Ohne Kirchenmitgliedschaft keine Referatsleitung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied im August dieses Jahres, dass Gerhard Militzer keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat. Er hatte eine Diskriminierung aus religiösen Gründen geltend gemacht, weil er 2018 wegen seiner fehlenden Kirchenmitgliedschaft von der Evangelischen Kirche Deutschland nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Die Humanistische Union unterstützte Herrn Militzer in diesem Prozess finanziell und stellte ihm für das Berufungsverfahren Rechtsanwalt Dr. Till Müller-Heidelberg, den früheren Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union, zur Verfügung.
Formal wies das BAG die Beschwerde von Herrn Militzer gegen die Nicht-Zulassung der Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zurück. Dieses hatte im Januar dieses Jahres die Berufung Militzers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover von 2019 abgelehnt. Das Verfahren ist nun beendet, weil Herr Militzer keine Verfassungsbeschwerde einlegen wird.
2018 hatten die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) und die Union Evangelischer Kirchen in der EKD eine Elternzeitvertretung für die Leitung des Referates „Grund- und Menschenrechte, Europarecht“ und im Referat „Recht“ gesucht. Laut Stellenanzeige war die Mitgliedschaft in einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche erforderlich. Nach seiner schriftlichen Bewerbung bat die EKD Herrn Militzer, der die weiteren Profilanforderungen erfüllte, um Nachweis seiner Kirchenmitgliedschaft. Er teilte mit, dass er kein Kirchenmitglied sei. Zum Bewerbungsgespräch wurde er nicht eingeladen.
Inhaltlich ging es in dem Gerichtsverfahren darum, ob Herr Militzer aufgrund seiner Nicht-Religionszugehörigkeit diskriminiert wurde und ihm deshalb eine Entschädigung nach dem AGG zustand. Das AGG gewährt bei einer Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund aufgrund der Religion oder Weltanschauung in einem Bewerbungsverfahren einen Schadensersatz von drei Monatsgehältern. Für die Kirchen ist allerdings eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot vorgesehen. Sie dürfen von Mitarbeitenden eine Religionszugehörigkeit verlangen, wenn diese „nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt“. Bis 2018 konnten die Kirchen und ihre Unterorganisationen wie Caritas und Diakonie nach ihrem eigenen Selbstverständnis entscheiden, für welche Stellen eine Religionszugehörigkeit erforderlich sei. Den Arbeitsgerichten stand nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses zu. 2018 aber entschieden der Europäische Gerichtshof (EuGH) und ihm folgend das BAG im Fall Egenberger, dass die kirchlichen Arbeitgeber nur dann eine Religionszugehörigkeit der Mitarbeitenden verlangen dürfen, wenn diese für die Tätigkeit „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist“ . Ob eine Tätigkeit diese Anforderung erfüllt, ist von den Gerichten überprüfbar.
Eine Religionszugehörigkeit könne – so der EuGH und ihm folgend das BAG – eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte“ Anforderung sein, wenn die Tätigkeit z.B. mit der Mitwirkung an der Bestimmung des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation oder einem Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag verbunden sei, oder sich aus den Umständen ihrer Ausübung ergebe, z.B. der Notwendigkeit, für eine glaubwürdige Vertretung der Kirche oder Organisation nach außen zu sorgen. Diese Entscheidungen kamen einer Revolution im kirchlichen Individualarbeitsrecht gleich. Bis dahin setzten die Kirchen nämlich nicht nur für fast alle Stellen die Kirchenmitgliedschaft ihrer Beschäftigten voraus, sondern kündigten auch aus Gründen wie Homosexualität, gleichgeschlechtlicher Ehe, Wiederverheiratung nach Scheidung oder Kirchenaustritt
In dem Militzer-Verfahren nahmen die Gerichte an, dass eine Kirchenzugehörigkeit für die ausgeschriebene Stelle eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte“ Anforderung sei. Die Leitung des Referates „Grund- und Menschenrechte, Europarecht“ und des Referats „Recht“ seien nämlich bedeutsam für die Bekundung des Ethos der Evangelischen Kirche und deren Recht auf Autonomie. Vom Stelleninhaber werde nicht nur reine juristische Dienstleistung erwartet, sondern auch die Erstellung von Vorlagen zur Ordnung des kirchlichen Lebens. Er müsse daher kirchlich-theologische Fragestellungen eigenständig und spontan beantworten. können Zudem müsse er in der Lage sein, die Evangelische Kirche nach außen gegenüber Ministerien, Politiker*innen, Verbänden und anderen Organisationen zu vertreten. Nur ein Stelleninhaber, der Mitglied einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche sei, könne diese Anforderungen erfüllen.
Militzer argumentierte dagegen, dass der Stelleninhaber nach außen nicht als Repräsentant die evangelische Kirche vertrete, sondern nur projektbezogen seine Arbeitsergebnisse vorstelle. Zudem sei nicht erkennbar, warum für die Beantwortung menschen- und europarechtlicher Fragen eine Verankerung im Glauben erforderlich sei. Selbst wenn eine Fundierung im christlichen Glauben erforderlich sei, könne diese nicht ausschließlich durch Kirchenmitgliedschaft nachgewiesen werden. Nach den Forschungsergebnissen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland sage die reine Kirchenmitgliedschaft nämlich nichts über die tatsächlichen Glaubensüberzeugungen.
Die Entscheidungen des BAG und des LAG können zwar auf den ersten Blick insoweit überzeugen, als sie unter anderem davon ausgehen, dass ein*e Leiter*in der Referate „Grund- und Menschenrechte, Europarecht“ sowie „Recht“ auch fähig sein muss, auf Glaubenssätzen beruhende Regeln für die Kirchengemeinden zu schaffen und deshalb eine eigene Glaubensverankerung braucht. Allerdings bedeutet diese Annahme letztlich, dass die kirchlichen Arbeitgeber weiterhin zumindest für all die Beschäftigten, die entweder schriftliche Vorlagen erstellen und / oder Kontakt mit Institutionen außerhalb der Kirche haben, annehmen dürfen, dass sie ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie selbst im Glauben verankert sind.
Gar nicht überzeugend ist jedenfalls, warum das LAG annimmt – und das BAG sich weigert, dies zu überprüfen – dass nur durch eine Kirchenmitgliedschaft die erforderliche Glaubensüberzeugung nachgewiesen werden könne. Das LAG führt seine Annahme selbst ad absurdum, als es argumentiert, dass es Bewerbern in der Regel möglich sei, die Mitgliedschaft in einer Gliedkirche auch kurzfristig zu begründen, da bei der Evangelischen Kirche „nicht einmal eine Glaubens- und Gewissensprüfung“ stattfinde. Von einem Kirchenmitglied ohne Glaubensüberzeugung wird wohl kaum eine von der Kirche erwartete glaubensgeleitete Aufgabenerfüllung verlangt werden können!
Das BVerfG muss noch über den Fall Egenberger entscheiden, weil die Evangelische Kirche gegen die Entscheidung des BAG Verfassungsbeschwerde eingelegt hat. Der Ausgang der BVerfG-Entscheidung wird aber das kirchliche Individualarbeitsrecht wenig beeinflussen, da dieses durch die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien maßgeblich vom Unionsrecht geprägt ist. Entscheidender ist es deshalb, möglichst viele Fälle, in denen die kirchlichen Arbeitgeber von Bewerber*innen weiterhin Kirchenmitgliedschaft oder Kirchen-Nähe verlangen, von den Arbeitsgerichten überprüfen zu lassen und zu erreichen, dass die Gerichte anders als im Militzer-Verfahren den Ethos-Bezug sehr restriktiv auslegen.
Kirsten Wiese, Bremen