Der erzwungene Loyalitätskonflikt - „Optionsdeutsche“ - Staatsbürger zweiter Klasse?
Grundrechte-Report 2009, Seite 90
Erinnern wir uns: Im Jahr 2000 ersetzte das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) das noch aus dem Jahr 1913 stammende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz. Erstmals wurden damals Elemente des sogenannten „ius soli“, also der Bestimmung der Staatsangehörigkeit nach dem Ort der Geburt, neben das bis dahin allein herrschende Abstammungsprinzip („ius sanguinis“) gestellt. § 4 Absatz 3 Satz 1 StAG sieht seither vor, dass Kinder von Ausländern mit Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, sofern mindestens ein Elternteil zuvor acht Jahre legal in Deutschland gelebt hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.
Indessen hat die Sache einen Haken. § 29 StAG zwingt die Betroffenen, sich bei Erreichen der Volljährigkeit zu entscheiden, ob sie die deutsche oder die Staatsangehörigkeit der Eltern beibehalten wollen. Spätestens bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs müssen sie den Antrag auf Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft stellen. Weisen sie danach nicht spätestens bis zu ihrem 23. Geburtstag nach, dass sie die elterliche Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, so verlieren sie die deutsche wieder.
Begründet worden ist diese Regelung damit, dass man einem Anstieg der Fälle von Mehrstaatigkeit entgegenwirken wolle. Mehrstaatigkeit gilt als Problem wegen der damit angeblich verbundenen widerstreitenden Loyalitätspflichten gegenüber den beteiligten Staaten. Dass die Betroffenen selbst sich in der Praxis schlicht beiden Ländern verbunden fühlen und erst durch den Zwang, sich zwischen der Staatsangehörigkeit der Eltern und der deutschen zu entscheiden, in einen Loyalitätskonflikt gestürzt werden, darüber schweigt sich die Gesetzesbegründung aus.
49.000 vor der Frage: Deutsch bleiben oder nicht?
Gemäß § 40b StAG konnten Kinder, die am 1. Januar 2000 zehn Jahre alt oder jünger waren, ebenfalls zu den Bedingungen des § 4 Absatz 3 StAG eingebürgert werden. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Universität Konstanz wurde davon in rund 49.000 Fällen Gebrauch gemacht. Zwar existiert keine Statistik über die Altersverteilung in dieser Gruppe; geht man aber davon aus, dass alle in Frage kommenden Jahrgänge etwa gleich stark vertreten waren, so standen bzw. stehen seit Anfang 2008 jährlich fast 5.000 junge Deutsche mit dem viel beschworenen „Migrationshintergrund“ vor der Entscheidung: deutsch bleiben oder nicht?
Unabhängig davon, dass die Frage stets nur individuell beantwortet werden kann, ist die vom Gesetzgeber gewählte Konstruktion mit gravierenden Schwächen behaftet. Nicht nur beinhaltet sie ein Signal der Zurücksetzung an die Betroffenen, die so deutsch dann doch wieder nicht sein sollen. Sie führt auch zu schwer erträglichen Folgen: Was, wenn eine „Optionsdeutsche“ vor ihrem 23. Lebensjahr ein Kind zur Welt bringt, das dann die deutsche Staatsangehörigkeit qua Geburt erbt, während die Mutter die ihrige u. U. wieder verliert? Was, wenn ein „Optionsdeutscher“ vor Abgabe seiner Erklärung verbeamtet wird – dann aber für die Staatsangehörigkeit seiner Eltern optiert und somit die Grundlage für seinen frei gewählten Beruf verliert?
Schon Ende 2007 starteten deshalb die Fraktionen der Grünen und der Linken im Bundestag Initiativen, die Optionsregelung aus dem Gesetz zu streichen. Diese blieben aber erfolglos – obwohl die zu dem Vorhaben angehörten Experten überwiegend einer Streichung zuneigten. Im August 2008 kündigte Berlin eine neue Bundesratsinitative gegen die Optionspflicht an.
Ernsthafte verfassungsrechtliche Zweifel an der Optionsregelung gründen sich vor allem auf die Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Mehrstaatern. Denn dass Menschen zwei Pässe haben, ist in Deutschland und anderswo in der Welt längst nicht mehr so selten, wie von den Befürwortern eines Optionszwangs suggeriert. Im übrigen haben sich auch für die klassischen Problembereiche – Wehrdienst sowie konsularische Betreuung im jeweils anderen Land – in der internationalen Praxis längst pragmatische Lösungen etabliert.
Überhöhung der ererbten Staatsangehörigkeit
Während aber den nach § 4 Absatz 3 StAG Eingebürgerten die Entscheidung zwischen ihren beiden Staatsbürgerschaften abverlangt wird, dürfen insbesondere Kinder aus binationalen Partnerschaften – wie sie immer häufiger werden – den Doppelpass behalten. Im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz wäre dies nur vertretbar, wenn es sich um grundsätzlich verschiedene Sachverhalte handeln oder für die Ungleichbehandlung ein sachlicher Rechtfertigungsgrund vorläge.
Wer von vornherein eine wesentliche Ungleichheit zwischen „Optionsdeutschen“ und Kindern binationaler Eltern annimmt, wie dies in der Debatte teils allzu schnell geschehen ist, übersieht, dass jeder Vergleich zunächst einen Vergleichspunkt braucht. Was aber kann das Kriterium sein, nach dem entschieden werden soll, ob die Gruppen einander gleichen oder nicht? Jedenfalls kann es kaum darin liegen, dass der eine ein deutsches Elternteil hat und der andere nicht. Wer so argumentiert, stellt letztlich den Staatsangehörigkeitserwerb qua Abstammung a priori höher als den nach ius soli-Kriterien. Das bedeutet nicht nur eine problematische Überhöhung der mit Blut und Erbgut weitergereichten Staatsangehörigkeit. Es verkennt auch, dass der Gesetzgeber gerade diese Differenzierung im Grundsatz überwinden wollte, und stellt damit einen Zirkelschluss dar. Eine Staatsbürgerschaft zweiter Klasse darf der Gesetzgeber an sich nicht einführen wollen.
An weiteren Unterscheidungskriterien ist der angeblich geringere Integrationsbedarf der Kinder aus binationalen Partnerschaften angeführt worden. Das Staatsangehörigkeitsrecht wäre aber überfordert, wollte man mit seinen Mitteln eine – ohnehin nicht gegebene – Homogenität der deutschen Bevölkerung sicherstellen. Das Unterscheidungskriterium des Integrationsbedarfs zu etablieren, wäre demnach systemwidrig.
Es bleibt demnach nur der Rückschluss: Ein belastbares Kriterium, das die wesentliche Ungleichheit von Binationalen und „Optionsdeutschen“ belegen würde, existiert nicht.
Der Weg zur Rechtfertigung ist verschlossen
Damit stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Als Rechtfertigungsgrund hat der Gesetzgeber nun aber ausdrücklich die Vermeidung von Mehrstaatigkeit genannt. Dass dies nicht zwingend ist, ist bereits dargelegt worden. Immerhin wäre ein solcher Rechtfertigungsansatz denkbar, wenn er diskriminierungsfrei angewandt würde. So müßten etwa ius-soli-Mehrstaater mit deutschen Angehörigen (man denke an nachträglich eingebürgerte Eltern) das gleiche Recht haben, beide Staatsangehörigkeiten zu behalten, wie die Kinder aus binationalen Partnerschaften.
Wie aber bereits die Sachverständige Astrid Wallrabenstein (Universität Gießen) in der Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestags dargelegt hat, ist die Rechtfertigungsmöglichkeit über die Vermeidung von Mehrstaatigkeit rechtlich versperrt. Denn 2005 hat die Bundesrepublik das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit ratifiziert. Darin verpflichten die Vertragsstaaten sich, Mehrstaatigkeit ab Geburt zu akzeptieren. Deutschland hat hier zwar einen die „Optionsdeutschen“ betreffenden Vorbehalt eingelegt, so dass die Bundesrepublik mit der Optionspflicht nicht unmittelbar gegen Völkerrecht verstößt. Da aber das nationale Recht völkerrechtsfreundlich auszulegen ist, verbietet es sich nach innerstaatlichen Grundsätzen, § 29 StAG allein durch den Regelungszweck der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zu rechtfertigen.
Es bleibt somit von Verfassungs wegen nur ein Weg: Die Vorschrift des § 29 StAG ist ersatzlos zu streichen, aus „Optionsdeutschen“ müssen normale Deutsche werden, mit oder ohne weiteren Pass. Eine Mehrheit für eine entsprechende politische Initiative ist jedoch derzeit nicht in Sicht. Es wird also absehbar dabei bleiben, dass „Optionsdeutsche“ sich als Deutsche zweiter Klasse fühlen müssen.
Literatur
Stellungnahmen der Expertinnen und Experten in der Anhörung des Innenausschusses des Bundestags vom 10. Dezember 2007, Ausschuss-Drucksache 16(4)311, www.bundestag.de