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Staats­kir­chen­ver­träge – Ende oder Anfang?

03. Juli 2006

Mitteilungen Nr. 193, S. 9-10

Intensiv wurden die Diskussionen um die Einführung des Faches „Ethik“ im Land Berlin geführt. Seitens der evangelischen Kirche ist dabei rhetorisch kräftig gezündelt worden (siehe HU-Mitteilungen 189, S. 8 f.). Wesentlich geräuschärmer, öffentlich fast unbemerkt, fanden hingegen die Verhandlungen zum Abschluss eines Staatskirchenvertrages zwischen Berlin und der evangelischen Kirche ein Ende. Das eine Thema bewegte die Gemüter, das andere wird den „Spezialisten“ überlassen. Dabei wies die Humanistische Union in ihrer Pressemitteilung vom 9.3.2006 darauf hin, dass Bestimmungen des Schlussprotokolls des Staatskirchenvertrages die Konzeption des neuen Unterrichtsfaches „Ethik“ gefährden (siehe HU-Mitteilungen 192, S. 15).

Dies ist ein durchaus wiederkehrendes Phänomen: Einzelthemen, in denen das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat berührt werden, erzeugen immer wieder Aufmerksamkeit. Staatskirchenverträge, in denen zu fast allen Einzelthemen Regelungsinhalte zu finden sind, stoßen dagegen kaum auf Interesse. Obwohl diesen – auf Grund ihrer speziellen juristischen Konstruktion – faktisch höheres Gewicht zukommt als einfachen Parlamentsgesetzen. Aber dies ist kaum jemandem klar. Das Thema „Staatskirchenvertragssystem“ ist allzu abstrakt und scheinbar abseitig.

Nunmehr also werden in den nächsten Wochen mit den Staatskirchenverträgen zwischen der evangelischen Kirche und den Ländern Berlin und Hamburg zwei letzte „Lücken“ im bundesweiten Staatskirchenvertragssystem geschlossen. Danach „fehlt“ eigentlich nur noch ein Konkordat zwischen dem Land Berlin und dem Heiligen Stuhl als Vertreter der katholischen Kirche. Nachdem jedoch mit dem jetzigen Berliner Staatskirchenvertrag erstmals auch die Linkspartei aus der Regierungsverantwortung heraus ein solches Vertragswerk aktiv einbrachte, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch dieses Konkordat folgen wird.

Zeit zu fragen, wie die Humanistische Union das Thema nach der „Lückenschließung“ weiter verfolgen kann und sollte. Oder ob sie einem bestehendem Trend nachgibt, sich auf leichter „vermarktbare“ Einzelthemen beschränkt und dann – wie andere auch – jedes Mal an bestimmten Stellen zu spüren bekommt, dass bestimmte Inhalte nicht mehr so einfach regelungsfähig sind, weil sie mittels Staatskirchenverträgen faktisch der parlamentarischen Verfügungsgewalt entzogen wurden.

Hier scheinen mir zwei mögliche Anknüpfungspunkte für eine Diskussion interessant zu sein: Zum einen die Forderung nach einem allgemeinen Gesetz, dass alle Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften (WRG) betrifft. Zum anderen die Forderung nach konsequenter, inhaltlicher wie formaler Gleichbehandlung aller WRG, mit denen keine oder keine gleich weit gehenden Staatskirchenverträge abgeschlossen wurden.

Zum Ersteren: Die HU forderte bislang stets den Verzicht auf den Abschluss von Staatskirchenverträgen. Dies ist eine konsequente und richtige Forderung im Sinne einer Trennung von Staat und Kirchen. Nichtsdestoweniger ist mit dieser Ablehnung ein Problem verbunden, das in der faktisch unbegrenzten Gültigkeit solcher Verträge besteht: Selbst wenn über mehrere Legislaturperioden hinweg in einem Landesparlament der Verzicht auf einen Staatskirchenvertrag Mehrheitsmeinung ist, bedarf es letztlich nur einer einzigen Legislaturperiode mit einer gegenteiligen Mehrheitsmeinung, um den Zustand der Vertragsfreiheit dauerhaft zu ändern. Künftige Regierungen können – selbst wenn sie es wollten – nur noch schwer etwas am dann geltenden Rechtszustand ändern.

Eine mögliche Lösung könnte hier die Forderung nach einem allgemeinen Gesetz sein, welches genau die Regelungsinhalte aufgreift, die typischerweise in Staatskirchenverträgen enthalten sind. Ein allgemeines Gesetz statt einer Vielzahl fragwürdiger Einzelfallgesetze.

Hierbei ergibt sich ein Hauptproblem: Die Forderung nach einem solchen Gesetz kann nur sinnvoll in Ersetzung des bestehenden Staatskirchenvertragssystems sein. Unter dieser Maßgabe wäre es auch juristisch leichter, die bestehenden Verträge – gegebenenfalls auch ohne Zustimmung der Kirchen – als nicht mehr gültig zu betrachten. Würde ein solches Gesetz nicht vertragsablösende Funktion haben, bestünde die Gefahr, dass es lediglich eine doppelte bzw. bei bestimmten Einzelfragen eine dritte und vierte Absicherung kirchenchristlicher Privilegien bedeutet.

Des Weiteren beißt sich die Forderung eines solchen Gesetzes mit der Forderung, Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften letztlich nach Vereinsrecht zu behandeln. Kern solcher Forderungen ist aber nicht die Benennung einer Organisation, sondern die Minderung der rechtlichen Privilegierung, die die Organisation genießt. Ein WRG-Gesetz kann also folglich nur sinnvoll sein, wenn es gegenüber dem be- stehenden Staatskirchenvertragssystem ersetzende Funktion hat und ein Minus an Privilegien enthält.
Die zweite zentrale Richtung für die HU kann sich aus einer dezidiert eingeforderten Gleichbehandlung aller WRG ergeben. Dies mag nicht sonderlich spektakulär klingen. Natürlich sollen anderen WRG auch die Rechte zustehen, die den beiden christlichen Marktführern seit jeher zugestanden werden. Manchen Mitgliedern der HU fällt dies womöglich noch leicht, wenn es zum Beispiel um die Einrichtung eines Lehrstuhles für humanistische Lebenskunde für den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) ginge. Aber ist die HU-Mitgliedschaft wirklich bereit, theologische Fakultäten für die Zeugen Jehovas, Milli Görüs und Scientology einzufordern? Wenn nicht: Wieso und nach welchen Kriterien wird hier gefiltert? Wie ist dies mit dem Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität vereinbar? In beiden Punkten sehe ich Gesprächsbedarf innerhalb wie außerhalb der HU.

Notker Bakker
ist HU-Mitglied und aktiv im AK Staat-Religionen-Weltanschauungen

Literatur:

Ludwig Renck: „Rechtsstellungsgesetze für Bekenntnisgemeinschaften“, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 3/2006, S. 8 ff.

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