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Jeanne d'Arc

Mitteilungen06/2000Seite 47

Mitteilung Nr. 170, S. 47

Jeanne d’Arc, wahrscheinlich Anfang 1412 geboren, war ein einfaches Bauernmädchen aus Lothringen; sie konnte weder lesen noch schreiben. Mit sechzehn Jahren hörte sie Stimmen, die ihr befahlen, den Dauphin Charles aufzusuchen, sich von diesem eine Truppe zur Verfügung stellen zu lassen , die Stadt Orleans von der Belagerung durch die Engländer zu befreien, den Dauphin als legitimen Nachfolger Karl VII in Reims zum König krönen zu lassen und die Engländer aus Frankreich zu vertreiben. Die Befreiung von Orleans gelang ihr tatsächlich; der Dauphin Charles wurde am 17. Juli 1429 in Reims zum König gekrönt. Als Jeanne d’Arc den Kampf zur Befreiung von dem gesamten Frankreich fortsetzte, wurde sie im Mai 1430 von den Engländern bei der Belagerung von Compiégne gefangen genommen.

Ihr wurde in Rouen 1431 ein Ketzerprozeß gemacht, in dem es der Anklage darauf ankam, nachzuweisen, daß sie nicht in göttlichem Auftrag gehandelt hätte. Die Prozeßakten, in denen die Verhandlungen getreulich aufgezeichnet worden ist, sind erhalten geblieben. Am zweiten Sitzungstag, am 24. Februar 1431, rief Jeanne d’Arc ihren Richtern zu:

„Über viele Punkte könnt ihr mir Fragen stellen, die ich Euch nicht wahrheitsgemäß beantworten kann, besonders solche, die meine Offenbarung berühren, weil Ihr mich vielleicht zwingen könntet, kundzutun, was ich versprochen habe zu verschweigen und ich würde wortbrüchig. Ist es das, was Ihr wollt? Ich sage Euch: Hütet Euch, die Ihr Euch meine Richter nennt, denn Ihr ladet schwere Last auf, und Ihr mutet mir zuviel zu.“An diese Worte von Jeanne d’Arc muß ich bei der Weigerung des früheren Bundeskanzler Dr. Kohl denken, dem vielfachem öffentlichen Verlangen nachzugeben, sein Ehrenwort zu brechen und die Namen derjenigen zu nennen, von denen er Spenden entgegengenommen hat. Was sind das für Ehrenmänner und-Frauen, die sich nicht schämen, an Kohl ein solches Ansinnen zu stellen? Kann man künftig ihrem Ehrenwort trauen? Sie stehen eher in der Nachfolge des Ministerpräsidenten Dr. Uwe Barschel selig, dessen „Ehrenwort“ in die Nachkriegsgeschichte eingegangen ist.

Mit seinem beharrlichen Schweigen erweist sich Kohl als ein Mann von Ehre und Standhaftigkeit, was immer man sonst von ihm halten mag.

Der Fehler von Kohl liegt früher. Nie und nimmermehr hätte er den Spendern versprechen dürfen, ihre Namen zu verschweigen. Deswegen muß man ihn schelten.

Doch Kohls Fehler ist heute Vergangenheit. Von Kohl kann und muß man heute verlangen, daß er die Folgen seines Fehlers ohne Murren trägt und den Schaden, den er seiner Partei durch das Verschweigen seiner Spender zugefügt hat, nach Kräften wieder gutmacht. Doch das hat er getan und – wenn auch zum größeren Teil mit fremder Hilfe – seiner Partei den Betrag zufließen lassen, den sie als Sanktion für die nicht gemeldeten Spenden von 2,1 Mio. DM an den Bundestagspräsidenten zu zahlen hat. Mehr kann man von Kohl nicht verlangen, insbesondere nicht den Bruch seines Ehrenworts.

Wenn er diese Zeilen liest, mag er, der das Pathos liebt, in Schillers „Jungfrau von Orleans“ nachschlagen. Dort (I,5) findet er die Verse:

Nichtswürdig ist die Nation, die nicht Ihr Alles freudig setzt in ihre Ehre.

                                                                                       Ulrich Vultejus

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