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Ein Ministerium windet sich

Grundrechte-Report 2007, Seiten 86 – 89

Das Bundesministerium der Verteidigung hat – bisher intern – für Rechtsberater und Rechtslehrer der Bundeswehr Hinweise für den Umgang mit Soldaten und Soldatinnen, die aus Gewissensgründen Befehle nicht befolgen wollen, herausgegeben. Es geht ihm darum, »nachteilige Auswirkungen von Gewissensentscheidungen einzelner Soldaten und Soldatinnen auf die Einsatzbereitschaft so gering wie möglich zu halten, ohne der Gewissensfreiheit den verfassungsrechtlich gebotenen Respekt zu versagen«. Das Ministerium bezieht sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005 (BVerwG 2 WD 12.04). Der darin dargelegten Auffassung des 2. Wehrdienstsenates des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Irakkrieg mit dem Völkerrecht kaum vereinbar war, wird entgegnet, »dass bisher durch kein hierzu berufenes Organ der internationalen Staatengemeinschaft verbindlich festgestellt worden ist, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig gewesen ist.« Eine solche Feststellung gegen die USA als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat ist allerdings, das verschweigt das Ministerium, praktisch ausgeschlossen.

Darf sich ein Soldat auf das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) berufen? Nach Ansicht des Ministeriums nicht! Denn: »Diesem Verbot unterfallen nur Soldaten oder Soldatinnen, die als sicherheits- und militärpolitische Berater/Beraterinnen eine herausgehobene Funktion im Regierungsapparat ausüben. Nur sie können auf die politische Willensbildung bei der Entfesselung oder Förderung eines Angriffs-
krieges überhaupt entsprechenden Einfluss nehmen.« Dass nur die Handlungen von Regierenden und ihren Beratern mit Strafe bedroht sind, ist freie Erfindung und weder mit dem vorgeblichen Leitbild des Bürgers in Uniform noch mit internationalem Recht vereinbar. Im Gegenteil: Nach dem Kriegsvölkerrecht ist jeder Beteiligte für sein Handeln voll verantwortlich. Den weiteren Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine erklärte Neutralität jede direkte und indirekte Mitwirkung am Krieg verbietet, verschweigt das Ministerium gleich ganz. Da war Deutschland zu offensichtlich im Unrecht.

Gewis­sens­ent­schei­dung überprüf­bar?

Ausführlich wird die Frage der Gewissensentscheidung behandelt. Eine Gewissensentscheidung, das liegt in der Natur der Sache, kann man nicht beweisen, man kann sie bestenfalls glaubhaft machen – wenn das Gegenüber bereit ist, darauf einzugehen. Der Unterschied zu früheren Kriegsdienstverweigerungsverfahren ist lediglich, dass die Disziplinarvorgesetzten den Soldaten oder die Soldatin in der Regel kennen und deshalb besser beurteilen können sollen. Das ist schon deswegen problematisch, weil, wer Bedenken hat, nach militärischen Kriterien im Dienst nicht positiv auffallen wird. Die Hinweise verschweigen außerdem, dass Kriegsdienstverweigerer im Krieg sofort vom Dienst an der Waffe frei zu stellen sind, ohne dass die Vorgesetzten die Berechtigung dazu zu beurteilen haben. Wenn das möglich ist, kann es nicht sein, dass Gewissensbedenken im Frieden nur gelten sollen, wenn die Disziplinarvorgesetzten sie geprüft haben.

Natürlich geht es dem Verteidigungsministerium vor allem um die Eingrenzung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Major, um dessen Verweigerung es ging, hatte geltend gemacht, dass seine Arbeit für den Kriegseinsatz im Irak genutzt werden könnte. Das wurde vom Bundesverwaltungsgericht als Gewissensbelastung anerkannt. Dagegen argumentiert das Verteidigungsministerium, die Möglichkeit einer künftigen Gewissensbelastung dürfe nicht bestimmend sein. Nur ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit für den
Eintritt von gewissensbelastenden Folgen könne anerkannt werden.

Am Ende steht eine Handlungsanleitung. Vorgeschlagen wird der Weg der Deeskalation von Seiten der Vorgesetzten, und von den Verweigernden wird die rechtzeitige Erklärung ihrer Gewissensnöte erwartet. Außerdem sollen die Vorgesetzten öffentlich diskutierte kritische Themen im Unterricht behandeln. Werden Bedenken deutlich, soll der Vorgesetzte das persönliche Gespräch suchen. Er soll sich von den Gewissensbedenken überzeugen. Das klingt nur auf den ersten Blick vernünftig, denn wer mit seiner Gewissensentscheidung nicht von Anfang an schon seinen Disziplinarvorgesetzten überzeugt, dem drohen Disziplinarmaßnahmen. Zudem kündigen sich auch neue Gewissensentscheidungen nicht immer lange im voraus an, sondern können spontan ausgelöst werden.

Funkti­ons­fä­hig­keit der Streit­kräfte versus Gewis­sens­frei­heit

Doch es wird noch schlimmer: Zuletzt wird nämlich behauptet, dass die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte Verfassungsrang habe und geeignet sei, die Gewissensfreiheit einzuschränken. Verwiesen wird auf alte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums: »Es liegt auf der Hand, dass die Funktionsfähigkeit des Staates ernstlich bedroht wäre, könnte ein Beamter sich unter bloßer Berufung auf sein Gewissen einer dienstlichen Weisung entziehen.« Daraus folgert das Ministerium: »Insofern kann der Negierung des verfassungsrechtlich geschützten Guts der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte nicht gefolgt werden.« Dass es bei militärischem Handeln nicht um die Zustellung von Briefen oder die Zugehörigkeit einer Pistole zur Polizeiuniform, sondern um Leben und Tod und damit um eine zentrale Gewissensentscheidung geht, wird übergangen. Stattdessen wird behauptet: »Insofern gab es, entgegen der Auffassung des Senats, in dem entschiedenen Fall keine echte Gewissensentscheidung.« Und dann: »Andere Gewissensentscheidungen mit politischem Hintergrund dürften ähnlich zu bewerten sein.«

Diese plumpe Urteilsschelte reicht dem Ministerium nicht. Am Ende geht der politisch entschiedene Auftrag dem Gewissen vor: »Dies ergibt sich aus dem Berufsrisiko, das Soldaten/Soldatinnen auf Zeit und Berufssoldaten/Berufssoldatinnen freiwillig eingehen. Insofern werden den Angehörigen der Streitkräfte engere Grenzen gezogen als den >normalen

Literatur

Ulrich Finckh, Gewissen vor Befehl, in: Grundrechte-Report 2006, S. 68 ff.

Stefan Sohm, Vom Primat der Politik zum Primat des Gewissens?, in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht 1/2006, S. 1 ff.

Jürgen Rose, Absolutes Schweigen in der Bundeswehr zum Frei-
spruch von Major Pfaff – Kritische Soldaten sollen mundtot
gemacht werden, in: Forum Pazifismus 9, I/2006, S. 27 ff.

Jürgen Rose, Juristische Lohnschreiber, in: Forum Pazifismus 10,
II/2006, S. 6 ff.

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