Pressemeldungen / Demokratisierung

Keine Privilegien für Abgeord­ne­ten­funk­ti­o­näre. Bürger­rechtler vor Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt erfolgreich

21. Juli 2000

Humanistische Union: Bezahlung von Parlamentariern soll nicht zu Pöstchenjägerei verleiten

Als Erfolg wertet die HUMANISTISCHE UNION (HU) das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Freitag (21. Juli), das die Abgeordnetengesetze in Bund und Ländern für teilweise verfassungswidrig erklärt hat. Das höchste deutsche Gericht gab damit einer Klage von Bürgerrechtlern statt, die der Bundesvorsitzende der HUMANISTISCHEN UNION anwaltlich vertreten hat. Deutschlands älteste Bürgerrechts-organisation sieht sich damit in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Bezahlung nicht zu einem Motiv für Pöstchenjägerei von Parlamentariern werden darf.

Mit seiner Entscheidung hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes unter Vorsitz seiner Präsidentin Jutta Limbach bestätigt, dass für alle Abgeordneten in Bund und Ländern grundsätzlich das Prinzip einer formalisierten Gleichbehandlung innerhalb der jeweiligen Parlamente gilt. Eine Ausnahme hiervon hatte das Verfassungsgericht bereits mit seiner Entscheidung von 1975 (BVerfG 40, 296) für Parlamentspräsidenten und deren Stellvertretende zugelassen. Trotzdem wurden seither auch an andere Funktionsträger in den Parlamenten teilweise erhebliche Zulagen bezahlt. Lediglich die Aufwendungen für Fraktionsvorsitzende hat das Gericht heute für verfassungsgemäß erklärt.

Nach der aktuellen Entscheidung verstoßen hingegen alle Funktionszulagen für Stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische Geschäftsführende der Fraktionen und Ausschußvorsitzende gegen die Verfassungsprinizipien aus den Artikeln 38 Abs. 1 und 48 Abs. 3 Grundgesetz. Demnach sind alle Abgeordneten formell gleich. Ihre Aufwandsentschädigung muss ebenfalls einheitlich sein.

Aus gutem Grund – so die HU – erlaubt das Grundgesetz keine Abgeordnetenlaufbahn in den Parlamenten mit Zulagen für einzelne Mandatsträger. Die dennoch vorherrschende Praxis der Privilegien für Abgeordnete mit Parlamentsfunktionen hat das Bundesverfassungsgericht für Parlamentsfunktionäre in Bund und Ländern außer Fraktionsvorsitzende und Angehörige der Parlamentspräsidien nun ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt. Solche parlamentarischen Pfründe sind künftig nicht mehr zulässig.
Matthias Büchner und Siegfried Geißler, zwei ehemalige Abgeordnete des Neuen Forum im Thüringer Landtag, hatten bereits im Jahre 1991 Klage gegen das Thüringer Abgeordnetengesetz vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Der Rechtsanwalt Dr. Till Müller-Heidelberg aus Bingen hatte die Prozessvertretung in seiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender der HUMANISTISCHEN UNION übernommen.

Mit dem aktuellen Grundsatzurteil wurde die Auffassung der Bürgerrechtler bestätigt, dass zwischen Abgeordneten eines Parlamentes grundsätzlich kein Unterschied gemacht werden dürfe. Innerparlamentarische Einkommenshierarchien sind nicht zulässig, die Freiheit des Mandates von Abgeordneten darf nicht durch wirtschaftliche Erwägungen beeinträchtigt werden.

Funktionsunterschiede innerhalb eines Parlamentes mit teilweise erheblich höheren Bezügen verstoßen nicht nur gegen die Gleichheit der Abgeordneten, sondern auch gegen die Wahlgleichheit der Wählerinnen und Wähler: Abgeordnete sind keine Arbeitnehmer. Ein Abgeordneter wird nicht dafür bezahlt, ob er viel oder wenig, gut oder schlecht arbeitet, ob er sich engagiert oder in den Sitzungen schläft. Die Abgeordneten vertreten allein den Wählerwillen und sind dabei ausschließlich ihm und ihrem Gewissen verantwortlich. Sie dürfen nicht durch eine Bezahlung zu besonderen Leistungen und Funktionen motiviert werden, sondern nur durch den Wählerauftrag.
Regelungen über ergänzende Entschädigungen verstoßen gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der allgemein, frei und gleich gewählten Abgeordneten. Die Höhe der Bezahlung darf kein Motiv für die vom Souverän – dem Volk – gewählten Abgeordneten sein. Das einzig zulässige Korrektiv für die Leistungsbereitschaft eines Abgeordneten ist der Wille der Wählenden.

Auch die Aussage von Sachverständigen, in der Parlamentspraxis seien nun einmal gestaffelte Abgeordnetenentschädigungen vorgesehen, wurde mit dem Urteil als Scheinargument widerlegt. Dazu erklärt Till Müller-Heidelberg: „Das heutige Urteil bestätigt nur die rechtsstaatliche Voraussetzung, dass sich die Praxis in den Parlamenten nach der Verfassung zu richten hat und nicht die Verfassung nach der Parlamentspraxis. Wenn faktische Rechtsverstöße klare Verfassungsregelungen ersetzen, wäre jede Verfassung überflüssig.“

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