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Amerikas Gegenwart ist unsere Zukunft

Rechtsstaat versus Guantánamo

Grundrechte-Report 2007, Seiten 160 – 165

Was interessiert uns in Deutschland Guantánamo? Man könnte zunächst frei nach Immanuel Kant antworten, dass zumindest manche Rechtsverletzungen an einem Platz der Erde an allen
gefühlt werden. Dem Kampf um das Recht im Falle Guantánamo vor US-amerikanischen Gerichten kommt aber auch für den vergleichsweise jungen und mitunter fragilen bundesdeutschen Rechtsstaat große Bedeutung zu. Nicht zuletzt die Enthüllungen in den europäischen CIA-Entführungsfallen (siehe u.a. der deutsche Fall el Masri, Artikel von Rosemarie Will in diesem Report) lassen die (nunmehr) verbal ablehnende deutsche und europäische Haltung zu Guantánamo als Fassade erscheinen. In der harten Realität wird zu US-amerikanischen Methoden bestenfalls geschwiegen, oft kooperiert, und einige der Methoden werden kopiert (siehe die europäischen Terrorismuslisten, in: Wolfgang Kaleck, Grundrechte-Report 2006, S. 168 ff.). Deswegen sind die Auseinandersetzungen um die vornehmlich von den USA benutzten Methoden im Antiterrorismus-Kampf schon lange keine inneramerikanischen Auseinandersetzungen mehr. US-amerikanische sowie englische und deutsche Anwälte verteidigen Seite an Seite die Rechte ihrer dort inhaftierten Mandanten. Internationale Menschenrechtsorganisationen bekämpfen daher politisch und juristisch das für den »Krieg gegen den Terror« exemplarische Phänomen Guantánamo. Denn wer zu Guantánamo schweigt, wer nicht gegen die Instrumentalisierung des Rechtes kämpft, braucht sich über die ständigen Zumutungen bundesdeutscher Minister und Regierungsoffizieller wie die Forderung nach einer Abschussfreiheit für entführte Flugzeuge oder nach Nutzungsmöglichkeiten erfolterter Informationen nicht zu wundern.

Schlappe für Bush

Über vier Jahre nach Einrichtung des Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba gab der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika in seinem Urteil vom 29. Juni 2006 im Fall Hamdan gegen Rumsfeld den Klägern Recht und erklärte die für die Gefangenen zuständigen Militärkommissionen für rechtswidrig (www.supreinecourtus.gov/opinions/ 05pdf/05-184.pdf). Es war bereits die dritte herbe Schlappe, die die Bush-Regierung vor dem Obersten Gerichtshof der USA in Sachen Guantánamo einstecken musste, ohne dass eine grundsätzliche Korrektur rechtsstaatswidriger Praktiken zu erkennen wäre.

Nach dem 11. September 2001 hatte die Bush-Administration in brachialer Art und Weise nationale und internationale rechtsstaatliche Standards gegen Terrorismusverdächtige außer Kraft und damit weltweit neue Maßstäbe gesetzt. Der Präsident der USA ließ sich von seinen Kronjuristen unbeschrankte Befugnisse zuschreiben. So ordnete Bush am 13. November 2001 an, dass die Verdächtigen von terroristischen Attentaten zu verhaften und dabei Nicht-US-Bürger nicht von ordentlichen Gerichten, sondern von eigens geschaffenen Militärkommissionen abgeurteilt werden sollten. Diese Militärkommissionen sollten aus Angehörigen der US-Streitkräfte bestehen und ihre Entscheidungen lediglich durch den Präsidenten, nicht durch ordentliche Gerichte überprüft werden. Hamdan, der eingeräumt haben soll, der persönliche Chauffeur und Leibwächter von Osama Bin Laden gewesen zu sein, hatte einen langen Instanzenweg durchschritten, bis die Entscheidung des Supreme Court erging. Der Supreme Court entschied, dass die vom Präsidenten eingerichteten Militärkommissionen zumindest dem Kriegsrecht hatten entsprechen müssen oder eine Kongressermächtigung hätte ergehen müssen, die nach der Auffassung des Gerichtes nicht vorlag. Das Gericht stellte ferner fest, dass bestimmte rechtsstaatliche Mindeststandards durch die Militärkommissionen nicht gewährleistet seien, so u. a. das Recht des Angeklagten, die gegen ihn vorliegenden Beweise einzusehen, das Unmittelbarkeitsprinzip und Rechtsschutzmöglichkeiten.

Gesetz­ge­be­ri­sche Taschen­spie­ler­tricks

Wer nun glaubte, dass die USA nach der Supreme Court-Entscheidung und nach Jahren der Kritik von zunächst wenigen und dann immer mehr Bürgerrechtlern, später weltweiter öffentlicher Kritik, erheblichen juristischen Niederlagen vor US-amerikanischen Gerichten und Protest von zahlreichen UN-Stellen auf den Pfad der Rechtsstaatlichkeit zurück fänden, sah sich getäuscht. Wie schon im Falle der bundesdeutschen und der britischen Regierung, die sich über deutliche höchste
Gerichtsentscheidungen hinwegsetzten, reagierte die Bush-Administration schnell und legte einen neuen Gesetzesentwurf über den sogenannten Military Commission Act (MCA) von 2006 vor, der noch vor den Kongress- und Senatswahlen vom Kongress verabschiedet wurde und am 17. November 2006 in Kraft trat. Das Gesetz legt fest, dass die Genfer Konventionen weiterhin nicht anwendbar sein sollen. Der in den Konventionen und anderen Menschenrechtspakten nicht geläufige Begriff des ungesetzlichen Kombattanten soll Ausgangspunkt der neuen gesetzlichen Regelung bleiben. Das Recht auf Haftprüfung (habeas corpus) wird den Gefangenen nach wie vor verweigert, obwohl das Prinzip Bestandteil der US-amerikanischen Verfassung (dort Artikel 1 Absatz 9) ist und es der Regierung verboten ist, außer in Zeiten der Invasion und der Rebellion dieses Prinzip aufzuheben. Nicht-US-Bürgern auf Guantánamo soll dieses Prinzip jedoch weiterhin vorenthalten werden. Rechtsstaatliche Standards wie das Auskunftsverweigerungsrecht, der Zugang zu Beweisen und die Verwertung bestimmter Beweise werden nach wie vor nicht gestattet.

Trauriger Höhepunkt des MCA ist die nachträgliche Selbstamnestierung, welche die Bush-Administration im MCA gegen alle nationalen und internationalen Verbote von Amnestien im Falle von Kriegsverbrechen durchsetzte. Durch einen Taschenspielertrick versuchte die Bush-Administration, vor allem die Strafverfolgung gegen zivile Vorgesetzte und Verantwortliche für Folter und Kriegsverbrechen zu vermeiden. Es wurde ein bereits bestehendes Gesetz, der sogenannte War Crimes Act (WCA) von 1996, rückwirkend modifiziert, sodass ursprüngliche Gesetzesverstöße, die nach dem zur Tatzeit geltenden WCA geahndet werden müssen, nunmehr nicht mehr geahndet werden können. Der MCA definiert den Begriff Kriegsverbrechen, der bisher durch Völkergewohnheitsrecht ziemlich genau bestimmt ist, neu. Folter soll nur noch in einer von der Bush-Administration entwickelten, engen Auslegung Kriegsverbrechen darstellen, obwohl bereits vom UN-Anti-Folterausschuss im Mai 2006 gerügt wurde, dass die Definition, die von den Bush-Kronjuristen in Umlauf gebracht wurde, nicht im Einklang mit dem Völkerrecht steht. Nach dieser engen Auslegung
läge Folter nur dann vor, wenn es sich uni ein »vorsätzliches Zufügen von schweren körperlichen und seelischen Schmerzen« handelt. Damit werden missbrauchsbehaftete Befragungstechniken, wie sie nach dem 11. September 2001 praktiziert wurden, etwa Unterkühlung, Schlafentzug sowie das »WaterBoarding«, grundsätzlich nicht mehr als Folter bewertet. Grausame und unmenschliche Behandlung, ebenfalls früher unter Strafe gestellt, sollen nur noch dann Straftaten darstellen, wenn sie ernsthafte und nicht vorübergehende psychische und physische Schmerzen und Leiden verursachen. Nach internationalem Recht strafbare und zu verfolgende entwürdigende und demütigende Handlungen gegen Gefangene sollen nunmehr nicht dem MCA unterliegen. Da die uniformierten Angehörigen der US-Streitkräfte ohnehin einem anderen Gesetz unterfallen, bezieht sich das modifizierte Gesetz vor allem auf zivile Mitarbeiter im US-Verteidigungsministerium, CIA-Angestelle und Angestellte privater Sicherheitsunternehmen.

Bürger­rechtler kämpfen weiter

Wie gewonnen, so zerronnen, könnte man angesichts dieser Abfolge von zu begrüßenden Urteilen durch den Obersten Gerichtshof und dem Erlass des Military Commissions Act kommentieren. Der neue MCA wird sicherlich erneut die Gerichte und wahrscheinlich nach mehreren Jahren auch wieder den Supreme Court beschäftigen. Auf der einen Seite sind die Bemühungen von mittlerweile erheblichen Teilen der US-Öffentlichkeit und vor allem der Bürgerrechtsanwälte und -organisationen, rechtsstaatliche Verhältnisse für alle von den USA gefangen genommenen Menschen zu garantieren, erfreulich. Auf der anderen Seite bleibt das Faktum, dass vor allem in den Jahren 2001 bis 2003 sowohl in Afghanistan als auch in Guantánamo und später im Irak massiv, systematisch und flächendeckend Gefangene, die dem Schutz der Genfer Konvention unterliegen, gefoltert und grausam und unmenschlich behandelt wurden. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Völkervertrags- und sogar Völkergewohnheitsrecht absolut unabdingbar und nicht – wie auch in Deutschland durchaus
üblich – als weiches Recht zu behandeln sind, will man nicht bei Zuständen wie auf Guantánamo und im Irak landen.

Trotz aller Kritik besteht das Gefangenenlager auf Guantánamo nach wie vor. Die derzeitige Legitimation der Bush-Administration lautet, man müsse nunmehr – nach vier Jahren! – die Militärgerichtsverfahren gegen einen Teil der Gefangenen durchführen und könne den anderen Teil nicht in ihre Heimatländer abschieben, da sie dort möglicherweise gefoltert würden. Dies ist traurigerweise so richtig wie zynisch. Viele der Gefangenen sind bereits an den unmenschlichen Haftverhältnissen zerbrochen. Es kam zu Selbstmorden und Selbstmordversuchen. US-Anwälte, die in langen und aufwendigen Prozeduren durchgesetzt hatten, die von ihnen vertretenen Mandanten zu besuchen, berichten von traumatisierten und schwer geschädigten Mandanten. Das Traurige ist, dass im Moment kaum Hoffnung auf eine Änderung für sie besteht.

Nicht zuletzt diese andauernden Zustände und die andauernde Straflosigkeit in den USA hatten schließlich das Center for Constitutional Rights im November 2006 erneut dazu bewegt, in Deutschland Strafanzeige gegen die Verantwortlichen für die Durchsetzung des Folterprogramms, vor allem gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Rumsfeld, zu erstatten (vgl. dazu www.rav.de/rumsfeld2.html).

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