Plädoyer für eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste
Alexander Hirsch
Grundrechte-Report 1997, S. 160-164
In der Bundesrepublik Deutschland existieren drei Nachrichtendienste auf Bundesebene. Das sind der Bundesnachrichtendienst (BND), der hauptsächlich mit der Auslandsaufklärung beschäftigt ist, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das zur Wahrung der inneren Sicherheit gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen berufen ist, sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD), der die Sicherheit im militärischen Bereich aufrechterhalten soll. Daneben haben die Bundesländer jeweils ein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtet, dessen jeweiliger Tätigkeitsschwerpunkt sich weitgehend mit dem des BfV deckt.
Nachrichtendienste zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, daß sie auch ohne Wissen des Betroffenen über ihn Informationen sammeln und so unbemerkt in seine Grundrechte eingreifen können. Ein solches Vorgehen ist nicht allein diesen Diensten vorbehalten. Vielmehr sind auch Polizei, Staatsanwaltschaft und weitere Behörden unter bestimmten Voraussetzungen befugt, ohne Wissen der Betroffenen etwa ihr Telefon zu überwachen.
Nachrichtendienste dürfen keine exekutivischen Zwangsmittel einsetzen, sondern sie sollen nur beobachten. Diese Trennung soll verhindern, daß es eine politische Polizei gibt, die heimlich überwacht und offen verhaftet. Eine Folge davon ist eine starke Dichte der Kontrolle über den Verfassungsschutz, da der Bürger sich gegen die Verwertung seiner Meinung nach rechtswidrig erlangter Informationen gerichtlich wehren kann. Seine Kontrollmöglichkeiten sind nicht auf den „letzten Zugriff“ beschränkt.
Die Kontrolle der Nachrichtendienste ist nicht absolut, und sie kann es auch nicht sein. Jeder Prozeß, den ein Bürger gegen eine Behörde gewinnt, läßt sich auf einen Kontrollfehler zurückführen. Im Bereich der Nachrichtendienste wirkt jede Rechtsverletzung besonders gravierend, da von ihr auf das sonstige Verhalten der Dienste geschlossen wird. Nachrichtendienste können ihre Arbeit nur leisten, wenn diese der Geheimhaltung unterliegt. Auch „rechtmäßiges Handeln“ dürfen sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich machen. Gleichwohl darf in dem Spannungsfeld zwischen Geheimhaltungsverpflichtung und Informationsansprüchen der Bürger und der Kontrollorgane nicht einseitig auf den Geheimschutz abgestellt werden. Genauso nötig wie dieser ist Kontrolle. Heute wollen die Dienste kontrolliert werden, damit sie nicht die Einbettung in das demokratische Verfassungsgefüge verlieren.
Zwar ist der momentane Kontrollstandard in der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich hoch, doch zeigen Skandale der letzten Zeit, daß Kontrolldefizite bestehen. Hierin ist man sich weitgehend einig. Auch die Dienste sperren sich nicht mehr so rigoros gegen eine Kontrolle wie in der Anfangszeit der Republik.
Das Problem steckt mehr im Detail, wie eine Kontrolle verbessert werden kann. So ist vorgeschlagen worden, einen Beauftragten für die Nachrichtendienste nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten einzurichten. Dieses ist in der Praxis aus verfassungsrechtlichen wie auch tatsächlichen Gründen nicht möglich. Das würde zu einer Mammutbehörde führen, an deren Spitze ein Kontrolleur säße, der über seine Befugnisse im Ergebnis neben dem Bundeskanzler die Dienste leitete. Von vielen Experten wird eine solche Institution daher abgelehnt.
Vorgeschlagen wurde ferner, nach kanadischem Vorbild eine unabhängige Kontrollkommission zu schaffen, deren vom Parlament bestimmte Mitglieder dem „Queen’s Privy Council“ angehören müssen. Seine Tätigkeit ist nicht nur eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern erstreckt sich auch auf Zweckmäßigkeitserwägungen.
Eine andere und den deutschen Gegebenheiten besser entsprechende Lösung liegt darin, die bestehenden Kontrollen dadurch zu intensivieren, daß ein zentrales Kontrollorgan mit der Unterstützung der bisher bestehenden vielfältigen Kontrollorgane und -mechanismen geschaffen wird. Dafür bietet sich die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) an, die schon jetzt als Hilfsorgan des Bundestages die Dienste überwacht.
Neun Punkte sind besonders zu beachten:
1. Das Recht auf Akteneinsicht und auf Anhörung von Mitarbeitern der Dienste sollte gesetzlich verankert werden. Heute wird es schon weitgehend gewährt. Die gesetzliche Regelung unterstreicht den Anspruch der PKK.
2. Die PKK kann Berichte über ihre Tätigkeit verfassen, ohne jedoch auf Einzelheiten eingehen zu dürfen. Ansonsten unterliegen ihre Mitglieder einer absoluten Geheimhaltungspflicht. Sie sollte gegenüber den Fraktionsvorsitzenden aufgehoben werden. Sie haben dann selber einer gesteigerten Geheimhaltungspflicht zu unterliegen. So können die in der PKK gewonnenen Erkenntnisse im Bundestag besser umgesetzt werden. So könnte ausgeglichen werden, daß die Fraktionsvorsitzenden der PKK nicht mehr angehören.
3. Die PKK sollte die Möglichkeit haben, einen Beauftragten zu ernennen, der mit umfassenden Kompetenzen einen bestimmten Vorgang untersuchen kann. Dieser sollte nicht Mitglied der PKK sein müssen, sondern kann ein vom allgemeinen Vertrauen der Öffentlichkeit getragener Fachmann sein. Er hätte nur der PKK gegenüber zu berichten. Hierdurch wäre sichergestellt, daß ein Mißstand schnell und objektiv untersucht werden kann.
Es sollte der PKK auch möglich sein, für bestimmte Fragen Experten mit beratender Stimme hinzuzuziehen. Diese könnten durch ihre besondere Sachkompetenz Darstellungen der Dienste untermauern oder auch hinterfragen bzw. in bestimmten Punkten ergänzende Informationen verlangen.
4. Weiter muß die Zusammenarbeit mit den anderen Kontrollinstanzen verbessert werden, zum Beispiel den PKK der Länderparlamente. Dabei ist zu beachten, daß die Geheimhaltungsvorschriften in manchen Ländern nicht so eng sind wie auf Bundesebene. Um zu verhindern, daß Fakten, die durch die PKK des Bundes als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werden, über die PKK eines Landes dennoch publik werden, kann eine Zusammenarbeit dann nur eingeschränkt stattfinden.
5. Die PKK soll die Aufgaben des G 10-Gremiums zur Post- und Fernmeldekontrolle übernehmen. Es ist nur geschichtlich zu erklären, warum es zwei parlamentarische Gremien gibt, die beide einen Teilbereich kontrollieren. Das G 10-Gremium ist die parlamentarische Instanz, die über die Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses wacht, die PKK wacht über den Rest. Zumindest sollte dem G 10-Gremium eine umfassende Berichtspflicht gegenüber der PKK auferlegt werden.
Anders die G 10-Kommission: Sie entscheidet im konkreten Einzelfall verbindlich, ob eine Überwachung überhaupt angeordnet werden darf. Sie ist einem Gericht vergleichbar, das vorweg über die Rechtmäßigkeit entscheidet. Sie muß schon aus Gründen der Gewaltenteilung von der PKK getrennt bleiben.
6. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sollte enger mit der PKK zusammenarbeiten können. Eine Teilnahme des Datenschutzbeauftragten an den PKK-Sitzungen, die nur durch Votum der Bundesregierung für den Einzelfall ausgeschlossen werden kann, sollte ermöglicht werden.
7. Außerdem muß der PKK ein weiter gehendes Mitspracherecht im Bereich der Wirtschaftspläne zugestanden werden. Dies läßt sich dadurch erreichen, daß die PKK die Möglichkeit erhält, mit dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zusammenzuarbeiten. Ebenfalls sollte gesetzlich verankert werden, daß die PKK an den Sitzungen des Vertrauensgremiums des Bundestags-Haushaltsausschusses beratend teilnimmt. Dies ist ein kleines, zur Verschwiegenheit verpflichtetes Gremium, das im Auftrag des Bundestages die Haushalte der Dienste genehmigt. Bindende Entscheidungsrechte sollten der PKK allerdings nicht eingeräumt werden. Sie soll kontrollieren, sie ist kein Teil des Haushaltsausschusses.
8. Schließlich soll der PKK ein besonderen Geheimhaltungsverpflichtungen unterliegender Mitarbeiterstab zur Seite gestellt werden. Dies würde das in der Praxis bestehende kontrollbeschränkende Zeitproblem lösen. Heute ist die PKK in ihren Sitzungen auf die Vorbereitung durch die Dienste selber angewiesen. Diese müssen von sich aus über Vorgänge berichten, wenn die PKK keine Informationen zu bestimmten Punkten verlangt. Es ist nicht einzusehen, warum die Auswahl der Vorgänge nicht durch Mitarbeiter erfolgen sollte, die das volle Vertrauen der PKK besitzen.
9. Dies führt schließlich zum wichtigsten Aspekt der Kontrolleffizienz, der durch Gesetz nicht regelbar ist. Gemeint ist die Vertrauensbasis zwischen Diensten und PKK. Wenn die Dienste sich der notwendigen Geheimhaltung durch die PKK nicht sicher sein können, werden und müssen sie immer mehr versuchen, sich der Kontrolle durch die PKK zu entziehen. Hier obliegt es dem Bundestag, dieses bei der Wahl der Mitglieder zu bedenken. Da es bei der PKK auf das persönliche Vertrauen des Bundestages in die Kompetenz und Verschwiegenheit der Mitglieder der PKK ankommt und daher niemand Anspruch auf Mitgliedschaft hat, kann und muß parteipolitisches Proporzdenken außer Betracht bleiben.
Die Erfahrung zeigt, daß innerhalb der PKK die Arbeit nicht geprägt ist vom Gegensatz zwischen Regierung und Opposition oder durch die Unterschiede zwischen den Parteien.
Neben einer solchen Kontrollinstanz wären im Rahmen der allgemeinen Staatskontrolle nur punktuelle Änderungen vorzunehmen.
Die allgemeine parlamentarische Kontrolle kann aufgrund des Bedürfnisses nach effektiver Geheimhaltung nicht verbessert werden. Dies ist bei einer effektiv arbeitenden PKK aber auch nicht nötig. Hält das Parlament weiter gehende Untersuchungen für notwendig, steht es ihm frei, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen.
Verstärkt werden kann die Position des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Neben der engeren Zusammenarbeit mit der PKK wären weitere Befugnisse des Datenschutzbeauftragten denkbar. So kann er sich als „Vertrauter des Bürgers“ an die Dienste wenden, wenn das Auskunftsbegehren des Bürgers abgelehnt wurde. Beharren die Dienste auf ihrem Standpunkt, sollte er in einem besonderen gerichtlichen Verfahren eine bindende Entscheidung herbeiführen können.
Daneben wirkt auch die öffentliche Meinung an der Kontrolle der Dienste mit. Die Dienste sollen überflüssige Geheimniskrämerei aufgeben. So ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, warum der BND nicht die Gesamtzahl seiner Mitarbeiter und das Gesamtvolumen seines Etats veröffentlichen kann. Rückschlüsse auf operative Vorgänge dürften sich daraus nicht ziehen lassen. Im übrigen veröffentlicht das BfV diese Zahlen seit Jahren, ohne daß seine Funktionsfähigkeit gefährdet ist.
Eine wirksame Kontrolle der Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland könnte nicht nur Kompetenzüberschreitungen und Skandale verhindern, sondern auch zu einer stärkeren Akzeptanz der Dienste führen und damit eine bessere Erfüllung ihrer Aufgaben sichern.