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Whist­leblo­w­er-­Schutz in Deutschland

Grundrechte-Report 2009, Seite 111

In die rechtspolitische Diskussion über einen besseren Schutz von Whistleblowern – also von Insidern, die gravierende Missstände, Risiken oder Fehlentwicklungen aus ihrem beruflichen Umfeld aufdecken – ist in Deutschland Bewegung gekommen. Selbst der Begriff scheint sich in der deutschen Sprache allmählich einzubürgern. Die Anstöße dazu kommen aus drei Richtungen.

Das US-amerikanische SOX-Gesetz zwingt an der US-Börse notierte Unternehmen und ihre Tochtergesellschaften – auch wenn sie in Deutschland operieren – dazu, innerbetriebliche Regelungen zum Schutz von solchen Beschäftigten zu schaffen.

Das Antikorruptionsübereinkommen des Europarats zwingt alle Mitgliedsstaaten, „in ihrem innerstaatlichen Recht (vorzusehen), dass Beschäftigte, die den zuständigen Personen oder Behörden in redlicher Absicht einen begründeten Korruptionsverdacht mitteilen, angemessen vor ungerechtfertigten Nachteilen geschützt werden.“ Die Bundesregierung hat angekündigt, dieses Abkommen zu ratifizieren und umzusetzen.

Und drittens gibt es zivilgesellschaftlichen Druck. Vor allem die schockierenden Skandale im Bereich des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes (u.a. BSE, Gammelfleisch, Müllverbrennung, Babynahrung), der großflächige, vielfach kaum aufdeckbare Missbrauch sensibler personenbezogener Daten in der Wirtschaft sowie die malade Situation vieler Pflegebedürftiger in Krankenhäusern und Einrichtungen haben in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar gemacht, wie wichtig Insider sind, die über gravierende Missstände die Alarmglocke läuten, in dem sie sich an zuständige Stellen oder notfalls auch an die Öffentlichkeit wenden, um Abhilfe zu erreichen (siehe auch Grundrechte-Report 2005). Die detaillierte Berichterstattung in den Medien über die Bedeutung dieser Whistleblower für die Aufdeckung solcher Missstände, die Stiftung und Vergabe eines Whistleblower-Preises und die Aktivitäten des „Whistleblower-Netzwerks“ haben dazu maßgeblich beigetragen.

Erste Schritte zum Infor­man­ten­schutz

Zur Umsetzung des Antikorruptionsübereinkommens des Europarats hat der deutsche Gesetzgeber zwischenzeitlich im Beamtenstatusgesetz vom 17. Juni 2008, das ab dem 1. April 2009 in Kraft treten wird, in § 38 Absatz 2 Nr. 3 normiert, dass die Verschwiegenheitspflicht von Beamten künftig nicht mehr gelten soll, „soweit … gegenüber der zuständigen obersten Dienstbehörde, einer Strafverfolgungsbehörde oder einer durch Landesrecht bestimmten weiteren Behörde oder außerdienstlichen Stelle ein durch Tatsachen begründeter Verdacht einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331 – 337 StGB angezeigt wird.“

Das betrifft freilich nur einen – allerdings wichtigen – Ausschnitt des Whistleblowing. Artikel 9 des Europarats-Übereinkommens fordert darüber hinaus Schutzregelungen für alle Beschäftigten.

Die Gesetzgeber anderer Staaten haben diesen Weg bereits beschritten. Verwiesen sei insoweit nur auf den im Vereinigten Königreich bereits 1999 in Kraft getretenen „Public Interest Disclosure Act“ sowie Whistleblowerschutzgesetze in den USA, in Australien, Südafrika, Japan und jüngst auch in Frankreich. Dementsprechend ist es konsequent und zu begrüßen, wenn auch der deutsche Gesetzgeber – ähnlich wie der niederländische und der israelische – nunmehr Schutzregelungen für alle Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse anstrebt und diese Neuregelung nicht auf den Schutz von Anzeigen im Bereich der Korruption beschränkt.

Eine fraktionsübergreifende Initiative im Deutschen Bundestag und Teile der Bundesregierung erwägen die Einfügung einer Bestimmung in das BGB zum Schutz von Whistleblowern in Arbeitsverhältnissen („Informantenschutz“). Der bisher diskutierte Gesetzentwurf ist recht knapp. Der jetzige § 612 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) soll § 612 b BGB werden und an seiner Stelle soll eine neue Norm eingefügt werden. Kommt der Arbeitgeber einem innerbetrieblichen Abhilfeverlangen nicht nach, soll der Arbeitnehmer künftig ausdrücklich das Recht haben, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle, also in aller Regel eine staatliche Behörde, zu wenden.

Schutz der Meinungs­frei­heit bleibt defizitär

Eine solche Gesetzesänderung würde – ungeachtet notwendiger Detailkritik – den rechtlichen Schutz von Whistleblowern in Deutschland verbessern. Ein wirksamer Whistleblower-Schutz verlangt zudem aber eine wirksame Garantie der Meinungsäußerungsfreiheit für alle Dienst- und Beschäftigungsverhältnisse. Es reicht nicht aus, wie bisher die grundrechtliche Meinungsäußerungsfreiheit nur „mittelbar“ über auslegungsfähige Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe des Arbeits- und Dienstrechts im Rahmen einer Abwägung mit anderen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Es bedarf einer klaren und unmittelbaren Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit für alle Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse. Dabei muss die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für Äußerungen im öffentlichen Bereich geltende Vermutungsregel beachtet werden: Bei allen Äußerungen,

  • die nicht leichtfertig und nicht wider besseres Wissen erfolgen und die
  • eine das öffentliche Interesse wesentlich berührende Frage betreffen,

spricht eine Vermutung für ihre Zulässigkeit.

In der Anhörung zu der geplanten „Informantenschutz“-Regelung im Juni 2008 des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz war das Hauptargument gegen die Neuregelung die mögliche Rufgefährdung der Unternehmen durch falsche Medienberichte und negative Schlagzeilen aufgrund einer unberechtigten Anzeige. Wie bei jeder Rechtswahrnehmung ist es auch bei der Zuerkennung eines Anzeigerechts für Arbeitnehmer möglich, dass der einzelne davon in missbräuchlicher Weise Gebrauch macht, indem er etwa nach einer berechtigten Kündigung wegen Unzuverlässigkeit durch die Behauptung falscher Tatsachen über Betriebsabläufe Vergeltung übt. Vortäuschung einer Straftat, falsche Verdächtigung, üble Nachrede und Verleumdung sind jedoch gem. §§ 145d, 164, 186 und 187 StGB hinreichend mit Strafe bedroht und können auch zivilrechtlichen Schadensersatz auslösen. Der Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verliert, muss über die straf- und zivilrechtlichen Sanktionen hinaus mit einer weitgehenden Stigmatisierung rechnen. Die Bereitschaft zum Whistleblowing ist also von vornherein durch vielfältige Nachteile gedämpft. Hinzu kommt, dass bei der Verfolgung von Straftaten Staatsanwaltschaften und die sonstigen zuständigen Behörden größte Vorsicht walten lassen, bevor sie bei einem wegen wirtschaftlicher Erfolge geschätzten Unternehmen intervenieren.

Bei der rechtspolitischen Abwägung der möglichen Missbrauchsgefahr und des Nutzens eines Frühwarnsystems über Missstände kann das Urteil nur zugunsten des letzteren ausfallen, zumal keine rechtstatsächlichen Untersuchungen ein statistisch relevantes Gewicht missbräuchlicher Anzeigen bestätigen.

Literatur

Deiseroth, Dieter/Falter, Annegret (Hrsg.): Whistleblower in Gentechnik und Rüstungsforschung. Preisverleihung 2005 an Theodore A. Postol und Arpad Pusztai.
Berlin. 2006. ISBN-13: 978-3-8305-1262-2

Dies. (Hrsg.): Whistleblower in Altenpflege und Infektionsforschung. Preisverleihung 2007 an Brigitte Heinisch und Liv Bode. Berlin. 2007. ISBN: 978-3-8305-1455-8

Deiseroth, Dieter/Derleder, Peter: Whistleblower und Denunziatoren, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2008, D. 248 – 251

Deutscher Bundestag – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (81. Sitzung am 4. Juni 2008. 16. Wahlperiode. Drucksache 16/81): Wortprotokoll der Öffentlichen Anhörung zum Thema „Regelung des Informantenschutzes für Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- u. Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften“
http://www.bundestag.de/ausschuesse/a10/anhoerungen/a10_81/16-81_Protokoll.pdf

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