Kirche rd. 193 Millionen Euro, auf die evangelische Kirche rd. 268 Millionen Euro. Wohlgemerkt: Die Rede ist hier von Staatsleistungen zur Unterstützung der kirchlichen Religionsgemeinschaft als solcher. Zu den Staatsleistungen zählen nicht die Subventionen, Zuwendungen, Entgelte oder Finanzhilfen, die der Staat darüber hinaus den Kirchen bzw. kirchlichen Einrichtungen zahlt, weil oder damit diese einen bestimmten, nach staatlichen Maßstäben förderungswürdigen Zweck sozialer, kultureller, entwicklungs- oder bildungspolitischer Art erfüllen. Staatsleistungen werden ohne Zweckbestimmung und daher auch ohne Verwendungsnachweis oder Verwendungsprüfung gewährt, auch wenn der – angebliche oder vermeintliche – historische Bezug in der Zweckbestimmung der Staatsleistungen im Haushaltsplan (sog. Dispositiv) oder in den Erläuterungen gelegentlich – vor allen in Bayern – mit Begriffen wie „Dotationen zum Unterhalt des Bischöflichen Stuhls“, „Pfarrbesoldungszuschüsse“ oder ähnlich beschrieben wird.

Weder der Reichsgesetzgeber noch – nach Übernahme des Artikels 138 Abs. 1 WRV in das Grundgesetz (durch Art. 140 GG) – der Bundesgesetzgeber haben den Verfassungsauftrag zur Ablösung erfüllt. Nicht einmal einen Gesetzentwurf der Reichs- oder Bundesregierung, aus der Mitte des Reichs- oder Bundestages oder auch des Bundesrates hat es bisher gegeben (vgl. Art. 76 GG). Offensichtlich nehmen die beteiligten Verfassungsorgane nicht zur Kenntnis, dass in puncto Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften das Grundgesetz die Ablösung verlangt.

Staatsleistungen

Grafik 1: Die Staatsleistungen der einzelnen Bundesländer an die evangelischen Kirchen und die Diözesen der Katholischen Kirche für das Jahr 2009. Neben Bremen und Hamburg (die keine Staatsleistungen entrichten) gibt es eine große Spannbreite der jährlichen Zahlungen. Sie reicht von 60 Ct (Saarland) bis 11,92 Euro je Einwohner (Rheinland-Pfalz). Wie sich diese gravierenden Unterschiede mit der historischen Begründung der Leistungen – Entschädigung für Säkularisationsfolgen – vertragen, bleibt das Geheimnis der Kirche. (Quelle: Recherchen Frerk/Haupt)

II. Bisherige Bemühungen

Wenn man sich über die Staatsleistungen sachkundig machen will, dann trifft man auf eine große Anzahl gelehrter Abhandlungen und Kommentierungen, findet aber keine konkreten Zahlen über den Gesamtumfang der Staatsleistungen. Das kontrastiert auffällig mit der gleichzeitig aufgestellten Behauptung, eine „Abfindung“, also eine Ablösung gegen Entschädigung der Kirchen, dürfte die Finanzkraft der Länder überfordern, wie z.B. im Standardwerk des Staatskirchenrechts [1] behauptet wird. Welcher Faktenbasis bzw. welcher Maßstab dieser These zu Grunde liegt, bleibt dunkel.

Erste Stufe: Eigene Recherche

Begibt man sich selbst auf die Suche, stellt man rasch fest, dass jedenfalls die positiven Staatsleistungen in den Haushaltsplänen der Länder dargestellt sind, und zwar sowohl die Soll-Ansätze als auch – in der Regel – die Ist-Ergebnisse des jeweils vorvergangenen Jahres. Die Haushaltspläne sind öffentlich zugänglich, die neueren mittlerweile sogar durchweg im Internet. So schwierig ist es also gar nicht, die Fakten zu beschaffen. Das Problem liegt eher in der mühevollen Kleinarbeit, denn es geht ja – wenn man etwa nur die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet – um 14 Bundesländer (Bremen und Hamburg kennen keine Staatsleistungen) und rund 60 Jahre. Das Internet gibt hier nur über die letzten 10-15 Jahre Auskunft, die DDR-Zeit ist ohnehin eine Black Box.

Ergebnisse aus den letzten Jahren sind inzwischen veröffentlicht. Ergebnisse meiner eigenen Recherche für die Zeit von 1988 bis 1999 publizierte zuerst Michael Droege – nahezu unbemerkt – in seiner Dissertationsschrift „Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat“ (2003, S. 548 f.), übrigens ohne dass dort die Quelle vermerkt ist. Zahlen für 2010 nennt der Spiegel in Heft 30/2010 v. 26.7.2010. Für die Jahre 2000 bis 2010 sind die von mir recherchierten Zahlen in den Vorgängen Heft 189 (2010), S. 87 nachzulesen, die Aufschlüsselung auf evangelische und katholische Kirche für 2009 liefert Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“ auf Seite 257. Demnach sind in den letzten 20 Jahren (1991 bis 2010) in Deutschland insgesamt die Staatsleistungen von 294 auf 465 Millionen Euro jährlich angewachsen. [2] Zum Vergleich: Das Kirchensteueraufkommen der evangelischen und katholischen Kirche zusammen betrug im Jahre 2009 rd. 9,4 Milliarden Euro.

Zweite Stufe: Anfrage in den zuständigen obersten Bundes- und Landesbehörden

Für die Zeit vor 1990 fehlen die Zahlen. Daher hat die Humanistische Union mit Schreiben vom 18.5.2010 offiziell die für die Kirche und die für die Finanzen zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen des Bundes und der Länder  um Auskunft über die seit Inkrafttreten des Grundgesetzes gezahlten Staatsleistungen gebeten, den Bund und die neuen Bundesländer auch um Auskunft über die Zahlungen zu DDR-Zeiten. Die Antworten, überwiegend von den Kultusressorts erteilt, sehr zögerlich, teilweise erst nach mehreren Monaten und Erinnerungen, lagen im Wesentlichen auf einer Linie; sie waren meist erkennbar zwischen den Ländern abgestimmt. Ihr Tenor: Die erbetenen Zahlen liegen nicht vor, sie zu ermitteln erfordert einen unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand. Zum Teil wurde auf die Möglichkeit verwiesen, sich in den Haushaltsplänen (im Internet oder vor Ort) selbst ein Bild zu machen; Rheinland-Pfalz bot an, für eine Verwaltungsgebühr von voraussichtlich 748,48 Euro die eigenen 21 vorhandenen Aktenbände seit 1998 aufzuarbeiten. Der Freistaat Sachsen verwies auf die in zwei Landtagsdrucksachen (5/2035 und 5/2037) veröffentlichten Zahlen für die Jahre 1993 bis 2010. Das Saarland übermittelte – immerhin – nach sieben Monaten die Zahlen von 1972 bis 2009.

Dritte Stufe: Informationsbeauftragte der Länder

Mit Hinweis darauf, dass es einen Ablehnungsgrund „unzumutbarer Verwaltungsaufwand“ in den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen [3] nicht gibt, hat sich die HU mit Schreiben vom 23.9.2010 an die Informationsfreiheitsbeauftragten dieser Länder, im Falle Thüringen mangels eines solchen an das Kultusministerium unter Hinweis auf das Gesetz gewandt mit der Bitte um Unterstützung unseres Anliegens. In zwei Fällen blieb eine Antwort ganz aus (Saarland, Thüringen), die anderen Informationsfreiheitsbeauftragten bestätigten zwar die Auskunftspflicht der Ministerien auch bei aufwändiger Informationsaufbereitung (diesen selbst war das offenbar bis dahin unbekannt gewesen). Hilfreich war das jedoch in keinem Fall, teils weil immer noch keine Antwort erfolgt ist (z.B. Mecklenburg-Vorpommern); teils weil die Ministerien darauf verwiesen, dass die Antragsteller bei öffentlich zugänglichen Informationen (und in Haushaltsplänen sind Informationen öffentlich zugänglich, da in Büchereien und Archiven vorhanden) auf die Selbstbeschaffung verwiesen werden könnten (so z.B. Brandenburg); teils weil die zu erwartenden Gebühren bei behördlicher Zusammenstellung der Staatsleistungen es verbietet, diesen Weg zu verfolgen (z.B. Berlin: 220 bis 350 Euro für die Zeit ab 1994; Nordrhein-Westfalen: bis 500 Euro).

Vierte Stufe: Anfrage bei den Kirchen

Die Kirchenzentralen (Kirchenamt der EKD und Katholisches Büro in Berlin) wurden mit Schreiben vom 2.2.2011 um Mitteilung gebeten, ob ihnen Informationen über den Gesamtumfang der Staatsleistungen seit Inkrafttreten des Grundgesetzes und evtl. auch in der DDR vorliegen. Während das Katholische Büro darauf bisher nicht geantwortet hat, teilte das Kirchenamt der EKD mit, diese Daten lägen ihr nicht vor; die Datenbeschaffung sei mit vertretbarem Verwaltungsaufwand auch nicht möglich.

Fünfte Stufe: Parlamentarische Anfragen

Mangels behördlicher Auskünfte über die Höhe der Staatsleistungen im abgefragten Zeitraum für den Normalbürger haben wir alsdann versucht, Abgeordnete von Bund und Ländern für das Thema zu gewinnen. Dem Fragerecht der Parlamentarier als Teil der Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive entspricht die Pflicht der Regierung, ihnen die zur Ausübung ihrer Funktion erforderlichen Informationen durch eine vollständige und zutreffende Antwort zu verschaffen. Mitglieder der HU haben sich in ihren Ländern an solche Abgeordnete gewandt, von denen sie annehmen konnten, dass sie sich zu parlamentarischen Anfragen bereit finden würden. Ein Ertrag ist bisher nicht erkennbar, Anfragen sind nicht gestellt worden, häufig wurde auf das schriftlich formulierte Anliegen nicht geantwortet. Soweit Gespräche mit Abgeordneten stattfanden, wurde erkennbar, dass in allen (!) Parteien die Scheu vorhanden ist, ein auch nur potentiell kirchenkritisches Thema anzusprechen, obwohl in allen in den Parlamenten vertretenen Parteien, sieht man von der CDU/CSU ab, erkennbar auch kirchenkritische, säkulare oder laizistische Positionen vertreten werden. Wie weit bei Abgeordneten jeweils die „Schere im Kopf“ gewirkt hat oder die Führung bzw. die Mehrheit der Fraktion Aktivitäten unterbunden haben, ist nicht bekannt. Vereinzelt wurde auch die Sorge geäußert, die Regierung werde sich auch dem Parlament gegenüber auf einen „unzumutbaren Verwaltungsaufwand“ berufen.

Sechste Stufe: Eigene Recherche

Wenn wir denn keine Hilfe aus Wissenschaft, Behörden, Kirchen und Parlamenten bekommen, müssen wir uns selbst auf den Weg machen. Carsten Frerk und ich haben in den letzten Wochen die Zahlen in Bibliotheken und Archiven selbst zusammengesucht. Wir werden demnächst, kurz nach Erscheinen dieser Ausgabe der HU-Mitteilungen, das Ergebnis unserer Recherchen vorlegen (s. Infokasten).

III. Bewertung

Es besteht ein Verfassungsauftrag: Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 138 WRV. Er lautet: Die Staatsleistungen sind abzulösen. Die Beteiligten sind: Einerseits die Regierungen und Parlamente des Bundes (Grundsätzegesetz) und der Länder (Ablösungsgesetze), andererseits die evangelische und die katholische Kirche.
Dass die Kirchen an einer Ablösung nicht interessiert und daher nicht tätig geworden sind, verwundert nicht. Je länger der aktuelle Zustand andauert, desto günstiger für sie in finanzieller Hinsicht. Immerhin haben sie inzwischen auf höchster Ebene öffentlich wissen lassen, dass sie zu Gesprächen über die Ablösung zur Verfügung stehen, wenn die staatliche Seite dies wünscht.

Staatlicherseits ignorieren die Beteiligten den Verfassungsbefehl, jedenfalls scheren sie sich nicht darum, was sich daran zeigt, dass seit 91 Jahren nichts geschehen ist. Nicht einmal die kirchliche Gesprächsbereitschaft zu Ablöseverhandlungen scheint bei den staatlichen Akteuren angekommen zu sein. Ebenso offenkundig wollen sie aber auch nichts wissen, denn zu den Informationen, die man braucht, um dem Ablösungsauftrag sachgemäß Rechnung zu tragen, gehört jedenfalls die Kenntnis darüber, in welchem Umfang Staatsleistungen eigentlich seit dem Inkrafttreten des Ablösungsauftrags geleistet worden sind. Man hätte erwarten können, dass darüber in den zuständigen Behörden kontinuierlich Aufzeichnungen gemacht werden. Das ist nicht geschehen.
Eine solche Informationsbeschaffung seitens der zuständigen obersten Behörden soll erklärtermaßen auch weiterhin nicht erfolgen. Dass dabei die Behauptung, es werde ein „unvertretbarer Verwaltungsaufwand“ verlangt, lächerlich ist, ergibt sich schon daraus, dass die erforderlichen Zahlen in den staatlichen Haushaltsplänen enthalten sind (und auch sein müssen: § 12 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz und § 17 Abs. 1 der Landeshaushaltsordnungen) und diese Haushaltspläne selbstverständlich in allen Finanzministerien und in allen Parlamenten (Parlamentsbibliotheken) der jeweiligen Länder vollständig vorhanden sind, desgleichen (Bund und Länder) im Bundesfinanzministerium und in der Bibliothek des Bundestages. Das sich aus den Sollzahlen (Plandaten) und den Ist-Ergebnissen (des jeweiligen Vorjahres) der Haushaltspläne eine lückenlose Aufstellung der bundesweiten Staatsleistungen erstellen lässt, ist unmittelbar einsichtig. Was soll daran unzumutbar sein, in der Regel in jedem Bundesland 120 Zahlen aus den letzten 60 Jahren zusammen zu stellen, nämlich pro Jahr zwei Zahlen (evangelische / katholische Kirche)?

Daraus muss man schließen: Die Regierungen und die Parlamente wollen die reale Situation bei den finanziellen Beziehungen zwischen dem Staat und den Amtskirchen nicht kennen. Dies erstaunt aus drei Gründen:

1. Die finanzielle Situation der Länder ist erklärtermaßen höchst angespannt und seit langem werden Einsparmöglichkeiten in allen Bereichen schon bei viel kleineren Beträgen gesucht. Da ist es alles andere als selbstverständlich, dass die staatliche Seite, die inzwischen (Stand: Februar 2011) mit 2 Billionen Euro verschuldet ist, Kirchen unbefristet alimentiert, die selbst null Verschuldung und erhebliches Grund- und Finanzvermögen aufweisen.

2. Es geht nicht um staatliche Dauerpflichtleistungen. Im Gegenteil: Der Staat ist nicht einmal berechtigt, dauerhaft zu zahlen, denn es führt kein Weg daran vorbei, dass die Verfassung gerade die Ablösung dieser Leistungen fordert.

3. Die Zahl der nicht in den beiden begünstigten Religionsgemeinschaften organisierten Staatsbürger (und Wähler) ist nicht mehr marginal, sie wächst ständig. Mittlerweile  tragen 40 v.H. der Bevölkerung (der Wähler) zur Finanzierung der ihnen fremden Institution Kirche bei.

Warum die Zögerlichkeit, wenn es um die Staatsleistungen geht? Warum traut sich staatlicherseits niemand, über die Ablösung auch nur zu reden?

Hier zeigt sich, wie stark die Stellung der beiden großen Kirchen in Deutschland immer noch ist. Das hat etwas mit Tradition zu tun; damit, dass die politischen Meinungsführer in Behörden und Parlamenten ungleich stärker mit der Institution Kirche verbunden sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Die verbleibenden 60 Prozent Kirchenangehörige in der Bevölkerung bilden zudem ein Wählerpotential, das man zu verprellen fürchtet, wenn man den Kirchen Geld „weg nimmt“. Auch auf die publizistische Macht der Amtskirchen und die Unterstützung durch bedeutsame Institutionen, vor allem das überaus kirchenfreundliche Bundesverfassungsgericht, muss hingewiesen werden.

Zudem entfaltet in einer Gesellschaft, die sich weigert, sich mit den ökonomischen und finanziellen Fragen der Kirchen, mit deren beachtlichem Reichtum zu befassen, die „caritative“ Behauptung weiterhin ungebrochen ihre Wirkung, mit dem Kirchengeld werde unendlich viel Gutes getan, was sonst andere tun müssten oder gar unter den Tisch fiele.

Was die Parlamente angeht, wird auch von den Oppositionsfraktionen die Kontrollfunktion gerade dort, wo die Nähe der Regierung zu bestimmten Religionsgemeinschaften besonders deutlich ist, kaum wahrgenommen. Die „Unabhängigkeit“ der Abgeordneten kontrastiert bemerkenswert mit ihrer Ängstlichkeit in Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften. Religionsangelegenheiten mag „man“ nicht thematisieren, jedenfalls nicht in kirchenkritischer Absicht, sondern allenfalls, wenn es um die vom Islam ausgehenden Gefahren geht.

Schließlich erwies sich auch die Informationsfreiheit – jedenfalls hier – als ein nur beschränkt wirksames Instrument. Ein Informationsanspruch existiert nicht in allen Ländern; dort wo es ihn gibt, ist er in den Behörden immer noch unbekannt. Und bei komplexeren Auskunftsansprüchen bilden die hohen Gebühren eine faktische Sperre.

Anmerkungen:

[1] Josef Isensee in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts Bd. 1, 2. Aufl. 1994, S. 1037.

[2] Bis zum Jahr 2001 DM in Euro umgerechnet.

[3] Die übrigen Länder haben kein Informationsfreiheitsgesetz.

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