Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2009

Ein Denkmal für den Obrig­keits­s­taat - Das Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz in der Praxis

Grundrechte-Report 2009, Seite 103

Nach Artikel 5 GG hat jeder das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“. Viele Behörden sorgen aber dafür, dass Quellen unzugänglich bleiben; dann sind die Bürger gehindert, sich zu unterrichten. Auch die in Artikel 5 garantierten Freiheiten der Medien-Berichterstattung, der Wissenschaft, Forschung und Lehre sind dadurch eingeschränkt.

Jahrzehntelang forderten Bürgerrechtler, Juristen und Historiker ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) nach dem Vorbild des US-amerikanischen Freedom of Information Act gefordert, dem zu verdanken ist, dass sogar Dokumente aus den geheimen Archiven der CIA ans Tageslicht kamen und die öffentliche Diskussion über geheimdienstliche Themen dadurch eine solide Basis erhielt.

Weil sich die deutschen Behörden schwer taten, wurde dann noch jahrelang an dem Entwurf herumgedoktert, bis das Gesetz endlich am 1. Januar 2006 in Kraft trat. Drei Jahre später lautet eine erste Bilanz: Dieses Gesetz erweist sich in der bisherigen richterlichen Auslegung als ein Denkmal für den Obrigkeitsstaat, in welchem dem Volk nicht die Rolle des Souveräns, sondern des Ignoranten zugedacht ist.

Das IFG sollte die Politik für den Bürger „nachvollziehbar machen“, erklärt Dr. Michael Hollmann, leitender Direktor im Bundesarchiv Koblenz. Es sollte fortan das Prinzip gelten: Jede Information, die nicht ausdrücklich für geheim erklärt worden ist, ist öffentlich und soll von der Behörde auf Antrag direkt an den Bürger herausgegeben werden. Und spätestens nach dreißig Jahren landen die amtlichen Akten in Koblenz und liegen dort zur Einsicht bereit.

Die Grauzonen bleiben grau

Diese Anforderung hat das IFG nicht erfüllt. In der Praxis wird der Öffentlichkeit der Einblick in sogenannte sensible Bereiche weiterhin verwehrt – also gerade die Bereiche, wo es spannend wird und wo eine gesetzliche Regelung Not tut. Das Gesetz hat zahlreiche Ausnahmen und schützt zunächst den Verwaltungsprozess als solchen, wie Hollmann bestätigt. Nicht nur personenbezogene Daten Dritter und wirtschaftliche Geheimnisse werden geschützt. Das „Wohl des Staates“ steht über dem Anspruch des Bürgers auf Auskunft. Und was darunter zu verstehen ist, definieren die Behörden selbst.

Das IFG nimmt die Geheimdienste grundsätzlich von der Pflicht zur Auskunftserteilung aus, also jene Grauzonen, „in denen der Staat Informationen sammelt und von denen er nicht möchte, dass sie allgemein bekannt werden“ (Hollmann). Die Dienste müssen nicht einmal Akten, in denen die Namen geschwärzt sind, herausgeben.

Bei den Verfassungsschutzämtern und dem Bundesnachrichtendienst greift lediglich das Bundesarchivgesetz. Theoretisch zumindest. Es besagt, dass die Ämter amtliche Unterlagen nach dreißig, spätestens sechzig Jahren an das Bundesarchiv abgeben und zugänglich machen müssen. Aber es gibt Ausnahmen, „wenn das Wohl der Bundesrepublik dadurch in Gefahr gebracht würde“ (Hollmann). Was immer die Behörde als das „Wohl des Bundes“ betrachtet.

Die Behörde entscheidet selbst, wann sie einen Vorgang für „abgeschlossen“ ansieht und an das Bundesarchiv abgibt. Das kann weit über die gesetzlichen Fristen hinausgehen, meint Hollmann und erwähnt einen unverdächtigen Fall: Das Landwirtschaftsministerium habe das Gesetz über den Grünen Plan aus dem Jahr 1955 noch weit über das Jahr 2000 hinaus bei sich behalten, weil es das Gesetz für ein traditionsstiftendes Element hielt.

Hohe Gebühren, wenig Einblick

Aber auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung hat das Informationsfreiheitsgesetz in den fast drei Jahren seiner Gültigkeit wenig geholfen, Politik transparenter zu machen. Da sind zunächst einmal die Gebühren (bis zu 500 Euro), die für die Bearbeitung eines Antrages fällig werden. Das Auswärtige Amt forderte für eine einfache Auskunft 108 Euro. Das schreckt ab, ebenso wie die Hinhaltetaktik der Behörden.

Das Verkehrsministerium verweigerte dem SPD-Abgeordneten Jörg Tauss „mangels Sachverstand“ die Einsicht in die Mautverträge. Das Gutachten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt über die Zulassung von Wahlmaschinen wurde nicht herausgegeben, ebenso wenig die Durchführungshinweise zum Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit. Im letzteren Fall hatte die Klage einer Erwerbsloseninitiative Erfolg. Doch meist stellen sich die Richter auf die Seite der Auskunft verweigernden Behörde. Drei Fälle:

  • Das Verwaltungsgericht Berlin entschied im August 2008, dass das Auswärtige Amt den „Leitfaden zur Feststellung der Fähigkeit, sich auf einfache Weise in Deutsch verständigen zu können (Sprachnachweis des Goethe-Instituts)“ weiter als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) klassifizieren und geheim halten darf. Es bestehe kein Informationsanspruch, weil „bereits die Einstufung einer Information als Verschlusssache“ die Freigabe verhindert. Das Gericht argumentierte, das Gesetz verlange doch die Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse und gestalte den Zugangsanspruch jeweils in Bezug auf die konkrete Information“. Die Tatsache, dass die beklagte Behörde das begehrte Papier mit „VS-NfD“ gestempelt hat, reichte dem Richter als Nachweis aus, dass diese vom Gesetz vorgeschriebene Abwägung stattgefunden hatte.
  • Das Verwaltungsgericht Ansbach lehnte den Antrag auf Freigabe der Herkunftsländer-Leitsätze des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ab. In diesen Leitsätzen schätzt die Bundesregierung die Lage der Menschenrechte in anderen Ländern ein. Für „Pro Asyl“ und den Deutschen Anwaltsverein wichtige Dokumente für die Beratung von Flüchtlingen vor Behörden und Gerichten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte aber die Herausgabe verweigert, weil durch die Bekanntgabe der Herkunftsländer-Leitsätze die diplomatischen Beziehungen oder Handelskontakte negativ beeinflusst werden könnten. Andere Länder sollten nicht erfahren, wie die Deutsche Bundesregierung etwa die dortige Menschenrechtslage einschätzt. Die Richter lehnten die Klage ab, weil das Bundesinnenministerium diese Vorgänge als Verschlusssachen eingestuft habe. Dies sei ausreichend für die Geheimhaltung.
  • Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im Juli 2007 den Antrag eines Redakteurs der Illustrierten Stern abgelehnt, vom Bundesverkehrsministerium Auskunft über die CIA-Flüge im Zeitraum von 2001 bis 2005 zu erhalten. Die Deutsche Flugsicherung GmbH lehnte die Herausgabe der Flugpläne ab, da sie als Verschlusssache eingestuft waren. Später ließ sich aber das Parlamentarische Kontrollgremium die Pläne vorlegen und veröffentlichte Teile daraus. Trotzdem wurden dem Stern-Redakteur diese technischen – nicht personenbezogenen – Daten weiterhin vorenthalten. Die Verwaltungsrichter zeigten Verständnis: „Die Beziehungen der Bundesrepublik zu ausländischen Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten sollen nicht belastet werden. Ob und wann eine Belastung eintritt, hängt in hohem Maße von der politischen Einschätzung der Regierung ab. Das Verwaltungsgericht Berlin stellte sich auf den Standpunkt der Bundesregierung: Sie „wisse zwar nicht, wer hinter diesen Flügen stehe und in wessen Auftrag sie geflogen worden seien. In der Öffentlichkeit werde dennoch impliziert, dass es sich um illegale Flüge der CIA handle. Würde die Bundesregierung dem Antrag stattgeben, bestünde die Gefahr, dass sie dieser Interpretation Vorschub leiste. Es ist davon auszugehen, dass dieses Vorgehen bei der amerikanischen Regierung nicht auf Wohlwollen, wenn nicht sogar auf Ablehnung stoße“. Das Oberverwaltungsgericht Berlin teilte im Oktober 2008 diese Meinung.

Mit anderen Worten: Eine Information über völkerrechtswidriges Verhalten darf verweigert werden, wenn sich ein Beamter sorgt, dass sich der US-Präsident vielleicht darüber ärgern könnte.

nach oben