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Beobachtung von Polizei­e­in­sätzen erlaubt

Grundrechte-Report 2013, Seite 51

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Ein Bürger aus dem freiburger Umland musste 2 ½ Jahre darauf warten, dass die gegen ihn gerichtete Polizeimaßnahme für rechtswidrig erklärt wurde – eine späte Genugtuung. Das Verwaltungsgericht Freiburg entschied am 23. Februar 2012, dass die am 14. November 2009 von der Polizei vorgenommene Feststellung der Identität des Klägers, dessen filmische Erfassung, der ausgesprochene Platzverweis und die Androhung der Gewahrsamnahme rechtswidrig gewesen sind (Urteil vom 23.02.2012, 4 K 2649/10, NVwZ-RR 2012,535). Dieses Urteil hatte die Polizei mit alle möglichen Umgehungsstrategien zu verhindern versucht. Der Bürger blieb hartnäckig – und erhielt am Ende Recht.

Was war geschehen? Der besagte Bürger, der 42-jährige Diplom-Betriebswirt Herr K., nahm am 14. November 2009 an einer Demonstration in Freiburg teil, die aus dem Spektrum der Autonomen Antifa veranstaltet wurde. Hintergrund war ein Neonazi-Brandanschlag auf das Autonome Zentrum KTS in Freiburg zwei Monate zuvor. Dieser Brandanschlag war als unmittelbare Reaktion darauf gewertet worden, dass aus der autonomen Szene Freiburgs Bombenbaupläne südbadischer Neonazis aufgedeckt worden waren, was letztlich zur Festnahme eines Rechtsextremisten und NPD-Funktionärs aus dem Kreise Lörrach führte.

Beobachtung unerwünscht

Das Vorgehen der Polizei auf der besagten Demonstration ließe sich aus bürgerrechtlicher Sicht aus verschiedenen Gründen kritisieren. So stellten sich den zunächst ca. 500 Demonstranten eine gleich hohe Zahl von Polizeibeamten entgegen, die die gesamte Demonstration kurzerhand einkesselte und  über 4 Stunden lang alle eingekesselten 374 Teilnehmer zu Zwecken der ID-Feststellung einzeln herausgriffen hat. Herr K. war, wie viele andere auch, nur unbeteiligter Beobachter des Geschehens vom Rande aus. Trotzdem wurde K. gegen  plötzlich von drei Polizisten von hinten rechts und links an den Armen gepackt und zur nahen Hauswand gedrängt.K. sollte seinen Personalausweis zeigen.  Ein herbeigerufener anderer Polizeitrupp begann K. erkennungsdienstlich zu behandeln.  K. wurde der Personalausweis vor die Brust gehalten und die Anordnung gegeben, man möge K. „abfilmen“. Dies geschah in recht intensiver Weise: Ca. 30 Sekunden wurde K. gründlich über den ganzen Körper hinweg von der Videokamera gefilmt. Dann hatte der Beamte die Rückseite des Personalausweises vor die Brust des an die Wand gestellten Bürgers gehalten und dieser wurde für weitere ca. 20 Sekunden abgefilmt. Danach zog sich der ED-Trupp wieder zurück. Der Beamte blickte nun auf seine Uhr und sagte: „Es ist 19.20 Uhr. Ich erteile ihnen einen Platzverweis für die Freiburger Innenstadt und einen Kilometer rings um den Demonstrationsort für 12 Stunden“, den er mit der Drohung unterstützte, dass K. im Falle der Zuwiderhandlung in Gewahrsam genommen werden würde. Da K. nicht riskieren wollte, polizeilich festgenommen zu werden, hat er den Bereich verlassen.

K. hat sich gegen die unwürdige Behandlung gewehrt und in eigener Initiative immerhin die schriftliche Mitteilung der Polizei erreicht, dass die über ihn angefertigten Videoaufnahmen gelöscht worden seien. Dieser Sachverhalt wurde auch vom zwischenzeitlich eingeschalteten Landesdatenschutzbeauftragten überprüft und bestätigt.

Abfilmen zur Abschre­ckung von Beobachtern

Da die Polizei dabei geblieben ist, dass ihre Maßnahmen allesamt rechtmäßig gewesen seien, hatte K. im November 2010 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn gerichteten Polizeimaßnahmen erhoben. Im Prozess hat die Polizei die Maßnahmen mit ihrer präventiven Wirkung begründet: „Insofern war die Personenfeststellung als Gefahrenabwehrmaßnahme sinnvoll, da sie grundsätzlich dazu geeignet ist, potentielle Störer von weiteren Störungen, hier von der Behinderung der Amtsausübung, abzuhalten (weil diese) aus ihrer Anonymität gerissen werden.“

Eine  gefährliche Situation bestand tatsächlich nicht. Der Einsatzleiter beschrieb die Situation vielmehr so: Es handelte sich um eine Ansammlung von Personen, welche auf die Feststellung ihrer Identität wartete und hierbei aufgrund der abgespielten Musik zunehmend sich in eine gewisse Partystimmung versetzte hätten. Die Stimmung ginge somit von zunächst feindselig und aggressiv in eine gewisse Entspanntheit über. Eine feindselige Stimmung gegenüber der Polizei habe er selbst nicht wahrnehmen können. Jedenfalls seien keine Maßnahmen im Bezug auf diese Personengruppe erforderlich gewesen.

Ziel der Polizei: kein Urteil

Nach Klageerhebung hat die Polizei Kontakt mit dem Rechtsanwalt von K. aufgenommen und bei Rücknahme der Klage den vollständigen Ersatz aller Rechtsanwalts- u. Gerichtskosten angeboten. Der Hintergrund dieses Angebotes ist leicht durchschaubar: Die Polizei hatte offenbar zwischenzeitlich eingesehen, dass die von ihr vertretene Auffassung rechtlich nicht haltbar ist. Und sie wollte in jedem Fall verhindern, der gerichtlichen Anordnung folgen zu müssen, die anlässlich der Demonstration gemachten Video-Aufnahmen vorlegen zu müssen. Deshalb setzte die Polizei nun alles daran, selbst um den Preis der vollständigen Kostenübernahme, ein Urteil zu verhindern. Hierauf hat sich K. nicht eingelassen, auch wenn er damit jedes finanziellen Prozessrisikos losgeworden wäre. Nun versuchte die Polizei mit einer weiteren Variante, ein Urteil zu verhindern. Die Polizei räumte gegenüber dem Gericht die Rechtswidrigkeit aller gegen den Beobachter gerichteten Polizeimaßnahmen aus „rein prozessökonomischen Gründen“ ein, mit Ausnahme der Identitätsfeststellung, und argumentierte damit, dass nun das Rechtsschutzbedürfnis für einen Richterspruch entfallen sei, die Feststellungsklage insoweit als unbegründet zurückzuweisen sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ging die Polizei nun noch einen Schritt weiter. Sie hat auch die Maßnahme der anfänglichen Identitätsfeststellung als rechtswidrig eingeräumt, um dem Gericht jeden Anlass zu einem Urteil auch nur in diesem Punkt zu nehmen. Ohne Erfolg. Das Gericht ist der Argumentation des Klägers gefolgt, wonach bei der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Polizeimaßnahme es die Polizei nicht in der Hand haben dürfe, durch ein nachträgliches Einräumen der Rechtswidrigkeit einer Polizeihandlung einen entsprechenden Richterspruch zu verhindern, und nachträglich das Rechtsschutzinteresse der Klage in Fortfall zu bringen.

Kontrolle durch Öffent­lich­keit

Aufgrund der Anerkenntnis der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen hatte das Gericht zwar keine eigene Überprüfung der Rechtswidrigkeit vorgenommen. Dies mindert aber nicht den Wert des ergangenen (nur) Anerkenntnis-Urteils, denn die polizeiliche Strategie, durch Anerkenntnis einen gerichtlichen Urteilsausspruch zu verhindern, ist nicht erfolgreich gewesen. Und man wird davon ausgehen können, dass ein Gericht niemals die Feststellung der Rechtswidrigkeit von Polizeimaßnahmen aussprechen würde, wenn es nicht selbst davon überzeugt wäre. Hierin, und damit in der impliziten Stärkung und des Rechtes, Polizeieinsätze vollständig beobachten zu dürfen als einem dem Demonstrationsrecht korrespondierenden Recht zur Kontrolle der Polizei durch das Publikum und dem damit gewährten Schutz für die einzelnen Demonstrationsteilnehmer, liegt die eigentliche Bedeutung des Urteils. Die Polizei hat dem Bürger im Anschluss an das Verfahren ein Schmerzensgeld von 350,- Euro bezahlt.

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