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BND-Über­wa­chung in Kabul - Der Skandal und das eigentliche Problem

Grundrechte-Report 2009, Seite 54

Die Empörungsrufe über die jahrelange Bespitzelung von missliebigen Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) waren kaum verklungen, da tauchten die Worte „Bundesnachrichtendienst“ und „Journalist/in“ schon wieder gemeinsam in den Schlagzeilen auf. Worum ging es?

Der afghanische Handels- und Industrieminister Amin Farhang war nach Angaben des afghanischen Geheimdienstes NDS verdächtig, Verbindungen zu den Taliban zu unterhalten. Der Verdacht nährte sich aus dem schlichten Umstand, dass Farhang bei der Befreiung deutscher Geiseln gute Vermittlungshilfe geleistet hatte. Für den Bundesnachrichtendienst war das Grund genug, den Computer des Ministers oder, wie andere Quellen berichten, sogar die Datenverarbeitung seines gesamten Ministeriums monatelang zu überwachen. Nun sind Minister bekanntlich auch nur Menschen. Deshalb fand der Bundestrojaner im Auslandeinsatz recht inoffizielle Daten: Einige sehr persönliche E-Mails dokumentierten die „privaten bis intimen“ Verbindungen, die der Minister zu einer deutschen Spiegel-Journalistin unterhalten haben soll.

Jetzt wurde die Sache kurzzeitig ernst. In der veröffentlichten Meinung ist es immerhin ein außenpolitisches Skandälchen, das Regierungsmitglied eines befreundeten Staates auszuspionieren. Es ist zusätzlich sogar ein handfester innenpolitischer Skandal, eine deutsche Journalistin monatelang zu überwachen.

Das mit bundesnachrichtendienstlichen Pannen und Rechtsverstößen schon reichlich angefüllte Fass schien nun überzulaufen und BND-Chef Uhrlau kurz vor der Frührente zu stehen. Allerdings nicht etwa wegen der Überwachung selbst, sondern nur, weil Herr Uhrlau wiederholt eine Unterrichtung der Bundesregierung und des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu dieser Maßnahme unterließ.

Die veröffentlichte Meinung beruhigte sich schnell. Zumindest Minister Farhang hätte laut ddp-Informationen nach rechtlichen Gesichtspunkten „ohne weiteres“ überwacht werden können. Nicht nur der Umstand, dass die Nachrichtenagentur ddp ohne Quellenangabe oder Begründung dem Geheimdienst die Absolution erteilt, verwundert. Auch die knappe Entschiedenheit dieser Beurteilung erstaunt den, der sich bemüht, sie nachzuprüfen.

Grund­rechts­bin­dung auch im Ausland?

Nach deutschem Verfassungsverständnis darf in die Grundrechte nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Die Sicherheitsbehörden bedürfen also zur Durchführung grundrechtsrelevanter Überwachungsmaßnahmen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Deshalb regeln das Bundesnachrichtendienstgesetz, unter welchen Voraussetzungen der BND die Bürger innerhalb der Bundesrepublik Deutschland überwachen darf. Für das Ausland aber existieren solche Regelungen nicht.

Sowohl die Regierung Kohl als auch die Regierung Schröder vertraten in Entwürfen zum so genannten G 10-Gesetz die Auffassung, die Überwachung von Ausländern im Ausland bedürfe schon keiner förmlichen Rechtsgrundlage. Ein Grundrechtseingriff läge gar nicht vor, schließlich ende der Grundrechtsschutz von Nichtdeutschen an der Grenze und der internationale Bereich sei ein grundrechtsfreier Raum.
Geändert hat sich diese Sichtweise bis heute nicht, obwohl spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum G 10-Gesetz feststeht, dass zumindest „der räumliche Schutzumfang des Fernmeldegeheimnisses nicht auf das Inland beschränkt ist. Artikel 10 GG kann vielmehr auch dann eingreifen, wenn eine im Ausland stattfindende Kommunikation durch Erfassung und Auswertung im Inland hinreichend mit inländischem staatlichem Handeln verknüpft ist.“

Die grundsätzliche Frage, ob die deutschen Grundrechte auch bei Auslandseinsätzen des BND gegenüber Ausländern zu beachten sind (und ob es deshalb zu deren Überwachung einer Ermächtigungsgrundlage bedarf), kann nur bejaht werden. Nach Artikel 1 Absatz 3 GG sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Eine territorial begrenzte Grundrechtsbindung findet im Wortlaut unseres Grundgesetzes keine Stütze. Dies auch aus gutem Grund: Die Geltung der Verfassung kann nämlich nicht davon abhängen, ob die vom deutschen Auslandsgeheimdienst erlangten Daten direkt vor Ort in Bagdad oder Kabul aufgezeichnet und ausgewertet werden oder ob dies daheim in Pullach geschieht. Solche organisatorischen Interna des BND sind nicht nur für die Betroffenen völlig unerheblich, sie sind auch allein von technischen Möglichkeiten oder sogar vom Zufall abhängig.

Bei richtigem Verfassungsverständnis besteht vielmehr immer ein enger Bezug zum Inland – weil die Nachrichtendienste die Daten schließlich für staatliche Informationszwecke der Bundesrepublik verarbeiten. Einen grundrechtsfreien Raum gibt es deswegen für den BND auch im Ausland nicht.

Regie­rungs­logik mit Defizit

Ganz anders haben das bisher die Bundesregierungen gesehen: Aus der Unterworfenheit von Ausländern unter den Rechts- und Verantwortungsbereich ihres Staates, den die deutsche Staatsgewalt völkerrechtlich zu akzeptieren habe, wird geschlussfolgert, dass die Begrenzung des Grundrechtsschutzes insoweit eine gebotene Bescheidung deutscher Staatsgewalt sei. Es ist jedoch offensichtlich, dass der Verzicht auf Beachtung der Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension das genaue Gegenteil von Selbstbescheidung ist. Der deutsche Staat argumentiert, dass er sich gegenüber Ausländern im Ausland (aufgrund des aus der Ausländereigenschaft folgenden Mangels an Grundrechtsbindung) mehr erlauben könne, als gegenüber Deutschen. Die Argumentation ist unlogisch. Sie führte zu der Annahme, der deutsche Staat dürfe sich aus völkerrechtlichem Respekt dort, wo er nichts zu suchen hat, aufführen wie er will.

Das Argument völkerrechtlicher Rücksichtnahme hat seine Berechtigung überhaupt nur im Zusammenhang mit Schutzpflichten oder Leistungsrechten, die aus Grundrechten abgeleitet werden. Aufgrund der Souveränität der Staaten ist es folgerichtig, dass die deutsche Staatsgewalt nach dem Grundgesetz weder verpflichtet ist, in Burkina Faso die Pressefreiheit zu erzwingen noch in Nordkorea das Existenzminimum zu gewährleisten. Die Bundesrepublik kann nämlich nicht verfassungsrechtlich zu etwas verpflichtet sein, das ihr völkerrechtlich verboten ist.

Wohl aber kann die Bundesrepublik gehalten sein, ein Verbot zu beachten, dass sich aus den Grundrechten ergibt und dem Völkerrecht nicht entgegensteht. Für Abwehrrechte muss deshalb auch etwas ganz Anderes gelten, als für Schutzpflichten oder Teilhaberechte. Die Grundrechte als Abwehrrechte gebieten präzise, mit Bürgern eines anderen Staates nicht in einer Art zu verfahren, die den eigenen Bürgern gegenüber verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre. Dagegen werden ausländische Staaten kaum einmal etwas einzuwenden haben. Sie werden diese Verfahrensweise nicht als eine Missachtung, sondern als eine Anerkennung ihrer Souveränität bewerten. Verbesserte außenpolitische Beziehungen aber sprechen für eine Anerkennung der Grundrechtsbindung (im Bereich der Abwehrrechte), keinesfalls dagegen.

Deutsche Sicherheitsbehörden sind damit im Ausland von der Beachtung der Grundrechte nicht freigestellt. Daraus folgt nicht nur, dass die Onlinebespitzelung Farhangs – wie auch die angeblich 60 weiteren bisher im Ausland durchgeführten Onlinedurchsuchungen – mitnichten „ohne weiteres“ rechtlich zulässig ware/n. Viel gewichtiger ist, dass sämtliche Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen des BND gegenüber Ausländern im Ausland – mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage – rechtswidrig sind.

Es geht nicht nur um die Pressefreiheit oder den bedenklichen Umgang mit befreundeten Regierungen. Beide Probleme sind bloß die Symptome eines viel tiefer liegenden und bedeutend größeren Übels: Der Versuch, dem Auslandgeheimdienst BND einen rechtsfreien Raum zu erhalten, führt dazu, dass sich dessen Agenten tagtäglich in der Illegalität bewegen. Es ist daher dringend geboten, diesen rechtsstaatswidrigen Zustand zu beenden.

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