Datenspeicherungen über Atomkraftgegner
Thilo Weichert
Grundrechte-Report 2003, S. 49-54
Die Speicherung von Daten politisch Oppositioneller durch die Polizei jenseits von Gefahr und Straftat erfolgt schon seit Jahrzehnten. In jüngster Zeit wird versucht, diese Praxis mit dem Begriff der «vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten» gesetzlich zu legitimieren. Beispiele für die Praxis der die politische Opposition diskriminierenden Datenverarbeitung sind die Speicherung von Globalisierungsgegnern und die Übermittlung dieser Daten ins Ausland (vgl. zum Beispiel Hirsch in Grundrechte-Report 2002, S. 50ff., DANA 4/ 2002) oder die Telefonüberwachung von Atomkraftgegnern im Landkreis Lüchow-Dannenberg/ Niedersachsen (vgl. Harms in Grundrechte-Report 2002, S. 155ff., DANA 3/ 2002, 33). Als weiterer Beleg soll hier der Umgang mit Castorgegnern durch Sicherheitsbehörden süddeutscher Länder sowie des Bundes dargestellt werden.
Der Verdacht
WH ist ein engagierter Atomkraftgegner. Sein Protest brachte ihm zwei Strafverfahren wegen Nötigung bzw. wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein. Beide Verfahren wurden wegen Geringfügigkeit eingestellt. Bei einer Aktion im April 2001 geriet er in eine Straßenkontrolle. Gegen ihn wurde anders als den vier mitfahrenden Atomgegnern nach einer 20-minütigen Ausweiskontrolle ein Platzverweis ausgesprochen und eine Ingewahrsamnahme angedroht. Als Grund für die polizeiliche Maßnahme wurde auf seine Speicherung in einer «Castor-Datei» verwiesen. Einen Monat später wurde gegen ihn anlässlich eines Castor-Transportes ein Betretungsverbot ausgesprochen, erneut mit der Begründung, er sei in einer «Castor-Datei» gespeichert. Eine weitere polizeiliche Kontrolle von Atomkraftgegnern führte dazu, dass er zunächst festgehalten, dann mit Handschellen gefesselt und schließlich vier Stunden in einem Feuerwehrhaus gefangen gehalten wurde. Alle anderen hingegen waren sofort wieder laufen gelassen worden.
Die Bestätigung
Vielfältige Anfragen bei Polizei, Landeskriminalämtern (LKÄ), Bundeskriminalamt (BKA), Verfassungsschutzämtern (LfV) und Datenschutzbeauftragten erhellten die Hintergründe seiner Sonderbehandlung. Das BKA teilte mit, dass von 1997 beginnend neun Ereignisse im «Aktennachweis des Bundeskriminalamtes» gespeichert waren, ein konventioneller Meldedienst, der von den LKÄ beliefert wird. Gespeichert waren danach vier Teilnahmen an Blockaden (Verdacht der Nötigung), zwei Feststellungen seines Fahrzeuges, drei Teilnahmen an Demonstrationen (Verdacht des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz), die Veröffentlichung in einer «Szenepublikation» (Verdacht der Aufforderung zu Straftaten). Diese Daten wurden in BKA-Arbeitsdateien der politischen Polizei (Staatsschutz) «mit Castor-Bezug» importiert. Einer der Sachverhalte war außerdem vom LKA Baden-Württemberg in einer «bereichsspezifischen INPOL-Verbunddatei» des Staatsschutzes, der Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit APIS, abgespeichert worden, sodass bundesweit hierauf automatisiert und online zugegriffen werden konnte.
Hinzu kam eine Speicherung beim LfV Baden-Württemberg: Es lägen mehrere tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, «die es als möglich erscheinen ließen, dass Sie linksextremistische Bestrebungen unterstützen». Aufgrund der Anfrage seien die Vorgänge aber geprüft worden, wobei sich der «Verdacht nicht erhärtet» habe, sodass die Daten gelöscht werden könnten.
Da WH auch in Rheinland-Pfalz politisch aktiv war, wurde er auch dort vom Polizeipräsidium Rheinpfalz in einer speziellen «Castor-Datei» gespeichert. Aufgenommen war dort eine Gewahrsamsnahme, ein Verstoß gegen die Eisenbahnbetriebsordnung, die Anmeldung eines Infostandes sowie der Umstand, an «öffentlichkeitswirksamen Aktionen des Aktionsbündnisses Castor-Widerstand aktiv in Erscheinung getreten» zu sein. Auf seine Beschwerde hin sollen diese Daten gelöscht worden sein.
Die Legitimation
Eigentlich darf die Polizei nur personenbezogene Daten speichern, wenn von der Person eine konkrete Gefahr ausgeht oder diese eine Straftat begangen hat. Mit der ins Polizeirecht neu aufgenommenen Befugnis «zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten» wird jetzt die Erfassung der außerparlamentarischen Opposition vorangetrieben. Diese Formulierung war zunächst dafür gedacht, Daten nach Ahndung einer Straftat weiter aufbewahren zu dürfen, um diese für spätere Ermittlungsmaßnahmen heranziehen zu können. Bei der Praxis der Anwendung dieser Klausel spielt es aber keine Rolle, ob die Angaben auf zulässige polizeiliche Datenerhebungen zurückzuführen sind. Insbesondere die Datenspeicherung über politische Aktionen erfolgt schon weit im Vorfeld. Politisch Handelnde werden als «Überzeugungstäter » generell als wiederholungs-, ja steigerungsgefährdet angesehen nach dem Motto: «Der Protestierer von heute ist der potenzielle Terrorist von morgen.»
Nach diesem gängigen Muster wurde WH von der Polizei auf lokaler, Landes- und Bundes-Ebene behandelt. Gemäß den Akten wurden gegen ihn Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet und wieder eingestellt, darunter einige, von denen er überhaupt keine Kenntnis hatte. Den dabei für die Polizei verbleibenden «Restverdacht» konnte und durfte er nicht entkräften. Strafverfahren können auch gegen den Willen der Beschuldigten eingestellt werden. Die Restverdachte wurden zusammengemixt und durch Informationen über unzweifelhaft legales, aber als «einschlägig» angesehenes Verhalten angereichert. Dabei schadete es nichts, dass dieses Verhalten gar unter besonderen verfassungsrechtlichen Schutz gestellt ist, zum Beispiel die Teilnahme an einer Demonstration (Art. 8 GG). Bei WH kam hinzu, dass dann noch falsche Angaben in die Dateien gerieten. Diese Daten können ein Eigenleben entfalten, dem die Betroffenen zunächst schutzlos ausgeliefert sind: Einer Daten anliefernden Sicherheitsbehörde wird von der Polizei grundsätzlich mehr Glauben geschenkt als einem protestierenden
Bürger.
Nach umfangreichem Schriftverkehr wurden einige falsche Eintragungen korrigiert bzw. unzulässige Eintragungen beseitigt. Doch viele Restverdachte blieben weiter elektronisch abrufbar. Auch die Anrufung der zuständigen Datenschutzbeauftragten brachte insofern keine Änderung, sodass der Betroffene letztendlich auf den äußerst schwerfälligen, teuren und lang dauernden Weg über die Verwaltungsgerichte verwiesen ist.
Schlussfolgerungen
Zu viele Polizeien und Geheimdienste erhalten über die bundesweiten elektronischen Verbundsysteme, denen sie angeschlossen sind, Informationen über abweichendes Verhalten vom Polizeipräsidium, das sich hier August 2001 seine eigene «Castor-Datei » eingerichtet hat, über die LKÄ bis hin zum BKA oder zum Bundesgrenzschutz. Die bundesweiten INPOL-Datei-Dinosaurier wie das Staatsschutzsystem APIS werden durch ad-hoc-Dateien zu «Castor» oder Ähnlichem ergänzt, wenn die «Lage» dies geboten erscheinen lässt. Wer dann aufgrund irgendwelcher begründeten oder unbegründeten Verdachte in den Bundesdateien «LIMO» («Gewalttäter politisch motivierte Kriminalität links») oder «SPUDOK Kralle» (Spuren- und Dokumentationssystem) landet, der hat im Fall von Polizeikontakten keine Freude. Nicht zu vergessen die Verfassungsschutzämter, die jedes abweichende politische Verhalten als «extremistisch» abstempeln
können.
Jede der handelnden Behörden ist auf nichts anderes bedacht, als ihre Aufgaben zu erfüllen. Und doch hat dies angesichts der ihnen eigenen bürokratischen Logik die Folge der Sanktionierung von gesellschaftlich wertvollem, demokratisch unabdingbarem, öffentlich geäußertem Protest und der Abschreckung vor politischem Engagement.