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Die Humanis­ti­sche Union wird 50 – und ist kein bisschen müde

Mitteilungen21410/2011Seite 23

Empfang des Regionalverbandes München-Südbayern zum 50. Geburtstag am 8. Juli 2011. Aus: Mitteilungen Nr. 214 (3/2011), S. 23/24

Die Humanistische Union wird 50 – und ist kein bisschen müde

Die Gründung der Humanistischen Union am 26. August 1961 liegt nunmehr ein halbes Jahrhundert zurück. Dieses Jubiläum gab den Rahmen für ein Zusammensein in entspannter Atmosphäre, um an die Vergangenheit zu erinnern, aber den Blick auch in die Zukunft zu richten. Da der Verein sich in München konstituierte und die Bundesgeschäftsstelle bis Ende 1997 dort saß, schien es dem Regionalverband München-Südbayern angemessen – in Ergänzung zur Hauptfeier in Berlin – auch einen festlichen Empfang vor Ort auszurichten. Als geeignete Umgebung hierfür bot sich die Seidlvilla im Münchner Stadtteil Schwabing an, welche vielen Mitgliedern schon aus früheren Veranstaltungen gut bekannt ist.

Den Weg zur Veranstaltung am 8. Juli 2011 fanden viele HU-Mitglieder, insbesondere mit Frau Dr. Lotte Köhler auch ein Gründungsmitglied, und nicht wenige Interessierte. Unter den Teilnehmern waren HU-Beiräte, Preisträgerinnen des „Aufrechten Ganges“, Vertreter der SPD, der LINKEN, der Grünen, der Piraten und der Neuen Richtervereinigung. Das Programm setzte sich zusammen aus einer bunten Mischung von Beiträgen, die einen aussagekräftigen Einblick in die Betätigungsfelder der Humanistischen Union ermöglichten.

Das ehemalige Vorstandsmitglied Prof. Dr. Tim Hering übernahm die Begrüßung des Publikums und stellte die Hintergründe der beiden danach verlesenen Texte vor: des Gründungsaufrufs von 1961 und des „Memorandums zum Kernbereich des Rechtsstaats“ von 1978. In gebotener Kürze erweckte er die gesellschaftliche Situation von 1961 zum Leben und führte so in den zeitlichen Kontext der Gründung der Humanistischen Union ein. Auch den von Angst um die Innere Sicherheit geprägten Zeitgeist von 1978, welcher zur Abfassung des genannten Memorandums führte, umriss er in knappen, präzisen Worten. Im Anschluss wies er noch auf andere wichtige Stellungnahmen der Humanistischen Union hin, welche gedruckt auslagen.

Der aus Funk und Fernsehen bekannte Wolf Euba trug den Gründungsaufruf von Dr. Gerhard Szczesny in nüchterner wie einfühlsamer Diktion vor. Beim Hören dieses Textes wurde klar, welche Haltung die Bildung der Humanistischen Union motiviert hatte: die Ablehnung eines „totalen Machtanspruchs einer christlichen Sprach-, Denk- und Verhaltensregelung“ für „eine Gesellschaft, die nur zu einem Teil aus gläubigen Christen besteht“. Gemeint war damit nicht etwa eine Leugnung des „Recht[s] des gläubigen Christen, sich um die Verbreitung seines Glaubens zu bemühen“, sondern die unzulässige Einflussnahme der Kirche mittels staatlicher Stellen auf die Öffentlichkeit. Die vollumfängliche Trennung von Staat und Kirche ist bis heute Teil des Aufgabenspektrums der Humanistischen Union geblieben, obgleich viele weitere bürgerrechtliche Themen hinzu gekommen sind. Szczesnys Aufruf war aber keine rein ablehnende Stellungnahme, sondern enthielt vielmehr das humanistisch konnotierte Verständnis eines lebensfähigen Gemeinwesens als positiven Gegenentwurf, dessen „Pluralität der Prinzipien von der Solidarität der Personen getragen“ werden müsse.

Die Journalistin Corinna Spies trug danach als ein Beispiel für die Auseinandersetzungen der Humanistischen Union mit gesellschaftspolitischen Zeitfragen einen Text aus dem Jahr 1978 vor. Dessen vollständiger Titel lautet: „Die Humanistische Union fragt Bundesregierung und Bundestag: Wo beginnt der Kernbereich des Rechtsstaats?“ Der Vergleich mit dem zuvor verlesenen Text zeigte, wie sich der Aktionsradius der Vereinigung seit den Anfängen vergrößert hatte. Die Bundesregierung hatte – so der historische Hintergrund – an die UNO einen „Staatenbericht über bürgerliche und politische Rechte“ geleitet, in welchem sie zu einem positiven Ergebnis gelangt war. Geradezu ins Gegenteil verkehrt fiel dagegen die Bewertung der Humanistischen Union aus: in der Bundesrepublik werden „die bürgerlichen und politischen Rechte zunehmend eingeschränkt“. Stichhaltig wurde diese dem Hauptteil des Textes vorangestellte These anhand einer Vielzahl von Beispielen nachgewiesen und so die Behauptung der Bundesregierung widerlegt. Vieles kam dem Publikum aus jüngster Zeit wohlbekannt vor. Beispielsweise könnten die datenschutzbezogenen Ausführungen nahezu wortwörtlich in gegenwärtige Publikationen übertragen werden. Gelächter entstand beim Verlesen einer Auswahl von damaligen Unterzeichnern, als der Name Otto Schilys – damals Vorstandsmitglied der HU – fiel.

In den Händen von Heide Hering lag es, die Rolle der Frauen in der Humanistischen Union ins rechte Licht zu rücken. Mit viel Humor berichtete sie von ihren persönlichen Erfahrungen in der Humanistischen Union als „absolute Quotenfrau“, von welcher sie sich zu einer engagierten Streiterin für die weibliche Emanzipation entwickelte. Untrennbar damit verwoben waren die Aktivitäten der HU für die Abschaffung des Abtreibungs-Paragraphen 218 und auf dem Gebiet der Gleichstellungspolitik. Heide Hering warf hierbei Schlaglichter auf die Beratungen zum Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes der HU, das unter Federführung des damaligen FDP-Innenministers Gerhart Baum vor dem Regierungswechsel beinahe noch verwirklicht worden wäre. Erst im Nachgang der Wiedervereinigung glückte die verfassungsrechtliche Verankerung einer Rechtsgrundlage für die aktive Förderung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG). Mit der von Heide Hering und anderen gegründeten Initiative „Frauen in bester Verfassung“ konnte sie die Innovationskraft der Humanistischen Union eindrucksvoll stärken. In bester Tradition standen daher die rechtspolitischen Vorschläge, welche ihren Vortrag abrundeten.

Schließlich trug die Bundesvorsitzende Prof. Dr. Rosemarie Will ihre Überlegungen zu den Zukunftsperspektiven der Humanistischen Union vor. Im Vordergrund standen hierbei weniger deren inhaltlichen Themen, welche in den vorangegangen Beiträgen gewürdigt worden waren, sondern die Veränderung der Mitgliederstruktur im Laufe der vergangenen Jahrzehnte. Die Vorsitzende hob die Beendigung des Mitgliederschwundes seit dem Jahr 2006 hervor. Dies machte sie zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, wie sich die Vereinigung in Zukunft fortentwickeln müsse, genauer welche Anforderungen diese zu erfüllen habe, um weiterhin effektiv Bürgerrechtsarbeit betreiben zu können. Zur Übergabe des metaphorischen Staffelstabs an die nächste Generation von Aktiven gab Will eine vorsichtig optimistische Prognose ab: „Dass jemand zum Übergeben da ist, scheint gewährleistet zu sein“.

Nach Beendigung des offiziellen Teils verblieb die Gesellschaft dann noch eine Weile für angeregte Gespräche in der Seidlvilla. Nicht wenige Impulse dürften von den verschiedenen Beiträgen ausgegangen sein. Zieht man ein Resümee, ist festzuhalten: Mit Stolz kann die Humanistische Union auf ihr gesellschaftspolitisches Engagement in den ersten fünfzig Jahren ihres Bestehens zurückblicken. Will sie in Zukunft aber weiterhin einen erklecklichen Beitrag zu bürgerrechtlichen Angelegenheiten in der Bundesrepublik leisten, darf sie sich auf solchen Lorbeeren aber nicht ausruhen.

Felix Grollmann
ist im Vorstand des Regionalverbandes München-Südbayern aktiv.

Die Reden und Bilder des Münchner Empfangs finden sich auf der Webseite des Regionalverbandes.

Heide Hering: „Es war manchmal auch schwierig für mich, mit Juristen und Männern zusammen zu arbeiten.“ , in: Humanistische Union (Hg.), Bürgerrechtliche Argumente. Dokumente zu 50 Jahren Humanistische Union, S. 315-320.

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