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Flucht ist kein Verbrechen - Exzessive Inhaf­tie­rung von Asylbe­wer­bern beschlossen

Grundrechte-Report 2008, Seite 51

Asyl zu beantragen ist keine Straftat – und dennoch hat der Gesetzgeber mit seiner Novelle des Zuwanderungsgesetzes vom Sommer 2007 die vermehrte Inhaftierung von Asylsuchenden beschlossen. Auch andere Migrantengruppen sollen schneller weggesperrt werden, ohne dass sie eine Straftat begangen haben. Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken vieler Experten wurde das Gesetz im Schnellverfahren durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht und trat am 28. August 2007 in Kraft.

Ausgedehnte Haftzeiten

Längere Haftzeiten sind für diejenigen Asylsuchende vorgesehen, bei denen die Asyl-Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaates in Frage steht. Die EU-Staaten haben sich darauf verständigt, dass Asylbewerber grundsätzlich nur in einem der EU-Staaten ein Asylverfahren durchlaufen sollen. Welcher Staat zuständig ist, wird nach der Dublin II-Verordnung bestimmt. Zumeist ist der EU-Staat zuständig, der die Einreise des Asylsuchenden nicht verhindert hat, quasi als Sanktion für lückenhafte Grenzkontrolle – so die wenig flüchtlingsfreundliche Ausrichtung der Verordnung.

Mit der verstärkten Inhaftierung der Flüchtlinge soll diese Verordnung nun effektiver durchgesetzt werden. Denn dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist es seit längerem ein Dorn im Auge, dass Deutschland trotz seiner mittigen Lage innerhalb der EU nicht weitaus mehr Asylsuchende in andere EU-Staaten abschieben kann. Werden die Betroffenen festgesetzt, können sie sich der Prozedur nicht entziehen, so das Kalkül. Die geänderte Rechtslage soll hierfür die Grundlage bieten. Asylsuchende können nun für die gesamte Zeit der Zuständigkeitsprüfung in Abschiebungshaft genommen werden (§ 14 Absatz 3 Asylverfahrensgesetz). Diese kann nach der Dublin II-Verordnung bis zu elf Monate dauern. Vor der Gesetzesänderung waren maximal vier Wochen Haft erlaubt.

Diese Änderung stellt einen Dammbruch bei der Inhaftierung von Asylsuchenden dar. Denn es gehört zu den Grundprinzipien des internationalen Flüchtlingsrechts, dass Asylsuchende nicht inhaftiert werden sollen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) hat wiederholt betont, dass die Inhaftierung von Asylsuchenden grundsätzlich abzulehnen ist. Viele Flüchtlinge haben in ihrem Herkunftsland Haft und Folter erlebt. Ein erneuter Gefängnisaufenthalt kann für diese Flüchtlinge retraumatisierend wirken und daher sehr ernste Folgen haben.

Die neuen Inhaftierungsmöglichkeiten werden in der Praxis bereits fleißig genutzt. So wurden im November 2007 mehrere Flüchtlinge aus dem Irak auf dem Münchener Flughafen festgenommen. Sie waren über Griechenland nach Deutschland gereist. Obwohl bekannt ist, dass Flüchtlinge in Griechenland kein faires Asylverfahren erhalten und die Lebensbedingungen für diese dort unmenschlich sind, hat Deutschland von Griechenland die Rücknahme der Flüchtlinge verlangt. Während die Zuständigkeitsfrage geklärt wurde, kamen die Flüchtlinge in Haft.

Zurück­wei­sung und Haft an der Grenze

Der Gesetzgeber hat weitere Haftmöglichkeiten geschaffen, von denen Asylbewerber und andere Migrantengruppen betroffen sein können. Gemäß § 15 Absatz 5 Aufenthaltgesetz soll ein Ausländer zur Sicherung der Zurückweisung auf richterliche Anordnung in Haft genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Zurückgewiesen werden zum Beispiel Personen, die an der Grenze aufgegriffen werden und unerlaubt nach Deutschland einreisen wollen. Zwar konnte man in solchen Fällen auch bisher – analog den Abschiebungshaftregelungen – inhaftieren. Allerdings sieht die neue eigenständige Rechtsgrundlage im Vergleich zum bisherigen Recht weder besondere Haftgründe (z.B. Fluchtgefahr) noch eine Begrenzung der Haftdauer auf zunächst drei Monate vor. Diese entgrenzte Inhaftierungsmöglichkeit dürfte kaum dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten.

Für Asylsuchende wurde diese Zurückweisungshaft mit einer zusätzlichen Verschärfung flankiert. Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen sind schon dann möglich, wenn „Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat […] für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist…“ (§ 18 Absatz 2 Nummer 2 Asylverfahrensgesetz). Der Zugang zum Asylverfahren soll also aufgrund bloßer Verdachtsmomente verweigert werden.
Liegt eine solche Zurückweisung vor, droht die Inhaftierung.

Es bestehen ernsthafte Zweifel, ob diese neue Haftform mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar ist. So hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 30. Januar 2007 (Zl. A 2007/0010) eine ähnliche Regelung des österreichischen Fremdenpolizeigesetzes als menschenrechtswidrig bewertet, da sie Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe f EMRK verletze. Bei einer bloßen Prognose der Fremdenpolizeibehörde, dass ein anderer Staat zuständig sei, liege noch kein „schwebendes Ausweisungsverfahren vor“, so dass die Voraussetzungen für eine zulässige Inhaftierung nach der EMRK nicht vorliegen. Zwar ist der österreichische Verfassungsgerichtshof dieser Ansicht nicht gefolgt, so dass die Regelung einstweilen fortbesteht. Allerdings ist damit noch nicht geklärt, ob derartige Verdachtsinhaftierungen vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg oder dem Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg Bestand haben werden.

Verstöße gegen den Richter­vor­be­halt

Mit zwei weiteren Gesetzesverschärfungen ist der Gesetzgeber sogar so weit gegangen, die verfassungsrechtliche Vorgabe des Richtervorbehalts gemäß Artikel 104 Absatz 2 Satz 2 GG zu missachten.

Nach der neuen Rechtslage dürfen die Ausländerbehörden oder die Grenzbehörden einen Ausländer vorläufig festnehmen (§ 62 Absatz 4 AufenthG). Bislang hatte nur die Polizei und nur im Falle der Gefahr in Verzug, die Befugnis zur vorläufigen Festnahme. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass jede Freiheitsentziehung eine vorherige richterliche Anordnung voraussetzt (BVerfG Beschluss vom 7.9.2006, 2 BvR 129/04). Da Ausländerbehörden immer planen können, einen Ausländer in Abschiebungshaft nehmen zu lassen, gibt es in der Regel keinen verfassungskonformen Anwendungsbereich für die neue Regelung, die ein Agieren der Behörde ohne vorherige richterliche Anordnung vorsieht. Dies wird die Ausländerbehörden freilich nicht davon abhalten, diese neue Möglichkeit nach Belieben zu nutzen.

Eine weitere Regelung hebelt ebenso den Richtervorbehalt aus. Wenn einem Ausländer im Transitbereich eines Flughafens die Einreise verweigert und er zurückgewiesen wird, kann er 30 Tage lang festgehalten werden, ohne dass ein Richter angerufen werden muss (§ 15 Absatz 6 AufenthG). Gerechtfertigt wird diese neue Regelung damit, dass laut Bundesverfassungsgericht eine Freiheitsentziehung oder -beschränkung nicht vorliege, wenn das luftseitige Verlassen des Transitbereichs möglich sei (Gesetzesbegründung Seite 35, BT-Drucksache 16/5065). Jedoch bezog sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Situation während des Flughafenverfahrens, die nach spätestens 19 Tagen beendet ist. Die Entscheidung ist auf die neue Regelung nicht übertragbar, bei der es um Fälle geht, in denen die Zurückschiebung scheitert und deswegen in der Regel auch feststeht, dass die Betroffenen nicht (luftseitig) ausreisen können. Hinzu kommt, dass für den Vollzug der Haft im Flughafentransit kein Gesetz erlassen wurde, so dass auch aus diesen Gründen der Vollzug der Transit-Abschiebungshaft verfassungsrechtlich auf wackeligen Füßen stehen dürfte.

Die mühsamen Versuche von Teilen der Rechtsprechung, die Abschiebungshaft rechtsstaatlich zu begrenzen, hat der Gesetzgeber mit einem Frontalangriff gegen das Grundrecht auf Freiheit der Person beantwortet. Ein herber Rückschlag für eine an Menschenrechten orientierte Asyl- und Migrationspolitik.

Literatur

Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BGBl. 2007 I S. 1970.

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