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Erbrechen für die Straf­ver­fol­gung? - Über das Urteil des BGH zum Tod von Laya Condé während eines Brech­mit­te­l­ein­satzes

Grundrechte-Report 2011, Seiten 70 – 73

Am 29. April 2010 äußerte sich der Bundesgerichtshof (BGH) zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Einsatz von Brechmitteln zu einer Strafbarkeit des mitwirkenden Arztes führen kann. Damit hob der BGH das vorangegangene Urteil des Landgerichts Bremen auf, das den zuständigen Arzt freigesprochen hatte. Hintergrund ist der Tod des 35-jährigen, aus Sierra Leona stammenden Laya Alama Condé, der nach Verabreichung eines Brechmittels am 7. Januar 2005 verstorben ist.

Das (V)Erbrechen eines Kleinde­a­lers

Ende 2004 hatte ein in einem ärztlichen Beweissicherungsdienst angestellter Arzt dem mutmaßlichen Drogenhändler Condé ein Brechmittel eingeflößt, um an verschluckte Kokainkügelchen heranzukommen. Aufgrund von großen Verständigungsschwierigkeiten
fehlte es an einer strafprozessualen Belehrung und auch eine ausführliche medizinische Vorbesprechung war nicht möglich. Aus diesem Grund blieb ein Herzfehler von Condé unentdeckt.

Nachdem der Betroffene sich weigerte, den Brechsirup und Wasser einzunehmen, wurde die Einnahme, wie es eine Dienstanweisung forderte, mit Zwang durchgesetzt. Dazu wurde Condé an den Behandlungsstuhl gefesselt und mit Hilfe eines Polizeibeamten, der seinen Kopf fixierte, eine Sonde durch die Nase in den Magen gelegt. Durch den 70 cm langen Schlauch wurde ein Brechmittel sowie Wasser geleitet, um auf diese Weise ein schwallartiges Erbrechen zu provozieren. Bei Condé führte dies allerdings nicht zu dem gewünschten Erfolg. Er schaffte es, Erbrochenes im Mund zu behalten und sogar wieder herunterzuschlucken. Der Arzt wiederholte den Vorgang mehrmals, indem er immer wieder Wasser in Condés Magen leitete, bis schließlich ein haselnussgroßes Kokainkügelchen sichergestellt werden konnte.

Auch danach wurde das Einleiten von immer mehr Wasser beibehalten, um weiteres Erbrechen zu ermöglichen. Aufgrund dieser Vorgänge geriet Wasser und Erbrochenes in die Luftröhre des Betroffenen. Condé wurde ohnmächtig, aus Mund sowie Nase trat weißer Schaum. Außerdem wurde die verminderte Funktionsfähigkeit der Lunge festgestellt. Nachdem ein Notarzt zur Hilfe gerufen wurde und dieser Condés Zustand scheinbar stabilisierte, setzte der Arzt das Erbrechen unter Anwesenheit des Notarztes fort. Auf diese Weise konnten zwei
weitere Kokainkügelchen sichergestellt werden. Als schließlich das Erbrechen nachließ, wurde dieses dann durch den Arzt mit Hilfe der Kehrseite einer Pinzette und eines Holzspatels durch die mechanische Einwirkung auf den Rachenraum ausgelöst. Kurze Zeit danach fiel Condé in ein Koma, aus welchem er nicht mehr erwachte. Insgesamt hatte Condé fünf Kügelchen Kokain mit einem Handelswert von je 20 Euro verschluckt. Als Todesursache wurde ein akuter Kreislaufkollaps,
welcher einen hypoxischen Hirnschaden zur Folge hatte, festgestellt.

Das LG Bremen hatte den Polizeiarzt vom Vorwurf der fahrlässigen
Tötung freigesprochen, da die eingetretenen Folgen nach seiner Ansicht für den Arzt subjektiv nicht vorhersehbar gewesen seien. Diese Unvorhersehbarkeit sei auf eine schlechte Ausbildung und mangelnde Erfahrung mit solchen Einsätzen zurückzuführen. Somit habe der Polizeiarzt gar nicht erkennen können, dass Condé während des Brechmitteleinsatzes in Lebensgefahr geschwebt habe.

Unfähigkeit schützt vor Strafe nicht

Der BGH hat der Revision der Nebenkläger, der Mutter und des Bruders des Verstorbenen, stattgegeben und den Freispruch des Arztes durch das LG Bremen aufgehoben.

Gleich zu Beginn der Entscheidung weist der Gerichtshof auf die EGMR-Entscheidung zum Fall Jalloh hin, welche den Brechmitteleinsatz im Strafprozess allgemein für menschenrechtswidrig erklärt hatte. Daraus ergibt sich für den BGH, dass jede Verwendung von Brechmitteln, die zum Tode des Betroffenen führt, den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt.

Besonders bedeutsam ist nach dem Senat, dass im Fall von Condé gegen die Menschenwürde verstoßen worden ist, da es zu einer Fortsetzung der Maßnahme gekommen sei, nachdem bereits ein Kokainkügelchen sichergestellt werden konnte. Besonders die Rechtfertigung der Maßnahme aufgrund einer Eilkompetenz habe nach der Bergung des ersten Kügelchens keinen Raum mehr. Ab diesem Zeitpunkt sei der gesamte Vorgang nach Ansicht des BGH unverhältnismäßig gewesen. Vor allem die Ohnmacht von Condé nach der ersten Phase des Erbrechens hätte dem Arzt zeigen müssen, dass ein Scheitern der Maßnahme durchaus in Betracht zu ziehen sei.

Entscheidend ist allerdings für den BGH nicht die Sorgfaltspflichtverletzung, welche sich daraus ergeben könnte, dass der
Arzt die Anordnung nach § 81a StPO, mit der die zwangsweise Durchführung begründet wurde, nicht in Zweifel gezogen habe. Entscheidend war, dass der Angeklagte den Betroffenen nicht über die Risiken der Maßnahme aufgeklärt habe. Eine solche Aufklärungspflicht ergebe sich zwar nicht aus der Dienstanweisung, jedoch, nach Ansicht des BGH, aus der geltenden ärztlichen Berufsordnung. Hierbei begründet der Gerichtshof das Übernahmeverschulden des Arztes vor allem mit der unzureichenden Anamnese, einer zu kurzen körperlichen Untersuchung, unzureichenden Gerätekenntnissen und offensichtlich
mangelnden Kenntnissen mit ohnmächtigen Patienten. Dieses kann, so der 5. Strafsenat, auch nicht durch ein Organisationsverschulden seines Arbeitgebers beseitigt werden.

Weiterhin kritisiert der BGH die Überschreitung der Grenze für eine zulässige Gewaltanwendung, welche spätestens durch das Herbeiführen des Brechreizes, also durch die mechanische Einwirkung auf den Rachenraum, stattgefunden habe. Der Arzt hätte, um seiner ärztlichen Schutzpflicht nachzukommen, die Ursache der ersten Ohnmacht erforschen müssen und so die durch die Wiederholung des Vorgangs drohende Gefahr erkennen müssen.

Brech­mit­te­le­in­sätze verstoßen gegen Menschen­rechte

Die Positionierung des BGH war dringend erforderlich. Es ist bestürzend, dass dieser Vorgang unter dem Deckmantel von »Recht« geschehen konnte. Mit diesem Urteil wird für die prozessual unzulässige Anordnung und Durchführung eines Brechmitteleinsatzes eine strafrechtliche Sanktion vorgegeben und das EGMR-Urteil zu Brechmitteleinsätzen mit Leben erfüllt.

Das LG Bremen muss jetzt erneut über den Fall entscheiden. Der BGH forderte in seiner Entscheidung dazu auf, die Gründe, welche bisher zu dem Freispruch des Arztes geführt haben, bei der zu erwartenden Verurteilung als Milderungsgründe zu berücksichtigen.

Im Ergebnis muss das Schicksal von Laya Alama Condé vor allem dazu führen, dass menschenrechtswidriges Verhalten nicht als Rechtfertigung für strafprozessuale Verfolgungsmaßnahmen dient.

Literatur

Pollähne, Helmut, Lex Vomica? Das zweite Todesopfer hanseatischer
Brechmittelpolitik, in: Grundrechte-Report 2005, S. 53 ff.

Tillmann Löhr, Späte Erkenntnis: Brechmitteleinsätze sind rechtswidrig,
in: Grundrechte-Report 2007 S. 31 ff.

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