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Brief zur: "Erklärung der Humanis­ti­schen Union zum Sozial­hil­fe­ur­teil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richtes" (vg 8-7 1967)

vorgänge 1967 (12), S. 463

Einige Fakten, die bei der Diskussion um die Vorrangigkeit der freien Verbände nicht genügend berücksichtigt werden, möchte ich hier erwähnen.
Als Sozialarbeiter habe ich in den verschiedensten Bereichen der Jugendfürsorge überwiegend bei freien Verbänden gearbeitet. Die anschließenden Ausführungen beziehen sich auf diesen Bereich.
Den Rückstand auf sozialfürsorgerischem Gebiet, den wir andern Ländern gegenüber haben, können wir nur aufholen, wenn wir eine klare Konzeption entwickeln und alle uns zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte diesem Ziel unterordnen.
Das jetzige System wird dem nicht gerecht. Viele Aufgaben, die bisher bei einem zentralen Jugendamt gelegen haben, werden auf mehrere kleinere Vereine und Organisationen übertragen, die letztlich alle an einem andern Strang ziehen. In dieser Situation läßt sich eine einheitliche Konzeption nicht entwickeln. Der Zeitaufwand wird durch das zusätzliche Einschalten der freien Verbände vergrößert, von einem sinnvollen Einsatz der Arbeitskräfte kann hier schon gar nicht mehr gesprochen werden. Das Jugendamt bleibt nach wie vor bestehen. Die freien Verbände fühlen sich oft nur als Erfüllungshilfe des Jugendamtes.
Die bisherigen Vereine, die auf Grund ihrer Entwicklung untereinander sehr von einander abgehoben sind, übernehmen nun vielfach Aufgaben, die ihnen bisher wesensfremd waren. Das führt zu einer gegenseitigen Angleichung, wobei die Leistungsfähigkeit auf dem jeweils speziellen Gebiet abnimmt. Der Verein wird seinem ureigensten Auftrag nicht mehr gerecht. Vereinzelt zeichnet sich aus dieser Erkenntnis heraus die Entwicklung ab, daß auf sämtliche Delegationsaufgaben des Jugendamtes verzichtet wird, um somit wieder frei für die eigentlichen Aufgaben zu werden.
Der freie Träger übernimmt jeweils nur einen relativ geringen Anteil der einzelnen Sparten der breitgestreuten jugendfürsorgerischen Belange. Dadurch ist ihm die Möglichkeit genommen, innerhab eines einzelnen Aufgabengebietes zu spezialisieren mit dem Ziel einer Intensivierung der Arbeit im Interesse des Hilfesuchenden und einer rationelleren Arbeitsweise. Der Sozialarbeiter beim freien Verband ist oft ein All-round-man mit dem Vorteil eines interessanteren und vielseitigeren Arbeitsgebietes oft zum Nachteil des Hilfesuchenden. Somit wird der freie Verband der jugendfürsorgerischen Belange nicht in dem Umfange gerecht, wie es der kommunale Träger sein könnte.
In der Wirtschaft ist der größere Betrieb der Leistungsfähigere, es sei denn der kleinere habe sich spezialisiert. Diese praktische Erfahrung hat sich in der Sozialarbeit noch nicht durchgesetzt. Es vollzieht sich vielmehr eine genau entgegengesetzte Entwicklung.
Sinnvoll wird die Arbeit des freien Verbandes erst dadurch, daß dieser bei Delegationsaufgaben entsprechend seiner religiösen und weltanschaulichen Richtung tätig werden kann. Das ist im allgemeinen allein schon vom Auftrag her gar nicht möglich. Vielfach ist es nicht einmal erforderlich, da schon vom Gesetz her die religiöse und weltanschauliche Einstellung des Betreuten berücksichtigt werden muß. Es bedarf also erst gar nicht des Einschreitens des freien Verbandes.
Geht es dem freien Verband darum, dem Hilfesuchenden eine möglichst ihm gemäße Hilfe zu leisten oder geht es ihm letzten Endes um einen Öffentlichkeitsanspruch.
Die freien Verbände haben in der Vergangenheit auf sozialem Gebiet durch ihre Pionierarbeit Großes geleistet. Nun belasten sie sich mit für sie überflüssigen und zweitrangigen Aufgaben oft unter Hintansetzung ihrer ureigensten Aufgaben und Ziele. Damit fallen sie für die Zukunft für neue Aufgaben aus.
Bei der jetzigen Lösung stehen trotz demokratischer Wahlmöglichkeiten des Hilfesuchenden m. E. mehr die Interessen der freien Träger im Vordergrund, als die der zu Betreuenden. Bei neuen Lösungen sollte man die Belange des Hilfesuchenden vorrangig berücksichtigen.
Wolfgang Hosius, Düsseldorf

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