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Alle Macht geht vom Senat aus? - Berliner Bürger­be­gehren „MediaSpree versenken“

Grundrechte-Report 2009, Seite 161

Sommer 2008 in Berlin – die Initiative „MediaSpree versenken“ gründet sich, um die Bebauung des Spreeufers in Friedrichhain/Kreuzberg zu verhindern. Denn wo bisher verschiedene kulturelle Einrichtungen ihren Platz haben, sollen in naher Zukunft Büroriesen das Spreeufer säumen. Unter dem Namen „Media Spree“ sind hier verschiedenste Großprojekte geplant, die sich an Vorbildern wie der Hamburger „HafenCity“ oder den „London Docklands“ orientieren. Einen ersten Schritt in diese Richtung macht die bereits entstandene O2 Arena – eine von flimmernden Werbetafeln umgebene Halle für Megaevents, die hier nun das Stadtbild stark prägt. Rund um diese plant der Eigentümer Anschutz ein großes Freizeitviertel, in dem auch Hochhäuser geplant sind. Weitere Grundstücke entlang der Spree sollen bis nah an das Ufer von verschiedensten Unternehmen aus der Werbe- und Unterhaltungsindustrie bebaut werden. Projekte wie das „Yaam“, die „Bar25“ und das „Kiki Blofeld“ sollen dafür die Grundstücke räumen. Das Yaam erfüllt beispielsweise als Anlaufstelle für Jugendliche eine sehr wichtige Funktion in dem Stadtteil. Hier wird ihnen ermöglicht eigene Ideen im künstlerischen, musikalischen und sportlichen Bereich zu verwirklichen.

„MediaSpree“ versenken!

Die Initiative, bestehend aus den betroffenen kulturellen Einrichtungen und aktiven Anwohnern, startet mehrere sehr öffentlichkeitswirksame Aktionen, um auf die Pläne aufmerksam zu machen. So wird unter anderem von Gummibooten aus, bunt verkleidet, mit Plakaten und Megafon ausgerüstet, auf der Spree das Versenken der „MediaSpree“ inszeniert. Es finden Uferbegehungen mit Kundgebungen statt und ein Kurzfilmwettbewerb wird veranstaltet. Schließlich plant die Initiative ein Bürgerbegehren. Doch die Meinungen gehen auseinander, denn viele trauen der Nutzung dieser staatlichen Instrumente nicht und die Gruppe spaltet sich auf. Die erforderlichen Unterschriften werden ohne Probleme gesammelt und das Bürgerbegehren findet statt. In diesem fordern sie einen 50 Meter breiten öffentlichen Uferstreifen an der Spree. Außerdem sollen keine weiteren Hochhäuser gebaut werden und aus einer geplanten Autobrücke soll ein Fußgängersteg werden. Ganze 87% der Wähler, bzw. 30 000 Stimmen sprechen sich schließlich gegen private Betonklötze und für öffentliche Grünflächen aus.

Ein wunderbarer Erfolg für die Bewegung. Denn nun ist es offiziell. Ein Großteil der Bewohner lehnt das Projekt „Media Spree“ ab.

Mit den 2005 in Kraft getretenen Regelungen für Bürgerbegehren bietet Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ gute Möglichkeiten für deren Durchführung. So liegt die erforderliche Wahlbeteiligung in Berlin bei 15%, im Saarland dagegen bei 30 %. Auch die Fristen zur Unterschriftensammlung sind in einigen anderen Bundesländern wesentlich kürzer als in Berlin (siehe dazu Zweites Volksentscheid-Ranking 2007 von mehr Demokratie e.V.).

Neben diesen klaren Vorteilen, ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Berliner Bürgerentscheide viel häufiger nur eine unverbindliche Wirkung haben, als dies in anderen Bundesländern der Fall ist. Das heißt sie wirken wie eine Empfehlung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) an das Bezirksamt. Dies gilt für Bürgerentscheide über den Bezirkshaushaltsplan, die Verwendung von Sondermitteln des Bezirks und Bebauungspläne, da hier die Kompetenzen der BVV eingeschränkt sind. Bindende Bürgerentscheide über Bebauungspläne sind auch deutschlandweit größtenteils ausgeschlossen. Begründet wird dies mit der im Baugesetzbuch bereits formal vorgeschriebenen Bürgerbeteiligung. Jedoch ist diese deutlich schwächer angelegt, als die durch Bürgerbegehren mögliche. So müssen die Bebauungspläne nach dem Baugesetzbuch nur einige Zeit ausliegen. Bei einem Bürgerentscheid wird dagegen jede/r Wahlberechtigte per Brief darüber informiert. Daher sollte gerade in Verfahren die von vornherein eine Beteiligung der Bürger voraussetzen, eine noch zugänglichere und stärkere Form durch Bürgerentscheide ermöglicht werden.

Missachtung des Bürger­wil­lens angedroht

In Berlin werden die direktdemokratischen Verfahren durch die Möglichkeiten des Berliner Senats, sich über das Ergebnis des Bürgerbegehrens hinwegzusetzen, weiter geschwächt. Zwar hat dieser selbst die Plebiszite eingeführt – allerdings nicht ohne Hintertür, unliebsame Entscheidungen wieder an sich zu ziehen. So kann der Senat selbst nach einem wirksamen Bürgerentscheid der Bezirksebene die Zuständigkeit für eine bestimmte Entscheidung entziehen, womit auch der Bürgerentscheid nicht mehr bindend ist. Die Folge wäre im Falle des Bürgerbegehrens „MediaSpree versenken“, dass das Votum von mehr als 80 Prozent der Wähler im Bezirk für null und nichtig erklärt würde. Und tatsächlich überlegt der Berliner Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen – wie der er in einem Schreiben mitteilte. Dies sei insbesondere dann wahrscheinlich, wenn der Bezirk weitere Hochhäuser aus dem Bebauungsplan streichen würde. Dann sollen die „Media Spree“ Pläne unter dem Titel „Planwerk Innenstadt“ vom Senat überarbeitet werden. Eine Beteiligung des Bezirks ist hier aber nicht vorgesehen.

Doch auch jetzt schon nimmt der Senat Einfluss auf das Verfahren, denn bei einem Großteil der Gelände handelt es sich um solche der BEHALA (Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft) oder der BSR (Berliner Stadt Reinigung). Da dies landeseigene Unternehmen sind, wären Schadensersatzforderungen ausgeschlossen. Doch schon während des Bürgerbegehrens wurde eine Realisierung von diesem mit dem Argument abgelehnt, die Schadensersatzforderungen der Betroffenen Investoren beliefen sich auf mindesten 160 Millionen Euro. Eine Finanzierung dieser durch den maroden Berliner Haushalt sei völlig unmöglich. Berücksichtigt man allerdings die landeseigenen Unternehmen, belaufen sich mögliche Schadensersatzforderungen auf maximal die Hälfte.

Der Senat hat also, trotz des eindeutigen Ergebnisses, kein Interesse daran hat dem Willen des Volkes gerecht zu werden.

Erfreulicher Weise wurde nach dem Media Spree Bürgerentscheid ein Sonderausschuss gegründet, in dem sich die Parteien des Bezirks, vier Bürgerdeputierte aus der Initiative und die betroffenen Grundstückseigentümer miteinander austauschen. Doch auch in diesem sind die Handlungsmöglichkeiten der Initiative auf das Einbringen von Vorschlägen beschränkt. Ob diese in den Bebauungsplänen berücksichtigt werden bleibt in vielen Fällen noch offen. Es scheint sich aber schon jetzt abzuzeichnen, dass die Gestaltung des Spreeufers keinesfalls den an das Bürgerbegehren geknüpften Erwartungen gerecht wird.

Damit Bürgerentscheide ihre direktdemokratische Wirkung entfalten können, müssen sie endgültigen und bindenden Charakter haben. Denn auf die freiwillige Umsetzung durch die politischen Parteien kann hier leider nicht vertraut werden.

Literatur

Rux, Johannes, Direkte Demokratie in Deutschland, Rechtsgrundlagen und Rechtswirklichkeit der unmittelbaren Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Ländern, Nomos Verlag, 1. Auflage, Baden-Baden 2008

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