Politik des kurzen Prozesses - Zum Stand des Demonstrationsrechts in Hamburg
Grundrechte-Report 2009, Seite 127
Zwei Videos, die nach Beendigung der Klima- und Antirassismus-Camps in Hamburg vom 15. bis 24. August 2008 auftauchten, haben die Debatte um die Kontrolle der Hamburger Polizei neu angefacht. Beide Filme dokumentieren das unverhältnismäßige und grundrechtswidrige Eingreifen der Beamten bei öffentlichen Kundgebungen in der Hansestadt.
„Landgang in der Sonderrechtszone“
Mittwoch, 20. August 2008: Stadtteilrundgang in St. Pauli. Nach der Beendigung des Spaziergangs stürmt plötzlich eine Gruppe von Polizisten los. Einer der Beamten reißt im Vorbeilaufen einen Mann zu Boden, der sich in die gleiche Richtung bewegt. Eine weitere Person wird von drei Polizisten auf dem Boden fixiert. Ein vierter Polizist geht langsam um die Gruppe herum, kniet sich nieder und schlägt zweimal mit der Faust gezielt in dessen Magengegend. In der nächsten Szene liegt der erste zu Fall gebrachte Mann regungslos auf der Straße – in offensichtlicher Hilflosigkeit ziehen die Beamten es vor, längere Zeit an ihm zu zerren anstatt ihn in die stabile Seitenlage zu bringen. Erst als ein Rettungswagen eintrifft, wird er versorgt. Während der Behandlung scheint er aufzuwachen; die Notärztin verlässt den Wagen und zwei Polizisten kommen hinzu. Einer der beiden fixiert den Mann gewaltsam in Bauchlage auf der Trage. Anschließend wird der wieder Bewusstlose auf die Straße gelegt und in ein Polizeiauto geschleppt.
Samstag, 23. August 2008: Demonstration an der Kraftwerksbaustelle Moorburg. Polizisten einer Hamburger BFE-Einheit gehen auf das Presseteam von Graswurzel TV los, schlagen auf deren Kamera ein und reißen dem Kameramann den Presseausweis vom Hals. Seine Aufforderung, diesen zurück zu geben, wird ignoriert. Stattdessen wird er mit Schlägen traktiert und vom Gelände abgedrängt. Dem Presseteam ist es daraufhin nicht mehr möglich, seine Berichterstattung fortzusetzen.
„Simulant und Straftäter“
Die Reaktionen der Polizei auf die Videos erfolgten prompt. Unter dem Motto „zusammen geschnitten, aus dem Zusammenhang gerissen und falsch zitiert“ wurden die Gewaltvorwürfe gegen die Opfer gewendet. Der Bewusstlose sei ein Simulant und Straftäter, ließ der Hamburger Polizeisprecher Meyer verlauten. Man habe ihn festgenommen, weil er zuvor eine Gefangenenbefreiung versucht und in der im Video dokumentierten Situation Beamte gestoßen habe. Jedoch zeigt die Aufnahme deutlich, dass der vermeintliche Straftäter keineswegs gezielt sondern im Vorbeilaufen durch einen Polizisten zu Boden gerissen wird. Auch beweist ein plötzliches Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit keineswegs, dass der Betroffene simuliert. Ungerechtfertigt bleibt in jedem Fall die fehlende Hilfeleistung; die Faustschläge sowie die lebensgefährliche Fixierung in der Bauchlage. Trotz allen Abwiegelns hält die Polizei ein Fehlverhalten der Beamten wohl auch für möglich: In allen dokumentierten Fällen hat die Dienststelle für interne Ermittlungen Verfahren eingeleitet. Vorsichtshalber erstattete man jedoch auch Anzeige gegen die innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linkspartei, Christiane Meyer, unmittelbar nachdem sie eines der Videos der Presse präsentiert hatte. Zur Begründung der Anzeige wird angeführt, sie habe auf der zuvor stattgefundenen Demo durch das angebliche Überqueren eines niedergetretenen Zaunes Hausfriedensbruch begangen.
Polizeigewalt kann in Hamburg nicht erstaunen, noch ist sie auf einige wenige prügelfreudige Beamte zurückzuführen. Seit die Hamburger Polizeikommission, die einzige unabhängige Polizeikontrollestelle in der BRD, 2001 auf Initiative des Innensenators Schill aufgelöst wurde, nahm die Kontrolle der Polizei stetig ab: Von 1999 bis 2004 wurden lediglich 18 Disziplinarverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizisten eingeleitet. Seit 2004 werden diese nicht mehr erfasst. Trotz 2.461 eingeleiteter Verfahren zwischen 1999 und 2008 hält man eine Dokumentation sanktionierter Polizeigewalt nicht mehr für notwendig. Es fügt sich ins Bild, dass von 2003 bis 2005 nur 17 Anklagen erhoben wurden und seit 2006 keine Anklage mehr erfolgte. Dass dies nicht auf eine Besserung der Hamburger Polizei hinweist, unterstreichen die Ereignisse um die Hamburger Camps deutlich.
Für Chaoten kein Pardon in Hamburg
Die gewaltsamen Eingriffe der Polizei stehen in einem breiteren politischen und institutionellen Kontext. So war das zehntägige Camp ein Dorn im Auge der bürgerlichen Parteien Hamburgs. Der Innensenator etwa forderte öffentlich ein hartes Durchgreifen der Polizei unter dem Motto „Für Chaoten gibt es in Hamburg kein Pardon!“ während der Juso-Landesvorsitzende Ilkhanipour eine sofortige Auflösung des „Terror-Camps“ propagierte. Die Mutterpartei SPD befürchtete, die innere Sicherheit der Hansestadt sei nicht mehr gewährleistet – von Seiten der FDP kam gar der Wunsch nach einem präventiven Einsatz von Wasserwerfern auf.
In diesen Kontext sind weitere massive Eingriffe in das Versammlungsrecht einzuordnen. Dies betrifft insbesondere die Auflösung zweier angemeldeter Demonstrationen am Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel und in Hamburg-Moorburg. Obwohl die Demonstration am Flughafen-Terminal vom Verwaltungsgericht gegen den Bescheid der Versammlungsbehörde bis 19 Uhr genehmigt war, verkündete die Polizei um 15:20 Uhr ihre Beendigung – zu dem Zeitpunkt, den die Versammlungsbehörde gewünscht hatte. Als Begründung führte man pauschal an, dass im Umfeld der Demonstrationen Straftaten begangen worden seien. Die Weisung kam laut Polizeiführer direkt aus der Innenbehörde. Den Versammlungsleiter informierte man lediglich über die Auflösung. Eine Abstimmung mit ihm hielt man nicht für nötig.
Nachdem am folgenden Tag Gruppen eine angemeldete Demonstration zur Kraftwerksbaustelle Moorburg verlassen hatten, um zum Kraftwerksgelände vorzudringen, reagierte die Polizei ebenfalls mit Willkür gegenüber der Demonstration selbst. Noch weit vor dem Gelände drängten die Beamten die Demonstrierenden mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und auch Tränengas zur Hauptdemonstration vor der Baustelle zurück, nur um diese unmittelbar danach für aufgelöst zu erklären. Auch hier die gleiche Rechtfertigung: Die nicht näher benannten Straftaten im Umfeld der Demonstration erfordern die sofortige Beendigung der friedlichen Kundgebung, die daraufhin auch unter Einsatz von Faustschlägen durchgeführt wurde. Als etwa zwölf Personen für eine symbolische Besetzung vor der Baustelle verblieben, dauerte es nur wenige Minuten bis die Polizei sie mit Wasserwerfern und körperlicher Gewalt entfernte.
Deutlich hat sich in Hamburg der grundrechtswidrige Umgang mit Demonstrationen gezeigt. Eine politische Rhetorik der Härte und Aufwiegelung steht im Zusammenhang mit einer konfrontativen Polizeistrategie und der Missachtung von Gerichtsbeschlüssen. Wenn Straftaten, die von Polizisten an Demonstrierenden verübt werden, ungeahndet bleiben, so wissen sich einzelne Beamte auch in Zukunft in ihrem Vorgehen geschützt. Wenn darüber hinaus die frühzeitige Auflösung von Versammlungen wegen pauschaler Vorwürfe von Straftaten im Umfeld Schule macht, so steht das Demonstrationsrecht selbst auf wackligem Grund. Sollten sich Situationen wie in Hamburg weiterhin häufen, so wird das Grundrecht auf Demonstration ausgehöhlt und zu einem bloßen Recht auf kollektive „Spaziergänge“.