Themen / Rechtspolitik

Schwarze Kassen und Erinne­rungs­verbot

01. Juni 2000

Mitteilung Nr. 170, S. 29

Nach jahrzehntelanger Verdrängung veranstaltet die Deutsche Richterakademie seit 1983 Tagungen zur Justizgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Tagungen zur NS-Justiz und SED-Justiz sind seit 1998 um die vom Land Hessen ausgerichtete Tagung „Rechtsstaat im Aufbau – Zur Justizgeschichte der Bundesrepublik“ ergänzt worden. Die Tagung informiert über den anfangs von Rückschlägen und Brüchen durchzogenen, schließlich aber doch erfolgreichen Aufbau einer demokratischen Justiz. Wie das Thema juristische Zeitgeschichte überhaupt, ist die Tagung besonders geeignet, zur kritischen Befragung unseres richterlichen Vorverständnisses anzuregen. Schon in ihren ersten beiden Durchläufen (1998 und 1999) hat die Tagung bei den Teilnehmern hohe Anerkennung gefunden. Die Meldungen liegen auch hier weit über dem Platzkontingent. Deshalb ist sie in das Standartprogramm der Deutschen Richterakademie aufgenommen worden.

Eben diese Tagung hat der, unter dem durch den Wahlbetrug bekannten Ministerpräsident Koch, in das Hessische Justizminister-ium gelangte Justizminister Christian Wagner, für das Jahr 2001 ersatzlos gestrichen (die noch unter seinem Vorgänger festgelegte bevorstehende Tagung vom 5.-15. Juli 2000 konnte Wagner nicht mehr rückgängig machen). Minister Wagner hat auch entschieden, daß die Tagung zur bundesdeutschen Justizgeschichte durch keine andere Veranstaltung zur juristischen Zeitgeschichte ersetzt werden soll.

Über die Gründe für die Absetzung der renommierten Tagung läßt sich nur spekulieren. Hält Minister Wagner im Vergleich mit anderen Themen die Auseinandersetzung mit der Justizgeschichte für irrelevant? Hält er es insbesondere für überflüssig, daß Richter und Staatsanwälte sich mit der im Ergebnis zwar durchaus gelungenen, in ihren ersten Jahrzehnten, insbesondere in der sogennanten Adenauer-Ära aber durchaus problematischen und deshalb besonders lehrreichen Justizgeschichte, zu beschäftigen? Unbegründet wäre übrigens die Befürchtung der Landesregierung, daß Rechtsprobleme der Parteienfinanzierung auf den Tagungen behandelt würden. Dies ist nicht der Fall. Allerdings paßt beides durchaus zusammen: Schwarze Kassen, mit ihrer Hilfe bestrittene Wahlkampagnen einerseits und Geschichtsvergessenheit andererseits.

Aus einem anderen Grunde kann man Minister Wagner allerdings dankbar sein. Sein rascher Entschluß widerlegt die Meinung, bei dem Thema juristische Zeitgeschichte handele es sich um eine ebenso trockene wie politikentrückte Materie. Richtig ist auch, daß die verbotene Tagung ein Bildungsangebot mit vielen Informationen und Anstößen zur Diskussion bietet, auch zur Diskussion über die Wechselwirkung zwischen einer mitunter allzu selbstsicher praktizierten juristischen Methode und Erwartungshaltungen der Politik. Zu solchen Erwartungshaltungen passen keine Tagungen, die Anlaß zu einer Problematisierung des richterlichen Berufsverständ-nisses bieten. Gleichartige Besorgnisse waren es denn auch, die als es seinerzeit zu einem Kraftakt machten, daß nach jahrzehnte-langem Schweigen die Deutsche Richterakademie erstmals im Jahre 1983 das Thema der NS-Justiz auf ihre Tagesordnung setzte, und wonach es wiederum mehrere Jahre dauerte, bis die Art des Umgangs mit der NS-Vergangenheit zum Gegenstand der Tagung gemacht werden durfte. Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit gibt es also anscheinend Wiederholungszwänge.

Sein Ziel, die Aufarbeitung der Justizgeschichte zu verhindern, hat der hessische Justizminister allerdings nicht erreicht. Weil die – auch nach den Rückmeldungen in den von den Teilnehmern ausgefüllten Fragebögen (mit Spitzenbenotungen!) – hochangesehene Tagung unverzichtbar ist, hat sich inzwischen das Land Sachsen bereit erklärt, der Tagung Asyl zu gewähren.

Dem Autor dieses Textes und langjährigem HU-Mitglied möchten wir ganz herzlich zu seinem 70. Geburtstag gratulieren.

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