Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2014

Infor­ma­ti­o­nelles Selbst­be­stim­mungs­recht im Arbeits­recht? - Die Crux mit dem Fragerecht von Arbeit­ge­bern bei Bewerbungen

Grundrechte-Report 2014, Seite 106

Eine Kosmetikerin, Anfang 30 teilte ihrem Arbeitgeber die freudige Nachricht mit, dass sie in zwei Wochen heiraten werde. Ihr war kurz zuvor die Übernahme einer Kosmetik-Filiale in Düsseldorf angeboten worden. Statt ihr zu gratulieren schickte der Arbeitgeber folgende Mail: „Den Neuaufbau des Standorts Düsseldorf würden wir gerne mit Ihnen machen- aber das funktioniert natürlich nicht, wenn Sie 2012 wegen einer Schwangerschaft ausfallen. Bitte teilen Sie mir mit, welche Pläne Sie haben: Ist eine Schwangerschaft 2012 möglich bzw. gewollt –oder können Sie das für das nächste Jahr ausschließen?“

Ihr half nicht, dass sie ihren Wunsch nach Ausbau ihrer Karriere betonte: sie erhielt die Kündigung. Das wollte die junge Frau nicht einfach hinnehmen, verklagte den Arbeitgeber auf Schadensersatz wegen Frauendiskriminierung und bekam vom Arbeitsgericht Düsseldorf vom 12. März 2013 (Az. 11 Ca 7393/11) knapp 11.000 Euro zuerkannt. Dem Arbeitgeber war offensichtlich entgangen, dass die Frage nach vorliegender oder geplanter Schwangerschaft seit einigen Jahren unzulässig ist und Frauen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Schadensersatz geltend machen können, wenn der Arbeitgeber sie wegen einer Schwangerschaft benachteiligt. Danach sind bereits direkte oder indirekte Fragen nach einer Schwangerschaft absolut tabu.

Recht­spre­chungs­än­de­rung durch Diskri­mi­nie­rungs­ver­bote

Das war in Deutschland nicht immer so. Vielmehr ist es eine Konsequenz der Diskriminierungsverbote, die in zwei Wellen von der EU in unser Rechtssystem eingedrungen sind: zunächst Anfang 1980 in Form des Verbots der Geschlechterdiskriminierung, dann Anfang 2000 als Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters, einer Behinderung, der Weltanschauung und Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie sowie der sexuellen Orientierung. Die bundesdeutsche Rechtsprechung hatte zuvor jahrelang die Frage nach einer Schwangerschaft als zulässig angesehen, da kein Arbeitgeber – O-Ton Bundesarbeitsgericht (BAG) – sich unverhofft den Kosten einer Schwangerschaft aussetzen müsse – und das, obwohl eine Schwangerschaft in 99 Prozent aller Fälle zur Nichteinstellung führt. Mit sanfter Nachhilfe durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist jetzt diese Frage selbst dann nicht zulässig, wenn die Schwangerschaft den Einsatz der Bewerberin vorübergehend gar nicht zulässt (z.B. bei einer Krankenschwester im OP-Bereich). À propos Kosten: seit 2006 werden die Gehaltskosten infolge Schwangerschaft den Arbeitgebern aus einem umlagefinanzierten Sonderbudget der Krankenkassen erstattet.

Szenenwechsel: eine Putzfrau wird im Einstellungsgespräch nach Vorliegen einer Behinderung gefragt; sie verschweigt, dass sie auf einem Auge blind ist. Als sie nach einem Jahr unbeanstandeter Putztätigkeit einen Schwerbehindertenausweis beantragt, wird sie fristlos entlassen. Begründung: sie habe gelogen, das sei ein unverzeihlicher Vertrauensbruch. Das BAG hat wiederum die Kündigung gebilligt, mit ähnlicher Begründung wie früher beim Verschweigen einer Schwangerschaft: der Arbeitgeber müsse wissen, ob er mit Belastungen durch eine Behinderung rechnen müsse. Das Verbot einer Diskriminierung behinderter Menschen, das die EU seit 2000 vorgegeben hat, sollte an der Offenbarungspflicht von Arbeitnehmern nichts geändert haben. Das BAG hat für diese Sichtweise zwar heftige Kritik geerntet. Leider hatte aber bisher der EuGH noch keine Gelegenheit, hier korrigierend einzugreifen.

Dieses Beispiel illustriert ein grundsätzliches Dilemma: bei Einstellungen maßt sich der Arbeitgeber eine umfassende Kompetenz an, was er von den Bewerbern erfahren möchte, und die gesetzlichen Schranken sind vage und für Bewerber intransparent. Es gibt einen unstreitigen Kern an Fakten, die der Arbeitgeber wissen darf, die sich auf die Eignung der Bewerber für die vorgesehene Tätigkeit beziehen (Qualifikation, berufliche Erfahrung), also für „Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“ „erforderlich“ sind (§ 32 BDSG). Allerdings fehlt es an jeglicher Präzisierung, was der Arbeitgeber für „erforderlich“ halten darf und was nicht. Dabei ist seit der Entscheidung des BVerfG von 1984 zur Volkszählung ein Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts anerkannt. Nur: wie weit dieses Recht bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen reicht, ist nicht näher geregelt. Bei typischen Bewerbungssituationen herrscht eine asymmetrische Situation; die Arbeitgeber sind im Startvorteil, da sie sich die ihnen genehmen Bewerber aussuchen können. Angesichts dieses strukturellen Ungleichgewichts dürften sich Bewerber kaum trauen, die Zulässigkeit einer an sie gestellten Frage offen in Zweifel zu ziehen. Ihre Bewerbungschancen würden gegen Null tendieren.

Datenschutz auch bei straf­recht­li­chen Ermitt­lungen

Ein besonders heikles Feld ist die Frage nach Vorstrafen bzw. Ermittlungsverfahren. Hier hat das BAG in einer Entscheidung von Ende 2012 zumindest für eingestellte Ermittlungsverfahren für Klarheit gesorgt: solche Fragen sind vom geltenden Datenschutzrecht nicht gedeckt (AZ 6 AZR 339/11).

Im konkreten Fall erhielt eine Schule in NRW in einem anonymen Schreiben Hinweise gegeben worden, dass bei einem kürzlich eingestellten Lehrer Ermittlungsverfahren anhängig gewesen waren. Die Schule ging dem Hinweis nach und forderte bei der Staatsanwaltschaft einen Auszug aus dem Bundeszentralregister (BZR) an. Daraus ging hervor, dass gegen den Lehrer in einem Zeitraum von zwei Jahren vor der Einstellung mehrere Ermittlungsverfahren eingestellt worden waren. Im Einstellungsformular war der Bewerber ausdrücklich danach gefragt worden, hatte die entsprechende Rubrik jedoch nicht angekreuzt.

Durfte der Bewerber zu Recht schweigen oder hätte er auf die Frage mit „ja“ antworten müssen? Das BAG war für Schweigen: die abgefragten Informationen zu abgeschlossenen Ermittlungsverfahren seien für die Bewerbung um eine Stelle als Lehrer nicht erforderlich gewesen. Nach dem Datenschutzrecht von NRW (wie im übrigen auch nach dem BDSG) darf nur nach „erforderlichen“ Fakten gefragt werden. Unspezifiziertes Fragen nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren verstößt nach Auffassung des BAG gegen die objektive Wertordnung des GG, wie sie im Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt, bei dem es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt. Dazu hätte es einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurft, die es weder in NRW (noch im Bund) gab.

Ausnahme: Sexual­de­likte

Heute hätte die Schule beim zuständigen Einwohnermeldeamt ein erweitertes Führungszeugnis verlangen können, das für Personen ausgestellt wird, die beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern oder Jugendlichen zu tun haben (§ 30a, 31 BZRG). Diese Möglichkeit wurde vor dem Hintergrund sexueller Missbrauchsskandale 2010 eingeführt und soll dem Nachweis der persönlichen Eignung bei beruflicher oder ehrenamtlicher Betreuung, Erziehung und Ausbildung von Minderjährigen dienen (§ 72a SGB VIII). Danach müssen auch zusätzliche Verurteilungen wegen Sexualdelikten aufgeführt werden, die für die Aufnahme in das normale Führungszeugnis zu geringfügig sind.

Allerdings wäre die Schule danach auch nicht schlauer gewesen: um solche Vorwürfe hatte es sich in den eingestellten Ermittlungsverfahren gerade nicht gehandelt, sondern um Bagatelldelikte anderer Art. Allein die Tatsache, dass der Bewerber in staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren verstrickt war, hätte die Schule möglicherweise als Manko gesehen und den Bewerber nicht eingestellt. Diese Befürchtung hatte offensichtlich auch der Bewerber, weshalb er diese Umstände verschwieg. Indem das BAG sein Schweigen rechtfertigte, hat es eine Lanze für das informationelle Selbstbestimmungsrecht auch im Arbeitsrecht gebrochen.

nach oben