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Bis auf weiteres unbestimmt - Straf­bar­keit von vermeint­li­chen Verstößen gegen »EU-Ter­ror­liste«

Grundrechte-Report 2011, Seiten 159 – 163

Im März 2010 begann vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf der Prozess gegen eine Frau und
zwei Männer, denen die »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung«, der in der Türkei aktiven Organisation
Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), vorgeworfen wird (§ 129b StGB). Darüber hinaus werden sie beschuldigt, in diesem Zusammenhang zwischen 2002 und 2008 Spendenkampagnen für die DHKP-C durchgeführt und der Organisation Erlöse aus Veranstaltungen und dem Verkauf von Publikationen zur Verfügung gestellt zu haben. Die Anklage der Bundesanwaltschaft sah hierin einen Verstoß gegen § 34 Absatz 4 Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Mit Beschluss vom 5. Oktober 2010 stellte das OLG diesen Anklagepunkt im Hinblick auf eine mögliche Verurteilung jedenfalls nach § 129b StGB ein.

Was aber stand hinter diesem Vorwurf gemäß § 34 Absatz 4 AWG? Das AWG regelt den Verkehr von Devisen, Waren, Dienstleistungen, Kapital und sonstigen Wirtschaftsgütern mit dem Ausland. Lange Jahre kaum beachtet novellierte der Gesetzgeber das AWG im Jahr 2006, wobei die Strafvorschriften – bei Androhung hoher Strafen – neu gefasst wurden. Nach § 34 Absatz 4 AWG macht sich seitdem strafbar, wer »einem im Bundesanzeiger veröffentlichten, unmittelbar geltenden Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr-, Verbringungs-, Verkaufs-, Liefer-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Dienstleistungs-, Investitions-, Unterstützungs- oder Umgehungsverbot eines Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaften zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen
Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient«.

»Gemeinsamer Standpunkt« und EG-Ver­ord­nung

Diese selbst auf den zweiten Blick kaum verständliche Strafvorschrift
verweist auf die EU-Terrorismusliste. Im Rahmen eines »Gemeinsamen Standpunkts« (2001/931/GASP) hatte der Rat kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Erstellung einer regelmäßig zu aktualisierenden Liste beschlossen, die als terroristisch eingestufte Gruppen und Einzelpersonen umfassen soll. Zum Leistungsverfahren enthält der Gemeinsame Standpunkt die Vorgabe, dass die Liste auf der Grundlage »genauer Informationen bzw. einschlägiger Akten« erstellt werden soll, aus denen sich ergibt, dass die zuständige nationale Behörde gestützt auf Beweise oder Indizien Ermittlungen wegen terroristischer Aktivitäten in die Wege geleitet hat. Zur weiteren
Umsetzung des Gemeinsamen Standpunktes erließ der Rat eine EG-Verordnung (Nr. 2580/2001), wonach das Vermögen der als »terroristisch« eingestuften Gruppierungen und Einzelpersonen eingefroren wird und ihnen weder direkt noch indirekt Gelder oder Vermögenswerte zugeleitet werden dürfen. Die Verordnung ermächtigt den Rat weiterhin zur Erstellung der EU-Terrorismusliste und bestimmt, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen festlegen, die bei Verstößen zu verhängen sind.

Bereits gegen die Einrichtung der EU-Terrorismusliste als solche sind vielfach grundsätzliche Bedenken geltend gemacht worden. Durch die Listung würden Personen unter Umgehung des Strafrechts und seiner schützenden Formen Sanktionen unterworfen und sozial »kaltgestellt«. Die Anknüpfungspunkte für eine tatsächliche Gefährdung durch die gelisteten Gruppen und Personen seien nur vage umschrieben. Vor  allem aber bestehe kein effektiver Rechtsschutz, mit dem Gruppen oder Einzelpersonen sich gegen ihre Listung wehren könnten. Tatsächlich waren entsprechende Rechtsmittel zunächst nicht vorgesehen. Da den Betroffenen nicht einmal die Gründe und tatsächlichen Grundlagen mitgeteilt wurden, war es ihnen auch faktisch unmöglich, hiergegen vorzugehen.

Europä­i­scher Gerichtshof sorgt für Rechts­schutz

In dieser Situation eröffnete erst der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg einen Rechtsweg, indem er Klagen zuließ und in mehreren Fällen eine Listung bereits wegen fehlender Begründungen für nichtig erklärte. Infolge dessen modifizierte der Rat mit Beschluss vom 28. Juni 2007 das Listungsverfahren. Seither können betroffene Gruppen und Personen immerhin eine schriftliche Begründung beantragen. Die
weiteren vorgenannten Bedenken sind damit allerdings kaum aus dem Weg geräumt und verstärken sich durch den Umstand, dass die EG-Verordnung seit der Novelle des AWG in § 34 Absatz 4 zum unmittelbaren Anknüpfungspunkt für strafrechtliche Verfolgungen geworden ist.

Angesichts dessen sah sich das OLG Düsseldorf im oben genannten Fall gezwungen, den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens klären zu lassen, ob die Listen angesichts ihrer rechtlichen Mängel überhaupt ein zulässiger Anknüpfungspunkt für ein Strafverfahren sein können und ob etwaige Mängel durch die Änderungen im Listungsverfahren 2007 nachträglich geheilt wurden. Der EuGH stellte hierzu mit Urteil vom 29. Juni 2010 in beeindruckender Klarheit fest, dass die Listung der DHKP-C für die Zeit vor dem 29. Juni 2007 schon wegen der fehlenden Begründung ungültig ist und nicht dazu beitragen kann, eine strafrechtliche Verurteilung, die an einen (vermeintlichen) Verstoß gegen die EG-Verordnung anknüpft, zu tragen. Ob die Listung der DHKP-C für die Zeit nach dem 29. Juni 2007 rechtmäßig erfolgte, blieb offen, da dieser Punkt nicht von der Vorlagefrage umfasst war. Insoweit betonte der EuGH, dass die Betroffenen weiterhin im Rahmen
des nationalen Verfahrens vor dem OLG die Ungültigkeit der EU-Terrorismuslisten geltend machen können. Das nationale Gericht sei allerdings nicht befugt, die Ungültigkeit selbst festzustellen, sondern müsse diese Frage gegebenenfalls dem EuGH im Rahmen eines (weiteren) Vorabverfahrens zur Entscheidung vorlegen.

Das OLG Düsseldorf stellte das Verfahren wegen der angeklagten
Verstöße gegen § 34 Absatz 4 AWG letztlich ein, um dieses sich aufdrängende Prozedere zu umgehen. Somit bleibt nicht nur offen, ob die DHKP-C seit dem 29. Juni 2007 rechtmäßig gelistet ist, sondern auch, ob § 34 Absatz 4 AWG verfassungsrechtlichen Einwänden standhält.

Voraus­set­zungen der Straf­bar­keit müssen

konkret umschrieben sein

Bedenken ergeben sich insofern aus dem Bestimmtheitsgebot aus Artikel 103 Absatz 2 GG. Das Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Es dient einem doppelten Zweck: Einerseits soll es sicherstellen, dass vorhersehbar und einschätzbar ist, welches Verhalten mit Strafe belegt ist. Andererseits soll gewährleistet werden, dass der Gesetzgeber selbst und abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet, und nicht etwa die Exekutive oder die Rechtsprechung die Grenzen des Erlaubten festlegt. Zwar wird es verfassungsrechtlich für noch zulässig erachtet, dass der Gesetzgeber nur ein sogenanntes
Blankettgesetz erlässt, welches noch einer späteren Konkretisierung durch eine ausfüllende Rechtsverordnung bedarf. Dem Verordnungsgeber dürfen dann aber lediglich gewisse Spezifizierungen des Straftatbestandes überlassen werden und die das Blankettgesetz ausfüllende Rechtsverordnung muss ihrerseits dem Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 Absatz 2 GG genügen. Dieser Regelungstechnik sind schließlich dadurch Grenzen gesetzt, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso präziser fassen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist.

Strafbarkeit ist nur nach einer umfangreichen
Recherche zu erkennen

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Bestimmtheit der Strafvorschrift
des § 34 Absatz 4 AWG höchst zweifelhaft. Dem europäischen Verordnungsgeber kommt hier keinesfalls nur die Aufgabe der bloßen Spezifizierung zu, sondern ihm werden Art, Umfang, tatbestandliche Voraussetzungen und das Listungsverfahren selbst übertragen und somit jeder Einflussnahme durch den parlamentarischen nationalen Gesetzgeber entzogen. Überdies benennt der Gemeinsame Standpunkt
2001/931/GASP zwar gewisse materielle Anhaltspunkte für eine Listung und das einzuhaltende Verfahren, doch bleiben auch diese letztlich vage. Schließlich enthält selbst die EG-Verordnung nicht die zu listenden Personen und Gruppen, sondern verweist ihrerseits nur auf die fortlaufend durch halbjährliche Beschlüsse des Rats aktualisierte Liste, so dass es sich in § 34 Absatz 4 AWG um eine doppelte und, da die Liste ständigen Veränderungen unterworfen ist, auch um eine dynamische Verweisung handelt.

Es liegt daher auf der Hand, dass eine etwaige Strafbarkeit für die Normadressaten allenfalls nach einer umfangreichen Recherche oder Rechtsberatung zu erkennen und einzuschätzen ist. Die Strafvorschrift des § 34 Absatz 4 AWG erweist sich als trojanisches Pferd, das die rechtlich höchst fragwürdige Praxis der EU-Terrorismuslisten in das deutsche Strafrecht transportiert und so einer weiteren Erosion grundrechtlicher Standards Vorschub leistet.

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