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Cicero-­Ur­teil: Durch­su­chungen beein­träch­tigen Presse­frei­heit

Grundrechte-Report 2008, Seite 87

Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Die bloße Tatsache der Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten reicht nicht aus, ihn der Beihilfe zum Geheimnisverrat zu verdächtigen, so dass damit Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen gerechtfertigt wären.

Mit diesen Feststellungen gab am 27. Februar 2007 der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts der in Potsdam erscheinenden Zeitschrift Cicero recht (Az. 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06), die sich über die Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts Potsdam zur Durchsuchung ihrer Redaktionsräume am 12. September 2005 beschwert hatte. Wie im Grundrechte-Report 2006 („Staatsschutz vs. Pressefreiheit“) berichtet, hatte das Bundeskriminalamt nach der undichten Stelle gesucht, durch die ein aus seiner eigenen Zentrale stammendes, „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmtes Papier in die Zeitschrift gelangt war. Auf eine Strafanzeige des BKA hin hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren gegen die Zeitschrift und den für sie tätigen Journalisten Bruno Schirra wegen Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses eingeleitet. Bei den vom Amtsgericht Potsdam angeordneten Durchsuchungen hatten die Kriminalbeamten eine Festplatte mit dem gesamten E-Mail-Verkehr der Redaktion, unveröffentlichten Manuskripten und redaktionellen Planungen kopiert und in Schirras Privathaus 15 Kisten mit als „Zufallsfunde“ qualifizierten Akten über Rüstungsgeschäfte u.a. mitgenommen. Das brandenburgische Justiz- und das Bundesinnenministerium befanden die Aktionen für richtig.

Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit

Das Bundesverfassungsgericht rügte, die Durchsuchungs- und Beschlagnahme-Anordnung verletze wegen unzureichender Berücksichtigung des Informantenschutzes die Pressefreiheit, die „auch den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihre Informanten“ umfasse. Private Mitteilungen seien für die Presse eine unverzichtbare Informationsquelle, die aber „nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann“. Auch die einschüchternde Wirkung einer Durchsuchung beeinträchtige die Pressefreiheit.

Das Urteil wurde in den Medien aber nicht nur mit Genugtuung aufgenommen. Denn nach wie vor können sich Journalisten mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente strafbar machen und sind mit Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen bedroht, nämlich dann, wenn ein Ermittlungsrichter „tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses“ (Seite 13 der BVerfG-Entscheidung) sieht, zu der der Journalist durch die Veröffentlichung Beihilfe leisten würde. Hier bestehe, kommentierte der Deutsche Presserat, „dringender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber“.

Wie gefährdet der Informantenschutz ist, zeigte sich 2007 u.a. bei den polizeilichen Vorbereitungen auf Demonstrationen gegen den G8-Gipfel. Die Bundesanwaltschaft ließ die für einige Zeitungen bestimmte Post auf den Verdacht hin kontrollieren, dass sie Bekennerscheiben einer als terroristisch eingestuften Gruppe enthalten könnte.

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